Christine Grond-Rigler
Der Dichter und sein Regisseur. Die Zusammenarbeit von Peter Turrini und Claus Peymann am Wiener Burgtheater (1986–1999)
Claus Peymann übernimmt das Burgtheater (1986)
Am 1. September 1986 beginnt am Wiener Burgtheater mit der Intendanz Claus Peymanns eine neue Ära. Mit ihm hatte Wien einen Star der deutschen Theaterszene gewonnen, der als Verfechter zeitgenössischer Dramatik galt und von dem aufgrund seiner Vorgeschichte zu erwarten war, dass er sich politisch (links) positionieren und die öffentliche Auseinandersetzung nicht scheuen würde. Er war als innovativer Regisseur sowohl zeitgenössischer (Thomas Bernhard, Peter Handke) wie auch klassischer Theaterliteratur (Kleist, Goethe, Shakespeare) bekannt und gefragt. Als Intendant hatte Peymann sich an den Schauspielhäusern Bochum (1979–86) und Stuttgart (1974–79) bereits bewährt. In seiner Stuttgarter Zeit war er außerdem ins Kreuzfeuer der Öffentlichkeit geraten, als er eine Geldsammlung für die Zahnbehandlung der inhaftierten RAF-Terroristin Gudrun Ensslin initiiert hatte. Am Burgtheater hatte er 1974 unter Gerhard Klingenberg die Uraufführung von Thomas Bernhards Jagdgesellschaft (eine von insgesamt vier Produktionen von Stücken dieses Autors während Klingenbergs Direktionszeit) inszeniert (vgl. Petsch 2015).
Der neue Direktor Peymann setzte auf ein bereits in Bochum (und teilweise schon in Stuttgart) erprobtes Team und brachte eine Reihe von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern mit nach Wien, darunter seine Assistentin Christiane Schneider, die Dramaturgen Jutta Ferbers, Hermann Beil, Uwe Jens Jensen und Vera Sturm, die Regisseure Alfred Kirchner und Manfred Karge und als Pressereferentin Karin Bergmann, die seit 2014 nun selbst das Burgtheater leitet. Außerdem folgten ihm die Schauspieler Gert Voss, Julia von Sell, Martin Schwab, Johann Adam Oest, Kirsten Dene und als Gäste Traugott Buhre, Ilse Ritter und Hannelore Hoger, um nur einige zu erwähnen. Als Gastregisseure traten, unter anderen, Ruth Berghaus, Peter Zadek, Peter Stein, Giorgio Strehler und Einar Schleef in Erscheinung. George Tabori führte von 1987 bis 1990 in der Porzellangasse sein Theater Der Kreis, das als Labor einen hochqualitativen Gegenpol zum etablierten Theaterbetrieb darstellte, war aber auch einer der meistgespielten Autoren und ein gefragter Regisseur am Burgtheater in der Ära Peymann.
