Authentisch in Social Media: Gemeinsam Einsam?
// Von Simone Janson
Viele Menschen sind einsam. Das Internet, so wird suggeriert, kann helfen Einsamkeit zu ĂŒberwinden. Doch es hat mittlerweile ein GlaubwĂŒrdigkeitsproblem. Und auch sonst bietet das Thema so seine TĂŒcken.
Wie glaubwĂŒrdig sind Nutzer?
Man darf in sozialen Netzwerken nicht alles so bierernst nehmen, weil die Dinge hier oft einfach nur zugespitzt werden. Das ist Teil des Spiels. Doch auch wenn man das weiĂ, ist es nicht immer einfach dieses Spiel zu durchschauen. Und es besteht immer die Gefahr, dass man sich von anderen ein falsches Bild macht.
Amina Abdallah Araf al Omari war 2011 die Vorzeigebloggerin aus dem durch das Regime unterdrĂŒckte Syrien: Die lesbische junge Frau berichtete direkt von den Unruhen in ihrer Heimat. Bis sie von syrischen PolizeikrĂ€ften abgeholt wurde und verschwande, wie in ihrem Blog zu lesen war. Aber all das stimmte gar nicht. In Wirklichkeit hatte ein 40-jĂ€hriger verheirateter weiĂer Amerikaner, der im schottischen Edinborough studierte, sich als Amina ausgegeben. Er wollte mit dem Fake-Blog die Dissidenten in Syrien unterstĂŒtzen. Am Ende verriet ihn die IP seiner eMail-Adresse. UnabhĂ€ngig davon, dass er mit diesem Betrug die echten syrischen Quellen nur noch unglaubwĂŒrdiger machte, zeigt die Geschichte vor allem eines: Wie leicht es ist, im Internet, zumindest fĂŒr eine Zeit, seine IdentitĂ€t zu fĂ€lschen. Nun ist das Internet nicht voll von gefakten IdentitĂ€ten. Die meisten Menschen agieren, wie schon festgestellt, vergleichsweise Deckungsgleich mit ihrer reelen Persönlichkeit â auch wenn manche von ihnen ein Pseudonym benutzen.
Gemeinsam einsam?
Der Soziologe Simon Edwin Dittrich hat sich fĂŒr einen Sammelband der Heinrich Böll Stiftung zum Thema â#public_life â Digitale IntimitĂ€t, die PrivatsphĂ€re und das Netz â ausgiebig damit beschĂ€ftigt, wie sich das verĂ€nderte Kommunikationsverhalten auf den Einzelnen und die Gesellschaft auswirkt. Nach seiner Beobachtung fĂŒhren die modernen Technologien vor allem zu einer Zunahme der asynchronen Kommunikation. Damit sind Unterhaltungen gemeint, bei denen die GesprĂ€chspartner entweder nicht zeitgleich oder nicht am selben Ort agieren.
Als Beispiel nennt Dittrich das Schreiben von SMS beim Essen. Auf Seite 100 des #public_life-Bandes erzĂ€hlt er: âAls ich Kind war, wĂ€re es undenkbar gewesen, vom Abendbrottisch aufzustehen, um ans Telefon zu gehen. Wenn ich heute mit Freunden gemeinsam esse, kommt es öfters vor, dass mehrere von uns in ihr Telefon schauen, Emails checken, SMS schreiben, Twittern oder auf Facebook schreiben. NatĂŒrlich hagelt es auch immer wieder Kritik von Menschen, die es als unhöflich empfinden, wenn man ihnen nicht seine volle Aufmerksamkeit widmet. Aber die Vehemenz nimmt ab. â FĂŒr Dittrich ist das nicht nur ein singulĂ€res PhĂ€nomen, sondern hat Auswirkungen auf unsere Gesellschaft: Beispielsweise unterhalten sich viele Reisende in ZĂŒgen nicht mehr miteinander, sondern via Handy oder Laptop mit anderen, weit entfernten GesprĂ€chspartnern. Statt also mit dem direkten Umfeld zu kommunizieren, spricht man zunehmend nur selektiv mit Menschen, die man sich selbst ausgesucht hat. Das aber macht die Wahrnehmung selektiver und Austausch Ă€rmer: Viele Informationen, die man in einem GesprĂ€ch unter Reisenden zufĂ€llig bekommen wĂŒrde, bleiben dabei auf der Strecke. Bildhaft ausgedrĂŒckt: Der Tunnelblick auf die mobile Kommunikation kann so verhindern, dass sich der eigene Horizont erweitert.
