Nur in der Hölle kann man den Himmel sehen
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Nur in der Hölle kann man den Himmel sehen

Der Weg einer jungen Mutter aus der Heroinsucht

Katja Steinmacher

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  1. 250 pages
  2. German
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Nur in der Hölle kann man den Himmel sehen

Der Weg einer jungen Mutter aus der Heroinsucht

Katja Steinmacher

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Die moderne Variante von Wir Kinder vom Bahnhof Zoo. Katja S. ist 15 Jahre alt, als sie zum ersten Mal Heroin probiert. Keine zwei Jahre später ist sie ein Junkie – drogenabhängig und ständig auf der Suche nach der nächsten Dosis, um dem Druck der Realität zu entfliehen. Immer öfter bleibt sie der Berufsschule fern, an der sie eine Ausbildung zur Arzthelferin begonnen hat. Als alle Geldreserven aufgebraucht sind, lernt sie einen Millionärssohn kennen, die Sucht steigert sich ins Uferlose. Mehrfach versucht sie einen kalten Entzug, wird schließlich in eine Suchtklinik eingewiesen, wo sie sich in einen anderen Patienten verliebt. Sie wird schwanger – und will endlich ihr Leben in den Griff bekommen. Für das Baby. Für eine gemeinsame Zukunft. Doch drei Jahre nachdem ihre Tochter gesund zur Welt gekommen ist, wird sie rückfällig. Um die teure Sucht zu finanzieren, verkauft sie selbst Heroin – bis sie eines Tages von ihren zwei besten Freunden verraten wird und im Frauengefängnis landet. Die Liebe zu ihrem Kind, das ihr herzerschütternde Briefe ins Gefängnis schreibt, hilft ihr schließlich nach fast 20 Jahren Drogensucht, dieser unheilvollen Spirale aus Abhängigkeit, Entzug, Therapie und erneutem Absturz zu entfliehen.

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Aus der Klinik in die Therapie

Sie steckten mich ins Christophsbad, Nervenheilanstalt und Krankenhaus in unserer Nähe, wo ich bis zur Zuweisung eines Therapieplatzes bleiben sollte. Mein erster Aufenthalt in einer solchen Einrichtung war auch gleich ungeheuer eindrucksvoll. Zuerst ein neugieriges Gespräch und dann ausziehen, damit man abgeduscht werden konnte, Sachen wieder anziehen, während die persönlichen Dinge gefilzt wurden. Zum Doktor und sich befingern lassen, auch nicht besonders schön.
Am beeindruckendsten an diesem Ort waren jedenfalls die Patienten, und zwar alle, ohne Ausnahme. Ein langjähriger Insasse zum Beispiel, der als Kind dabei hatte zusehen müssen, wie seine Mutter sich das Leben genommen hatte, indem sie aus dem Fenster gesprungen war, und dessen Vater ein Musikgenie gewesen war. Er bekam von allen die meisten Medikamente, wollte sie aber nicht nehmen. Manchmal weinte er dann und schimpfte: »Was macht ihr hier nur mit mir?«, denn er war sich seiner Situation voll bewusst, und das machte ihm am meisten zu schaffen. Er musste immer einen Helm tragen, weil er seinen Kopf unablässig gegen die Wand schlug.
Dann war da noch einer, vor dem man sich ständig in Acht nehmen musste. Er hatte am ganzen Körper schwerste Verbrennungen, und wenn man nicht hinsah, schmiss er seinen vollen Becher mit Kaffee nach einem. Ab und zu aß er aber auch seine brennende Zigarette auf. Er starb bald, nachdem ich wieder draußen war. Ein weiterer bemitleidenswerter Typ sah aus wie ein Penner: langer Bart, lange, fettige, dünne Haare und die Klamotten völlig verstunken. Der rauchte immer alle Stummel weg und danach noch zusammengedrehtes Zeitungspapier. Total abgefahren, wie er immer mit seiner brennenden Fackel den Gang hin und her lief. Dann gab es natürlich noch einen Haufen Alkis und Junkies, die sich alle nicht ausstehen konnten, aber trotzdem miteinander redeten.
Meine Behandlung dort begann mit Aponal, einem Antidepressivum mit lächerlich geringer Wirkung, das aber doch schnell unangenehm wurde. Ich lag nur noch im Bett und mir war so übel, dass ich weder essen noch trinken konnte. Irgendwann bekam ich Astronautennahrung, und obwohl ich da schon fast zwei Wochen lang im Bett lag, konnte von Schlafen noch immer nicht die Rede sein. Eine Nacht lang haben sie mich sogar in die Gummizelle gesteckt, wahrscheinlich, um zu checken, welche Art von Affe ich hatte. Dort wurde ich zur Vorsicht auch am Bauch fixiert.
