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... am allerliebsten ist mir eine gewisse Herzensbildung
Die Interviews
- 528 pages
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... am allerliebsten ist mir eine gewisse Herzensbildung
Die Interviews
About this book
Mit dem vorliegenden Band liegt der aufwendigste der Werkausgabe von Hanns Dieter Hüsch vor, der knapp 140 Gespräche aus den Jahren 1967 bis 2001 versammelt. Das thematische Spektrum der Interviews reicht von den Notstandsgesetzen bis zu einem Resumee seines kabarettistischen Schaffens, das er nach über fünf Jahrzehnten auf der Bühne zieht – und das oftmals direkter, spontaner als in seinen gedruckten oder aufgeführten Texten. In allen Antworten erweist sich Hüsch als wacher Zeitzeuge, der sich um immer wieder neue Formulierungen selbst bei ähnlichen Fragen bemüht. So liegt mit dem Interview-Band fast so etwas wie eine "parallele Biografie" vor.
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Information
»… eine Figur, die Freunde gewinnen will«
Herr Hüsch, wenn wir mal grob kategorisieren wollen, so scheint es heute ein Kabarett von »oben« und eins von »unten« zu geben, »von oben« ein Kabarett der Wahrheitsvermittler, mit dem Trend zum schnellen Verallgemeinern, ein Kabarett, das mit Werturteilen arbeitet. Auf der anderen Seite glauben wir bei Ihnen eine Form entdeckt zu haben, die Sie, wenn wir Sie zitieren dürfen, 1960 folgendermaßen gekennzeichnet haben:
»Wir wünschen uns ein äußerst ironisches Kabarett, ein von allen falschen Geistern verlassenes Kabarett, ein Kabarett mit einer Stakkato-Poesie, die uns kein Politiker nachmacht. Wir wollen überhaupt nicht mehr von den Herren der Welt reden. Wir haben keine Zeit mehr, von ihnen zu reden: Denn wir haben nur noch Zeit zu leben, sehr schnell zu leben. Wir wünschen uns ein skeptisches Kabarett von glasklarem Intellekt, herber Melancholie und verspieltem Herzen. Keine Vergleiche mit Schaukabaretts, keine Vergleiche mit Starparaden.«
Wir glauben, dass sich hier ein Standpunkt ausweist, der versucht, die Lücken im System ausfindig zu machen, der besagt: »Wir nisten uns da ein, wo wir möglichst viele Freiheitsgrade besitzen.« Interpretieren wir Sie da falsch?
Das, was Sie gerade zitiert haben, ist ein Aufsatz, vielleicht sogar ein Manifest für mich. Eine Überlegung am Schreibtisch: Wo bin ich eigentlich, wo steh ich in dem Gesamtrahmen? So etwas habe ich mir immer zu den Zeiten überlegt, in denen ich von der aktuellen Politik wegwollte, wo ich das Gefühl hatte: Das ist nicht dein Feld. Ich habe eigentlich nicht als politischer Kabarettist angefangen. Das ist auch nicht mein Gebiet, und da liegt auch meine Grenze. Ich blättere nicht Tag für Tag Zeitungen und hänge mich an den Fernsehapparat. Ich versuche nach wie vor, Menschen zu beobachten und ihnen zuzuhören: mit ihnen zu sprechen und das auf mich einwirken zu lassen. Manchmal dauert es drei oder vier Monate, manchmal sogar ein Jahr, bis dann eine kleine menschliche Betrachtung entsteht. Sie ist manchmal nicht klein, manchmal ist sie sogar böse und bissig.
Ich will gar keine Wahrheit verkünden, weil das ja nun schwer ist, die Wahrheit zu suchen, und erst recht, sie zu finden. Wenn Sie zitieren: »Wir wollen nicht mehr über die Herren dieser Welt reden«, dann möchte ich damit sagen, die Sprache, die dort gesprochen wird, kann gar nicht mehr meine Sprache sein! Das Wichtigste, was ich auch heute noch unterstreichen würde, ist der Satz: »ein äußerst skeptisches Kabarett«. Ich meine, skeptisch nicht nur gegenüber dem, was man in der Zeitung liest, sondern gegenüber allem, was einem begegnet, vor allem aber gegen sich selbst, also zweifeln. Wenn ich versuche, eine Sache zu betrachten, merke ich, dass ich mit drei Sätzen vorstoßen kann und beim dritten Satz mir dann sage: Moment, Vorsicht, wie ist denn das, nun bist du schon fast übers Ziel hinausgeschossen. Weil ich genau weiß, da sind irgendwelche anderen Gruppen von Menschen, die können dir genau das Entgegengesetzte vorhalten, und die haben wahrscheinlich auch recht. Es entsteht eine gewisse Vor- und Rückmethode. Ich komme immer wieder dazu, dass ich mir sage: Wie kommst du eigentlich dazu, dich auf die Bühne zu stellen und nun zu tun, als hättest du die ganz, ganz große Wahrheit gefunden und darfst sie nun auch zwei Stunden den Leuten, die auch ihr Eintrittsgeld bezahlt haben und sich bequemt haben zu kommen, von oben heruntergepfeffert verkünden?
