Fahreignung im höheren Lebensalter
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Fahreignung im höheren Lebensalter

Sensibilisieren - Erfassen - Fördern

Michael Falkenstein, Melanie Karthaus, Johannes Pantel, Rupert Püllen

  1. 207 pages
  2. German
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Fahreignung im höheren Lebensalter

Sensibilisieren - Erfassen - Fördern

Michael Falkenstein, Melanie Karthaus, Johannes Pantel, Rupert Püllen

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Immer mehr Ältere fahren Auto. Etliche Senioren leiden an Krankheiten und nehmen Medikamente ein und/oder erleben Funktionsveränderungen, die einen Einfluss auf die Fahrtüchtigkeit haben können.Das vorliegende Buch verfolgt einen interdisziplinären Ansatz. Es beschreibt die Beziehungen zwischen Alter, Alterserkrankungen und Fahrverhalten, nennt Maßnahmen zur Förderung der sicheren Mobilität Älterer und gibt Hinweise zur hausärztlichen Beratung älterer Autofahrer.Das Buch richtet sich in erster Linie an Ärzte, aber auch an Psychologen, Verkehrsplaner, Fahrzeugentwickler, Polizisten und Fahrlehrer.

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Information

Year
2017
ISBN
9783170312326
Edition
1
Subtopic
Geriatrics

1 Ältere Fahrer, Fahrverhalten und Verkehrssicherheit

Der in den westlichen Industrieländern anhaltende demografische Wandel stellt in vielerlei Hinsicht eine gesellschaftliche Herausforderung dar. Durch die zunehmende Anzahl älterer Verkehrsteilnehmer macht sich diese Herausforderung auch im Straßenverkehr bemerkbar. Hier erfordert sie einerseits ein größeres Bewusstsein für die Bedürfnisse älterer Menschen als aktive Verkehrsteilnehmer und andererseits entsprechende Anpassungen in der Gestaltung der Verkehrsumgebung und der Sensibilisierung für mögliche altersbedingte Beeinträchtigungen und daraus resultierende individuelle Maßnahmen.

