Philosophie des Geistes
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Eine Einführung in das Leib-Seele-Problem

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Philosophie des Geistes

Eine Einführung in das Leib-Seele-Problem

About this book

Advances in the empirical sciences are today giving us greater insights into the relationship between body and mind than ever before. Despite this, the mind-body problem is resisting rapid solution through empirical research. One soon encounters deep and intractable philosophical questions: To what extent is the mind independent of the body? Are the brain and the mind identical? Can the mind have effects in the world? Philosophy is able to make a genuine contribution to the answering of questions such as these. This fully revised new edition of the volume The Mind-Body Problem provides an overview of current debates in the philosophy of mind. A "map" of the most important positions and arguments is systematically outlined, making orientation much easier. The final chapter questions the Cartesian premises of the current debate and attempts to indicate an alternative approach.

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Information

Vorwort zur 1. Auflage im Grundkurs Philosophie

Anlässlich der Übernahme in die Reihe »Grundkurs Philosophie« des Kohlhammer Verlags wurde dieses Buch inhaltlich an einigen Stellen ergänzend überarbeitet, bibliografisch aktualisiert und um Hilfen für das Studium erweitert. Damit schließt dieses Buch unmittelbar an seine fünf erfolgreichen Vorgängerauflagen unter dem Titel »Das Leib-Seele-Problem: Eine Einführung« an. Dies geschah in Kooperation des Autors mit Ludwig Jaskolla, der auch in Zukunft an der Weiterentwicklung dieses Lehrbuchs eng beteiligt sein soll. Insgesamt haben wir aber darauf geachtet, nicht durch zu viele Änderungen und Ergänzungen den in sich geschlossenen und kompakten Charakter des Buches zu zerstören. Er hat sich über mehr als 20 Jahre bewährt.
Dieses Buch richtet sich an alle Leser und Leserinnen, die Interesse an genuin philosophischen Fragen haben. Das Leib-Seele-Problem ist eine der zentralen und hartnäckigsten Fragestellungen der Philosophie. Obwohl Fortschritte in den Biowissenschaften, der Medizin und der Informationstechnologie einiges zur Klärung des Problems beigetragen haben, entzieht es sich bisher einer Lösung durch die empirische Forschung. Auch wer es gewohnt ist, die Frage von der empirischen Seite anzugehen, wird von der Sache her immer wieder mit ungeklärten philosophischen Aspekten der Problematik konfrontiert. Man stößt in einen Grenzbereich unseres Verständnisses vor, in dem es mitunter schon schwer ist, die eigentlich zur Debatte stehende Frage klar zu formulieren. Dass die Philosophie ihren Teil zur Präzisierung der Problemstellung beitragen kann, will dieses Buch unter Beweis stellen.
Es soll eine »geführte Tour« durch das Terrain dieser Debatte versucht werden. Die wesentlichen Positionen werden jeweils exemplarisch an ausgewählten Argumenten einflussreicher Philosophen dargestellt und diskutiert. Wer das Buch ganz durcharbeitet, sollte am Ende eine Art »geistiger Landkarte« im Kopf haben, welche die Orientierung in der gegenwärtigen argumentativen Auseinandersetzung erleichtert. Im letzten Kapitel wird ein eigener Antwortversuch gewagt, in aller Vorsicht und im vollen Wissen der Unzulänglichkeit auch dieses Vorschlags. Man wird also am Ende mit mehr Fragen als Antworten dastehen, was nicht einmal ein schlechtes Ergebnis für ein philosophisches Buch wäre.
Dank gebührt insbesondere Peter Bieri für die Anregung, dieses Buch zu schreiben. Viele inspirierende Weggefährten wären zu nennen: David Chalmers, Gregg Rosenberg, Peter van Inwagen, Dean Zimmerman, Robert Adams, Galen Strawson, Philip Goff, Holm Tetens und viele andere mehr. Aufrichtiger Dank gilt den Studierenden in München, New York und St. Louis. Matthias Rugel sei in besonderer Weise erwähnt. Für unermüdliche und kompetente Unterstützung bei der Herstellung und Durchsicht des Manuskripts danken wir Marie Türcke und Marc Niklas Ernst.
 
Godehard Brüntrup und Ludwig Jaskolla

1 Dualität in der Erfahrung
Eine erste Systematisierung

Unsere Welt ist ein komplexes physikalisches System, dessen Grundstrukturen von der Physik und den auf ihr aufbauenden Naturwissenschaften beschrieben werden. Wo ist der Ort des Geistes in diesem System? Wie verhalten sich Geist und Natur zueinander? Spielt der Geist eine bestimmte kausale Rolle in unserer Welt? Bevor man beginnt, diese Fragen systematisch zu klären, bietet es sich an, der Unterscheidung von Geist und Materie, von Psychischem und Physischem in unseren alltäglichen Erfahrungen nachzugehen. Gibt es dort zwei Phänomenbereiche, die sich deutlich voneinander abgrenzen lassen?