Das kann ich nicht. Einmal ist das eine Temperamentsfrage, zum anderen geht es mir rein künstlerisch gegen den Strich.
Nehmen wir einmal ein ganz konkretes Thema, Vietnam, worüber viele Lieder geschrieben werden, die bestimmt auch alle gut gemeint sind. So habe ich mir überlegt, was könnte ich zu Vietnam sagen? Ich bin gar nicht so genau informiert, vielleicht ist das ein Fehler, vielleicht sollte man sich besser informieren.
Ich würde zum Beispiel zu einem alten Erdkundebuch von vor dem Indochinakrieg greifen, in dem dieses Land in der typischen Art eines Schulbuches beschrieben ist und wo steht: So und so viel Reis, und schöne Täler und herrliche Flüsse, und die Menschen sind lieb und zauberhaft und haben diesen merkwürdigen asiatischen Charme. Das würde ich vorlesen und würde sagen: aus einem alten Erdkundebuch, Velhagen & Klasing, aus dem Jahre 1942 oder 1943. Licht aus und weg. Das wäre meine Art.
Sie verfolgen also primär ein franziskanisches Element, in dem sie unabhängig von persönlichen Sympathien und Antipathien das Verständnis der Dinge herausstellen. Von der Voraussetzung ausgehend, dass, je mehr man beobachtet und glaubt die Zusammenhänge zu erkennen, umso mehr sich diese Zusammenhänge relativieren und umso weniger ein eindeutiges Urteil möglich ist. Ihr Satz »Ich bin nicht dafür, ich bin nicht dagegen« ist wohl die programmatische Überschrift dieses Reflexionszustandes.
Wenn wir mal bei diesem Chanson bleiben: Die Kritiker, die nur die ersten vier Zeilen beachten und sagen, »Aha da sieht man wieder die Standpunktlosigkeit«, diese Kritiker haben dann versäumt, sich den Rest anzuhören, wo ich versuche zu erklären, wie schwer es für mich ist, hinter die Dinge zu schauen.
Ich bin da sehr viel vorsichtiger geworden. Früher habe ich zum Beispiel gesagt: »Wer Pro sagt, muss auch These sagen.« Das haben die Leute als hautnah empfunden und bejubelt; aber das kann ich heute nicht mehr. Mir gelingt zwar alle zwei, drei Jahre eine Nummer, die dann als Resümee der jeweils vorausgegangenen Zeit erscheint. Das hindert nicht daran, dass die Kritiker fragen, wo bleibt der Hüsch von vor 15 Jahren, der Hüsch, der noch aggressiv auftrat.
Nun wird dieses Argument meistens von Leuten gebracht, die mit Werner Finck sinngemäß meinen, »Kabarett kann erst dann wieder wirksam werden, wenn sich die Polizei im Zuschauerraum eingenistet hat«. Der Widerspruch, der in dieser Forderung steckt, würde heißen, dass nur der Wirksamkeit des Kabaretts wegen die politischen Verhältnisse sich denen im Dritten Reich nähern müssten. Doch gerade jene Verhältnisse möchte man mit dem Kabarett im Keim ersticken. Dieser Satz verbirgt darüber hinaus ein erklecklich Maß an Eigenliebe: Das Angehörtwerden, die Wirkung, die angestrebte Einflussnahme des Kabarettisten ist politischen Verhältnissen, in denen sich einigermaßen erträglich leben lässt, vorzuziehen.
Da frage ich mich auch, was soll das. Bei allem Engagement, dem ich mich verpflichtet fühle, darf ich vielleicht sagen, ich möchte innerhalb des Kabaretts das sein, was zum Beispiel innerhalb der Pantomime Marcel Marceau ist. Nicht dieselben Geschichten, aber auch eine Figur. Und zwar eine Figur, die Freunde gewinnen will. Dabei ist es mir egal, ob das Freunde unter Kommunisten, Katholiken, Kapitalisten, Andersfarbigen sind. Das sind dann tatsächlich die Leute, die einem folgen, die noch da sind.
Wenn ich mein Fazit ziehe, dann muss ich sagen: Mehr kommt dabei für mich nicht heraus. Vielleicht aber klingt das heute zu idyllisch.
Das Gespräch führten Martin Degenhardt und Reinhard Hippen in Mainz. Veröffentlicht unter dem Titel »hüsch« in »Song. Chanson Folklore Bänkelsang«, Nürnberg, 4/1967
»Die Welt ist noch nicht zu Ende gedacht«
Aus welchen Gründen sind Sie Kabarettist geworden?
Ich bin in einer relativ unmusischen Beamtenfamilie groß geworden, nette Leute, die aus mir einen Kabarettisten gemacht haben, ohne dass sie es wussten und wollten.
