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Maschinenwahn
Teil 1 der Maschinen-Trilogie
Carmen Capiti
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Maschinenwahn
Teil 1 der Maschinen-Trilogie
Carmen Capiti
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Eine betäubte Frau landet auf dem Behandlungstisch von Sams illegaler Arztpraxis. Sein Auftrag lautet, ihren Körper durch zahlreiche Cyberprothesen zu modifizieren. Doch mitten in der OP erwacht die Frau aus ihrer Narkose und flieht. Sams Klient zeigt nun sein wahres Gesicht: Sollte er die Unbekannte nicht wiederfinden und seinen Auftrag zu Ende führen, droht ihm der Tod. Eine mörderische Hetzjagd beginnt. Was zählt ein Menschenleben in einer Welt des Maschinenwahns?Der packende Auftakt zur Maschinen-Trilogie!
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Information
1. KAPITEL
Gewohnheitsgemäß wischte Samuel die kurze Klinge am weißen Laken
ab, während er seinen Blick über den Körper auf dem Tisch vor ihm
wandern ließ. Ab und zu dachte er daran, Augenblicke wie diese auf
Fotos zu bannen und eine Sammlung anzulegen. Wenn ihn abends die
Langeweile plagte, könnte er sie hervorholen und sich damit
ablenken. Aber er wusste, dass er in echte Schwierigkeiten geraten
würde, sollten die Bilder in falsche Hände geraten.
Nicht immer gelangen ihm Meisterwerke wie heute. Das lag mitunter
daran, dass er nur selten mit hervorragendem Material wie diesem
arbeiten durfte. Samuel trat um den Tisch herum und ging am
Kopfende in die Hocke, um sein Kinn neben dem Gesicht der
Zwanzigjährigen zu platzieren. Ihre halblangen dunklen Haare
kitzelten an seinem Ohr, doch er ignorierte es. Aus dieser
Perspektive war es perfekt. Ihr regloser, in ein weißes Hemd
gehüllter Körper schien vollkommen, doch Sam wusste es besser.
Nur mit Mühe riss er sich von den vereinzelten roten Bluttupfern
auf dem Gewand los und betrachtete die langen nackten Beine. Sie
ergänzten sich einwandfrei und sahen aus, als seien sie schon seit
Jahren nebeneinander hergegangen.
Wenn bloß ihre Brüste nicht wären, dann könnte ich die Stelle
sehen, wo …
Sam schoss in die Höhe und schüttelte abrupt den Kopf. Er durfte
sich nicht immer so in seiner Arbeit verlieren. Während er einen
scheuen Blick auf das Gesicht der Frau warf, kaute er nervös an
seiner Unterlippe herum. Seine Patientin war noch betäubt und Sam
hoffte, dass sie noch tief genug schlief, um nichts von ihrem
aufdringlichen Arzt mitzubekommen.
Als er wieder stand, konnte er die feine Naht am rechten
Oberschenkel sehen und ein stolzes Lächeln umspielte seine Lippen.
Eine wirklich gute Arbeit. Und das Bein Ich will nicht wissen,
wie viel es gekostet hat. Genaugenommen wusste er, wie viel es
gekostet hatte, immerhin hatte er es selbst auf dem Schwarzmarkt
besorgt. Aber er hatte keine Ahnung, wie viel eines frisch aus der
Fabrik kostete. Es war makelloses Material. Zum einen hoch
funktional mit der neuesten Cyberware ausgestattet und zum anderen
so naturgetreu, dass er zuerst dachte, er halte ein menschliches
Bein in den Händen.
Vergnügt trat er durch die Sterilisationskammer, streifte die
Latexhandschuhe und Atemmaske ab und setzte sich an den Computer.
Seine Finger glitten über die projizierte Tastatur, als er den
Bericht fertigstellte und in Gedanken die Coins zählte, die er für
den Auftrag erhalten würde. Zuerst musste aber das echte Bein aus
dem Gefrierschrank verschwinden.
Er wandte den Blick auf die Frau hinter den durchsichtigen
Plexiglaswänden. Sie war jung und das Bein im Schrank unversehrt.