Eine alltagssprachliche Problembeschreibung

In unserer Alltagswelt gibt es tatsächlich eine charakteristische Dualität der Erfahrung. Einerseits erfahren wir uns als Körper, umgeben von vielen anderen physischen Objekten, andererseits erfahren wir uns als Zentrum eines Stromes von Erlebnissen, Gefühlen, Wünschen und Vorstellungen. Ein Beispiel: Keine noch so exakte Beschreibung eines Fußballspieles in rein physikalischer Terminologie sagt etwas aus über die Gedanken, Hoffnungen, Wünsche und Emotionen der beteiligten Spieler und Zuschauer. Die physikalische Sprache beschreibt nur Körper in Bewegung. Das gesamte mentale Leben in all seiner Vielschichtigkeit bleibt unberücksichtigt. Die mentale und die physische Beschreibung handeln jeweils von einem ganz anderen Thema.
Als Gedankenexperiment können wir versuchen, jeweils eines dieser beiden Elemente unserer Alltagswelt absolut zu setzen und das andere so weit als möglich zu verdrängen. Wir können uns vorstellen, es gäbe gar keine physischen Objekte. Die ganze Welt wäre nur ein Gedanke, ein Traum. Es gäbe nichts außer meinem Bewusstsein. Selbst mein eigener Körper wäre nur eine meiner Vorstellungen, ein mentales Bild. Erst so kann sich überhaupt die erkenntnistheoretische Frage aufdrängen, ob sich die vom Denken unabhängige Existenz der Außenwelt beweisen lasse. Auf der anderen Seite können wir uns aber auch eine Welt ohne Bewusstsein, Gedanken und Gefühle denken. In dieser Welt gäbe es keine geistigen oder mentalen Phänomene, sondern nur rein physische Gegenstände. Kein Beobachter würde diese Welt jemals wahrnehmen. Wir können das Gedankenexperiment sogar noch plastischer machen und uns eine Welt vorstellen, die der unseren detailgetreu gleicht, außer dass in dieser Welt kein Wesen irgendwelche Erlebnisse hätte. Auch die »Menschen« in dieser fiktiven Welt wären eine Art von bewusstlosen Robotern.
Solche Gedankenspiele erscheinen dem gesunden Menschenverstand als abwegig. In der Philosophie sind sie jedoch manchmal ein Hilfsmittel, um die Konturen eines Problems stärker herauszuheben. In diesem Fall zeigt uns das Gedankenexperiment die radikale Andersartigkeit der beiden Phänomenbereiche auf. Beide scheinen nicht aufeinander angewiesen zu sein. Der eine scheint ganz ohne den anderen existieren zu können. Zumindest aber müsste man folgern, dass die Begriffe, mit denen wir die beiden Bereiche beschreiben, so grundsätzlich voneinander unabhängig sind, dass beispielsweise die Vorstellung eines körperlosen Geistes keinen logischen Fehler darstellt.
Eine absolute Unabhängigkeit der beiden Phänomenbereiche steht aber gleichzeitig im Widerspruch zu unserer Alltagsauffassung. Eine unserer fundamentalen Erfahrungen ist, dass wir aufgrund eines willentlichen Entschlusses eine Veränderung in der Welt der physischen Gegenstände bewirken können: ich kann meinen Körper bewegen, ich kann nach meinen Möglichkeiten in die Welt der physischen Objekte eingreifen. Der Begriff des Handelns beruht auf der Voraussetzung der Möglichkeit psychophysischer Wechselwirkung. Auch ist jeder mit der Tatsache vertraut, dass psychische Zustände unmittelbare Auswirkungen auf körperliche Funktionen haben. Die psychosomatische Medizin beschreibt eine Vielzahl solcher Einflüsse. Umgekehrt verändern die physischen Gegenstände ihrerseits die geistigen Zustände. Der einfachste Fall ist gegeben, wenn ein wahrgenommener Gegenstand in uns einen Sinneseindruck hinterlässt. Aus dem Alltag sind uns noch viele andere Beispiele