Initiieren - Planen - Umsetzen (Leseprobe)
Auszug aus:
Bertelsmann Stiftung (Hrsg.)
Initiieren - Planen - Umsetzen
Handbuch kommunale Seniorenpolitik
Gütersloh 2009
ISBN 978-3-86793-024-6
© Verlag Bertelsmann Stiftung, Gütersloh
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7 Themen kommunaler Seniorenpolitik - eine Auswahl
7.1 Demographiesensible Strukturentwicklung - Umsetzung seniorengerechter Infrastruktur- und Stadtplanung
Gabriele Steffen
Qualität ist entscheidend
Eine gute Nahversorgung, Gaststätten und Cafés, Post, Bank, Ärzte und Apotheke in der Nähe, passende Verbindungen mit dem öffentlichen Nahverkehr - dies sind Anforderungen, wie sie von Seniorenorganisationen und in der Fachdiskussion zum Leben im Alter formuliert werden. Auch bei vielen Beteiligungsverfahren stehen diese Punkte weit oben auf der Wunschliste, nicht nur bei älteren Menschen - ebenso wie die Qualität des öffentlichen Raums und die soziale, kulturelle und gemeinwesenbezogene Infrastruktur.
Stadt- und Infrastrukturplanung: Bedeutung für ältere Menschen und für die Kommune
Oft mangelt es aber an diesen Qualitäten. In schrumpfenden Regionen, in vielen kleinen Gemeinden auf dem Land, in denen die Bevölkerungszahl stark zurückgeht, ist kaum noch die Grundversorgung sichergestellt. Aber auch in Städten - kleineren wie großen - weisen längst nicht alle Stadtteile und Quartiere die gewünschten Qualitäten auf. Was man in städtischen Kontexten über Wohnen und Pflege hinaus tun kann, ist Gegenstand dieses Beitrags.
dp n="48" folio="160" ? Wohnquartiere für das Leben (nicht nur) im Alter
Beim Leben im Alter geht es also nicht nur um die Beschaffenheit der Wohnung oder um Betreuungs- und Pflegeangebote (die in der Diskussion meist im Vordergrund stehen), sondern gerade auch um
• Möglichkeiten zum Sitzen und Verweilen, um unter Leuten zu sein: Dafür braucht es lebendige Plätze, Grünflächen und Straßen mit Aufenthaltsqualität, wo man sich wohl und sicher fühlt und etwas zu sehen hat - vom kleinen »Taschenpark»um die Ecke mit Bänkchen über den Quartiers- und größeren Stadtplatz, die Grünanlagen bis hin zum Friedhof - auch dies ein wichtiger Ort im Alltag Älterer;
Öffentlicher Raum und Mobilität
• Mobilität: Dafür sind Wegeverbindungen wichtig, auf denen man gefahrlos, ohne Hindernisse, Barrieren und Schwellen die wichtigsten Erledigungen machen kann und die auch zum Spazierengehen und anderen Aktivitäten einladen - breit genug, um sich zu begegnen, stehen zu bleiben oder aneinander vorbeizukommen, auch mit Geh- oder sonstiger Behinderung, mit Einkaufsroller, Rollstuhl oder Rollator; ältere Menschen wollen auch Rad fahren und den öffentlichen Nahverkehr nutzen, gerade wenn das Autofahren beschwerlicher wird;
• Zugang zu Nahversorgung, Gastronomie, unterschiedlichen Dienstleistern - nicht nur im Bereich Gesundheit: Dafür ist ein möglichst vielfältiges Angebot gewünscht, um sich selbst versorgen zu können und auch Wahlmöglichkeiten zu haben; dies hat ebenfalls eine soziale Funktion - als Anlass zu Kontakten und Austausch, für manche sogar, um überhaupt aus dem Haus zu kommen; man möchte auch ohne Verbindlichkeit irgendwo im Warmen sitzen und schwätzen können, nicht nur im Seniorentreff, sonden z. B. im Einkaufszentrum, wo es günstig Kaffee gibt;
Vielfältige privatwirtschaftliche, soziale, kulturelle Angebote
• soziale, kulturelle und gemeinwesenbezogene Angebote: Hier geht es nicht nur um Einrichtungen, die speziell auf Ältere ausgerichtet sind; ältere Menschen suchen sich ihre wichtigen Orte und Treffpunkte selber; das kann das Schwimmbad sein, die Bücherei, das Stadtmuseum oder die Uni, Kleingärten oder Werkstätten.