Kommunikation im öffentlichen Zwischenraum
FĂŒr Dittrich entsteht auf diese Weise ein öffentlicher Zwischenraum, in dem paradoxerweise aber vor allem private Handlungen vollzogen werden â beispielsweise wenn sich Leute im Bus via Mobiltelefon streiten und das alle mitbekommen. Und genau aus diesen ZwischenrĂ€umen ist es hinterher auch schwieriger, wieder herauszukommen, wie Dittrich konstatiert, denn sie sind eben nicht wirklich privat: âMit den Spuren, die wir in den öffentlichen Zwischen(t)rĂ€umen zurĂŒck- lassen, wird es aber schwieriger, ein Umfeld komplett zu verĂ€ndern. Jedenfalls ist es nicht so âeinfachâ wie aus Klein-Gummersbach nach Hamburg zu ziehen, denn unsere Online-Profile bleiben unverĂ€ndert.â Eine Erfahrung, die auch Vivian Pein machte. Die 29-JĂ€hrige war Community-Managerin bei Xing und wurde auch als solche im Netz wahrgenommen. Dazu hatte sie mit ihren zahlreichen AktivitĂ€ten im und um das Netz auch selbst beigetragen. Dann aber wechselte sie zum Logistikunternehmen Hermes als Social Media Managerin. Das Problem: Viele ihrer Online-Kontakte haben den Jobwechsel gar nicht mitbekommen â und sprechen sie immer noch als Xing-Mitarbeiterin an.
Noch einen Schritt weiter geht die amerikanische Psychoanalytikerin und Soziologie-Professorin Sherry Turkle. Sie erforscht seit ĂŒber 30 Jahren die Auswirkungen moderner technischen Entwicklung auf unser Leben. In ihrem neuen Buch âAlone Togetherâ warnt Sie vor der schleichenden Vereinsamung, die kommunikativen VerĂ€nderungen mit sich bringen können. Denn das Internet, vor allem in der mobilen Version fĂŒr Hand- oder Hosentasche, böte jederzeit die Möglichkeit, den komplexen zwischenmenschlichen Beziehungen der RealitĂ€t zu entfliehen â so wie die Studentin, die ohne weiteres ihren Freund gegen einen Roboter als Liebhaber eintauschen wĂŒrde, um sich die Welt einfacher und besser zu machen. Oder wie Kollegen, die eMails oder SMS ins NachbarbĂŒro schicken, weil es ihnen zu intim vorkĂ€me, dort einfach vorbeizuschauen. Wichtige Informationen und gefĂŒhlsmĂ€Ăige Regungen, die in einem Telefonat oder im persönlichen GesprĂ€ch mitausgetauscht wĂŒrden, fehlten dabei â und genau dadurch verĂ€ndere sich nicht nur die Kommunikation sondern die zwischenmenschlichen Beziehungen insgesamt. So sagt Turkle in einem Interview: âMan kann online andere Beziehungen haben. In einer gewissen Weise enthĂŒllen die Menschen mehr von sich selbst. Aber sie enthĂŒllen das, was sie enthĂŒllen wollen, nicht unbedingt das, was der andere wissen will! In einer Freundschaft von Angesicht zu Angesicht findet eher ein echter Austausch statt. Ich untersuche solche Chats seit den frĂŒhen neunziger Jahren, und wissen Sie was: Wenn es ungemĂŒtlich wird, dann kneifen die Leute. Es gibt viel weniger Verbindlichkeit in den Beziehungen.â
RealitĂ€tsverlust durch das Internet als groĂe Gefahr?
Nun mag Turkle recht haben damit, dass im Internet soziale Beziehungen, anders, nĂ€mlich oberflĂ€chlicher ablaufen und das damit fĂŒr manche Menschen eine Gefahr des RealitĂ€tsverlustes einhergeht, wenn man sich zu sehr darauf einlĂ€sst. Die Medizinerin Shima Sum von der UniversitĂ€t Sidney zeigte zudem 2008 in einer Studie unter Senioren, dass sich schon bestehende Einsamkeit nur sehr schlecht mit Social Media, Chats, Foren und privaten Nachrichten bekĂ€mpfen. Im Gegenteil, wenn sich erst die Isolation im realen Leben den Weg ins virtuelle sozialeNetz bahnt, wird der Mangel an echten Freunden eher noch gröĂer. Allerdings darf man Online-IntimitĂ€t eben nicht mit echter IntimitĂ€t verwechseln. Und natĂŒrlich sind Textnachrichten im Internet bequemer als Telefonate oder das persönliche GesprĂ€ch, weil man eben mit einer groĂen Zahl von Menschen in Kontakt stehen und diese gleichzeitig mehr auf Distanz halten kann, als das zum Beispiel bei einem Telefonat möglich wĂ€re, bei dem wir persönlich anwesend sein mĂŒssen und die Stimme â und die darin mitschwingenden Emotionen â des anderen hören. Allerdings kann ich nicht erkennen, was daran verkehrt sein soll, im Gegenteil, um effizient arbeiten zu können, ist diese Filterung sogar unablĂ€ssig. Zumal Turkle auch ĂŒber sich selbst sagt, dass eMails auch ihr wichtigster Kommunikationsweg sind. Eine hollĂ€ndische Studie von Patti M. Valkenburg und Jochen Peter zeigt folgerichtig auch das Soziale Medien ein hervorragendes Mittel sind, um einen bereits bestehenden Bekanntenkreis zu pflegen.
