Systemtheoretische Beobachtungen IV
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Systemtheoretische Beobachtungen IV

Eberhard Blanke

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Systemtheoretische Beobachtungen IV

Eberhard Blanke

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BeitrÀge zum VerhÀltnis von Theologie und Systemtheorie.

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Information

Year
2020
ISBN
9783751939508
Edition
1
Subtopic
Religion

Konstruktivismus und religiöse Kommunikation „Eine Kommunikation teilt die Welt nicht mit, sie teilt sie ein.“103

1. Konstruktivismus

1.1 HinfĂŒhrung: Landschaft und Landkarte

Wir werden im folgenden zunĂ€chst einige Aspekte des operativen Konstruktivismus vorstellen, wie sie sich aus der Gesellschaftstheorie Niklas Luhmanns entnehmen lassen, um sodann ĂŒber mögliche Folgerungen fĂŒr die religiöse und theologische sowie spezifisch fĂŒr die seelsorgerische Kommunikation nachzudenken. Die einleitenden Bemerkungen zum operativen Konstruktivismus nehmen vor allem die Begriffe Kommunikation, Sinn und System sowie die damit verbundenen Unterscheidungen in den Blick.
ZunĂ€chst stellen wir drei Beispiele voran, die als ErlĂ€uterungen des Untertitels zu lesen sind: „Eine Kommunikation teilt die Welt nicht mit, sie teilt sie ein.“104
1. Es passiert auf einer Tageswanderung im Harz. Uns begegnen andere Wanderer. Die einen sagen, als sie auf uns zukommen: ,GrĂŒĂŸ Gott‘. Das mĂŒssen Schwaben sein. Etwas spĂ€ter folgt ein Wanderer, der ebenfalls freundlich grĂŒĂŸt, indem er ,Moin‘ sagt.
Wir folgern: Der Gruß ,Moin‘ kann als Konstruktivismus in einem Wort begriffen werden, denn er teilt die Welt nicht mit, sondern teilt sie ein, z. B. in Ostfriesen und Schwaben. Jedenfalls wĂ€re die Frage, welche ,Wirklichkeit‘ ein ,Moin‘ abbilden soll, wenig instruktiv. Der Gruß ,Moin‘ bringt, in Unterscheidung zu ,GrĂŒĂŸ Gott‘, eine bestimmte Welt hervor, so wie es dieser Gruß auch getan hat. Was beide Grußformeln auf jeden Fall nicht leisten (können) ist, eine von ihnen unabhĂ€ngig gegebene Wirklichkeit zu beschreiben. Stattdessen entstehen mit der Unterscheidung der Grußformeln ,Moin‘ und ,GrĂŒĂŸ Gott‘ Ostfriesen und Schwaben.
2. Um einiges ausgefeilter kann das Beispiel einer Landkarte gelten. Im Hinblick auf die ,Wirklichkeit‘ lautet die Frage hier: Inwieweit bildet eine Landkarte die Landschaft ab? Gibt es bessere und schlechtere Karten im Hinblick darauf, wie sie ,Landschaft‘ abbilden? Aber, hat jemals irgendjemand die richtige Landkarte gesehen? Und wenn es sie gibt, weshalb wird sie dann nicht gezeichnet?
Es gilt hier die Formel: Weder gibt es die eine, richtige Landkarte, noch gibt es die sich selbst darstellende Landkarte. Dies entspricht der aus der Semiotik stammende Einsicht, dass es „weder ein Weltzeichen noch ein sich selbst bezeichnendes Zeichen“105 geben kann.
Eine Landkarte kann stattdessen ausschließlich auf die Weise begriffen werden, dass sie eine in sich stimmige Konstruktion darstellt. Dies gilt fĂŒr die kontingente Wahl des Massstabes ebenso wie fĂŒr die Art und Weise der Projektion (vgl. FlĂ€chentreue vs. Winkeltreue in den Karten des Historikers und Kartographen Arno Peters106), es gilt sowohl fĂŒr die internen MaßverhĂ€ltnisse als auch fĂŒr die thematische Ausrichtung (Wanderkarte, Straßenkarte, Restaurantkarte, usw.), es gilt fĂŒr die Auswahl der graphischen Elemente genau so wie fĂŒr die Farbauswahl. Niemals wird eine Landkarte also irgendeine Abbildung oder Replik usw. der Landschaft darstellen (können). Keine Landkarte enthĂ€lt das Blatt eines Baumes, die Teerdecke einer Fahrbahn oder die im Harz frei herumlaufenden Luchse.107
