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Brauchen wir ein drittes Geschlecht?
Reformbedarf im deutschen (Familien-)Recht nach EinfĂŒhrung des § 22 Abs. 3 PStG
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Brauchen wir ein drittes Geschlecht?
Reformbedarf im deutschen (Familien-)Recht nach EinfĂŒhrung des § 22 Abs. 3 PStG
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Im Jahre 2013 wurde in § 22 Abs. 3 PStG klargestellt, dass der Personenstand von Intersexuellen ohne Angabe der Geschlechtszugehörigkeit in das Geburtenregister eingetragen werden kann. Gleichwohl basiert das deutsche Familienrecht weiterhin auf einer binÀren Geschlechterordnung. Der Vortrag analysiert die Frage, ob ein drittes Geschlecht anzuerkennen ist oder auf das Geschlecht als Kategorie des Familienrechts ganz verzichtet werden sollte.
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Information
§ 1 Einleitung
I BinÀre soziale Geschlechterordnung
Im Alltagsleben wird die Zuordnung eines jeden Menschen zum weiblichen oder mĂ€nnlichen Geschlecht unreflektiert als naturgegebene SelbstverstĂ€ndlichkeit angesehen. Erhalten wir von Verwandten oder Freunden die Nachricht, dass sie Nachwuchs erwarten, ist eine der ersten Fragen: âJunge oder MĂ€dchen?â Begegnen wir einem Menschen das erste Mal, ordnen wir ihn automatisch in eine der beiden Geschlechterkategorien ein, noch bevor wir seinen Namen kennengelernt oder das erste Mal mit ihm gesprochen haben. Gelingt uns diese Geschlechtszuordnung nicht auf Anhieb, löst dies bei uns Irritationen aus, die uns im wahrsten Sinne des Wortes sprachlos machen. Denn eine persönliche Anrede ohne Verwendung der Wörter Frau oder Herr kennt die deutsche Sprache nicht. Ein Leben ohne Geschlechtszuordnung können wir uns im Grunde nicht vorstellen.
Das binĂ€re Geschlechtersystem ist in der Kultur- und Menschheitsgeschichte tief verwurzelt. So heiĂt es bekanntlich in der Schöpfungsgeschichte im 1. Kapitel des 1. Buchs Mose, Vers 27:
Gott schuf den Menschen nach seinem Bilde, [âŠ] er schuf ihn als Mann und Frau.
Die Anziehungskraft zwischen den Geschlechtern ist die evolutionsbiologische Grundlage fĂŒr die Erhaltung der menschlichen Spezies. Sie prĂ€gt unser Paarungsund Sozialverhalten und bis zu einem gewissen Grad auch nach wie vor gesellschaftliche Organisations- und Machtstrukturen. Gleichwohl hat kulturgeschichtlich stets auch ein gewisses Bewusstsein dafĂŒr existiert, dass es Menschen gibt, die sich nicht in die ĂŒblichen Geschlechterkategorien einordnen lassen. Paradigmatischer Ausdruck dafĂŒr ist etwa die Figur des Hermaphroditen, die nach dem griechischen Mythos durch die Verschmelzung der Quellennymphe Salmakis mit dem Sohn des Hermes und der Aphrodite entstand.1
II IntersexualitÀt aus medizinischer Sicht
Im heutigen medizinischen und juristischen Sprachgebrauch ist freilich nicht mehr von Hermaphroditen, sondern von Intersexuellen die Rede. Dabei liegt IntersexualitĂ€t aus medizinischer Sicht dann vor, wenn die Zuordnung einer Person zum mĂ€nnlichen oder weiblichen Geschlecht zweifelhaft ist, weil geschlechtsbestimmende körperliche Merkmale vorhanden sind, die sowohl typisch weibliche als auch typisch mĂ€nnliche AusprĂ€gungen aufweisen.2 Solche geschlechtsbestimmenden körperlichen Merkmale sind vor allem die Chromosomen (zwei X- Chromosomen fĂŒr das weibliche Geschlecht und die Kombination von X- und Y- Chromosom fĂŒr das mĂ€nnliche Geschlecht), dann die KeimdrĂŒsen (also Eierstock oder Hoden), die Hormone (allgemein bekannt sind vor allem Testosteron als mĂ€nnliches und Ăstrogene als weibliche Sexualhormone) sowie die Ă€uĂeren Geschlechtsorgane. Unter der FĂŒlle an unterschiedlichen Erscheinungsformen von IntersexualitĂ€t sei kurz auf drei hĂ€ufiger vorkommende Varianten hingewiesen:
(1) Bei den sog. XY-Frauen liegt ein regulĂ€rer mĂ€nnlicher Chromosomensatz vor, doch kann dieser aufgrund eines genetischen Defekts seine ĂŒblichen Wirkungen nicht entfalten, so dass sich kein Hoden, sondern eher weibliche innere und Ă€uĂere Geschlechtsorgane entwickeln. Dem Ă€uĂeren Erscheinungsbild nach werden XY-Frauen bei der Geburt typischerweise dem weiblichen Geschlecht zugeordnet, doch stellt sich in der PubertĂ€t dann regelmĂ€Ăig heraus, dass ihre KeimdrĂŒsen nicht funktionsfĂ€hig sind.3