Dann wurde ich komischerweise auf eine andere Station verlegt und bekam Haldol. Das hat mich dann völlig weggeschossen – jetzt konnte ich noch nicht mal mehr sprechen. Mittlerweile hatte ich eine leise Ahnung davon, wie man Patienten ruhigstellt. Ich hatte viele Krämpfe und konnte immer noch nicht schlafen, was einfach schrecklich war. Ich war benommen und konnte endlich verstehen, wie es den anderen ergehen musste, die im Kopf klar waren, sich aber nicht mitteilen konnten – absolut paradox. Irgendwann hatte ich ein Gespräch mit einer Ärztin, genauer gesagt, sie führte dieses Gespräch allein, denn ich war wie gelähmt und brachte absolut kein Wort heraus. Dann fragte sie mich auch noch: »Ja, Frau S., können Sie denn nicht reden?« Was für eine Frage? Wie hätte ich denn antworten sollen, wenn ich den Mund nicht bewegen konnte? Klar, mit dem Kopf nicken, das habe ich noch hingekriegt, aber für das Wort »Nein« brauchte ich bestimmt fünf Anläufe, und dabei sabberte ich sogar noch einen langen Spuckfaden auf mein Shirt, den ich mit Mühe wieder abzuwischen versuchte.
Es war wirklich unglaublich, aber ich steckte wie in einem Film fest und keiner konnte mich befreien. Es war, als ob man hinter einer dicken Glaswand sitzt und sich selbst beobachtet, aber unfähig ist, einzugreifen. Last but not least hielt sie mir einen Wisch unter die Nase, den ich mir durchlesen sollte. Auch das war so verrückt wie auf einem LSD-Trip: Ich hielt das Blatt direkt vor meine Nase und konnte trotzdem nicht das Geringste darauf erkennen. Die Buchstaben waren ganz verschwommen und verschwanden vor meinen Augen. Dann wieder die Preisfrage: »Hallo, Frau S., können Sie das denn nicht lesen?« Schließlich vertagten wir dieses denkwürdige »Gespräch« auf bessere Zeiten und vor Haldol habe ich seither einen Heidenrespekt.
Dann wurde zum Mittagstisch geläutet und alle Patienten standen auf und liefen in den Speisesaal. Das war ein ganz unglaubliches Bild, und wer wie ich Zombiefilme liebt, versteht, dass sich hier die tiefen Abgründe des Menschseins auftaten. Alle liefen zusammen, aus jeder Ecke kroch jemand hervor, und jeder wirkte so individuell verrückt und verkorkst, dass es wie ein Marsch von Freaks in Zeitlupe aussah. Das Tollste daran war allerdings, dass ich in meiner Einbildung der Obermacker von allen war, echt Wahnsinn. Alle holten sich was zu essen, während ich erst mal Platz nahm und froh war, überhaupt den Weg unbeschadet überstanden zu haben. Ich saß wie angewurzelt auf meinem Platz und konnte mich einfach nicht rühren. Ein netter junger Tischnachbar brachte mir dann einfach einen Teller, denn er schien wohl zu ahnen, dass ich nicht ganz auf der Höhe war. Allein dass ich dies alles noch genau weiß, zeigt mir die fatale Wirkung des Haldols.
Mir war das alles natürlich peinlich und ich war gleichzeitig ganz klar im Schädel, sodass ich die Leute um mich rum beobachtete und mich fragte, ob sie wiederum mich beobachteten. Noch nahmen die anderen im Raum keine Notiz von crazy Katja, aber meine Tischnachbarn wunderten sich schon. Mein netter Nachbar brachte mir also einen Teller Suppe und ich war ihm so dankbar dafür, konnte es ihm aber weder zeigen noch sagen. Und dann geschah es: Gerade, als ich nach dem Löffel griff und ihn zum Mund führen wollte, dachte ich mir: Jetzt reiß dich zusammen, das wirst du wohl noch schaffen! und: Aber was ist, wenn ich einen Krampf bekomme? Fuck – und in genau diesem Augenblick bekam ich den dann auch, und zwar den schlimmsten, den ich je hatte.