Claus Peymann wollte – das ist rückblickend eines seiner größten Verdienste – österreichische Texte auf die Bühne des Burgtheaters bringen und regte deren Entstehung durch Stückaufträge an. So kam es zwischen 1986 und 1999 zu Uraufführungen von Werken von Thomas Bernhard, Peter Handke, Elfriede Jelinek, Wolfgang Bauer, Helmut Qualtinger, Gabriel Barylli, Peter Turrini, Peter Sichrovsky, Felix Mitterer, André Heller, Werner Schwab, H. C. Artmann, Elisabeth T. Spira, Josef Hader/Alfred Dorfer, Franzobel und Johann Kresnik/Uschi Otten. In seiner Abschiedslesung am Ende der dreizehnjährigen Ära Peymann hob Peter Turrini diese Leistung noch einmal hervor:
Er war hier der Erste, der versucht hat, als Verantwortlicher, als Theaterleiter, nicht in der Vergangenheit zu bleiben, sondern in der Gegenwart anzukommen. Wenn Sie verstehen wollen, warum ich ihn trotz seines oft eckigen Wesens schätze, ja liebe, dann müssen Sie diesen Punkt verstehen: er liebt die Gegenwartdramatik und folglich lieben die Gegenwartsdramatiker ihn. (Turrini 1999c)
Die erste Spielzeit eröffnete – symbolträchtig –Thomas Bernhards Theatermacher mit Kirsten Dene, Traugott Buhre und Martin Schwab, Peymanns Uraufführungsinszenierung für die Salzburger Festspiele (1985). Das österreichische Nationaltheater, das Peymann und seine Co-Direktoren Hermann Beil und Uwe Jens Jensen im Sinn hatten, sollte ein intellektuelles Forum der kritischen Auseinandersetzung mit dem eigenen Land, der Gesellschaft, den politischen Verhältnissen sein. Der Weg dorthin führt aber nicht nur über die Literatur: Die neue Direktion steuert das Wiener Burgtheater aus dem etwas abgehobenen Theaterhimmel direkt in die Gegenwart der 1980er Jahre und gewährt der Tagespolitik Einlass in das altehrwürdige Haus am Ring. Davon zeugen die Solidaritätsmatinée für streikende Studenten am 1. November 1987 oder der Auftrag an Turrini, die Pförtnerszene aus Shakespeares Macbeth zu aktualisieren. Dazu Turrini:
Lieber Claus Peymann, dies ist die neueste Fassung der „Pförtnerszene“. Waldheim habe ich herausgenommen und dafür den Herausgeber der „Kronen Zeitung“ hineingenommen. Sollte er uns beide klagen, müßten wir notfalls ins Gefängnis gehen und hätten dort endlich ein bißchen Ruhe. Übrigens beginne ich zu ahnen, worauf dieses Pförtnerszenenunternehmen hinausläuft. Immer, wenn die österreichische Innenpolitik etwas besonders Grauenhaftes liefert, werde ich darüber etwas dichten müssen. Beim Erfolg Ihrer „MacBeth“-Inszenierung kann das eine jahrelange dichterische Geiselhaft werden. O Gott! O Peymann! (Turrini 1992)
Während der 13 Jahre seiner Intendanz werden die Vorgänge im und um das Burgtheater häufig selbst zum Gegenstand öffentlicher Debatten (sowohl in der Presse als auch im Parlament), die theatralische Ausmaße annehmen können. Peymann gewinnt glühende Verehrer, zieht sich aber auch den Unmut österreichischer Bürger zu, der nicht selten auf primitive, hasserfüllte Weise artikuliert wird (vgl. Beil/Ferbers/Peymann/Thiele 1999a, Bildbogen 3 u. 4).
Während Peymann sich also aufgrund seines Faibles für bestimmte Autoren gegen den Vorwurf einer vermeintlichen Österreich-Feindlichkeit stemmt, gerät er auch im eigenen Haus unter Druck. Teile des sehr großen und zum Teil pragmatisierten Ensembles stellen sich öffentlich gegen ihn, einerseits um bereits erkämpfte Privilegien zu wahren, andererseits weil sie mit dem Führungsstil der Direktion nicht einverstanden sind. In einem Brief an den damaligen Bundeskanzler Franz Vranitzky (es ging darin um eine Vertragsverlängerung) deklariert sich Turrini als Peymann-Unterstützer, ohne seine eigene ambivalente Haltung in Bezug auf dessen Arbeitsweise zu verschweigen:
Lieber Herr Bundeskanzler!
Da Sie der Bundeskanzler aller Österreicher sind, also auch der von Dichtern, bekommen Sie heute zur Abwechslung einen Dichterbrief. Es geht um Claus Peymann. Sie werden von verschiedenen Seiten gehört haben, was für ein schrecklicher Mensch er ist, und ich muß diesen verschiedenen Seiten großteils recht geben. Peymann ist ein Choleriker, schreit manchmal durch die Gegend und quält seine Schauspieler zuweilen bis aufs Blut. Aber der Direktor des Burgtheaters ist nicht der Personalchef der Simmering-Graz-Pauker AG (den man für solche Eigenschaften sofort entlassen müßte), und die Wiener Flüsterer sind nicht die Welt.
In Wahrheit ist das Burgtheater eine...