1. Biografische Arbeit als Merkmal der Moderne
Auf die Frage âWer bin ich?â stöĂt frĂŒher oder spĂ€ter jeder1 einmal. Doch wie geht ein Individuum damit um, wenn es schwer fĂ€llt, auf diese Frage mit einer zusammenhĂ€ngenden Geschichte zu antworten? Oder wenn sich diese Frage durch unterschiedliche und teils auch diskrepante ErzĂ€hlungen beantworten lieĂe, da heute die Relevanzstrukturen andere sind als in der Vergangenheit und das Individuum dadurch âandersâ war als heute? Augenscheinlich versuchen Menschen diese Diskrepanzen im Sinne eines Weges zu deuten und zu erklĂ€ren, um somit eine KontinuitĂ€t herzustellen (vgl. Abels 2006: 387). Es wird der Versuch unternommen, die eigene Biografie in Bezug auf das aktuelle Dasein zu erklĂ€ren. Das Individuum stellt in einer aktiven Rekonstruktionsarbeit die Verbindung zwischen Vergangenheit und einer möglichen Zukunft selbst her (vgl. ebd.: 246). Es muss seine Erlebnisse zusammen mit den gemachten Erfahrungen fortwĂ€hrend synchronisieren, um die Konsistenz und KontinuitĂ€t seiner IdentitĂ€t zu wahren. IdentitĂ€t und Biografie hĂ€ngen eng miteinander zusammen. Der lateinische Ursprung des Wortes IdentitĂ€t, âidemâ, lĂ€sst sich mit âdasselbeâ ĂŒbersetzen. Er legt den Gedanken nahe, dass jmand dann eine IdentitĂ€t hat, wenn er auf die gleiche Weise bzw. nach festen Prinzipien handelt, sich also ĂŒber Gleichförmigkeit und BestĂ€ndigkeit definiert (Fuchs-Heinritz 1995: 286). Doch die heutige Zeit ist durch Faktoren wie zunehmende Arbeitslosigkeit, die Notwendigkeit des lebenslangen Lernens und die Bereitschaft, sich umzuschulen, hĂ€ufigeren Scheidungen und dem Erfordernis rĂ€umlicher MobilitĂ€t geprĂ€gt.2 Plötzliche Einschnitte oder Unterbrechungen können bei Individuen IdentitĂ€tsprobleme hervorrufen, welche sich in ihrem Entstehen âauf persönliche BrĂŒche wie auf persönliche KontinuitĂ€t und Konsistenz beziehenâ (Endruweit/Trommsdorff 2002: 219).
Da wir nach Abels (vgl. Abels 2006: 15) in der heutigen Zeit, welche er als âfortgeschrittene Moderneâ bezeichnet, mit der Frage konfrontiert werden, wer wir sind, steht das Individuum vor dem Problem, sich selbst und anderen gegenĂŒber eventuelle DiskontinuitĂ€ten und BrĂŒche innerhalb der eigenen Biografie verstĂ€ndlich zu machen und sich als âidentischâ zu prĂ€sentieren. Dem Individuum wird unter den gesellschaftlichen Bedingungen der fortgeschrittenen Moderne eine Vielzahl von Optionen dargeboten, zwischen denen es wĂ€hlen kann. Die Entscheidungsfindung und Gestaltung des Lebensweges wird aufgrund dieser vielfachen Möglichkeiten schwieriger, da das Individuum nicht von vornherein weiĂ, ob der eingeschlagene Weg der Beste ist oder ob es spĂ€ter somit verpasste Chancen und Möglichkeiten bedauern wird. Becks Gegenwartsdiagnose (1983, 1986) liefert eine ErklĂ€rung fĂŒr das orientierungslose Individuum: Traditionsmuster lösen sich immer mehr aufgrund der bestĂ€ndigen Wandlung und Flexibilisierung der Gesellschaft auf und die identitĂ€tsstiftende Kraft religiöser, politischer und kultureller Schablonen schwindet. Die Herauslösung und die Vereinfachung der Distanzierung des Individuums aus bisher festen sozialen gemeinschaftlichen Verbindungen wie Familie, Nachbarschaft oder Kirche, welche bisher eine Orientierungs- und UnterstĂŒtzungsfunktion fĂŒr das Individuum hatten, erhöht nun den Bedarf an biografischer Orientierung. Durch die Ablösung des Individuums von vorgegebenen LebensentwĂŒrfen aufgrund von Prozessen der Pluralisierung, Individualisierung, Entstandardisierung und des Wertewandels muss es nun selbststĂ€ndig seine IdentitĂ€tsarbeit aufnehmen und die persönliche Biografie bearbeiten. IdentitĂ€t und die Herstellung dieser ist nicht mehr nur ein einmaliges Ereignis, sondern ein lebenslanger Prozess. Hierbei mĂŒssen aktuelle Selbstbeschreibungen hergestellt werden, um sich selbst und andere zu verstehen und eine wechselseitige Orientierung zu ermöglichen.