Zuerst verkrampften sich beide Hände, wie sie es schon öfter getan hatten, wurden an den Körper gezogen wie bei einem Behinderten. Dann spürte ich, wie sich meine ganze Wirbelsäule vom Steißbein langsam aufwärts bis hoch zum Kopf komplett verbog in praktisch die entgegengesetzte Richtung. Die Krönung war dann, dass sich der Kopf zurückgeworfen in den Nacken krampfte.
Oh Mann, was für ein Film – ich hing da wie ein einziger Krampfklumpen, alles zog sich noch mehr zusammen und tat richtig weh. Ich konnte mich absolut nicht mehr lösen, weiß noch nicht mal, ob mich alle vielleicht angestarrt haben, denn ich konnte einfach gar nichts mehr bewegen und auch keinen ansehen. Währenddessen lief mir unentwegt der Sabber aus dem Mund. Es war der reinste Horror, das kann ich mit Fug und Recht sagen! Ich wurde dann schließlich von zwei Helfern so verkrampft, wie ich war, wieder auf die Station gebracht und in eine Sitzecke gesetzt. Genau da kam mich meine Mutter besuchen, obwohl das bei Junkies eigentlich gar nicht erlaubt war.
Ich schätze mal, auch ihr bot sich ein Bild des Grauens, aber sie versuchte, das Beste aus der Situation zu machen, und fütterte mich, während ich immer noch vor mich hinsabberte. Als sie ging, so erzählte sie mir irgendwann später mal, schlug sie mit den Fäusten an die Wand, verzweifelt und wütend, und sagte zu den Pflegern: »Oh nein, nein, was habt ihr nur mit meinem Kind gemacht??«
Die Zeit in diesem Haus zog sich noch ewig hin. Ich blieb zum Essen im Zimmer und ich schätze, sie wollten die anderen vor meinem Anblick schützen. Sie gingen wohl auch mit der Medikamentendosis runter, denn mein Zustand wurde langsam besser. Insgesamt war ich drei Wochen dort, und das bei schönstem Wetter. Alle durften draußen im Park spazieren gehen, nur ich als Junkie nicht, wegen Fluchtgefahr. Wie recht sie damit doch hatten, wenn ich bedenke, dass ein Patient damals durch das schmale Fenster abgehauen ist, durch das noch nicht mal mein Kopf passte – Respekt. Nein, ich war auf dieser Station zu hoch oben, um unbeschadet ausbüchsen zu können, aber – mir kam dafür eine andere zündende Idee.
Inspektor Katja hatte nämlich mitbekommen, dass die Patienten mit einer Begleitperson einen Zahnarztbesuch machen konnten. Das war die Gelegenheit, um abzuzwitschern, denn ich würde mit Sicherheit nicht so lange in diesem Haus warten, bis ich den Therapieplatz bekam (wie meine Drogenberaterin es mir empfohlen hatte). Das hätte durchaus noch Monate dauern können (tatsächlich waren es dann drei). Also organisierte ich mir einen Zahnarzttermin und erwartete ihn sehnsüchtig. Sogar an meinem 19. Geburtstag musste ich eingesperrt bleiben. Da saß ich auf dem Fenstersims, hörte Musik und fragte mich, warum denn ausgerechnet ich hier drin sein musste, obwohl ich doch keiner Fliege was zuleide tat?! Eigentlich müssten doch die anderen Insassen eingesperrt werden, das fand ich so ungerecht.
Einen Tag später war ich dann weg, doch zuvor lief natürlich die spektakuläre Ausreißnummer ab.
Ich zog den neonfarbenen Jogginganzug an, den ich zum Geburtstag bekommen hatte. Meine Begleitperson war zum Glück weiblich und etwas korpulent, was die Sache vereinfachte. Wir liefen die Straße entlang Richtung Zahnarzt und ich überlegte fieberhaft, wie ich es am geschicktesten anstellen sollte, vor der Dame Reißaus zu nehmen. In die Freiheit zu laufen erschien mir so verlockend, dass ich das Wesentliche fast schon vergessen hatte. Deshalb beschloss ich, wenigstens noch den Zahnarztbesuch mitzunehmen.
