1 DIE WELT VERĂNDERN
Links die ungeschminkte Wahrheit, rechts die per Make-up und Retusche geschönte Version. Geschminkte Gesichter sind alltĂ€gliche RealitĂ€t. Manche BerĂŒhmtheit ist ungeschminkt kaum zu erkennen (das gilt gleichermaĂen fĂŒr puderund pastensĂŒchtige Normalos), aber deshalb noch lange kein Fake.
150 mm | f/7.1 | 1/80 s | ISO 100
Diese Welt ist nicht perfekt. Doch nie zuvor war es einfacher, die Welt zu verĂ€ndern â zumindest optisch. Das digitale Zeitalter der Fotografie und die sich parallel entwickelnde Kunst der Bildbearbeitung gestatten unmerkliche und ĂŒberraschende Eingriffe in die Darstellung des Seins zwischen kĂŒnstlerischem Ausdruck und krimineller Manipulation. Digitale Bildmontagen ermöglichen die Umsetzung fotografischer Ideen und TrĂ€ume mit einfachsten Mitteln. Also, realisieren Sie Ihre TrĂ€ume! FOTO ODER FAKE?
Eine Fotografie als untrĂŒgliches Abbild der RealitĂ€t anzusehen ist eine reine Illusion. Schon die Wahl des Bildausschnitts durch den Fotografen ist eine Art der Manipulation. Die Wahrnehmung wird durch den Bildaufbau, die Fokussierung und die Belichtung verĂ€ndert, der Blick durch den engen Rahmen einer Fotografie gelenkt. Störende Elemente werden ausgeblendet oder nachtrĂ€glich retuschiert. Was fĂŒr Statistiken gilt, gilt im ĂŒbertragenen Sinne auch fĂŒr jedes fotografische Werk: Traue nur Bildern, die du selbst verfĂ€lscht hast!
In der Reportagefotografie ist die nachtrĂ€gliche VerĂ€nderung von Bildinhalten als VerfĂ€lschung der Wahrheit zu Recht absolut verpönt. In der Werbe- und PortrĂ€tfotografie jedoch sind Retusche und Montage der SchlĂŒssel zum Erfolg. Kein Mensch, kein Produkt ist so makellos, dass es nicht noch zumindest ein klein wenig digitale Politur vertragen könnte. PortrĂ€tbilder ohne sorgfĂ€ltig retuschierte Pickel, TrĂ€nensĂ€cke und zumindest reduzierte KrĂ€henfĂŒĂe finden kaum den Applaus des PortrĂ€tierten. Ich habe jedoch noch nie erlebt, dass sich ein Modell ĂŒber digital geglĂ€ttete Haut, eine verschlankte Taille und dezent angehobene BrĂŒste beschwert hĂ€tte.
SURREALISMUS
In der Werbefotografie wird nicht nur alles retuschiert, sondern vieles auch aus mehreren Fotoelementen zusammenmontiert â mal mehr, mal weniger perfekt. Einige Amateurfotografen frönen auch der Bildmontage, die Ergebnisse sind in diversen Communitys im Netz zu besichtigen. Die Mehrzahl dieser Composings ist allerdings schon auf Anhieb als solche zu identifizieren, weil sie entweder durch Surrealismus oder Dilettantismus (oder beides) auffallen. Die einzelnen Teile sind hĂ€ufig nicht gut aufeinander abgestimmt und bilden in der Verschmelzung keine Einheit, sondern ein zusammengewĂŒrfeltes Sammelsurium. Entweder fehlt bei der Erstellung die Absicht oder die FĂ€higkeit, eine möglichst realistisch wirkende Montage herzustellen, die man als solche nicht wahrnimmt.
Diese Bildmontage ist unschwer als solche zu erkennen. Kaum zu erkennen ist allerdings, dass das etwas ramponierte Originalschneckenhaus nachtrÀglich durch ein schöneres ersetzt wurde.
Hintergrund und Schnecke: 60 mm | f/10 | 1/8 s | ISO 800
NOMENKLATUR 1
Im Deutschen bezeichnet man die Werke, um die es in diesem Buch geht, als Foto- oder Bildmontagen. In der Fachsprache der Werbung, die gern mit Anglizismen um sich wirft, bezeichnet man aus mehreren Elementen zusammengefĂŒgte Bildwerke in der Fotografie als Composings. Im Filmbereich dagegen nennt man Szenenbilder, die aus zwei oder mehreren getrennt aufgenommenen Elementen zusammengesetzt werden, Compositings. Auch Blue- und Greenscreeneffekte zĂ€hlen zu den Compositings.