Das moderne Individuum sieht sich also mit einer Gesellschaft konfrontiert, die es vor eine Herausforderung an sich selbst stellt:
Die moderne Gesellschaft ist nicht mehr aus einem GuĂ, sie ist ein disjunktives PhĂ€nomen, voller WidersprĂŒche, Ungereimtheiten. Das moderne Leben ist aufgeteilt, zersplittert in zahlreiche Sektoren und Segmente, jeder Tag impliziert eine FĂŒlle von disparaten Situationen, Ereignissen und AblĂ€ufen, die alle ihre eigenen, aber keinen ĂŒbergreifenden Sinn mehr haben, die durch nichts zusammengehalten werden als dadurch, daĂ wir sie erleben, durchleben und sie irgendwie [âŠ] zusammenbasteln (Gross 1985: 78).
Beck nimmt ebenfalls Bezug auf die Konsequenzen der Individualisierung fĂŒr die Biografie des Individuums: Industriegesellschaftliche Lebensformen und die Biografie, welche bisher in traditionale Vorgaben, Sitten und Normen eingebettet waren, werden auf- und abgelöst durch Lebensformen, in denen die Individuen ihre Biografie selbst âherstellen, inszenieren, zusammenflickschustern mĂŒssenâ (Beck 1993: 150ff). Wo vorher traditionelle Muster und Orientierungen wirkten, beruht die Lebensgestaltung nun auf sozialstaatlichen Regelungen. Diese setzen ein Individuum voraus, das â[âŠ] Akteur, Konstrukteur, Jongleur und Inszenator seiner Biografie, seiner IdentitĂ€t, seiner sozialen Netzwerke, Bindungen, Ăberzeugungen [âŠ]â ist (Beck 1986: 151, Hervorhebung im Original). Jedes Individuum muss nun wichtige Entscheidungen3 fĂŒr sein Leben selbst treffen und muss damit verbundene, eventuell eintretende Konsequenzen auch sich selbst zuschreiben. Die Notwendigkeit biografischer Arbeit ergibt sich aus immer wieder anstehenden Entscheidungen, welche individuelle biografische RĂŒckblicke des Individuums erfordern, um eine Orientierung zu ermöglichen. RĂŒckblicke ermöglichen die subjektive Fortschreibung der Biografie, da so Bilanzierungen getroffen werden und dadurch eine Fortschreibung der erwĂŒnschten Zukunft möglich wird (vgl. Elis 2000: 33 zit. nach Beck/Beck-Gernsheim [1994a]). Kurzum:
Wo eine gesellschaftliche ausdifferenzierte Situation vorliegt, wo in der kulturellen Moderne plurale Wertorientierungen nicht gegeneinander auszuspielen sind und jeder âauf andere Weise er selbstâ sein muĂ, ist biografische Arbeit zentral (Fischer-Rosenthal 1995: 57).
Ziel der biografischen Arbeit und somit auch der IdentitĂ€tsarbeit ist die soziale Anerkennung durch Mitmenschen. Diese stellt nach Taylor ein menschliches GrundbedĂŒrfnis dar und deren Fehlen fĂŒhrt beim Individuum âLeidenâ herbei (vgl. Taylor 1993: 14).4 Das Gelingen dieses Projekts hĂ€ngt unter anderem auch von individuellen biografischen Kompetenzen ab.