Man muss also differenzieren. Einmal nach den GrĂŒnden, wie warum man soziale Medien nutzt, aber auch danach, mit wem man kommuniziert und warum. Denn natĂŒrlich besteht die Gefahr, dass man seinem inneren Schweinehund nachgibt und faul zu Hause sitzen bleibt, statt sich persönlich mit Menschen zu treffen. Und wĂ€hrend die meisten Menschen im richtigen Leben oft sehr genau wissen, wer Freund, Kollege, guter Bekannter oder Feind ist, scheint genau diese Unterscheidung viele Menschen in Sozialen Netzwerken zu verwirren. Das merke ich immer dann, wenn mich Leute, die sich normalerweise ja auch nicht mit jedem auf ein Bier verabreden, unsicher fragen âWas mache ich denn, wenn ich bei Facebook eine Freundschaftsanfrage von jemandem bekomme, den ich nicht als Freund haben will?â Grund dafĂŒr ist, dass die Kommunikation in digitalen ZwischenrĂ€umen zwar öffentlich, aber doch oft auch irgendwie persönlich ist. Die strikte Trennung zwischen Ăffentlich und Privat existiert im Netz also nicht mehr, die Grenzen sind aufgehoben. Die Frage ist daher: Wie gehen wir damit um? Brauchen wir neue Grenzen? Oder sind wir grenzenlos frei?
Kotzende Einhörner beim Flittern
Daniel Decker sitzt auf der groĂen BĂŒhne im Friedrichstadtpalast und trinkt Wodka. Und er redet ĂŒbers Flittern. Flittern, das ist Flirten via Twitter, wo Decker als @kotzend_einhorn aktiv ist. Und er stellt ernĂŒchtert fest, dass zwischen der Kommunikation bei Twitter und dem Realen Leben eben doch groĂe Unterschiede bestehen: Twitter, so seine Erfahrung, ist eben nicht die Chance fĂŒr SchĂŒchterne, den Lebenspartner zu finden.
So geschehen in der Veranstaltung âWhatâs happening? Love.â, die zu einem der groĂen Publikumsmagneten auf der Blogger-Konferenz re:publica 2011 avancierte. Wohl auch deshalb, weil das ein Thema ist, bei dem jeder irgendwie mitreden kann. Wirklich spannend aber war die Diskussion zwischen Decker und Moderatorin Teresa BĂŒcker ĂŒber Rollenspiele und Kommunikationsverhalten bei Twitter, die bis heute als Video bei Youtube zu sehen ist. WĂ€hrend BĂŒcker die Ansicht vertrat, dass Menschen, die bei Twitter sehr klug, nett und eloquent seien, das meist auch in der RealitĂ€t seien, hatte Decker andere Erfahrungen gemacht: Der bekennende Telefonmuffel kann sich schriftlich viel besser ausdrĂŒcken als mĂŒndlich und musste sich daher nach erfolgreicher Kontaktanbahnung im Netz anhören: âAuf Twitter bist Du viel Lustiger⊠irgendwie bist eine ganz andere Person.â Seine ErklĂ€rung dafĂŒr: âSelbst wenn man im Netz unter seinem realen Namen agiert und sich möglichst wenig versteckt, ist es natĂŒrlich immer noch so, dass man natĂŒrlich ein Figur kreiert. Das kann natĂŒrlich auch im realen Leben passieren. Aber der Unterschied ist, dass man sich bei Twitter vor dem ersten Treffen schon viel intimer und viel weiter ausgetauscht hat, als wenn man sich so auf einer Party trifft. Deswegen ist das Bild, das sich das GegenĂŒber schon gemacht hat, ein ganz anderes.â
Im Internet kommunizieren â aber richtig!
