Frauen in der Kunst  - Visionär. Mutig. Unangepasst. Unterschätzt.
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Frauen in der Kunst - Visionär. Mutig. Unangepasst. Unterschätzt.

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Frauen in der Kunst - Visionär. Mutig. Unangepasst. Unterschätzt.

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In der Kunstwelt galt lange, zu lange: Das Genialische, das Radikale schien Männersache zu sein. Umso mutiger und stärker mussten die Künstlerinnen sein, die sich trotzdem behaupten wollten. Sie setzten sich immer auch gegen Klischees durch. Der SPIEGEL hat sich den starken Frauen in der Kunst immer wieder gewidmet, hat in den vergangenen Jahrzehnten Künstlerinnen wie Louise Bourgeois, Yoko Ono der Tracey Emin getroffen. Dieses E-Book enthält mehr als 30 Artikel, Interviews und Notizen aus den vergangenen 25 Jahren – Porträts von Künstlerinnen wie Paula Modersohn-Becker, Frida Kahlo, Marlene Dumas, Tracey Emin, Martina Abramovic, Katharina Grosse, Josephine Meckseper, Sabine Moritz und vielen mehr. Weitere Beiträge schildern den speziellen Geschlechterkampf in der Kunst, auch die besonderen Herausforderungen für Künstlerinnen in Ländern wie Afghanistan und Indien.