Was passiert nun, wenn das Individuum ein kritisches Lebensereignis in Form eines biografischen Bruchs bewĂ€ltigen und sinnvoll in seine Biografie integrieren muss? Erfolgt ein Bruch in der Biografie, kann ein bisher gĂŒltiger Lebenslauf5 mit einer in die Zukunft gerichteten Lebensplanung nicht wie bisher angelegt weiterverfolgt werden. Damit geht eine VerĂ€nderung der Lebenssituation einher, welche eine Anpassung der Biografie des betreffenden Individuums erfordert. Habitualisierte Handlungen mĂŒssen unterbrochen, modifiziert oder gar abgelegt werden (vgl. Heide-Filipp 1990: 23f). Das Individuum, welches einen biografischen Bruch erleidet, steht vor zwei Problemen. Einerseits muss es den biografischen Bruch fĂŒr sich selbst verarbeiten. Andererseits muss es diesen und die damit unter UmstĂ€nden einhergehende Wandlung seiner IdentitĂ€t auch seinen Mitmenschen erklĂ€ren. Erschwert wird Letzteres durch Merkmale der oben beschriebenen zunehmenden Individualisierung: Das Individuum sieht sich alleingelassen, viele soziale Beziehungen lösen sich und es fehlt an Orientierungspunkten, aber es gibt auch Muster wie die Normalbiografie, deren Missachtung die Verweigerung sozialer Anerkennung durch Mitmenschen zur Folge haben kann.
Mein Anliegen ist es, den Umgang von Individuen mit BrĂŒchen in ihrer Biografie zu untersuchen. Ein fruchtbares Beispiel bieten Aussteiger aus der rechtsextremen Szene, da ein Ausstieg aus dieser Szene einen biografischen Bruch darstellt. Der Bruch erfordert einen umfassenden Wandel bisheriger Einstellungsmuster und Handlungsweisen. AuĂerdem gehen damit das Verlassen des bisherigen sozialen Umfeldes und VerĂ€nderungen der Wohn- und Arbeitssituation einher, wie in der Literatur von und ĂŒber Aussteiger beschrieben wird (vgl. Lemmer 2004, Jahnel 2004, Hasselbach 1993, Lindahl 2001, Schröder 2002). Solche BrĂŒche zeigen sich auch bei den von mir interviewten Aussteigern, die sich individuell mit ihrem bisherigen Lebenslauf und ihrer Biografie auseinandersetzen.
1.1 Die Biografie als individuelle Konstruktionsleistung
Dass Biografien individuelle Konstruktionen sind, wird u. a. von Dausien (1996) aufgegriffen. Sie geht davon aus, dass der Besitz einer eigenen Biografie keine ontologische Gegebenheit ist (vgl. Dausien 1996: 1). Soziale Institutionen steuern in der Moderne die Vergesellschaftung der Individuen. Dies bedeutet, dass sich der Lebenslauf nicht nur aus biologischen Gegebenheiten begrĂŒnden lĂ€sst (vgl. ebd: 3).6
Biografien werden vom modernen Individuum unter dem subjektiven Druck konkreter Situationen konstruiert, welche sich dabei an normativen Rahmen der Gesellschaft orientieren.7 Die Konstruktion ist nicht nur als kognitive Leistung erklĂ€rbar, sondern als eine in pragmatische Handlungskontexte eingebundene komplexe Handlung, welche Wirklichkeit schafft und individuelles Handeln in modernen Gesellschaften strukturiert. Ăhnlich wie Fischer-Rosenthal (1995: 44) sieht auch Dausien Krisen bzw. die âErschĂŒtterung lebensweltlicher Gewissheitenâ (Dausien 1996: 4) als Anlass fĂŒr das Individuum, sich mit der bewussten Auseinandersetzung und Konstruktion seiner Biografie zu beschĂ€ftigen. ErschĂŒtterungen8 können auftreten, wenn das Individuum beispielsweise unter dem Erwartungsdruck beruflicher FlexibilitĂ€t seine vertraute Umgebung verlassen muss, der Verlust eines Partners zu verarbeiten ist oder eben unter den Gegebenheiten eines Ausstieges aus gewohnten rechtsextremen SzenezusammenhĂ€ngen und dem damit verbundenen Ablegen dementsprechender Einstellungsmuster und Handlungsweisen. Diese ErschĂŒtterungen wirken als konstitutives Element fĂŒr biografische Konstruktionen und setzen somit âBiographisierungsaktivitĂ€tenâ in Bewegung (Dausien 1996: 4).9
Einerseits zeigt der Begriff der âsozialen Konstruktionâ, dass ein Akteur aktiv an der Konstruktion seiner Wirklichkeit beteiligt ist. So ist nicht nur die Biografie sozial konstruiert, sondern auch die soziale Wirklichkeit ist eine Folge der individuellen biografischen Konstruiertheit (vgl. ebd.: 572, 578). Andererseits kann der Konstruktionsprozess der eigenen Biografie nicht völlig beliebig und frei vollzogen werden, da diese komplexe Handlung in bestimmte Kontexte, Alheit nennt sie âHandlungsumweltenâ (vgl. Alheit 1994: 179), eingebunden ist.10 Daher ist eine deutliche Orientierung des Individuums, sei diese nun intentional oder nicht, an NormalitĂ€tserwartungen in Bezug auf die eigene Biografie und der damit verbundenen AblĂ€ufe erkennbar:
Wie ich mein Leben plane, was ich nicht plane und lieber auf mich zukommen lasse, was ich erwarte, hoffe, befĂŒrchte oder wie ich vergangene Lebensabschnitte bilanziere, hat auch mit (tradierten) Erfahrungen und Beobachtungen anderer LebensablĂ€ufe in meiner sozialen Umgebung zu tun, mit dem expliziten und impliziten Wissen, was in einem Leben wie meinem âim allgemeinenâ zu erwarten ist, was erreicht werden kann, wo mit ĂŒberwindbaren WiderstĂ€nden, wo mit unĂŒberwindlichen Grenzen zu rechnen ist (Dausien 1996: 14).
