Der Spieler und seine Frau
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Der Spieler und seine Frau

Fjodor Dostojewski, seine Frau und die Glücksspielsucht

Bert Kellermann, Paul Kellermann, Paul Kellermann

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Der Spieler und seine Frau

Fjodor Dostojewski, seine Frau und die Glücksspielsucht

Bert Kellermann, Paul Kellermann, Paul Kellermann

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Das Manuskript wurde in der Absicht verfasst, aufklärend und eindringlich auf die Leidenschaft und Leiden der Glücksspielsucht aufmerksam zu machen. Zur Aufklärung gehören die ärztlichen Kommentare, zur Eindringlichkeit Zitate aus Dostojewskis Romanen und seinen langen (Bettel-)Briefen, aber vor allem die Auswahl der ausführlichen literarischen Aufzeichnungen von Anna, Dostojewskis Frau, in ihren "Lebenserinnerungen" und ihrem "Tagebuch". Diese Schrift ist kein akademisch-trockenes Werk – eher ein einfühlsamer dokumentierter Bericht über einen tragischen Zustand von tiefer Liebe und süchtiger Verlorenheit.

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Information

Year
2016
ISBN
9783741203107

Dostojewski und seine Frau in Baden-Baden

Nachdem Ende Juni 1867 eine größere Geldsendung eingetroffen war, konnten Dostojewski und seine Frau Dresden verlassen und nach Baden-Baden weiterreisen. Dort blieben sie beinahe sechs Wochen, länger als geplant, vom 4. Juli bis zum 23. August 1867. Sein Motiv: sowohl in einem Casino-Ort („in einer Roulettestadt“) als auch mit ihr zusammen zu sein. In Baden-Baden bekommt Anna nun unmittelbar mit, wie Dostojewski spielt. Bei den vorherigen Spielerlebnissen war Dostojewski allein. Nach Baden-Baden fuhren auch andere berühmte russische Schriftsteller: Gogol, Tolstoi, Turgenjew, Gontscharow (der Autor des Romans „Oblomow“).
Während der sechs Wochen im Sommer 1867 in Baden-Baden berichtet Anna Dostojewskaja in ihren später geschriebenen „Lebenserinnerungen“:
„(…) Als wir endlich beschlossen hatten, nach Eintreffen des Geldes Baden-Baden aufzusuchen, beruhigte sich F. M. sichtlich und widmete sich der letzten Ausfeilung und Beendigung seiner Arbeit, die ihm bisher nicht hatte gelingen wollen. (…) Ende Juni erhielten wir von der Redaktion des ‚Russki Wjesmik‘ Geld und machten uns sofort reisefertig. Ich verließ Dresden, wo ich so gut und glücklich gelebt hatte, mit aufrichtigem Bedauern und ahnte dunkel, dass sich unter den neuen Umständen vieles ändern würde. Meine Vorahnungen bestätigten sich: Wenn ich an die in Baden-Baden verbrachten fünf Wochen zurückdenke und die Aufzeichnungen in meinem Stenogramm-Tagebuch noch einmal lese, gewinne ich die Überzeugung, dass dies etwas Furchtbares war, das meinen Mann ganz in seine Gewalt gebracht hat und ihn nicht aus seinen schweren Ketten entließ.
Alle Überlegungen Fjodor Michailowitschs bezüglich der Möglichkeit, beim Roulettespiel zu gewinnen, waren bei seiner Spielmethode richtig und hätten zum vollen Erfolg führen können, falls ein kaltblütiger Engländer oder Deutscher diese Methode anwandte, nicht aber ein so leidenschaftliches und in allem bis zum Äußersten gehendes Nervenbündel wie mein Mann. Außer Kaltblütigkeit und Ausdauer muss ein Roulettespieler jedoch beträchtliche Mittel besitzen, um ungünstige Spielchancen überstehen zu können. Und daran mangelte es Fjodor Michailowitsch. Wir hatten verhältnismäßig wenig Geld und keinerlei Möglichkeit, im Falle eines Misserfolgs welches zu bekommen. Innerhalb einer knappen Woche hatte Fjodor Michailowitsch alles Bargeld verspielt, und nun begannen die Aufregungen, woher neues beschaffen, um weiterspielen zu können. Man musste Sachen versetzen. Aber auch jetzt konnte mein Mann nicht an sich halten und verspielte mitunter alles, was er soeben für einen versetzten Gegenstand erhalten hatte. Bisweilen verspielte er beinahe den letzten Taler, plötzlich war das Glück wieder auf seiner Seite, und er brachte einige Dutzend Friedrichsdor nach Hause. Ich erinnere mich, wie er einmal eine prall gefüllte Geldbörse brachte, in der ich zweihundert-zwölf Friedrichsdor (jeder zwanzig Taler wert) zählte, das heißt, etwa viertausenddreihundert Taler. Doch dieses Geld blieb nicht lange in