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Information

Porträts wichtiger Künstlerinnen
SPIEGEL 40/1993

Häßlich, roh und wehrlos

SPIEGEL-Redakteurin Susanne Weingarten über den späten Erfolg der US-Bildhauerin Louise Bourgeois
Vor nicht langer Zeit hat Arthur Miller sie gefragt, ob sie ein gutes Leben hatte. „Da habe ich zuerst nur gedacht: Was für eine idiotische Klischeefrage! Aber ich habe mir nichts anmerken lassen.“ Louise Bourgeois lacht und schlurft ein paar Meter durch ihr riesiges, labyrinthartiges Atelier in einer alten Fabrik nahe der Flatbush Avenue in Brooklyn. „Erst in der Nacht habe ich überlegt, daß die Frage vielleicht doch nicht so dumm war.“
Dann fiel ihr auch eine Antwort ein. Kein direktes Ja oder Nein, das wäre nicht ihre Art, denn die greise Bildhauerin spricht lieber in Rätseln und halben Sätzen. Aber doch so eine Art Antwort. „Kennst du das Lied?“ fragt sie und bricht unvermittelt in einen heiseren und etwas zittrigen Gesang aus: „Non, rien de rien, non, je ne regrette rien.“ Sie bereut nichts. Und warum sollte sie?
Mit 81 Jahren ist sie ganz oben. Und das, ohne je Kompromisse gemacht zu haben. Ihr Werk hat stets nur ihr selber gegolten. Der Ruhm ist schließlich zu ihr gekommen, ganz von allein, dank einer Werkschau, die ihr 1982 das Museum of Modern Art ausgerichtet hat - nach langen Jahrzehnten, in denen sie unauffällig in New York vor sich hin gewerkelt hat, als „artists'' artist“, also jemand, der vor allem unter seinesgleichen bekannt war.
Nun freut sie sich an der Anerkennung, ohne sie allzu ernst zu nehmen. Die Biennale von Venedig, bei der sie in diesem Jahr ihre Wahlheimat Amerika vertreten hat? „Ach ja“, sagt sie, „auch nur so eine Ausstellung. Nichts Besonderes.“
Das sehen diejenigen selbstverständlich anders, die ihr Werk nach Venedig gebracht haben. Mit dramatischem Ernst stellten sie ihre neun Skulpturen und vier Installationen im amerikanischen Pavillon zur Schau: So, in erhabenem Halbdunkel, werden eigentlich große Verblichene gefeiert. Gedacht ist die Schau als internationale Hommage; immerhin werden rund 160 000 Besucher die Ausstellung gesehen haben, wenn sie am kommenden Sonntag nach vier Monaten ihre Tore schließt.
„Das Atelier“, behauptet die Bildhauerin, „ist besser als Venedig. Du mußt das Atelier sehen, um mein Werk zu verstehen.“ Und sie hat recht. Was in der Ausstellung schwer, imposant und museal abgeschlossen wirkt, erwacht in der chaotischen Fabrikhalle - zwischen Handwerkszeug, Rohstoffen und halbfertigen Modellen - zum Leben. Und das ist ihren Arbeiten nur angemessen.
Denn die wachsen und sprießen und atmen und fordern zur Berührung heraus. Sie sprechen von Ängsten und von Lust, von Gewalt, Grausamkeit und Leidenschaft, von Erregung und Einsamkeit - lauter archetypischen Erfahrungen. Häßlich geben sich manche Stücke, roh und auf geradezu perverse Art offen und wehrlos.
„Kunst handelt nicht von Kunst“, sagt die Bourgeois heftig, „sondern vom Leben.“ Darum hat sie sich nie darum geschert, ob sie zu einem erkennbaren Stil fand. Sie hat genommen, was sie brauchte, ob Stahl, Bronze, Marmor, Kunststoff, Holz oder Glas. Sie hat sich die Stoffe untertan gemacht, sie verwandelt, manchmal in Formen des puren Eros, schamlos und umstandslos, in oft dunkle Feste des Phallus und der Vulva. Der letzte Grund dieser Werke ist die Geschlechtlichkeit des Menschen, jenseits davon ist nichts, weder im Körper noch in der Seele.
Als kleines Kind, so glaubt die Künstlerin, ganz wie im Handbuch der Psychoanalyse, habe sie zwei Menschen dabei ertappt, wie sie miteinander schliefen. „Ich dachte, daß sie einander umbringen“, sagt sie, „nein: daß der Mann die Frau umbringt. Das war die Urszene, durch die ich immer Leidenschaft und Tod zusammengebracht habe.“
Alles ist mit dieser Doppelung aufgeladen in ihren Werken. Oft sind da Balanceakte - leichte Stoffe als Gegenpol von schweren oder glatte als Gegenüber von rauhen. In solcher Balance lebt das Gefühl von Gefahr. „Dort oben, diese schweren Gewichte“, sagt die Bourgeois und zeigt auf eine Skulptur, „was wohl passierte, wenn sie herunterkrachten? Gewalt ist immer denkbar.“
Aber dann beruhigt sie ihren Gast. „Nur keine Angst. In meinem Atelier wird nichts Schlimmes geschehen.“ Sie hat ein naives Vertrauen in den Raum, in dem sie arbeitet, das sich aus ihrer Vertrautheit mit ihm speist. Was andere als Chaos wahrnehmen, ist für sie ein geordnetes System. Wann immer sie die Halle durchquert, faßt sie Werke an, hier ein sanftes Streicheln, da ein leichter Griff. So versichert sie sich ihrer Welt.