Sam schüttelte den Gedanken ab. Es gab eine Menge Gründe seine
Körperteile durch Cyberware zu ersetzen. Dass die Regierung diese
Meinung nicht teilte, war nicht sein Problem. Abgesehen davon, dass
seine Arbeit deshalb als illegal galt. Das hielt Sam aber nicht ab,
das Geld mit all den wohlhabenden Leuten zu verdienen, die auf
künstliche Gliedmaßen oder Organe versessen waren. Arbeiterschutz
und all die sonstigen Argumente dagegen konnten ihm dabei herzlich
egal sein. Falsch. Sie mussten ihm sogar egal sein, damit er sich
bei seiner Arbeit nicht selbst im Weg stand.
Zwei Stunden später holte ein Mann in einem dunklen Anzug das
Mädchen ab. Sam überreichte ihm den Bericht und löschte diesen von
seinem Speicher, nachdem er die Bestätigung der Bezahlung erhalten
hatte. Er fragte sich ein weiteres Mal, wie der Vater des Mädchens
darauf gekommen war, ausgerechnet Sam zu wählen. Sein Ruf war nicht
schlecht. Vielmehr war er inexistent. Die Reichen und Schönen von
Zürich empfahlen sich gegenseitig andere Chirurgen, die es mit dem
Gesetz nicht so genau nahmen und Sam blieben die unsauberen
Arbeiten mit minderwertigerem Material. Andererseits bedeutete ein
unbekannter Arzt, wie er einer war, auch mehr Diskretion. Wenn
Samuel ehrlich war, spielte es keine Rolle. Für ihn war es so oder
so nur ein Job, mit dem er sich über Wasser hielt. Wobei er nicht
abstreiten konnte, dass der handwerkliche Aspekt ihn nach wie vor
begeisterte.
Plötzlich spürte er ein Ziehen im rechten Bein und stöhnte. Dabei
fiel sein Blick verstohlen auf einen der Medizinschränke.
»Nein«, sagte er zu sich selbst. »Heute gewinnst du nicht.«
Er rieb mit der Handfläche über das schmerzende Knie, bevor ihn ein
heller Klang aus den Gedanken riss. Er setzte sich an den Computer
und akzeptierte den Telefonanruf auf seiner Geschäftsleitung. Die
Videoübertragung war deaktiviert und offenbar kam ein
Stimmenverzerrer zum Einsatz. Weder dies noch die Tatsache, dass
der Anruf anonym reinkam, war etwas Neues.
»Doktor Meyer?«, fragte die tiefe Stimme.
»Was kann ich für Sie tun?«
»Ich habe eine Patientin für Sie. Eine Liste mit den gewünschten
Modifikationen wurde Ihnen soeben zugesandt.«
Sam öffnete das Dokument, das gerade eingegangen war. Anscheinend
beanspruchte sein Kunde nicht das erste Mal einen Arzt wie ihn.
Zumindest redete er nicht lange um den heißen Brei und wusste, wie
die Sache ablief. Als sich die Liste auf dem Bildschirm öffnete,
wurde Sams Hals trocken und er riss die Augen auf.
»Doktor?«, fragte die Stimme.
Sam räusperte sich und setzte sich gerade hin, auch wenn sein Kunde
ihn nicht sehen konnte.
»Das ist eine ganze Menge.«
»Korrekt.«
Sein Blick schweifte über die Einzelheiten und die
Typenbezeichnungen der einzelnen verlangten Cyberware-Module. Alles
robuste Ware und neueste High-Tech, die nicht einmal im Ansatz als
menschliches Körperteil getarnt war. Vor Sams Auge bildete sich das
Bild einer Person, die kaum noch als Mensch erkennbar war. Ein
Cyborg, wie sie heute inoffiziell genannt wurden. Bei dem Gedanken
verkrampfte sich sein Magen.
»Es wird eine Weile dauern, bis die Ware besorgt ist.« Er konnte
den Skrupel in seiner eigenen Stimme hören.
»200.000«, lautete die knappe Antwort.
»Wie bitte?«
»200.000 Coins für eine saubere und diskrete Erledigung der
Arbeit.«
Nun verlor Sam jegliche Haltung und rutschte beinahe vom Stuhl. Mit
der Hand wischte er sich den plötzlich austretenden Schweiß vom
kahlrasierten Schädel. Seine Gedanken rasten, als er versuchte, die
ungefähren Kosten für die Cyberware zusammenzurechnen und sie dann
von der angebotenen Summe abzog. Es bliebe immer noch genug Geld,
dass er sich ein halbes Jahr ohne Aufträge durchbringen könnte. Er
ballte seine Hände zu Fäusten und öffnete sie wieder. Diesen
Vorgang wiederholte er dreimal, bevor er sich zutraute, ohne
Zittern in der Stimme zu antworten.