geläufig: Die Aufnahme von Nahrung erzeugt das Gefühl der Sättigung. Das Trinken von Alkohol kann ein Gefühl gelöster Heiterkeit und das Schwinden von Hemmungen bewirken. Schwere degenerative Erkrankungen des Gehirns (wie z. B. die Alzheimersche Krankheit) führen zum Zusammenbruch elementarer geistiger Funktionen und zum Verfall der Persönlichkeit. Dass wir die Bereiche des Physischen und des Psychischen also einerseits radikal trennen, andererseits aber in engster Wechselwirkung denken, deutet auf eine Spannung in unserem alltäglichen Weltbild hin. Manche Kritiker der Philosophie haben die Meinung vertreten, das Leib-Seele-Problem sei ein künstliches Produkt metaphysischer Reflexion, das in der alltäglichen Welt überhaupt nicht entstehe. Der philosophisch unverbildete Mensch lebt aber nicht in einer unproblematischen Einheit von Körper und Geist. Schon die ganz allgemein menschliche Erfahrung, dass oft der »Geist zwar willig, das Fleisch aber schwach« ist, reißt eine Kluft zwischen dem Physischen und dem Psychischen auf. Viele andere Beispiele ließen sich leicht anführen.
Die beschriebene Dualität der Erfahrung gehört zum Grundbestand menschlicher Existenz. Sie drückt sich auch aus in einer weiteren elementaren Dualität der Beschreibungen der Welt und unseres Platzes in ihr, die vermutlich den meisten Menschen in der einen oder anderen Form schon einmal zum Problem geworden ist. Einerseits können wir die Welt so beschreiben, dass wir selbst in ihr nur ein raum-zeitliches Objekt unter vielen anderen sind. Wir versuchen dabei die Welt gleichsam »von außen« und ohne Berücksichtigung unseres eigenen Standpunktes zu sehen. Angesichts der Weiten von Zeit und Raum schrumpft die Bedeutung meiner eigenen Existenz dann auf ein verschwindendes Maß zusammen. Meine Vernichtung würde an der Welt als Ganzer kaum etwas ändern. Auf der anderen Seite erlebe ich mich aber nicht nur als einen solchen Gegenstand in der Welt. Ich betrachte die Welt von der subjektiven Warte meines Bewusstseins aus. Weil ich einen Standpunkt in der Welt einnehme, habe ich eine Welt. Diese Sicht aus meiner Perspektive ist einzigartig und unvertretbar. Mit meinem Ende geht daher in diesem Sinne auch eine ganze Welt zu Ende: die Welt meiner Empfindungen, Erlebnisse und vieler anderer geistiger Zustände, die einen unauflösbar subjektiven Charakter haben.
Für den gebildeten Menschen der Moderne zeigt sich dieses Dilemma noch in einer etwas abstrakteren Form. Einerseits bin ich als materieller Körper ein Teil der physischen Welt und unterliege daher den gesetzesmäßigen Notwendigkeiten, welche die Naturwissenschaften beschreiben. Ins Netz der Kausalketten eingebunden bin ich nur ein Spielball der fundamentalen Kräfte, die den mechanischen Ablauf unserer Welt bestimmen. Andererseits erlebe ich mich als autonom und als kausalen Ursprung meiner Handlungen. Seinen zentralen Ausdruck findet dieses Selbstbild in der Erfahrung der sittlichen Verantwortung und der Schuld. Zwischen beiden Perspektiven können wir wie bei einem Vexierbild hin- und herschwanken. Beide Perspektiven sind uns vertraut, beide haben für uns ein hohes Maß an Plausibilität. Das Problem ergibt sich dadurch, dass sie sich – zumindest auf den ersten Blick – zu widersprechen scheinen. Welches der beiden Selbstbilder auch wahr sein mag, das jeweils andere scheint auf einem Irrtum zu beruhen. Wer sich fragt, wie man den Widerspruch beseitigen kann, der beginnt, philosophisch über das Leib-Seele-Problem nachzudenken.