Dann habe ich sehr früh festgestellt, dass es Menschen gibt, die andere ständig beurteilen und verurteilen aufgrund blödsinniger Dinge, sei es, dass sie eine andere Religion oder Lebensführung haben oder dass sie gesellschaftlich nicht irgendwie besonders sind. Das war das Erste, was ich auffing und wogegen ich mich innerlich wehrte, gegen diese Kategorisierung von Menschen und gegen dieses Sich-Dünken, besser zu sein und es auch besser zu machen.
In einem Ihrer Lieder singen Sie vom »Marsch der Minderheit« – was ist das für eine Minderheit, und welches sind deren Ziele?
Ich meine eine Minderheit, die schon seit Jahrtausenden unterwegs ist, diese Welt zu verbessern und zu verändern, für den Menschen Zustände herzustellen, die ihn eigentlich erst zum Menschen machen; eine Minderheit sind für mich die Leute alle, die in der langen Menschheitsgeschichte als Utopisten, Träumer und als Forderer von Dingen, von denen man gemeinhin annimmt, dass sie unmöglich sind, auftreten und die im Grunde genommen bis heute noch nicht viel erreicht haben. Ich glaube eben an diese Minderheit, die natürlich in jedem Jahrhundert anders aussieht.
In diesem Lied sind ja ganz verschiedene Bilder drin, es sind die christlichen Katakomben, es ist das polnische Ghetto, es sind die Judenverfolgungen, die Chinesen auf ihrem langen Marsch, es ist Da Nang, Harlem, es sind überall die Minderheiten, die sich gegen Unterdrückung wehren und die darüber hinaus der Welt ein neues Bild geben können, wobei natürlich nicht gesagt ist, dass das von heute auf morgen anders sein muss. Wir stehen vielleicht gerade erst am Anfang oder in der Mitte dieses Marsches, aber wir sollten ihn fortsetzen.
Wenn überhaupt – worin unterscheiden Sie sich von Ihren Kollegen Neuss, Süverkrüp und Degenhardt?
Ich bin von allen vieren, mich jetzt also mitgerechnet, der »Mildeste« und »Liebenswürdigste«, das immer in Anführungszeichen, denn der Hintergrund der Geschichten ist weitaus böser, als er vorgetragen wird. Aber auch meine politische Meinung tendiert sehr stark nach links, das heißt aber, wie in meinem neuen Chanson, »ich lasse mir von niemandem etwas vorschreiben«, was ich zu singen und zu sagen habe.
Was missfällt Ihnen an unserer heutigen Gesellschaft?
Wir stehen still, es geht uns gut, aber der heutige Mensch lebt für sich hin, er sieht zu, dass es ihm gut geht, aber für die Entwicklung des Menschen allgemein wird nichts getan. Ich höre immer: »Ich weiß gar nicht, was Sie wollen, es geht uns doch gut!« Das bestreite ich ja nicht; auch mir und meinen Kollegen geht es gut. Aber die Welt ist noch nicht zu Ende gedacht; es geht darum, die Gesellschaft, in der wir leben, ständig zu verbessern und über sie zu diskutieren.
Wollen Sie die permanente Evolution oder die permanente Revolution?
Ich möchte eine permanente Revolution, was sich bei mir aber nicht unbedingt in Straßenschlachten, Barrikaden und Steinwürfen ausdrücken soll, sondern ein ständiges Verändern der Dinge, das heißt ein ständiges Arbeiten an den Dingen, und dass ein Arbeiten an den Dingen ein Verändern der Dinge bedeutet, ist doch ganz klar.
Was missfällt Ihnen an der parlamentarischen Demokratie?
Alle vier Jahre darf ich wählen, was heißt das schon? Ich kann mich an den Plakaten orientieren: »Sicherheit und Ordnung«, »Wohlstand und Fortschritt«, mehr bringen mir die Parteien doch nicht entgegen. Dann wähle ich irgendeine Partei, damit die Rechte nicht stärker wird. Zum Beispiel jetzt bei der Notstandsgesetzgebung: Warum hat man das Volk nicht befragt? Das Modell unserer Demokratie ist einfach nicht gut. Die Demokratie muss verzweigter werden, denn sie wird ja mehr oder weniger von oben angeordnet, das ist ja gar keine Demokratie.
Wäre Ihnen eine Rätedemokratie lieber?
Ich weiß nicht, ob Sie mir lieber wäre, aber man könnte sie vielleicht einmal ausprobieren. So etwas tut man ja in Deutschland nicht! Ich verlange natürlich nicht, dass von heute auf morgen eine Räterepublik ausgerufen wird, es geht darum, dass die Minderheit, die sich gegenwärtig dafür einsetzt, vergrößert wird und dass daraus vielleicht einmal eine Mehrheit wird – und das heißt: sehr viel Arbeit.
Bekennen Sie sich zur außerparlamentarischen Opposition?
Ja, ich bekenne mich zu ihr ohne Einschränkung. Ich muss ihr allerdings vorwerfen, dass sie in manchen Dingen große taktische Fehler begangen hat. Auch stelle ich mich auf den Standpunkt...
Table of contents
- Über dieses Buch
- Vorwort
- Die Interviews
- Editorische Notiz
- Verzeichnis der Interviews
- Impressum