1.1 Ältere Fahrer: Zahlen und ihre Entwicklung

In den meisten westlichen Industrieländern stellen ältere Menschen die am schnellsten wachsende Bevölkerungsgruppe dar. So ist der Anteil älterer Menschen (ab 65 Jahre) im Zeitraum von 1995 bis 2010 in den OECD-Staaten mehr als doppelt so schnell gestiegen wie die Gesamtbevölkerung. Gleichzeitig steigt der sogenannte Altenquotient, der das Verhältnis älterer Personen zu Personen im erwerbsfähigen Alter beschreibt, kontinuierlich an. So lag er 1950 in den OECD-Ländern bei 14 % und im Jahr 2015 schon bei 28 %. Schätzungen zufolge wird er bis zum Jahr 2075 auf 55 % steigen. Im Jahr 2013 stellte die Gruppe der Menschen in Deutschland, die 65 Jahre oder älter sind, einen Anteil von 21 % der Gesamtbevölkerung dar, wobei 5,4 % der Bevölkerung älter als 80 Jahre waren. Den Schätzungen des Statistischen Bundesamtes zufolge wird im Jahr 2060 jeder Dritte (32–33 %) älter als 65 Jahre und jeder Achte (etwa 13 %) 80 Jahre und älter sein. Diese Entwicklung kann einerseits auf die steigende Lebenserwartung und andererseits auf den gleichzeitigen anhaltenden Rückgang der Geburtenraten zurückgeführt werden.
Der demografische Wandel spiegelt sich auch in der Zusammensetzung der Verkehrsteilnehmer einer Gesellschaft wider. Ein Beispiel für eine gesellschaftliche Entwicklung, die das Mobilitätsverhalten der Menschen in Deutschland in den letzten Jahrzehnten geändert hat, ist die zunehmende Anzahl von Frauen, die eine Fahrerlaubnis besitzen. Noch vor 50 Jahren war der Führerscheinerwerb bei Frauen eher die Ausnahme, deshalb besaßen Anfang der 1990er Jahre nur 10 % der heute 80-jährigen Frauen den Führerschein. Heute ist es für Frauen wie für Männer eher die Regel, die Fahrerlaubnis für Pkw schon im Alter von 18 Jahren zu erwerben, so dass im Jahr 2008 etwa 88 % der Personen (83 % der Frauen und 93 % der Männer) einen Pkw-Führerschein besaßen (INFAS und DLR, 2010). Darüber hinaus können auch politische Rahmenbedingungen das Mobilitätsverhalten einer Gesellschaft beeinflussen. Gesetzliche Vorgaben wie die Verlängerung der Erwerbstätigkeit (»Rente mit 67«) machen es für die Betroffenen zwingend notwendig, länger mobil zu bleiben.
Schließlich ermöglicht die zunehmend höhere Lebenserwartung eine aktivere Gestaltung des Ruhestands, für die Mobilität eine wichtige Rolle spielt. Dies belegt auch die überproportionale Zunahme der mit dem Auto zurückgelegten Strecken bei Senioren1: Im Zeitraum von 2002 bis 2008 stieg der Anteil der über 65-Jährigen an der Gesamtbevölkerung um 16 %, der Anteil der mit dem Auto zurückgelegten Strecken in dieser Altersgruppe nahm gleichzeitig um 31 % zu (INFAS und DLR 2010).
Bei der Mobilität älterer Menschen kommt dem Auto als individuellem Verkehrsmittel eine besonders große Bedeutung zu, da es erlaubt, selbstbestimmt mobil zu bleiben. Insbesondere in ländlichen Gebieten, in denen es kaum attraktive Alternativen gibt und die Gruppe der Senioren überdurchschnittlich stark vertreten ist, ist das Auto oft die einzige Möglichkeit, flexibel mobil zu sein. Aber auch in Ballungsräumen, in denen der öffentliche Personennahverkehr gut ausgebaut ist, gibt es einen großen Anteil älterer Personen, die das Auto – aus Angst vor Belästigungen und Übergriffen – als subjektiv sichereres Verkehrsmittel wahrnehmen und es deshalb bevorzugen (Schlag 2008).

Merke

Der demografische Wandel sowie gesellschaftliche und politische Rahmenbedingungen führen dazu, dass der Anteil älterer Autofahrer in den nächsten Jahrzehnten voraussichtlich weiter steigen wird.