(2) Im Falle einer sog. AndrogeninsensitivitĂ€t können aufgrund einer Mutation die mĂ€nnlichen Sexualhormone (Androgene) ihre Wirkung nicht entfalten. Dann kommt das Kind, das einen mĂ€nnlichen Chromosomensatz besitzt, mit weiblichen Genitalien auf die Welt. In der PubertĂ€t stellt sich dann heraus, dass das Kind keinen Uterus besitzt, dafĂŒr aber Hoden, die meist im Bauchraum liegen.4
(3) Besonders hĂ€ufig ist das sog. adrenogenitale Syndrom (AGS). Hier liegt ein weiblicher Chromosomensatz vor, doch aufgrund einer Mutation kommt es zu einer Ăberproduktion mĂ€nnlicher Sexualhormone. Bereits wĂ€hrend der Schwangerschaft tritt eine VermĂ€nnlichung der Ă€uĂeren Geschlechtsorgane des Embryos ein, so dass sich etwa die Klitoris in penisĂ€hnlicher Form vergröĂert. In der Regel besitzen die Betroffenen aber alle weiblichen Geschlechtsorgane und sind bei hormoneller Behandlung fortpflanzungsfĂ€hig.5
Die hier beispielhaft beschriebenen atypischen AusprÀgungen des biologischen Geschlechts sind in aller Regel nicht lebensbedrohlich, doch kann in manchen FÀllen ein signifikant erhöhtes Tumorrisiko bestehen.6
Von IntersexualitĂ€t zu unterscheiden ist TranssexualitĂ€t: TranssexualitĂ€t liegt dann vor, wenn die körperlichen Merkmale eine eindeutige Zuordnung zum weiblichen oder mĂ€nnlichen Geschlecht erlauben, aber nicht mit dem psychischen ZugehörigkeitsgefĂŒhl ĂŒbereinstimmen.7
Ein zentrales Problem besteht darin, dass die Herangehensweise der Medizin an das PhĂ€nomen der IntersexualitĂ€t in der Vergangenheit teilweise durch gravierende FehleinschĂ€tzungen geprĂ€gt wurde. Erheblichen Einfluss besaĂen die Werke des medizinischen Psychologen und Sexualforschers John Money, der in den 1950er Jahren die These vertrat, dass die GeschlechtsidentitĂ€t eines Menschen vor allem sozial geprĂ€gt sei. Um intersexuellen Kindern die Entwicklung einer stabilen GeschlechtsidentitĂ€t zu ermöglichen, sprach er sich daher fĂŒr möglichst frĂŒhzeitige geschlechtsanpassende Operationen aus. Um die Selbstwahrnehmung der Betroffenen nicht ins Wanken zu bringen, hielt man es sogar fĂŒr gerechtfertigt, sie ĂŒber die vorgenommenen Eingriffe auch spĂ€ter nicht aufzuklĂ€ren. Dabei wurden teilweise nicht einmal die Eltern ĂŒber die genaue Diagnose sowie Art und Umfang der Eingriffe informiert.10 Diese Vorgehensweise hat sich â unabhĂ€ngig von ihrer rechtlichen FragwĂŒrdigkeit â auch medizinisch als dramatische FehleinschĂ€tzung erwiesen, die zu groĂem Leid gefĂŒhrt hat.Insbesondere kann durch geschlechtsanpassende Operationen die sexuelle Empfindsamkeit zerstört und eine lebenslange Hormonersatztherapie mit gravierenden Nebenwirkungen erforderlich werden.11 Viele Betroffene leiden unter dem GefĂŒhl, gegen ihren Willen körperlich verstĂŒmmelt worden zu sein.12 Heutzutage werden geschlechtsanpassende Operationen sehr viel zurĂŒckhaltender bewertet,13 wobei manche medizinische Experten so weit gehen wĂŒrden, sie wĂ€hrend der MinderjĂ€hrigkeit von Intersexuellen â mit Ausnahme von NotfĂ€llen â komplett auszuschlieĂen. Problematisch ist allerdings, dass sich allgemein akzeptierte Behandlungsstandards noch nicht etablieren konnten.14
III Haltung des Rechts
Angesichts der binĂ€ren Geschlechterordnung der sozialen Lebenswirklichkeit fĂ€llt die rechtlicheBewĂ€ltigung von IntersexualitĂ€t naturgemÀà schwer. Doch haben sich historisch gesehen Juristen und Gesetzgeber mit dem Personenstand sog. Zwitter durchaus beschĂ€ftigt. Dabei darf nicht vergessen werden, dass in frĂŒheren Zeiten die Zuordnung zum weiblichen oder mĂ€nnlichen Geschlecht viel weiter reichende Auswirkungen auf den rechtlichen Status hatte, als das heute der Fall ist.15
Auch die Verfasser des BĂŒrgerlichen Gesetzbuches haben die rechtliche Einordnung von Intersexuellen in die Geschlechterkategorien erörtert.16 Auf eine eigenstĂ€ndige Regelung wurde allerdings bewusst verzichtet. Dabei ging man von der mediz...
Table of contents
- Cover
- Titel
- Imressum
- Inhalt
- § 1 Einleitung
- § 2 Personenstandsrechtliche Behandlung von IntersexualitÀt
- § 3 Perspektive eines geschlechtsneutralen (Familienâ)Rechts?
- § 4 Eintragung eines dritten Geschlechts im Personenstandsregister?
- § 5 Zusammenfassung
- FuĂnoten