unseren Händen. Fjodor Michailowitsch konnte sich nicht beherrschen: Er hatte sich nach der Aufregung des Spiels noch nicht beruhigt, als er zwanzig Geldstücke nahm und sie verspielte, die nächsten zwanzig holte, sie auch verspielte, und so verlor er im Laufe von zwei, drei Stunden, in denen er mehrere Male Geld holte, schließlich alles wieder. Erneut folgten Verpfändungen, aber da wir wenig wertvolle Dinge besaßen, versiegten diese Quellen bald. Indessen wuchsen die Schulden und wurden spürbar, da wir bei der Wohnungswirtin Schulden machen mussten, einer zänkischen Frau, die, als sie uns in Schwierigkeiten sah, sich nicht genierte, uns gegenüber nachlässig zu werden und uns verschiedener Bequemlichkeiten zu berauben, auf die wir laut Vereinbarung Anspruch hatten. Briefe an meine Mutter wurden geschrieben, mit brennender Ungeduld warteten wir auf Geldsendungen, doch dieses Geld ging am selben oder am nächsten Tag beim Spiel drauf. Wir waren allenfalls dazu gekommen, einen Teil der dringendsten Schulden (für Wohnung, Mittagessen und anderes) zu bezahlen, saßen wieder ohne Geld da und grübelten, was wir unternehmen könnten, um einen gewissen Betrag zu erhalten, die Schulden zu begleichen und, ohne noch an Gewinn zu denken, endlich dieser Hölle zu entrinnen.
Ich muss sagen, dass ich diese ‚Schicksalsschläge‘, die wir uns freiwillig beibrachten, äußerst gelassen hinnahm. Einige Zeit nach unseren anfänglichen Verlusten und Aufregungen hatte ich die feste Überzeugung gewonnen, dass Fjodor Michailowitsch nie gewinnen werde, das heißt vielleicht schon gewinnen, möglicherweise sogar eine große Summe, diese Summe jedoch am selben Tag (oder spätestens am nächsten) verspielt sein wird und keinerlei Bitten, Überzeugungsversuche, Beschwörungen meinerseits, nicht zum Roulette zu gehen, das Spiel nicht fortzusetzen, ihn davon abbringen werden.“
Wesentlich mehr über diese Reise nach Baden-Baden und ihre Erlebnisse dort – sie litt damals unter Schwangerschaftsbeschwerden, insbesondere an Übelkeit und Erbrechen – schrieb Anna in ihrem in Stenografie geführten Tagebuch. Dies ist ein erschütterndes Dokument, aus dem sich unmittelbar und eindringlich miterleben lässt, wie ein süchtig gewordener Mensch seiner Sucht total ausgeliefert ist und wie sehr seine Nächsten leiden, hier seine junge Frau. Dostojewski kam offensichtlich nicht los vom Roulette, trotz aller schlechten Erfahrungen, trotz aller bestimmt ehrlich gemeinten Vorsätze.
„Sonntag den 11./23. Juni 1867
(…) Überhaupt neckte er mich ständig. (…) Ich vergaß: Neulich rechneten wir aus, was wir tun würden, wenn Fedja zwanzigtausend Rubel hätte: viertausend wären für Schulden, dreitausend abermals für Schulden, dann noch einmal viertausend für Schulden; Pascha erhielte zweitausend, Emilia Fjodorowna und Fedja dreitausend, dann blieben uns viertausend zum Leben für ein ganzes Jahr. Das wäre sehr schön. Hätte er hunderttausend Rubel, dann bekäme Pascha zehntausend, Emilia Fjodorowna fünfzehntausend (…) und schließlich dachte er auch an mich und sagte, für mich blieben fünfzehntausend übrig. Das habe ich verdient, da kann niemand etwas dagegen sagen. Sollte ich einmal gewinnen, dann beschloss ich, ihm natürlich das Geld nicht zu geben, weil er es zu schnell verschleudern würde. (…) Dann, als das leidenschaftliche Gute-Nacht-Wünschen begann, sagte er mir, ich sei vom Himmel gesandt und sei so gut, er schätze mich hoch, einer solchen Frau sei er bisher noch nie begegnet, vor unserer Heirat habe er mich nicht halb so geliebt wie jetzt. Ich sei zwar immer gut gewesen, aber jetzt erst sehe er, wie groß meine Güte und dass ich sein einziger wirklicher Freund sei. Jetzt liebt er mich täglich mehr!“
Seine gute Laune und Liebenswürdigkeit beruhen möglicherweise hauptsächlich auf seiner Vorfreude auf das Roulettespiel. Nach den leidensvollen Erfahrungen in den letzten Wochen genoss die junge Frau diese guten Tage bestimmt sehr. Skeptiker würden anmerken: „Spieler spielen auch mit Menschen!“ Keinesfalls darf man dieses Wortspiel als wissenschaftlich abgesichert ansehen. Es trifft sicherlich auf manche Suchtkranke zu, dass sie ihre Bezugspersonen manipulieren. Skepsis ist berechtigt, jedoch nicht unbedingtes Misstrauen.