Als ich also fertig war und wir uns auf dem Rückweg befanden, führte ich einen inneren Dialog mit mir: »Katja, du wirst doch jetzt wohl nicht kneifen, die Alte (die übrigens ungefähr so alt war wie ich) hängst du doch locker ab, du Sport-Ass! Lange kannst du dir damit aber auch nicht mehr Zeit lassen.« Wir standen an der Kreuzung an einer Ampel und warteten auf Grün. Zum Glück kannte ich die Schaltungen der Ampeln alle auswendig und wusste, dass ich jetzt noch genau fünf Sekunden Zeit haben würde, die Straße noch bei Rot zu überqueren, bevor die Autos losfuhren. »Katja … Katja … jetzt oder nie, mach schon, deine Chance – jetzt!!!« Und zack, haute ich den Gang rein und schoss über die Straße. Dabei hatte ich tatsächlich so viel Anlauf, dass ich noch die halbe Fußgängerzone weitergerannt bin, ohne anzuhalten. Ich schaute mich, glaube ich, kurz um, um sicher zu sein, dass die Begleiterin mir nicht folgte oder gar vors Auto rannte. Also – ich hätte mir dafür einen Orden verliehen, meine Familie allerdings nicht.
Es war atemberaubend schön, morgens bei herrlichem Wetter in der Stadt herumzulaufen und frei zu sein, während zu der Uhrzeit noch wenige Leute unterwegs waren. Das hatte ich freiwillig noch nie gemacht. Ich ging durch alle Straßen, so kam es mir vor, durch den Park, und ich schätze, ich war drei Stunden sozusagen Gassi, so jedenfalls fühlte ich mich nach wochenlangem Eingesperrtsein.
Irgendwann schließlich führte mich mein Weg direkt zu meiner Mutter in den Laden, einen Secondhandshop etwas abseits. »Du bist abgehauen, stimmt’s?« »Ja.« Sie war zwar keineswegs begeistert, aber ich konnte jetzt nicht mehr zurück. Nun würden sie mich nicht mehr aufnehmen. Kurze Zeit später holten wir gemeinsam meine Sachen von dort ab.
Klar war ich jetzt auch wieder bei Richie, aber da ich seit zwei Wochen clean war, rührte ich nichts Verbotenes an. Das Einzige, was mich wirklich nervte, war, dass ich immer noch nicht schlafen konnte und mir dann nachts Tabletten reinpfiff, zum Beispiel Rohypnol. Richie war natürlich immer noch drauf wie eh und je und ich sagte ihm, er könne sich ruhig was machen, das ließe mich völlig kalt. Er glaubte das zwar erst mal nicht, aber ich zog das wirklich zwei Wochen so durch und nahm lediglich die Rohyps. Na ja, die Dinger hatte ich zwar tagsüber auch schon eingebaut, aber ich wurde davon alles andere als müde. Obwohl Richie ständig auch echten Stoff hatte, nahm er die Tabletten wohl aus Solidarität noch zusätzlich. Es war jedenfalls total abstoßend, ihn in diesem Zustand sehen zu müssen, wenn er sich in der Küche was aufkochte und von den zusätzlichen Rohyps so platt war, dass er in die Knie ging und dabei fast einschlief. Unsere Beziehung war schon lange keine Liebesbeziehung mehr, sondern reine Suchtbefriedigung, die jedes andere Miteinander vernichtet hatte.
Ich fragte mich tatsächlich, warum er denn in diesem abgeschossenen Zustand noch obendrein was ballern musste. Das ist übrigens auch der häufigste Grund für eine Überdosis: dieses ständige Gefühl des Immer-noch-mehr-Wollens und Niemals-satt-Seins, obwohl man längst einen Zustand erreicht hat, der gefährlich genug ist.
Dann öffnete er langsam, wie in Zeitlupe, den Gürtel seiner Jeans, zog die Unterhose zur Seite und suchte eine Vene an der Leiste. Das fand ich immer extrem eklig, mit einer langen Nadel komplett senkrecht in die Leiste rein bis zum Anschlag, igitt. Er tat mir fast schon leid, wenn er währenddessen fast einschlief, einfach abstoßend.