Qualität kommt allen Generationen zugute
Kurze Wege, eine möglichst große Vielfalt an Nutzungen und Angeboten, Lebendigkeit, die Gelegenheit zu Kontakten (auch gelegentlichen und unverbindlichen), zum Tätigsein und Ausruhen sind Qualitäten eines Wohnquartiers, die im Alter besondere Bedeutung gewinnen, aber allen Generationen zugutekommen. Dazu gehört auch die Möglichkeit, sich aktiv am Leben und der Gestaltung des eigenen Quartiers zu beteiligen. Voraussetzungen, um Angebote nutzen zu können, sind eine durchgängige Gebrauchstauglichkeit, Zugänglichkeit, eine gute Orientierung in der Gemeinde, ein praktisches Informationssystem auf unterschiedlichen Wegen und für alle Sinne.
dp n="49" folio="161" ? Eng verknüpft: städtebauliche Gegebenheiten und soziales Handeln
Auswirkungen von Stadtplanung
Die Eignung einer Gemeinde oder einer Stadt und ihrer unterschiedlichen Quartiere für das Leben im Alter ist also nicht nur ein Thema für die Altenhilfe, für Sozialpolitik und Sozialplanung. Damit kommt die Stadtplanung ins Spiel: Denn sie schafft den Rahmen für das, was wo und wie für wen und für welche Nutzungen gebaut, erhalten, weiterentwickelt oder aufgegeben wird. Städtebauliche Gegebenheiten haben eine große Bedeutung für soziales Handeln und damit auch für das Leben im Alter:
• Die Nutzungsstrukturen können homogen sein (Wohnsiedlungen, Gewerbegebiete, Einkaufszentren am Rande) oder heterogen und offen für vielfältige, ganz unterschiedliche Nutzungen; Nutzungsmischung bedeutet unter anderem, dass ein Quartier zu unterschiedlichen Zeiten belebt ist durch unterschiedliche Nutzer (Wohnen, Arbeiten, Einkaufen...), die auch Nahversorgung und öffentlichen Nahverkehr tragfähiger machen, viele Anlaufstellen, Lebendigkeit und Sicherheitsempfinden.
• Die Dichte kann von ganz aufgelockerter Bebauung bis hin zu Großwohnanlagen reichen; eine nicht zu geringe Dichte bedeutet auch Dichte der Kontakte, Nachfrage für Läden und Bus, kurze Wege - wichtig sind dabei die Qualität des öffentlichen und privaten Grüns, aber auch der Maßstab der Bebauung: Ist sie kleinteilig organisiert, gibt es viele Aus- und Eingänge (und damit Leute, die unterwegs sind), eine Vielzahl an Eigentümern von Wohnungen und Gebäuden, an Inhabern von Läden und Betrieben, die sich für ihr Umfeld verantwortlich fühlen, und die Wege werden kurzweiliger.
• Zum öffentlichen Raum gehören die Qualität, die Arten und die Zahl von Plätzen, Gehwegen und Straßenraum, das Wegesystem und die Erschließung (Sackgassen ohne Auswege oder ein Wegenetz mit vielen Abzweigungen und Wahlmöglichkeiten), die Orientierung der Gebäude (zur Straße oder abgewandt). Dies hängt eng mit Lebendigkeit, Aufenthaltsqualität und Sicherheitsempfinden zusammen: Wenn ein Platz in vielfältige Wegebeziehungen eingebunden und von unterschiedlichen Nutzungen umgeben ist, kommen viele Menschen im Rahmen ihrer alltäglichen Erledigungen, auf dem Weg von oder zur Arbeit oder nach Hause dort zu Fuß vorbei; wichtig sind auch Anlässe zum Aufenthalt - zum Stehenbleiben, um mit anderen ins Gespräch zu kommen, auf einer Bank zu sitzen, dazu Haltestellen, Briefkästen und Ähnliches, die eine öffentliche Präsenz signalisieren.
• Schließlich schafft Stadtplanung den Rahmen für die gemeinwesenbezogene und sonstige, öffentliche und private, quartiersbezogene und gesamtstädtische Infrastruktur, ihre Standorte und Konzepte. Sind die Gebäude städtebaulich integriert oder isoliert, leicht erreichbar oder weit draußen, spezialisiert oder Unterschiedliches kombinierend und offen für Mehrfachnutzungen, leicht zugänglich und auf Kontakte zum Quartier ausgerichtet oder in sich geschlossen?