Ihre ersten Figurenstelen entstanden Ende der vierziger Jahre, weil sie einsam war. Da baute sie sich ihre Familie in Holz nach. Alle Arbeiten bergen Erinnerungen der Bildhauerin, für den Betrachter kaum wahrnehmbar, nur manchmal zu erahnen als Echoklang aus einer fernen, fremden Vergangenheit. Wenn es nach der Bourgeois ginge, könnten alle Deutungen des Werks aus ihrem Privatleben kommen. Sie hat immer versucht, mit der Bildhauerei die Schrecken ihrer Kindheit zu bannen.
1911 geboren, wuchs sie in der Nähe von Paris mit einer Menage a trois auf: Vater, Mutter und Geliebte des Vaters im gleichen Haushalt. Die Familie Bourgeois betrieb eine Manufaktur, in der Bildteppiche restauriert wurden. Die kleine Louise plagte sich mit der Angst, an dem unguten Dreieck schuld zu sein, da sie dem Vater nicht genug zu geben hatte. Dafür haßte sie ihn.
Und dafür hat sie ihn in ihren Werken niedergemacht. Noch in einer Installation, die nun in Venedig zu sehen ist, rächt sich die Greisin an dem längst Verschiedenen. Ein Modell des Elternhauses hat sie in einen Gitterkasten gesperrt und davor eine große Guillotine angebracht. „Es ist eine Metapher dafür“, erklärt sie ganz ernsthaft, „daß die Gegenwart die Vergangenheit vernichten kann.“ Ein einziger Zug an der Schnur, scheint es, und das Henkersbeil saust nieder.
Und nun? Kann sie nicht endlich dem Vater vergeben? „Nein“, sagt sie, „soweit bin ich noch nicht.“
Seinerzeit hat sie sich Ersatzväter gesucht. Einer war Marcel Duchamp, einer Andre Breton, ein anderer Fernand Leger. Sie hat bei ihnen gelernt, diesen Vordenkern der Kunst, und sich auch gegen sie aufgelehnt, eine junge Frau, die wußte, daß kein anderer Lebensplan für sie in Frage kam. „Man wird Künstler, weil man muß, nicht weil man will.“ Sie hat einen Mann gefunden, der damit leben konnte, den amerikanischen Kunstgeschichtler Robert Goldwater, für den sie 1938 Frankreich verließ.
Dennoch ging es langsam voran. Jahrelang hat sie fast nur gezeichnet und radiert, schon deshalb, weil das den drei Kindern nicht viel Platz und Zeit stahl. Das klassische Los der Künstlerin mit Familie. Die „Frau Haus“ kehrt auf Arbeiten dieser Phase immer wieder: eine Frau, die ihren Kopf und Oberkörper vertauscht hat mit einem Haus. Kein eigenes Denken mehr, kein eigenes Schaffen. Erst Ende der Vierziger zog die Familie in ein Apartment mit Mansarde. Darin begann sie ernsthaft mit der Bildhauerei, mit jenen Stelen - „aus Holz, das ist nicht schmutzig, das ist nicht laut“, haushaltsfreundlich also.
Heute lebt sie, mit ihrem jungen, sanften Gefährten und Gehilfen Jerry, in einem schmalen Stadthaus in Chelsea, 20 Minuten vom Atelier entfernt. Wo fühlt sie sich zu Hause? „An beiden Orten“, sagt sie, „sie sind nur Erweiterungen voneinander.“ Auch ihr Haus ist ein dunkles, unübersichtliches Lager ihrer Schätze, es mufft nach Staub, alten Papieren und Möbeln und einem langen, nicht sehr ordentlichen Leben.
Louise Bourgeois klettert auf einen hohen Hocker neben der Terrassentür, von dem sie die Beine baumeln lassen kann. Wie eine geheimnisvolle Hexe hockt sie dort, umschlottert von einem schwarzen Spitzenkleid, unter dem Gymnastikhosen und schwere Gummistiefel hervorlugen.
„Ich fühle mich nicht alt“, überlegt sie. „Ich denke nicht an den Tod.“ In die Unsterblichkeit wollen sie nur die anderen stemmen. Sie selbst hat noch lange nicht abgeschlossen mit sich und der Welt. Sie sucht immer noch, und sie kämpft. Gelegentlich muß Jerry ihr eine Arbeit aus den Händen nehmen, wenn sie drauf und dran ist, sie kaputtzuschlagen. Sie mag den Thrill im Moment der Unbeherrschtheit, sagt sie, aber hinterher schämt sie sich. „Ich will meine Gefühle beherrschen“, behauptet sie, „und ein Mensch wie Descartes werden.“ Das wird sie wohl nie schaffen.
Eine unfertige Greisin ist sie. Nichts wirkt in Weisheit abgesegnet. Sie hat kein Alterswerk vorzuweisen, macht einfach immer weiter, die Möglichkeit des Scheiterns inbegriffen.
Sonderbare Arrangements aus Spiegeln, Stühlen, Betten, Schildern, alten Maschinen, Skulpturen und Memorabilia stellt sie seit einiger Zeit aus, in dunklen, magischen Räumen. Wie langsam und zufällig gewachsen wirken sie, sind aber doch unverwechselbar von einer Hand. Weil sie aussehen, als hätte die Bildhauerin eine Ecke ihres Ateliers in die Ausstellung geholt, staubig, schon lange vertraut und doch immer noch im Wandel, haben sie die gleiche Aura des Lebendigen, auch die gleiche Balance von Privatem und Allgemeinem.
In Brooklyn hat sie einen weiteren Raum in Arbeit, die Wände stehen schon, rostige alte Metallrahmen, in die kleine, teils zerbrochene Glasquadrate eingelassen sind. Die Bourgeois nimmt eine schwere Zange und beginnt, Glasscherben aus den Fassungen zu brechen. „Das ist meine Verantwortung“, sagt sie, „an meinem Werk soll sich niemand verletzen.“
Porträts wichtiger Künstlerinnen • Kultur
SPIEGEL 5/2013