Eines Mittags waren wir bei einem Kumpel, Gregor, und zusammen mit Susann und Mike sind wir dann noch ins »Nachtwerk« gegangen, so weit kann ich das noch rekonstruieren. In dieser Zeit habe ich die Tabletten fast im stündlichen Abstand eingeworfen und trotzdem kaum etwas gemerkt. Auch den anderen habe ich welche gegeben. Nach der vierten Rohyp an diesem Abend dachte ich: Mensch, das gibt’s doch nicht, was ist denn das für ein Mist? Irgendwie geht da ja gar nichts! Also gleich noch mal zwei hinterhergespült. Als wir kurz vorm »Nachtwerk« waren, noch mal zwei weitere, man weiß ja nie, sicher ist sicher – und die schienen dann auch ihre Wirkung zu tun. Wir saßen alle an der Tanzfläche, einer ausgemergelter als der andere, und so langsam spürte ich die einsetzende Wirkung. Ganz seltsam, irgendwie besoffen, aber trotzdem klar; irgendwie dödelig, aber auch müde und sorglos. Alles war mir schnuppe, egal was. Sogar Bier hatte ich getrunken, obwohl ich das doch gar nicht mag, und ich habe, glaube ich, mit Gregor auf der Tanzfläche zu völlig beknackter Musik abgetanzt und einen Riesenspaß gehabt.
Irgendwann habe ich dann doch tatsächlich noch mit Mike rumgeknutscht, und wie mir das nur passieren konnte, frage ich mich heute noch. Später setzten mich meine Kumpels vor Richies Haus ab, aber da – wow – zog es mir die Füße weg und meine tollen Cowboystiefel, auf die ich so stolz war, waren plötzlich an den Spitzen vorn aufgescheuert. Ich war so dicht wie eine typische Tablettenleiche. Keinen Schimmer mehr, ob ich dann noch bei Richie ankam, ich glaube, die anderen haben mich wieder mitgenommen. Alles, was ich noch weiß, ist, dass ich ein ultraschlechtes Gewissen hatte wegen dieser Knutscherei.
Als ich das nächste Mal zu Richie kam, beichtete ich ihm das mit Mike und sagte, dass es mir furchtbar leidtäte und ich voll auf Rohypnol gewesen sei. Oha, davon war Richie aber ganz und gar nicht begeistert und wollte sogar, dass ich wieder gehe, ein deutliches Zeichen dafür, dass unsere Beziehung sich trotz seiner Verletztheit dem Ende näherte. Er lag wie immer auf seinem Bett und ständig fielen ihm die Augen zu. Das Ganze gipfelte dann darin, dass er mich auf einmal auch noch beschuldigte, seinen vollen Geldbeutel entwendet zu haben. Ich konnte ihn an diesem Tag in keiner Weise vom Gegenteil überzeugen, denn er war so mit Tabletten zugedröhnt, dass er gar nichts mehr begriff. Ich habe angefangen zu heulen und ihn angefleht, aber vergebens, ging dann wohl oder übel nach Hause und schrieb ihm anschließend einen drei Seiten langen Brief. Ich war fix und fertig, das weiß ich noch genau – wie konnte er nur so was von mir denken? Ich habe gebetet, dass der Geldbeutel wieder auftaucht, damit die Gerechtigkeit siegt, denn mit dieser Last wollte ich nicht länger dastehen – zumal er es auch den anderen so erzählt hatte.
Während ich also eine Woche im Ungewissen blieb und Richie den Brief aber unbedingt noch geben wollte, bevor ich in die Therapie ging, brachte ich ihn ihm eines Tages dann mit meiner Mutter zusammen vorbei. Als er runterkam, um ihn entgegenzunehmen, sagte er noch leise: »Ach ja, ich habe übrigens meinen Geldbeutel wiedergefunden!« Ob er sich noch für den Verdacht entschuldigte, weiß ich nicht mehr, und obwohl es mir nicht leicht fiel, war die Beziehung für mich damit beendet. Unsere beste Zeit war sowieso schon lange um und Sex hatten wir auch ewig nicht mehr gehabt – wir hatten ja das Heroin –, aber dieser Bruch jetzt war zu groß und seine ungerechtfertigte Verdächtigung schmerzte unerträglich.
Eines Mittags wollte mein Kumpel Timm unbedingt was kaufen, und so fuhr ich mit ihm, Susann und ihrem Freund Bodo zusammen nach Frankfurt zur Connection. Dort erfuhr ich dann, dass damals neun Leute an diesem Material gestorben waren und dass ihr Dealer im Krankenhaus lag. Der Stoff war mit Rattengift gestreckt worden, oh Mann, da hatte ich noch mal Glück gehabt. Wir fuhren zu den Schrebergärten in der Nähe und setzten uns dort einen Druck. Es war die Gesellschaft der anderen und meine Frustration wegen Richie, die mich wieder zur Spritze greifen ließ. Allerdings hatte das Zeug eine komische Karottenfarbe und ich misstraute ihm, sodass ich mir nur wenig ballerte.