Genau das ist der wichtige Punkt: Menschen machen sich nunmal ein Bild von anderen, wenn sie mit ihnen reden. Das setzt sich daraus zusammen, was jemand sagt â aber unbewusst auch aus den Gesten, der Mimik und dem Tonfall der Stimme. Genau diese Merkmale fehlen bei der Kommunikation in sozialen Netzwerken. Zum Beispiel auch, weil man in Sozialen Medien in der Regel schriftlich kommuniziert. Dadurch fehlen uns aber dann wichtige Informationen, die uns unsere GesprĂ€chspartner im persönlichen Dialog durch die Stimme, Gestik und Mimik unbewusst mitteilen. Der amerikanische Psychologe Albert Mehrabian fand 1967 in zwei Studien heraus, dass die Wirkung einer Botschaft nur zu sieben Prozent vom Inhalt des Gesagten abhĂ€ngt. 55 Prozent werden durch Körpersprache bestimmt und 38 Prozent durch Stimme, Tonfall, Betonung und Artikulation. Was aber tun, wenn uns diese 93 Prozent der Kommunikation fehlen â zum Beispiel, wenn wir mit Leuten eben nur twittern oder bei Facebook chatten, statt mit ihnen persönlich zu reden? Dann mĂŒssen wir uns diese Informationen dazu denken und neigen vielleicht dazu, ob wir wollen oder nicht, uns ein Bild zu machen, mit der RealitĂ€t nichts oder wenig zu tun â je nachdem, wie gut wir unseren GesprĂ€chspartner wirklich kennen.
Daher sollten soziale Netzwerke immer nur Teil unserer Kommunikation sein â die persönliche Kommunikation sollten sie aber nicht ersetzten. Wenn das doch geschieht, besteht die Gefahr, dass wir uns von unseren GesprĂ€chspartnern, sei das nun von ihnen beabsichtigt oder nicht, ein völlig falsches Bild machen. Wie sehr sich das Bild, dass die Menschen von sich im Netz abgeben, vom realen Menschen unterscheidet, hĂ€ngt allerdings offenbar stark von der persönlichen Zufriedenheit ab. Die Medienpsychologen Sabine Trepte und Leonard Reinecke von der Hamburg Media School haben in mehreren Studie die Auswahl von Avataren bei Computerspielen untersucht. Die Daten belegen, dass die meisten Menschen ihre Avatare in Spielszenarien mit mĂ€nnlichem Anforderungsprofil vorwiegend mit positiven maskulinen Eigenschaften, etwa GröĂe und StĂ€rke, ausstatten. In Spielszenarien mit weiblichem Anforderungsprofil ĂŒberwiegen hingegen positive weibliche Eigenschaften. Allerdings bevorzugten die Probanden in der Regel gleichgeschlechtliche Avatare. Und: Je zufriedener ein Mensch mit sich selbst ist, desto mehr Ă€hnelt ihm sein Avatar. Wer dagegen seinem Leben eher unglĂŒcklich war, der malte sich seine virtuelle Welt um so schöner â und um so eher unterschied sich sein Avatar von der eigenen Person.
Wechselwirkung zwischen Online und Offline
Umgekehrt wirken erstaunlicherweise aber auch Avatare und Online-Verhalten auf die eigene Persönlichkeit: So fanden Trepte und Reinecke auch heraus, dass Menschen, die in Sozialen Netzwerken vieles ĂŒber sich verraten, bereits nach sechs Monaten auch im realen Leben offener und mitteilsamer sind und auch mehr Freunde haben. In eine Ă€hnliche Richtung gehen auch die Ergebnisse des Honkong-Chinesen Nick Yee: Im Rahmen seiner Dissertation an der Stanford UniversitĂ€t belegte er, dass Menschen, die ein besonders gut aussehendes und damit beim anderen Geschlecht erfolgreicheres Alter Ego im Netz hatten, irgendwann auch im realen Leben offener mit ihrem Privatleben umgingen und auch schneller zu sexuellen Kontakten neigten. Offenbar hatte sie der Online-Erfolg mutiger gegenĂŒber anderen Menschen gemacht.
Diese Beispiele zeigen vor allem auch eines: Dass Menschen ihre IdentitĂ€t nicht nur aus sich selbst heraus definieren, sondern vor allem auch im Umgang mit anderen. Oder anders AusgedrĂŒckt: Aus den Reaktionen der AuĂenwelt auf das eigene Tun und Handeln formt jeder Mensch ein Bild von sich selbst. Was aber passiert, wenn sich die Kommunikation mit anderen Menschen so frapierend Ă€ndert, wie das im Moment durch Social Media und mobile Kommunikation der Fall ist?
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