Außenseiterin im Weltmaßstab

Eine Frankfurter Ausstellung ehrt Yoko Ono als eine der maßgeblichen Figuren der jüngeren Kunstgeschichte. Endlich. Von Ulrike Knöfel
Ganz in Schwarz gekleidet, mit kleinem Hut und großer Sonnenbrille sitzt sie auf dem alten Polstermöbel ihres Berliner Hotels. Fast wirkt es, als wäre da jemand in die Rolle von Yoko Ono geschlüpft, in die Rolle einer der berühmtesten Frauen der Welt.
Wer sie sieht, sieht John Lennon mit, obwohl der seit mehr als 30 Jahren tot ist. Für die meisten ist sie die ewige Witwe und vermeintlich unheilvolle Hexe, im Grunde wurde sie schon so behandelt, als er noch lebte. Was ungerecht ist, sie ist eine Ikone der Avantgarde-Kunst der sechziger Jahre.
Im Februar wird sie 80 Jahre alt. Die Kunsthalle Schirn in Frankfurt am Main richtet ihr vom 15. Februar an eine Ausstellung aus. Ono genießt den Aufruhr, die Aufmerksamkeit, vor allem die Anerkennung. Das große Publikum soll ihre Bedeutung für die Kunstgeschichte endlich würdigen.
Im Gespräch ist sie ausgesprochen nett, offen, fast jugendlich. Ihr Lachen klingt wie ein Kichern, aber sie spricht von einem Leben, das oft unerträglich war. Sie mag Interviews, aber schnell ist die von ihr vorgegebene Zeit abgelaufen. Ihr Blick fixiert die Teetasse, der Assistent eilt heran. Das Gegenüber wird zu Luft.
Diese Frau benimmt sich wie ein Popstar. Es ist schwer, sich die andere Yoko Ono vorzustellen, die unangepasste Künstlerin, die nie das Risiko scheute.
Lange bevor sie Lennon im November 1966 kennenlernte, machte sie Dinge, die man nicht tat. Sie setzte sich auf eine Bühne und forderte das Publikum auf, ihr Kleid zu zerschneiden. Sie kletterte mit ihrem damaligen Mann in einen Sack, und die Zuschauer wussten nicht so recht, was da vor sich ging und was das sollte. Zugleich verbreitete sie ihre „Instruktionen“: Sie forderte ihr Publikum auf, eine Woche lang zu husten oder auf das Geräusch der Erdrotation zu hören. Sie ernannte etwas zur Kunst, was bestenfalls als verrückt galt.
So sei es immer gewesen, sagt sie, sie habe die Dinge, die andere sich nur vorstellen, immer in die Tat umgesetzt. „Das ist der Unterschied. It's so funny.“
Es gab noch ein Leben davor, eine Kindheit in Japan. Sie hatte sehr wohlhabende Eltern, sie ging in Tokio mit den Söhnen des Kaisers zur Schule, einer von ihnen widmete ihr Gedichte. Und sie lernte Hunger und Bettelei kennen, als die Mutter mit ihr und ihren Geschwistern nach den Angriffen der Amerikaner während des Zweiten Weltkriegs aufs Land flüchtete. 1966 inszenierte sie die Performance „Shadow Piece“, bei der die Schatten der Teilnehmer an die Toten von Hiroshima und Nagasaki erinnern sollten.
Yoko Onos Zuhause war intakt und kalt. Ihre Eltern waren kultiviert, mit einer großen Liebe zur Musik, aber nie für die Tochter da. „Ich muss sagen, man setzte mich oft dem Alleinsein aus“, sagt sie. Ihre Phantasie habe sie die Kindheit und Jugend überleben lassen. Auch die im Krieg erlernte Eigenschaft, „zu tun, was getan werden muss“. Ihr Leben wurde zum Experiment, und sie leitete es selbst.
Sie war die erste Frau Japans, die Philosophie studieren durfte. Sie ging nach New York, schrieb sich für Dichtung und Komposition ein. Weder in Japan noch in New York machte sie einen Abschluss, sie machte sich einfach zur Künstlerin. Sie war keine Malerin oder Bildhauerin, sie setzte Film ein, Worte, Objekte, sich selbst. Sie dekonstruierte den Kunstbegriff, alles, was sie tat, war das Gegenteil von Mainstream.