1.2 Fahrverhalten älterer Autofahrer

Aufgrund der großen interindividuellen Variabilität in der Fahreignung älterer Auto- und Zweiradfahrer ist es nicht hilfreich, von einem grundsätzlich anderen Fahrverhalten älterer Verkehrsteilnehmer zu sprechen. Dennoch gibt es bestimmte Auffälligkeiten oder Fahrfehler, die bei älteren Fahrern häufiger zu beobachten sind als bei jüngeren Fahrern. In einer von der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) in Auftrag gegebenen Studie analysierte das Kraftfahrtbundesamt Verkehrsauffälligkeiten von 350 000 Autofahrern im Alter von 35–84 Jahren, die im Fahreignungsregister (damals: Verkehrszentralregister, VZR) registriert waren. Die Analyse der Verkehrsauffälligkeiten älterer Autofahrer (65–84 Jahre) ergab eine deutliche Häufung bestimmter Auffälligkeiten, zu denen vor allem Vorfahrts- und Rotlichtmissachtungen sowie die falsche Straßenbenutzung gehören und demzufolge als »alterstypische Verkehrsrisiken« bezeichnet wurden (Schade und Heinzmann 2008). Ihr Anteil nimmt mit steigendem Alter stark zu und machte hier bei den über 80-jährigen Autofahrern schon rund 50 % der erfassten Verkehrsauffälligkeiten aus.
Ähnliche Ergebnisse zeigen auch die Unfallstatistiken des Statistischen Bundesamtes (2016). Hier wurden für das Jahr 2015 insgesamt 77 338 Unfälle älterer Personen mit Personenschaden2 registriert. Die Mehrheit der an einem solchen Unfall beteiligten Senioren war als Pkw-Fahrer (63,8 %) in den Unfall verwickelt und zu einem deutlich geringen Anteil als Fahrradfahrer (19,2 %) oder Fußgänger (9,7 %). Die insgesamt 46 781 Unfälle mit Personenschaden, an denen ältere Pkw-Fahrer beteiligt waren, wurden mit 36 916 Fehlverhaltensweisen in Zusammenhang gebracht. Auch hier waren Vorfahrtsfehler die häufigste Unfallursache (17,7 %), gefolgt von Fehlern beim Abbiegen, Wenden, Rückwärts-, Ein- oder Ausfahren (16,5 %). Im Vergleich zu anderen Altersgruppen traten diese Fahrfehler bei Senioren deutlich häufiger auf. Dagegen gab es laut Statistischem Bundesamt (2016) vergleichsweise wenige Unfälle aufgrund nicht angepasster Geschwindigkeit (4,8 %), Fehlern beim Überholen (2,4 %) oder Fahren unter Alkoholeinfluss (0,7 %). Abbildung 1 zeigt einen Überblick über die altersspezifische Verteilung verschiedener Fehlverhaltensweisen von Pkw-Fahrern pro 1 000 Beteiligten bei Unfällen mit Personenschaden (
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Abb. 1).
Es sollte jedoch berücksichtigt werden, dass es sich sowohl bei diesen Zahlen des Statistischen Bundesamtes als auch bei der oben genannten Studie des Kraftfahrtbundesamtes um registrierte Fehlverhaltensweisen handelt, die entweder aufgrund eines Unfalls oder durch einen Eintrag in das Fahreignungsregister aktenkundig wurden. Weder in den offiziellen Unfallstatistiken noch im Fahreignungsregister tauchen dagegen die zahlreichen Bagatellunfälle (wie z. B. kleinere Kollisionen auf dem Parkplatz) auf, die ohne Einbezug der Polizei reguliert werden. Schließlich ist davon auszugehen, dass darüber hinaus täglich eine große Anzahl alterstypischer (wie auch altersunabhängiger) Fahrverhaltensfehler begangen werden, die nicht als Ordnungswidrigkeit erfasst werden oder zu einem Unfall führen, sodass die tatsächliche Auftretenshäufigkeit deutlich höher anzusetzen ist.
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Abb. 1: Fehlverhalten von Pkw-Fahrern je 1 000 Beteiligte bei Unfällen mit Personenschaden im Jahr 2015, getrennt nach Altersgruppen; basierend auf Zahlen des Statistischen Bundesamtes (2016).
Besonders häufig treten Fehlverhaltensweisen oder spezifische Probleme Älterer in bestimmten Verkehrssituationen auf wie zum Beispiel auf mehrspurigen Straßen, beim Linksabbiegen oder generell in komplexen Kreuzungen (Poschadel et al. 2012). Diese Situationen erfordern meistens die gleichzeitige Erledigung mehrerer Aufgaben (unter Zeitdruck) wie die Orientierung und visuelle Suche, Bewertung der Verkehrssituation und Planung der nächsten Tätigkeiten, wobei irrelevante Informationen ausgeblendet und unangemessene Reaktionen unterdrückt werden sollen (Inhibition). Die alterstypischen Fehlverhaltensweisen und diese immer wieder zu beobachtenden Probleme älterer Autofahrer in bestimmten Verkehrssituationen sind vermutlich auf die zunehmende Beeinträchtigung sensorischer, motorischer und kognitiver Fähigkeiten zurückzuführen (Anstey et al. 2005), die in Kapitel 2 in diesem Band beschrieben werden (
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Kap. 2).