»Ich brauche drei Monate, um die Ware zu besorgen.«
»Sie haben zwei.«
Sein Kunde hörte sich nicht an, als wäre dies ein diskutierbarer
Vorschlag. Sam nickte und sein virtuelles Gegenüber musste das
Schweigen wohl als Zustimmung deuten.
»Die Akte wird Ihnen zugesandt. Sie erhalten zu einem späteren
Zeitpunkt genaue Angaben zur Operation.«
»Danke«, sagte Sam, doch der Kunde hatte die Verbindung bereits
unterbrochen.
Wieder machte ihn sein Computer auf eine neue Datei aufmerksam,
doch vielmehr bannte die Angabe rechts oben im Bildschirm Sams
Blick. Sein Kontostand war soeben um 100.000 Coins angestiegen.
Obwohl der Schmerz in seinem Bein vergessen war und er seine
zitternden Hände mit drei weiteren Faustbewegungen beruhigte,
sprang Sam auf und öffnete den Wandschrank. Er packte die Dose, die
zuvorderst auf dem Regal stand, schüttelte zwei der Pillen in die
Handfläche und schluckte sie ohne Wasser herunter.
2. KAPITEL
Die Cyberware in der kurzen Zeit zu besorgen, hatte sich als nicht gerade einfach herausgestellt. Sam wusste, dass er für einiges davon mehr bezahlt hatte, als er hätte aushandeln können. Es blieb aber immer noch eine Menge Coins aus der Vorauszahlung übrig, sodass er dem Geld nur wenig nachtrauerte.
Am Morgen vor der Operation blätterte er ein weiteres Mal die Akte der Frau durch, die all diese Kostbarkeiten erhalten sollte. Viele Dinge, vor allem über ihre Person, waren geschwärzt und auch sonst war das Dokument nicht sehr informativ. Natürlich konnte er alles entnehmen, was er brauchte: Blutgruppe, Krankheiten, bisherige Operationen und so weiter. Was ihn die Augenbrauen zusammenziehen ließ, während er über die Angaben scrollte, war, dass diese 35 Jahre alte Frau bisher noch keinerlei Cyberware in sich trug. Eine Tatsache, die Sams Skrupel entfachten. Menschen reagierten unterschiedlich auf neue fremde Körperteile. Einige brauchten minimale Zeit, um sich daran zu gewöhnen, für andere bedeutete es eine massive psychische Belastung. Es gab solche, die irre wurden und versuchten, sich den Fremdkörper gewaltvoll zu entfernen. Ein weiterer Grund, warum die Regierung kein Unterstützer von derartigen Veränderungen an einem eigentlich gesunden Körper war. Seine Patientin schien jedoch in guter Verfassung zu sein. Außerdem war er nicht ihr Leibarzt, sondern erledigte bloß einen Auftrag und fertig. Er hatte keinen seiner Kunden je wieder gesehen und das würde auch mit ihr der Fall sein.
Drei kraftvolle Klopfer an der Tür brachten Sam ins Hier und Jetzt zurück. Er strich den Ärztekittel glatt, fuhr sich noch einmal über den Backenbart und öffnete. Ein Mann in einem bodenlangen grauen Mantel trat mit schnellen Schritten ein und rauschte an Sam vorbei. Ihm folgten vier Männer, die eine Liege zwischen sich trugen. Darauf, unter einem weißen Tuch, lag zweifelsfrei ein regloser Körper.
Sam beobachtete schweigend, wie sich der enge Vorraum seines Operationssaals füllte, bis der erste Mann vor ihn trat. Er war deutlich kleiner als Sam und von japanischer Abstammung, soweit er das anhand seiner Gesichtszüge einschätzen konnte. Die schwarzen langen Haare trug er in einem Knoten auf dem Kopf und erst als er den hochstehenden Kragen des Mantels ablegte, konnte Sam sein ganzes Gesicht sehen. Unschön verwachsene Verbrennungsnarben zierten seine linke Gesichtshälfte und in den Augen blitzte Cyberware. Diese musste erstklassiges Material sein, denn sie war nur schwer zu erkennen, aber für einen Profi wie Sam trotzdem durchschaubar.