Welche Funktionen erfĂŒllen soziale biografische Konstruktionen, welche teils intentional, teilweise aber auch nicht-intentional geschehen? Vor dem Hintergrund der mit der Moderne einhergehenden Prozesse der Individualisierung kann der individuellen Konstruktion der eigenen Biografie eine Hilfe zur Organisierung des Werdegangs zugewiesen werden. Das Individuum deutet und erklĂ€rt fĂŒr sich selbst und andere Interaktionspartner seine Lebenserfahrungen im Sinne einer gewissen KontinuitĂ€t, eines âsich identisch Bleibensâ, auch wenn sich Ă€uĂere UmstĂ€nde wandeln. Werden neue Lebenserfahrungen gemacht, mĂŒssen diese je nach Relevanz in die bisherige biografische Konstruktion sinnvoll integriert werden, welche durch diesen Akt stabilisiert oder gegebenenfalls umgeschrieben wird (vgl. Dausien 1996: 574). Neue Lebenserfahrungen, die sich im biografischen Hintergrundwissen niederschlagen, können als Ressource fĂŒr die (Neu- bzw. Um-)Gestaltung der individuellen Lebensgeschichte herangezogen werden. So können bisherige Lebensgeschichten gefestigt, aber auch durch die Kombination mit neuen Erfahrungen in bestimmten Punkten erneuert werden. Auf diese Weise ergeben sich neue Interpretationsmöglichkeiten. Eine weitere Funktion biografischer Konstruktion ist die Qualifikation fĂŒr eine Beziehung zu anderen. Hierin liegt die Chance des Individuums, sich neuen Bezugsgruppen zu nĂ€hern und von diesen anerkannt zu werden, oder ein Teil einer Gruppe zu bleiben (vgl. Abels 2006: 400).
UnterstĂŒtzt wird die biografische Konstruktion durch Anpassungen an die Normalbiografie. Das VerstĂ€ndnis dessen, was sich hinter der Idee von einer Normalbiografie versteckt, wird ĂŒber die Betrachtung der Institutionalisierung des Lebenslaufes möglich. Die Institutionalisierung des Lebenslaufes gibt normativ soziale Erwartungen und AnschlĂŒsse vor. So kann man zum Beispiel von einem institutionalisierten System bezĂŒglich des Alters und normativen Erwartungen der aufeinander folgenden Sequenzen im Leben eines Individuums ausgehen. Hierbei reguliert das auf dem Lebensalter basierende System den Lebenslauf ĂŒber die vom Individuum durchlaufenen Bildungs- und Ausbildungsinstitute, die Berufslaufbahnen und bestimmte Familienzyklen. Die Sequenzregelungen sind gesetzlich oder institutionell verankert und geben so die aufeinander folgenden Wege des Lebenslaufs vor â so kann ein Berufseintritt im Normalfall erst nach dem Bildungs- und Ausbildungsabschluss folgen (Heckhausen 1989: 148). Doch auch Beck merkt schon an, dass im Prozess der Individualisierung die Normalbiografie zur Wahl- bzw. Bastelbiografie wird (Beck 1986: 152).11 Dies muss allerdings nicht bedeuten, dass die normative Bedeutung der Normalbiografie gesunken ist, denn sie kann trotz sozialstruktureller UmbrĂŒche ihre GĂŒltigkeit behalten (vgl. Brose/Hildenbrand 1988: 18). Folgt man dem Gedanken der NormalitĂ€tsunterstellung, welche an eine Normalbiografie geknĂŒpft ist, gelangt man zum Kern des Problems, vor welchem Aussteiger aus der rechtsextremen Szene stehen. Sie versuchen, retrospektive ihre eigene Vergangenheit im Sinne einer, wenn schon nicht ganz ânormalenâ, so doch auch nicht zu extrem abweichenden Vergangenheit fĂŒr sich selbst, aber auch fĂŒr das GegenĂŒber deutend zu erklĂ€ren. Hierbei wird nun ein Blick auf mein Untersuchungsfeld, den Rechtsextremismus, notwendig. Es soll verstĂ€ndlich gemacht werden, warum ein Ausstieg aus der rechtsextremen Szene einen biografischen Bruch darstellt.