Merke

Ältere Autofahrer zeigen - vor allem in komplexen Verkehrssituationen - gehäuft bestimmte Auffälligkeiten (alterstypische Verkehrsrisiken) wie Vorfahrtsmissachtungen sowie die falsche Straßenbenutzung, die vermutlich auf die zunehmende Beeinträchtigung sensorischer, motorischer und kognitiver Fähigkeiten zurückzuführen sind.
In diesem Zusammenhang ist bei vielen älteren Autofahrern kompensatorisches Verhalten zu beobachten, das bewusst oder unbewusst eingesetzt wird, um (wahrgenommene) Beeinträchtigungen fahrrelevanter Funktionen auszugleichen. Diese Kompensationsstrategien können sich auf unterschiedliche Weise im Fahrverhalten zeigen. Typische Beispiele hierfür sind: Vermeidung potenziell gefährlicher Situationen wie Fahren bei Dunkelheit oder im Berufsverkehr sowie die Anpassung des Fahrstils in Form einer reduzierten Geschwindigkeit oder eines größeren Sicherheitsabstands. Eine ausführliche Darstellung der Kompensationsstrategien älterer Autofahrer findet sich in Kapitel 2.6 in diesem Band (
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Kap. 2.6).

1.3 Sind ältere Fahrer ein Risiko oder sind sie eher gefährdet?

Insgesamt waren Senioren an 12,9 % der im Jahr 2015 registrierten Unfälle mit Personenschaden beteiligt (Statistisches Bundesamt 2016). Im Vergleich zu ihrem Bevölkerungsanteil (21 %) weisen sie damit eine unterproportionale Unfallbeteiligung auf. Auch wenn die absoluten Unfallzahlen dafür sprechen, dass ältere Autofahrer ein geringes Risiko für den Straßenverkehr darstellen, fällt auf, dass in Fällen, in denen über 64-jährige Autofahrer in einen Unfall mit Personenschaden verwickelt waren, diesen in der Mehrzahl der Fälle (67,1 %) die Hauptschuld an dem Unfall zugewiesen wurde. Von den Unfallbeteiligten, die 75 Jahre oder älter waren, trugen dem Statistischen Bundesamt (2016) zufolge sogar 75,1 % die Hauptschuld an dem Unfall. Dies gilt insbesondere für ältere Autofahrer ab 75 Jahren, die nur wenig (< 3 000 Kilometer pro Jahr) Auto fahren (Langford et al. 2006). Insofern ist möglicherweise weniger das Alter, sondern vielmehr die mangelnde Fahrpraxis ursächlich für die höhere Unfallrate von Senioren. Bei der Frage, ob ältere Autofahrer ein besonderes Verkehrsrisiko darstellen, ist also eine differenzierte und zumindest fahrleistungsbereinigte Betrachtung erforderlich (Kocherscheid und Rudinger 2011).
Unabhängig von ihrem Risiko, an einem Unfall mit Personenschaden beteiligt zu sein, haben ältere Verkehrsteilnehmer auch ein bestimmtes Risiko, bei einem Unfall selbst verletzt oder sogar getötet zu werden. Laut dem Statistischen Bundesamt (2016) verunglückten im Jahr 2015 insgesamt 48 690 ältere Menschen im Straßenverkehr, das entspricht einem Anteil von 12,3 % aller Verunglückten im Straßenverkehr. Dabei erlitten 35 267 Senioren leichte Verletzungen, 12 399 Personen trugen schwere Verletzungen davon und 1 024 ältere Menschen wurden bei Verkehrsunfällen getötet. Das generelle Risiko, bei einem Verkehrsunfall zu verunglücken, ist bei älteren Menschen (auf 100 000 Einwohner bezogen) nur halb so hoch wie bei jüngeren Menschen. Allerdings ist ihr Risiko, bei einem Unfall schwere Verletzungen zu erleiden (25,5 %) oder diesen Unfall nicht zu überleben (2,1 %), deutlich höher als bei jüngeren Unfallopfern (15,9 % bzw. 0,7 %).
Die überwiegende Mehrheit der im Jahr 2015 verunglückten Senioren waren Pkw-Insassen (46,6 %) und auch die meisten ...

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