Aus dieser Einsicht heraus könnte man auf den ersten Blick der Formel zustimmen, die Heinz von Foerster als Ausgangsbasis weiterer Überlegungen geprĂ€gt hat: „The map ist not the territory.“108 Diese Formel verhindert einerseits, die Landschaft und die Landkarte zu verwechseln, andererseits hĂ€lt sie den Beobachter aber weiterhin in einem ontologischen Raster gefangen, da die Unterstellung mitlĂ€uft, dass man doch auf irgendeine (andere) Weise an die Landschaft herankommen könnte.109
Von daher ist diese Formel durch ihr Gegenteil abzulösen, sodass konstruktivistisch formuliert werden kann: The map is the territory. Oder noch stringenter: The map makes the territory, denn die Landschaft wird erst durch eine Landkarte zu dieser bestimmten Landschaft – auf der Landkarte. Dies gilt desto mehr, insofern wir sowohl im Hinblick auf die Landschaften als auch auf die Landkarten nichts anderes als Landkarten haben. Erneut mit Heinz von Foerster gesagt:
„Meine Damen und Herren, the map is the territory, die Landkarte ist das Land, wir haben ja nur maps und nichts anderes. In dem Moment, in dem wir in scheinbarer Klarheit ein Drinnen und ein Draußen unterscheiden, sind wir schon auf dem Holzweg. Wir sehen nur das, was wir sehen.“110
Hiervon ist im folgenden – auf je eigene Weise – sowohl fĂŒr die Wahrnehmung bzw. das Bewusstsein als auch fĂŒr die Kommunikation auszugehen. Schon der Blick in die Landschaft, etwa wenn man durch den Harz wandert oder auf einer Straße in Hannover unterwegs ist, bringt eine innere Landkarte, eine bewusstseinsbezogene map hervor. Und sobald man beginnt, diese Landkarte auf das Papier zu bringen, wird erneut eine andere, nun kommunikative, auch fĂŒr andere beobachtbare Landkarte daraus – und diese Landkarte stellt die Landschaft dar, wie sie diese (eben) darstellt.
Heinz von Foerster hat die Formel ,The map is the territory‘ daher durch eine weitere, interne Unterscheidung ergĂ€nzt, die an die Stelle der bisherigen Unterscheidung von Landkarte und Landschaft, von map und territory tritt, indem er vom Unterschied zwischen der Speisekarte und der Speise bzw. der gedruckten und der essbaren Suppe ausgeht und dann folgert:
„[
] aber das heißt nun nicht, daß eine derartige implizit realistische Unterscheidung zwischen map und territory aufrecht erhalten werden muß. Ich wĂŒrde sagen: The map of the map is not the map of the territory. Damit ist eine Möglichkeit geschaffen, zwischen zwei Vorstellungswelten zu unterscheiden, ohne auf die RealitĂ€t und auf ein vermeintlich unabhĂ€ngiges Draußen zu verweisen, das die Basis der Differenzierung ist. Die beiden maps, die beiden Landkarten sind verschieden, aber das ist etwas ganz anderes als die Rede von der Landkarte und dem Land.“111
3. Ein drittes Beispiel ist an dieser Stelle vorerst nur anzudeuten, da wir es im weiteren Verlauf unseres Textes wieder aufgreifen. Es bezieht sich auf die Welt sozialer Systeme, fĂŒr die als Beispiel das besondere Interaktionssystem der Familie stehen mag. Auch dafĂŒr wird – hier bereits paradox formuliert – gelten mĂŒssen: Die Beschreibung der Familie ist nicht die Familie, sondern: Die Beschreibung der Familie ist die Familie.