Die anderen waren aber zufrieden und mir war es recht. Wir sind dann in die »Remise« gefahren, wo wir den Schlüssel für den Kellerraum bekamen. Wir genehmigten uns noch einen Druck, da ich aber gerade mit Timm rumknutschte, nahm ich von den beiden anderen kaum Notiz. Susann fragte mich zwar noch nebenbei, ob das jetzt Stoff für 100 DM sei, und streckte mir den vollen Löffel hin. Ich sagte nur gelangweilt: »Ja, ja.«
Was ich allerdings nicht wusste und mitbekam, war, dass sie sich das ganze Zeug auf einmal reinjagte. Irgendwann sagte sie zu uns: »Mir wird ganz schwindelig«, und ich entgegnete: »Dann leg dich doch hin und streck die Füße hoch!« Genau das sollte man in so einer Situation tunlichst vermeiden, aber ich hatte ihre Dosis ja nicht mitbekommen. Erst als Bodo so ganz nebenbei zu mir sagte: »Hm, komisch, die rührt sich ja gar nicht mehr und hat ganz blaue Lippen!«, sprang ich mit einem Satz auf und schaute nach ihr – tatsächlich lag sie regungslos da. Ich dachte: Na, das hat mir jetzt gerade noch gefehlt, und Bodo, der Wicht, sieht ihr dabei auch noch zu und tut nichts. Timm hatte es inzwischen auch gemerkt und wimmerte die ganze Zeit nur vor sich hin: »Nicht schon wieder, nicht schon wieder!« Wir schüttelten Susann und riefen ihren Namen, aber es gab keine Reaktion. Schnell befahl ich Bodo, von oben Salz zu holen, während ich Mund-zu-Mund-Beatmung machte. Mir lief es eiskalt den Rücken runter, und ich wollte einfach nicht akzeptieren, dass sie vielleicht unter unseren Händen wegstarb. »Wieso hat sie denn nicht gesagt, dass sie sich alles reinknallt?« Timm gab ihr ein paar kräftige Ohrfeigen, aber vergebens. Er war kurz davor, zu heulen. Endlich kam das Salz, von dem ich schnell eine Lösung machte. Ich klopfte nach einer Vene, zum Glück waren ihre noch nicht so kaputt, sodass ich gleich eine fand. Langsam spritzte ich ihr die Salzlösung hinein und wir warteten gespannt, was passierte. Nach schätzungsweise 30 Sekunden kam ein lautes, röchelndes Einatmen und da wusste ich, sie ist über den Berg. Wir freuten uns alle riesig, es war ein unbeschreibliches Gefühl, jemanden wiederbelebt zu haben, das kann ich jedem versichern. Ohne die Salzlösung wäre Susann mit Sicherheit gestorben.
Sie selbst sagte irgendwann nur erstaunt: »Hä, was war denn los?« – »Ach, du warst eben nur mal zehn Minuten weg!«
Danach sind wir zu ihr nach Hause gefahren und haben im Swimmingpool gebadet. Ihre Eltern hatten ein riesiges Haus am Ende des Dorfes. Sie waren außerdem auch ganz cool drauf und so übernachtete ich bei ihnen. Da sie aber Perserkatzen hatten, wurde die Nacht für mich zur Hölle, denn ich bin allergisch gegen die Viecher.
Zwischenzeitlich rief meine Mutter fast täglich in der Therapieeinrichtung an, um zu erfahren, ob ich vielleicht schon früher aufgenommen werden konnte. Es war aber nichts zu machen. Die Wartezeiten sind immer immens lang und viele Kandidaten sterben, noch bevor sie ihre Therapie antreten.
Am 19. August 1989 aber war es dann so weit; ich war 20 und packte fast alle meine Klamotten in mehrere Koffer, um mit meiner Mutter in die Klinik nach Bayern zu fahren, in der ich noch einen Sicherheitsentzug machen musste, bevor ich für ein Jahr auf den Therapie-Bauernhof ging. Zum Glück musste ich diesmal keinen Affen schieben, Gott sei Dank, und durfte am fünften Tag dann endlich meine Therapie antreten. Das Haus war total abgelegen und wir durchfuhren viele kleine Dörfer, eines auch mit dem genialen Namen Heustreu, bis wir endlich da waren. Ein riesig großer Bauernhof mit circa 40 Junkies, na super.
Im Eingangsbereich saßen auch gleich ein paar Klienten, die Ausschau nach »Frischfleisch« hielten. Man muss dazu wissen, dass i...

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