Klassifikation der Phänomene

Im Folgenden will ich versuchen, die eben skizzierte Dualität der Phänomenbereiche etwas systematischer zu beschreiben, damit auf diese Weise langsam ein philosophisches Problem herausgearbeitet wird. Dies soll geschehen, ohne bereits explizit eine bestimmte philosophische Theorie heranzuziehen. Allerdings wäre es naiv zu meinen, man könne sich dem Phänomen ganz unbelastet von Theorien nähern. Zum einen enthält die Sprache, die wir zur Beschreibung verwenden, bereits eine große Anzahl von ontologischen Vorentscheidungen durch die Weise, wie sie die Welt in Gegenstände und Eigenschaften gliedert. Zum anderen stellt sich in jeder Epoche das Leib-Seele-Problem im Kontext des gesamten Netzwerks ihrer Überzeugungen auf jeweils verschiedene Weise. In unserer Zeit ist beispielsweise ein Dualismus, der eine gewisse Verwandtschaft zur Philosophie von Descartes aufweist, zu einem Teil des alltäglichen Selbstverständnisses und dadurch auch zu einem bedeutenden Referenzpunkt für die philosophische Debatte und Kritik geworden. Ob dies schon in früheren Zeiten so war, lässt sich mit sehr guten Gründen bezweifeln.
Bei Aristoteles, dessen Werk über die Seele die Grundlage der westlichen Philosophie des Geistes darstellt, findet sich keine Trennung zwischen Physischem und Psychischem, die sich mit der heute üblichen Zweiteilung in Einklang bringen ließe. Für Aristoteles ist die Seele nichts im heutigen Sinne Psychisches. Sie ist für ihn die Form des Organismus, wobei mit »Form« nicht die äußere Gestalt gemeint ist, sondern das, was heutige Philosophen vielleicht die »funktionale Organisation« nennen würden. Die so verstandene Seele ist daher auch für Prozesse wie Verdauung oder Fortpflanzung verantwortlich, die aus der Sicht des modernen Menschen eindeutig dem physischen Bereich zugeordnet werden müssen. Die meisten antiken und mittelalterlichen Denker betrachteten den Nous (die Vernunft, den Intellekt) als das charakteristisch Geistige. Selbst die Sinneswahrnehmungen rechneten sie dem Bereich des Körperlichen zu. Für eine moderne Strömung wie den Britischen Empirismus hingegen waren Sinneswahrnehmungen geradezu die Paradefälle des Geistigen. Wie sehr sich die Intuitionen über die Natur des Geistes unterscheiden, lässt sich noch deutlicher veranschaulichen, wenn man den vertrauten Boden der eigenen Kultur verlässt. In der klassischen Sankhya-Philosophie Indiens wird fast alles, was wir heute als typisch geistig betrachten würden, dem Materiellen zugeordnet. Gedankliche und phänomenale Gehalte sind materiell, allein das reine Bewusstsein ist nicht Teil der materiellen Welt.
In der gegenwärtigen analytischen Philosophie betrachtet man im Gefolge Brentanos meist die Intentionalität als das Fundament des geistigen Bereichs. Damit ist unter anderem die Tatsache gemeint, dass geistige Zustände einen Gehalt haben, sich auf etwas beziehen, etwas repräsentieren oder zum Ausdruck bringen. Rein physische Gegenstände hingegen haben keinen derartigen Gehalt. Den kausalen Beziehungen, durch die sie mit anderen Gegenständen in Verbindung stehen, fehlt dieses Moment von innerer Repräsentation, von Darstellung und Bezugnahme.
Diese divergierenden Auffassungen machen deutlich, dass es nicht einmal bei der Aufteilung der grundlegenden Phänomene einen auch nur annähernden Konsens gibt. Es ist daher auch sinnlos, hinter diesen hier nur beispielhaft erwähnten Anschauungen eine allgemeine Charakterisierung des Geistigen und des Materiellen zu suchen, die über alle Kulturen und Epochen hin unverändert gültig bliebe. Jede Klassifikation ist unvermeidlich bezogen auf eine Zeit und eine bestimmte Denktradition. Die vorliegende Einführung hat vor allem die jüngste Debatte in der analytischen Philosophie zum Gegenstand und will bewusst aus der Perspektive dieser Strömung argumentieren. Der Grund dafür liegt zunächst darin, dass vornehmlich in dieser Denktradition in den letzten Jahrzehnten eine wirklich systematische Philosophie des Geistes entstanden ist. Angesichts des heute notwendig interdisziplinären Charakters des Themas bieten zudem die Methoden der analytischen Philosophie die besten Chancen für einen fächerübergreifenden Dialog, der Natur...

Table of contents

  1. Deckblatt
  2. Impressum
  3. Vorwort zur 1. Auflage im Grundkurs Philosophie
  4. 1  Dualität in der Erfahrung –Eine erste Systematisierung
  5. 2  Körper-Geist-Dualismus –Die Kritik der Identitätsthese
  6. 3  Körper-Geist-Dualismus –Das Problem der Psychophy­sischen Wechselwirkung
  7. 4  Nichtreduktiver Physikalismus –Mentale Eigenschaften in der physischen Welt
  8. 5  Reduktiver Physikalismus –Zurückführung des Mentalen auf das Physische
  9. 6  Abstraktionismus und Eliminativer Physikalismus – Zweifel an der Realität des Mentalen
  10. 7  Alternative Perspektiven – Kognitive Grenzen und Kritik der Metaphysik
  11. 8  Geiststaub – Ein alternatives Bild der Materie
  12. Glossar
  13. Literaturverzeichnis
  14. Autoren- und Sachindex