Sie filmte eine Fliege, die über einen weiblichen Körper wandert, oder einfach nur ein brennendes Streichholz als Symbol für das Verrinnen der Zeit. Sie stellte Leinwände aus, auf die das Kunstpublikum treten durfte: Das waren ihre Gemälde. Und sie machte Werbung für eine Ausstellung im MoMA, die es nicht gab. All das war provokant, und sie machte sich über die klassischen Kunstformen und den dazugehörigen Betrieb lustig. 1966 filmte sie lauter nackte Hinterteile. Yoko Ono hat Humor.
Möglicherweise war ihr Timing stets ein wenig daneben, viel zu oft war sie viel zu früh dran. Sie suchte das Neue, „das Gefühl, am Leben zu sein“. Stets habe sie Ablehnung erfahren, Zustimmung, sagt sie, hätte sie als Künstlerin womöglich umgebracht.
Man sprach über sie, und bald saßen die Großen der Moderne in ihrem New Yorker Loft, wo sie Konzerte und Performances aufführte, Marcel Duchamp und Max Ernst zum Beispiel. Durch ihren ersten Ehemann, einen Komponisten, lernte sie John Cage kennen. Für viele war Cage der Gott einer neuen Musik, für sie war er der Gott, weil er so selbstbewusst mit Konventionen brach. Er unterstützte sie. Sie ließ ihm zu Ehren und zugleich als Ironisierung dieser Verehrung Musiker mit Mullbinden einwickeln, so dass diese nicht mehr spielen konnten, und nannte es „Sky Piece to Jesus Christ“.
Das alles war ihre Welt, und sie gehörte doch nie ganz dazu. Als Frau, als Asiatin hatte sie es schwer in der Kunst. Und dann war sie auch noch eine Konzeptkünstlerin, die mit seltsamen Schlagworten und Strömungen wie Fluxus in Verbindung gebracht wurde. Ihre Eltern und ihre ersten Ehemänner haderten mit ihrem Freiheitsdrang. Ihr erstes Kind, ein Mädchen, wuchs beim Vater auf. Er focht mit Yoko einen bizarren Streit um die Tochter aus. Es ging auch um eine versuchte und um eine tatsächliche Entführung. Auch das schien in diese seltsamen sechziger und siebziger Jahre zu passen.
1966 traf sie Lennon bei der Vorbesichtigung zu einer ihrer Ausstellungen. Sie legten sich gemeinsam öffentlich ins Bett, um für den Frieden zu demonstrieren, vor allem aber zelebrierten sie ihr Paarsein. Yoko Ono wurde berühmt, aber nur als Ehefrau und Exzentrikerin. Sie blieb die Außenseiterin, jetzt aber im Weltmaßstab. Sie wurde gefürchtet, er bemitleidet.
Im Dezember 1980 wurde Lennon erschossen, und sie, gewöhnt daran, der Welt Handlungsanweisungen zu geben, rief wenige Tage später zu einer weltweiten Schweigeaktion auf.
Yoko Ono macht heute immer noch, was sie will. Sie lässt sich von den ernsthaften Kunstinstitutionen wie der Londoner Serpentine Gallery feiern, nimmt exotische Auszeichnungen an wie einen vom Mauermuseum in Berlin verliehenen Preis, inszeniert Lichtsäulen, wirbt auf riesigen Werbeflächen für den Weltfrieden.
Ihre Kunst heute ist sehr bunt, sie passt gut zur Ästhetik des Mainstreams. Anscheinend hat die Welt endlich Frieden mit Yoko Ono geschlossen.
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Porträts wichtiger Künstlerinnen • Kultur
SPIEGEL 36/2015

Auf ihre sehr eigene Weise

Im Vergleich zu dieser Frau war selbst Beuys Mainstream: Die provozierend strenge Konzeptkunst von Hanne Darboven wird neu entdeckt. Von Ulrike Knöfel
Zu den bekanntesten Aussagen der deutschen Künstlerin Hanne Darboven gehört der irreführende Satz, ihr Geheimnis bestehe darin, keines zu haben. Sie war aber, und das wusste sie selbst, für alle da draußen die Zurückgezogene, die Rätselhafte, die große Unerklärbare der Gegenwartskunst.
Dass sie eine Leitfigur war, wird vielleicht erst jetzt richtig deutlich, sechs Jahre nach ihrem Tod. Für eine jüngere Generation von Künstlern ist sie ohnehin wieder ein Vorbild. A...

Table of contents

  1. Frauen in der Kunst
  2. Einführung
  3. Männer - Frauen, ein Spannungsbogen
  4. Porträts wichtiger Künstlerinnen
  5. Wiederentdeckungen und Neubewertungen
  6. Mäzeninnen
  7. Künstlerinnen fern der bisherigen Kunstzentren
  8. Vermischtes
  9. Anhang