1.2 Kommunikation

Damit kommen wir zu einem ersten begrifflich gefassten Abschnitt und beginnen mit der Kommunikation. In diesem Moment und an dieser Stelle findet Kommunikation statt. Es steht geschrieben und wird gelesen. Es kann verstanden – oder nicht verstanden – und damit kommunikativ angeschlossen – oder nicht angeschlossen – werden. Dies, und darauf wollen wir uns hier beschrĂ€nken, geschieht vornehmlich im Medium der Sprache bzw. deren Verschriftlichung in sprachlich gefassten Texten.
Dabei gilt: Alles, was kommunikativ passiert, passiert als Unterscheidung bzw. in Unterscheidungen. Sobald ein erster Satz geschrieben ist, werden durch (bestimmte) Bezeichnungen implizit Unterscheidungen aufgerufen, die das, was gesagt wird, von dem unterscheiden, was nicht gesagt wird. Oder es werden explizit Unterscheidungen eingefĂŒhrt, die das, was sie unterscheiden, zugleich von dem unterscheiden, was sie nicht unterscheiden. Es ist folglich nicht zu umgehen, dass man sich, unabhĂ€ngig davon, mit welcher Bezeichnung oder Unterscheidung man beginnt, sogleich mittendrin befindet – und dann sehen muss, was man damit anfangen oder wie man da wieder herauskommen kann.
Im ersten Satz dieses Abschnitts kommt das Wort ,Kommunikation‘ vor. Dieses Wort macht an sich noch keinen Sinn, wenn es denn nicht von einem anderen Wort unterschieden wird. In diesem Falle wurde im ersten Satz noch keine Unterscheidung benannt, aber wir können dies nun nachholen. Dann wird sogleich deutlich, dass es mehrere Möglichkeiten gibt, das Wort Kommunikation sinnhaft zu verorten, etwa durch die Unterscheidung von Kommunikation und Bewusstsein oder durch die Unterscheidung von Kommunikation und Musik oder auch durch die Unterscheidung von Kommunikation und Wirklichkeit usw. usf. Wir können daher festhalten: Insofern bei einer impliziten Unterscheidung die Gegenseite des genannten Wortes nicht genannt wird, kann oder wird die Kommunikation dies frĂŒher oder spĂ€ter nachholen. Wenn beispielsweise die Unterscheidung von Kommunikation und Bewusstsein beansprucht wird, wird sich im weiteren Verlauf herausstellen, auf welcher der beiden Seiten die Operationen anschließen. In diesem Falle schließen wir ausdrĂŒcklich auf der Seite ,Kommunikation‘ an und werden im weiteren ĂŒber Kommunikation und nicht ĂŒber Bewusstsein sprechen. Dies bedeutet zugleich, dass sich die wiederum daran anschließenden Unterscheidungen auf Kommunikation und nicht auf Bewusstsein beziehen.112
Aus dem Gesagten wird deutlich, dass derlei sinnhaft getroffene Unterscheidungen nicht in der ,Wirklichkeit‘ vorliegen, sondern dass sie ,die‘ oder ,eine‘ Wirklichkeit als solche erst hervorbringen, genauer gesagt: Kommunikative Unterscheidungen bringen die Wirklichkeit (sprachlich) sinnhaft hervor.113 Wir zitieren:
„Die am tiefsten eingreifende, fĂŒr das VerstĂ€ndnis des Folgenden unentbehrliche Umstellung liegt darin, daß nicht mehr von Objekten die Rede ist, sondern von Unterscheidungen, und ferner: daß Unterscheidungen nicht als vorhandene Sachverhalte (Unterschiede) begriffen werden können, sondern daß sie auf eine Aufforderung zurĂŒckgehen, sie zu vollziehen, weil man anderenfalls nichts bezeichnen könnte, also nichts zu beobachten bekĂ€me, also nichts fortsetzen könnte. Man kann dies mit Hilfe des Formbegriffs verdeutlichen, den George Spencer Brown seinen »Laws of Form« zu Grunde legt. Formen sind danach nicht lĂ€nger als (mehr oder weniger schöne) Gestalten zu sehen, sondern als Grenzlinien, als Markierungen einer Differenz, die dazu zwingt, klarzustellen, welche Seite man bezeichnet, das heißt: auf welcher Seite der Form man sich befindet und wo man dementsprechend fĂŒr weitere Operationen anzusetzen hat. Die andere Seite der Grenzlinie (der »Form«) ist gleichzeitig mitgegeben. Jede Seite der Form ist die andere Seite der anderen Seite. Keine Seite ist etwas fĂŒr sich selbst. Man aktualisiert sie nur dadurch, daß man sie, und nicht die andere, bezeichnet. In diesem Sinne ist Form entfaltete Selbstreferenz, und zwar zeitlich entfaltete Selbstreferenz. Denn man hat immer von der jeweils bezeichneten Seite auszugehen und braucht die Zeit fĂŒr eine weitere Operation, um auf der bezeichneten Seite zu bleiben oder die formkonstituierende Grenze zu kreuzen.“114
Zugleich ist selbstverstĂ€ndlich jede Kommunikation wirklich, denn sie findet ja statt, sie wird vollzogen, sie lĂ€uft vor sich hin – oder wie auch immer. Wenn also Kommunikation ablĂ€uft, haben wir das Paradox vorliegen, dass die kommunikative RealitĂ€t der Konstruktion als sinnhafte Konstruktion der RealitĂ€t vorliegt.
Diese grundlegende Paradoxie der wirklichen Konstruktion von Wirklichkeit durch (die) Kommunikation ist eine andere Formulierung fĂŒr die Einsicht, dass die Wirklichkeit in der Wirklichkeit konstruiert wird, etwa mittels (einer) Sprache, die wirklich gesprochen oder geschrieben wird. Die (heuristische) Leitfrage, die es dann zu beantworten gilt, lautet: Wie wird die Wirklichkeit wirklich in der Wirklichkeit (als Wirklichkeit) beschrieben? Die Antwort kann offenbar nur lauten: wirklich, im Vollzug, operativ. Wir zitieren:
„Wir optieren damit, hier wie auch in der Erkenntnistheorie115, fĂŒr operativen Konstruktivismus. Konstruktivistische Theorien behaupten, daß kognitive Systeme nicht in der Lage sind, zwischen Bedingungen der Existenz von Realobjekten und...

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