1.2 Rechtsextremismus als empirisches Untersuchungsfeld
Wie die verschiedenen rechtsradikalen bzw. rechtsextremen Organisationen in Deutschland zeigen, können rechte Einstellungen12 sehr unterschiedlich sein. Es gibt daher nicht DIE rechtsextreme Einstellung, sondern ein komplexes Muster, welches sich aus zumeist sechs grundlegenden Bestandteilen zusammensetzt:
Den Autoritarismus, also die Bereitschaft, sich unter StĂ€rkere, nicht zur Herrschaft legitimierte Personen(-gruppen) zu unterwerfen bzw. die Bereitschaft, SchwĂ€chere beherrschen zu wollen. Den Nationalismus, wobei das eigene Denken und Handeln nach der StĂ€rkung der eigenen Nation ausgerichtet werden soll. Fremdenfeindlichkeit, deren Grundlage die höhere Bewertung der âeigenen Volksgruppeâ gegenĂŒber anderen darstellt. Den Wohlstandschauvinismus, welcher Angehörigen âfremder Volksgruppenâ die Teilhabe am Wohlfahrtsstaat verwehren soll. Den Antisemitismus, welcher sich gegen die âVolksgruppe der Judenâ richtet und diese als minderwertig einstuft und Pronazismus, welchem eine Verharmlosungs- und Verherrlichungsfunktion des Nationalsozialismus inne wohnt (vgl. Stöss 1999: 26f).
Sind diese Bestandteile im Bewusstsein eines Individuums erfassbar, verfĂŒgt dieses ĂŒber ein geschlossenes rechtsextremistisches Einstellungsmuster. Die Abwendung und das anschlieĂende Ablegen dieses geschlossenen rechtsextremistischen Einstellungsmusters markieren den biografischen Bruch sehr deutlich.13 Rechtsextremistische Einstellungen sind dem sozialen Handeln jeweils vorgelagert und sie werden auch als âlatenter Rechtsextremismusâ bezeichnet, da tendenziell nur ein geringer Teil der rechtsextremistisch denkenden Personengruppe in zweckgerichteten Organisationen politisch aktiv ist. Zeigen sich rechtsextremistische Einstellungen im konkreten Handeln, spricht man vom âmanifesten Rechtsextremismusâ (ebd.: 155).
Entgegen den VorschlĂ€gen wissenschaftlicher Literatur ĂŒber Rechtsextremismus bevorzuge ich zur Bezeichnung der sichtbaren Folgen, also menschlicher AktivitĂ€ten, den Begriff der âHandlungsweisenâ, wie ihn auch Heitmeyer benutzt (vgl. Heitmeyer 1993: 13). Der Begriff des âVerhaltensâ ist zu allgemein, wohingegen sich âHandelnâ und so auch âHandlungsweisenâ durch die explizite Orientierung an einem Handlungspartner erklĂ€rt (vgl. Weber 2006 [1922]: 30). Das auf diese Einstellungen folgende Handeln kann verschiedener Art sein: Es kann sich in legalem Handeln, wie dem WĂ€hlen oder der Mitarbeit in einer rechtsextremen Partei, welche nicht verboten ist, zeigen. Illegale Handlungsweisen sind davon abzugrenzen, wobei hier gewalttĂ€tiges oder gar terroristisches Handeln gemeint ist (vgl. Stöss 1999: 155).
Erworbene politische Einstellungen und daraus resultierende Handlungsweisen sind die Folge eines lebenslangen Lernprozesses, welcher in der Regel in der Kindheit seinen Anfang nimmt. Dieser Lernprozess wird von verschiedenen Agenten beeinflusst, insbesondere durch die Familie, das Erziehungs- und Bildungssystem, Peergroups und die Massenmedien. Die Sozialisationsagenten haben je nach Zeitpunkt de...