»Wir vertrauen auf Ihr Können, Doktor«, sprach der Mann leise und sein Blick verriet, dass er keine Komplikationen duldete. Der Kloß in Sams Hals wurde größer. Er überragte den Mann um einen guten Kopf, doch er verspürte keinerlei Lust sich mit ihm anzulegen. Er nickte und deutete auf den Körper auf dem Tisch. »Sie wurde bereits narkotisiert?«
»Nur sediert. Normales Schlafmittel.«
Ein kaum merkliches Lächeln trat auf die dünnen Lippen des Japaners und er berührte Sam sanft am Arm.
»Keine Angst, Doktor. Sie weiß von der Operation und hat eingewilligt. Sie wollte nur nicht bei vollem Bewusstsein hierhergebracht werden.«
Sam stand es in keiner Weise danach, hier genauer nachzufragen. Mit einem Fingerschnippen des Japaners trat ein Mann nach dem anderen aus dem Zimmerchen nach draußen. Ihr Boss folgte ihnen schweigend und Sam blieb alleine mit der Patientin zurück.
Er schüttelte die unangenehme Begegnung von sich und zog sich um, bevor er mit der Rollbahre in die Sterilisationskammer trat. Entkeimt trat er dann in den Operationsbereich, wo er zuerst eine Weile damit beschäftigt war, all seine Hilfsapparate in Stellung zu bringen. Alleine zu operieren, war keine einfache Aufgabe. Einen Assistenten konnte sich Sam jedoch nicht leisten. Immerhin war die Technik so weit, dass die meisten unterstützenden Tätigkeiten von Maschinen übernommen wurden.
Sam schwenkte den Blick über das bereitliegende Besteck, welches ihm ein sprachgesteuerter Arm reichen konnte und überprüfte die Monitore. Dann faltete er das leichte Tuch über seiner Patientin zurück und legte den Kopf der Frau bis zu den Schultern frei. Feuerrotes Haar kam zum Vorschein, in der Mitte gescheitelt, links kurz geschoren und rechts bis zu ihrem Kinn reichend. Die Farbe leuchtete beinahe grell in Kontrast zu ihrem blassen Gesicht.
Sam atmete noch einmal tief durch und begann mit den Vorbereitungen. Er legte der Frau eine Gesichtsmaske auf, um die Sauerstoffzufuhr zu erhöhen. Dann rollte er die Decke an ihrer rechten Körperhälfte zur Seite und desinfizierte ihren Arm, bevor er einen Katheter und die notwendigen Infusionen anhängte. Als er die Kanüle in die Vene schob, stöhnte die Frau kurz auf und verzog das Gesicht. Sachte spritzte Sam das Narkosemittel ein und wartete, bis sie in einen traumlosen Schlaf sank. Nachdem er die Atemmaske entfernt hatte, führte er den Trachealtubus durch ihren Mund ein und warf einen Blick auf den Prüfmonitor. Die Werte waren in Ordnung und offensichtlich befand sich die Frau bereits in Vollnarkose.
»Legen wir los, Sara«, sagte er dann, mehr zu sich selbst.
Ihr Name war auf den Unterlagen geschwärzt gewesen, doch Sam mochte es, während der Operationen mit seinen Patienten zu sprechen. Und für ihn sah sie wie eine Sara aus. Bevor er das Skalpell das erste von vielen Malen ansetzte, untersuchte er ihren Körper. Er tastete die Beine und Arme ab, drückte gegen die Bauchwand und Brust und befühlte schlussendlich ihr Gesicht. Die Akte stimmte. Kein einziges Stück Cyberware. An ihrer linken Schläfe befand sich immerhin ein ConnectGear für den Zugang zur virtuellen Realität – ein schmales, kupferfarbenes Metallplättchen direkt unter der Haut. Der Körper der Frau war durchtrainiert und Sam zweifelte keine Sekunde lang, dass sie ihn mit einem Schlag ihrer muskulösen Arme niederstrecken könnte. Ein gesunder, gestählter Körper. Und Sam würde ihn Stück für Stück auseinandernehmen.
Er hatte seine Favoriten, wenn es darum ging, Cyberprothesen anzubringen. Menschliche Augen zu ersetzen, gehörte definitiv nicht dazu und aus diesem Grund wollte er dies als Erstes hinter sich br...