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Die Macht der kleinen Dinge
Führungsfrauen müssen sich mehr anstrengen als Männer, wenn sie eine verantwortungsvolle Position in einem männerdominierten Feld erfolgreich ausfüllen wollen. In ihrem beruflichen Alltag begegnen ihnen immer wieder kränkende und herabsetzende Verhaltensweisen. Wie sollen sie diesen begegnen? Protestieren sie, wird ihnen das als Überempfindlichkeit ausgelegt. Sagen sie nichts, heißt es, sie seien womöglich zu schwach. Wenn Frauen manchmal mit der (informell geäußerten) Begründung „Das tue ich mir nicht an“ Entwicklungsmöglichkeiten ausschlagen, dann ist es in der Regel nicht die Arbeit selbst, die sie sich nicht antun möchten, sondern deren besondere Begleitumstände.
Prekäre Zugehörigkeit
Wir Menschen sind soziale Wesen und brauchen Zugehörigkeit. Aber für Frauen, die in männerdominierten Bereichen eine Führungsposition innehaben, ist diese nicht leicht zu erreichen. Hier fühlen sich Männer selbstverständlich als Teil des Teams. Ihnen geht es darum, innerhalb des jeweiligen Gremiums ihren Status zu sichern oder, besser noch, zu erhöhen. Frauen dagegen ringen darum, ob sie überhaupt mitmachen dürfen. Sie sind in der Minderheit, und das heißt erst einmal Außenseiter. Frauen in hohen Führungspositionen sind immer noch nicht normal, sie entsprechen nicht dem Manager-Prototyp. Zugang zu finden zum Kreis der Kollegen, also als Fach- und Führungskraft akzeptiert zu werden, ist nicht einfach. Die Frau kann die Männer nicht einfach nachmachen, das würde ihr die Akzeptanz nicht sichern. Genaue Beobachtung und vorsichtiges Experimentieren sind hier nötig. Partnerinnen, um sich auszutauschen und Vergleiche anzustellen – so etwas wie „Best Practice für Minderheiten“ –, wären willkommen, aber sie fehlen. Die Frau muss allein herausfinden, wie sie angemessen angezogen ist; wie sie Kontakte knüpfen, Netzwerke aufbauen kann, ohne in missverständliche Situationen zu geraten; wie sie ihren Status sichern und was sie tun kann, wenn er ignoriert wird; wie sie zu Wort kommen kann und auch gehört wird; wie sie sich zu Zoten und frauenfeindlichen Bemerkungen verhalten soll – die Liste ließe sich verlängern.
Winzige Herabsetzungen, der Sand im Schuh
Eine amerikanische Beraterin hat vor Jahren den Ausdruck „Micro-Inequities“ geprägt, Mikro-Herabsetzungen oder -Ungerechtigkeiten. Sie beschreibt sie als „scheinbar kleine Ereignisse, die oft flüchtig und kaum zu beweisen sind, verdeckte Geschehnisse, oft ohne Absicht, häufig unerkannt durch den Verursacher, die immer dann passieren, wenn Menschen als anders wahrgenommen werden“.1
Wir alle, ob wir es bemerken oder nicht, drücken unsere Haltung gegenüber anderen durch unzählige winzige Kommunikationsakte aus – seien sie nun herabsetzend oder anerkennend. Die herabsetzenden sind wie Sandkörner im Schuh – kleinste Begebenheiten, von denen jeder sagen würde, sie seien doch nicht wichtig, die aber dennoch schmerzen, vor allem, wenn sie wieder und wieder auftreten ( KASTEN „Mikro-Herabsetzung und Mikro-Bestätigung“). Mikro-Herabsetzung
• Obwohl im Gespräch mit einer Person, checken Sie Ihre E-Mails oder schicken eine Textmessage.
• Sie sprechen den Namen einer Person immer wieder falsch aus.
• Sie unterbrechen eine Person mitten im Satz.
• Sie seufzen laut; Sie rollen die Augen.
• Sie erheben die Stimme, obwohl die andere Person Sie gut hören kann.
• In einer Besprechung erwähnen Sie die Leistung einiger Personen; den Beitrag anderer, der ebenso wichtig ist, jedoch nicht.
• Sie machen sexistische Witze oder lachen mit.
• Sie loben jemanden für die Idee, die Sie gerade bei einer anderen Person ignoriert haben (der Klassiker!).
• Sie übergehen mehrfach jemanden, der sich in einer Diskussion zu Wort meldet.
• Sie hören einer Präsentation zu und schauen dabei wiederholt auf die Uhr.
• Im Gespräch mit einer Person wenden Sie den Blick ab.
• Sie übersehen eine Person, begrüßen andere.
Mikro-Bestätigung
• Sie sprechen die Person mit ihrem Namen an.
• Sie hören konzentriert zu.
• Sie fragen eine Person um ihre Meinung.
• Nach einem erfolgreichen Meeting bedanken Sie sich bei der Person.
• Sie beziehen sich positiv auf den Beitrag einer Person.
• Sie loben die Person, auch vor anderen.
Die meisten Führungsfrauen spüren diese Sandkörner im Schuh. Beiläufig, durchaus nicht jammernd, erwähnen die Frauen der Fokusgruppe solche Ereignisse. Sie werden als die Sekretärin ihres Mitarbeiters angesprochen; im Hotel bekommt der Kollege das bessere Zimmer; bei Einladungen werden sie schon mal übergangen, bei Meetings werden sie übersehen, sie werden nicht einbezogen, ihre Beiträge werden nicht aufgenommen; alltäglich erleben Führungsfrauen diese kleinen Ungerechtigkeiten, die anderen – oft unbemerkt – unterlaufen. Immer wieder müssen sie entscheiden: Protestiere ich, oder sehe ich darüber hinweg? Beides hat seinen Preis. Protestieren sie, leugnen die Kollegen die Abwertung, finden sie humorlos, kleinlich oder überempfindlich. Sehen sie darüber hinweg, müssen sie Wege finden, ihre Zuversicht und ihr Selbstvertrauen zurückzugewinnen. Humor ist dabei eine große Hilfe. Aber irgendwann ist der Humor aufgebraucht. Die tägliche kleine Abwertung wirkt kumulativ. Manchmal berichten Frauen, dass sie im Laufe der Jahre immer empfindlicher geworden sind. Das Sandkörnchen im Schuh ist zunächst unangenehm, dann störend, und schließlich schmerzt es.
Stattdessen: Mikro-Bestätigungen
Vorgesetzte tragen zu dem Problem bei. Immer wieder erwähnen Führungsfrauen mangelnde Wertschätzung und beiläufige Abwertung durch ihre Chefs. Sie schildern, wie diese sie entmutigen und ihnen Führungskompetenz absprechen. Sie berichten, dass die Chefs sich auf Kosten der Mitarbeiterinnen profilieren, dass Frauen übergangen oder ignoriert werden, dass sie um Qualifizierungsmöglichkeiten kämpfen müssen.
Vorgesetzte, denen die berufliche Entwicklung von Mitarbeiterinnen wichtig ist, können bewusst Mikro-Bestätigungen einsetzen – kleine kommunikative Akte, die die Mitarbeiterin wissen lassen: Sie wird gesehen, sie wird ernst genommen, ihre Leistung wird a...