Auch der Umgang mit Altem und Vorhandenem ist ein Thema für die Stadtplanung. Neubausiedlungen auf der grünen Wiese werden oft geplant, ohne an die Tauglichkeit für das Leben im Alter zu denken. Viele interessante Projekte entstehen heute durch Umbau und Umnutzung, geschickte Kombinationen von Alt- und Neubauten, die das Vorhandene wertschätzen, es für Neues tauglich machen und seine Qualitäten - wie Erschließung und Infrastruktur, alten Baumbestand - zur Geltung bringen. Das reicht von der Umnutzung früherer Schul-, Brauerei- oder Feuerwehrgebäude bis hin zur Entwicklung größerer Brachflächen, ehemaliger Fabrik-, Bahn- oder Militärgelände in oft günstigen Lagen. Die wesentlichen Aufgaben liegen heute im Bestand. Umnutzung, Umbau, Innenentwicklung, Konversion stellen aber andere, komplexere Anforderungen als das Planen und Bauen auf der grünen Wiese.
Kleinräumige Perspektiven
Für das Leben im Alter sind die Voraussetzungen sehr unterschiedlich je nach Entstehungszeit und Quartierstypen - z.B. Kernstadt, alte Vorstädte, Arbeiterwohnsiedlung, Wohnsiedlung in Randlage, Nebenzentrum, Trabantenstadt. Generell gibt es große Unterschiede zwischen Wohnsiedlungen und nutzungsgemischten Quartieren.
Wichtig ist auch deswegen der Quartiersansatz: Aus Sicht der dort lebenden und arbeitenden Menschen ist das Quartier der (fußläufige) Aktionsradius, der Handlungsraum für den Alltag, wo man sich kennt und auskennt. Aus Sicht der Planung geht es um Sozialräume, eine kleinräumige Perspektive, das Denken und Handeln im Zusammenhang statt in fachlichen Kategorien. Der Blick auf das Quartier ist integrativ, handlungs- und nutzerorientiert, auf die je eigenen Qualitäten und Herausforderungen gerichtet - jedes Quartier ist anders.
Entscheidend ist aber auch das Verfahren: Wer plant und wer baut? Welche Rolle spielen dabei die älteren Menschen?
Bedeutung für die Kommunen
Stadtplanung nicht isoliert denken
Angesichts des viel zitierten demographischen Wandels tun die Kommunen gut daran, sich frühzeitig auf den wachsenden Anteil Älterer einzustellen. Es liegt im öffentlichen Interesse, dass ältere Menschen möglichst gute Voraussetzungen haben, um sich selber versorgen, Kontakte knüpfen und pflegen, tätig sein, sich engagieren zu können, ohne dabei auf staatliche Leistungen angewiesen zu sein.
dp n="51" folio="163" ?Eine »seniorengerechte Stadtplanung« ist nicht isoliert zu denken. Das Vorgehen muss integrativ in mehrfacher Hinsicht sein. Die stadträumlichen Verhältnisse können zum Thema auch in Altenhilfeplänen werden und umgekehrt die Bedürfnisse und die Beteiligung Älterer zum festen Bestandteil von Projekten der Stadt- und Gemeindeentwicklung: nicht nur bei der Planung von Neubaugebieten, sondern gerade auch bei Projekten der Innenentwicklung, zum Beispiel im Bund-Länder-Programm »Soziale Stadt«, bei dem aktive Mitwirkung generell eine große Rolle spielt, oder bei der klassischen Stadtsanierung. Oft zu kurz kommt die laufende kleinteilige Stadterneuerung, die für die Lebensqualität in den Quartieren ganz entscheidend ist. Hier können die Erfahrungen und Bedürfnisse Älterer sehr zur umfassenden Qualitätsverbesserung beitragen. Dies gilt auch für andere Verfahren wie Stadtmarketing oder Leitbildprozesse. Grundsatz sollte sein,
• möglichst jedes auch noch so kleine Vorhaben in der Gemeinde zu nutzen, um die Lebens- und Stadtqualität auch für Ältere zu verbessern (z. B. Bordsteinabsenkungen im Zuge fälliger Straßenreparaturen);
• die Stadtentwicklung auch unter dem Gesichtspunkt des demographischen Wandels strategisch zu planen, etwa durch funktionale Stärkung (nur) der Standorte, die die genannten Qualitäten aufweisen, und durch Schlüssel...