REALISMUS
Eine gute Bildmontage erkennt man daran, dass man sie nicht als Montage erkennt. Sie sieht aus wie ein ganz alltĂ€gliches Foto, ist es aber nicht. Um plausible Ergebnisse zu erzielen, bedarf es einiger Ăbung und Erfahrung. Zuerst erstellt oder wĂ€hlt man ein Hintergrundbild und fotografiert alle Bildteile, die in dieses Backplate eingefĂŒgt werden sollen, im passenden Licht, in der gleichen Perspektive sowie mit einer Ă€hnlichen Brennweite. SelbstverstĂ€ndlich mĂŒssen auch die Proportionen angepasst werden. Kleine Abweichungen fallen in der Regel nicht auf, gröĂere schon.
Mischt man realistisch wirkende Bildmontagen und unverÀnderte Originalfotos in einem Portfolio und weist bei der PrÀsentation darauf hin, dass ein Teil der Motive als Composing erstellt wurde, tippen derart vorgewarnte Betrachter gern triumphierend auf Bilder, an denen rein gar nichts gebastelt wurde, und glauben, sie als Montage entlarvt zu haben. TatsÀchliche Composings dagegen werden kaum erkannt, sofern man sie richtig macht.
Hier passt alles: Der Buick Roadmaster Baujahr 1955 wurde auf einem groĂen Festplatz in Franken stimmig zu dem bereits vorhandenen Hintergrundbild abgelichtet, das am Mittelmeer fotografiert wurde.
Hintergrund: 45 mm | f/16 | 1/200 s | ISO 200
BENEFITS
In diesem Buch geht es nicht um die digitale Visualisierung surrealer Traumwelten, sondern um die Kreation möglichst realistisch wirkender Bildmontagen. Die Techniken sind natĂŒrlich weitgehend identisch, die Absichten differieren jedoch. Realistische Ergebnisse erfordern gröĂere Sorgfalt in der Vorbereitung und Abstimmung der Komponenten als fantastische Fotocollagen.
In der Werbung produziert man Composings, um Kosten und Zeit zu sparen, um Produkte zu inszenieren, die noch nicht öffentlich gezeigt werden können, oder um dem antizyklischen Produktionszyklus ein Schnippchen zu schlagen. So werden viele Werbe- und Modeaufnahmen zumeist mit einem Vorlauf von etwa einem halben Jahr hergestellt, was dazu fĂŒhrt, dass Wintermotive mitten im Sommer und Sommermotive mitten im Winter fotografiert werden mĂŒssen. Mithilfe von Bildmontagen entgeht man in diesen FĂ€llen der Notwendigkeit, weite und teure Reisen zu unternehmen, um beispielsweise mitten im grĂŒnen Juli Schneelandschaften zu finden.
Bildmontagen erlauben höchste FlexibilitĂ€t und ProduktivitĂ€t. Mein persönlicher Rekord liegt bei 20 verschiedenen Aufnahmen mit vier verschiedenen Modellen, die in einem Studio passend zu 20 verschiedenen Hintergrundmotiven fotografiert wurden â alle an einem einzigen Tag! Hier sind vier Beispiele aus dieser Session.
Bildmontagen
FĂŒr den ambitionierten Fotoamateur, der nicht einfach nur abknipsen möchte, was ihm so ĂŒber den Weg lĂ€uft, bieten Bildmontagen weitreichende Möglichkeiten, Motive zu realisieren, die man sich normalerweise nicht leisten könnte, ohne dass man sich dem Wetter oder den Jahreszeiten beugen mĂŒsste. So kann man auch in einem improvisierten Kleinstudio (vulgo: Wohnzimmer) mitten im dicksten Winter Aktaufnahmen fotografieren, ohne dass das Modell oder der Fotograf frieren muss, ohne Gaffer, ohne Wind, ohne Matsch und ohne MĂŒcken. Innerhalb von Minuten kann man wĂ€hrend einer einzigen Fotosession problemlos von Winter auf Sommer switchen, von Strand auf Gebirge, von Stadt auf Land â ohne tatsĂ€chlichen Ortswechsel. Und möchte man im warmen Licht eines Sonnenuntergangs fotografieren, kann man diesen stundenlang andauern lassen â ohne drohende DĂ€mmerung, ohne Hast und ohne Hektik.
TRAUMREISEN
Ich begann bereits 1996, Hintergrundmot...