„Mittwoch, den 14./26. Juni 1867
Heute Morgen schrieb ich einen Brief an meine Familie, in dem ich sie um Geld oder mein Armband bat. Das machte mich so unglücklich, dass ich heftig zu weinen begann und trotz allen Bemühens nicht aufhören konnte. Ich war so unglücklich (…)“
„Sonntag, den 18./30. Juni 1867
(…) Später gingen wir zur Post, wo wir den Brief mit dem Wechsel von Wilken, dem Petersburger Bankier, auf die Summe von 460 Talern erhielten. Wir freuten uns sehr, weil es uns damit möglich ist, Dresden zu verlassen.“
Aus dem Tagebuch geht nicht hervor, wie und warum sie sich entschlossen haben, nach Baden-Baden weiter zu reisen. Aber aus den Lebenserinnerungen seiner Frau wissen wir, dass Dostojewski seine bisherigen Spielverluste auf die kurzen Aufenthalte in den Casino-Städten zurückführte und von dem Gedanken beherrscht war, durch einen mehrwöchigen Aufenthalt das Glück in die Knie zu zwingen:
„Freilich, auch bei den früheren Fahrten zum Roulette sei er nur zwei bis drei Tage geblieben und habe immer mit geringen Beträgen gespielt, mit denen einer Wendung des Spielerglücks schwer durchzuhalten war. Ja, wenn es gelänge, in eine Roulettestadt zu fahren und dort mit Erfolg zwei oder drei Wochen zu bleiben, ohne sich beeilen zu müssen, da hätte er die ruhige Spielmethode angewendet, bei der man unbedingt gewinnen müsse.“
Über ihre Einstellung dazu berichtet sie nichts, vermutlich war sie sehr ambivalent, behält jedoch ihre Angst verborgen.
„Montag, den 19. Juni/1. Juli 1867
(…) Dann gingen wir nach Hause und legten das Gold in den Beutel, der, längst vergessen, in der Tasche lag. Wir beschlossen, am Mittwoch abzureisen. Dann gingen wir essen und von da zum Bahnhof. Hier erfuhren wir, dass der Zug nach Baden-Baden (…).“
„Freitag, den 23. Juni/15. Juli 1867
(…) Wir tranken Tee und Kaffee, Fedja ging zum Spielcasino und nahm 15 Goldstücke und einige Taler mit. Aber er versprach, heute noch nicht zu spielen und vor allem nicht alles zu setzen. Ich blieb allein, begann meine Kleider auszupacken (…) Ich war sehr schlechter Stimmung, traurig, ich weiß nicht einmal, warum, einfach zum Verrücktwerden. Ich wollte niemanden sehen, nirgendwohin gehen, am liebsten wäre ich einfach im dunklen Zimmer liegengeblieben und den ganzen Tag nicht aufgestanden.
So vergingen drei Stunden, dann kam Fedja. Er hatte alles verspielt, was er mitgenommen hatte. Uns blieben noch genau 50 Goldstücke. Noch konnten wir leben. Ich zog mich an, und wir gingen zusammen zum Spielcasino, einem ziemlich großen Gebäude mit einem wunderschönen großen Saal in der Mitte und zwei Seitensälen Es wird Conversationshaus genannt. Endlich sehe ich einmal das Roulette, dachte ich, als ich den Saal betrat. Ich habe es mir allerdings wesentlich großartiger vorgestellt, als es sich mir jetzt präsentierte. An einem großen Tisch, in dessen Mitte sich das eigentliche Roulette befindet, sitzen sechs Croupiers, zwei an jeder Seite des Tisches, die das Geld ausgeben, und je einer am Ende des Tisches. Aber ich werde später das Roulette besser beschreiben. Heute sahen wir nur zu. Fedja schlug mir vor, ein Fünffrankenstück zu setzen. Ich setzte seinem Rat zufolge auf impair, es kam pair heraus, und ich verlor.
Dann begann Fedja zu spielen. Nach langem Spielen brachen wir auf und nahmen außer unserem Geld noch zwei Fünffrankenstücke mit. Wir gingen nach Hause essen. Fedja überlegte sich, er wolle unseren Gewinn in einer Socke aufbewahren und ihn nur anrühren, wenn wir unser ganzes Kapital verspielt hätten. Nach dem Essen begaben wir uns wieder ins Conversationshaus und tranken Kaffee, danach las Fedja die Zeitung. Dann gingen wir noch einmal in den Spielsaal. Das Glück schwankte lange, aber gegen zehn Uhr gingen wir doch mit einem Gewinn von 5 Franken nach Hause. Dieses Geld wurde wieder in die Socke getan.
Nachdem Fedja mich nach Hause begleitet ging er nochmals zum Roulettespiel. Aber nach einiger Zeit kehrte er heim und sagte, er habe alle fünf Goldstücke verspielt, und bat mich, ihm die sieben zu geben, die in der Socke waren. Außerdem bat er mich, den Tee zu bestellen, denn er wollte bald zurückkehren. Und wirklich, noch war keine halbe Stunde vergangen, als er heimkehrte und sagte, er habe alles verspielt. (….)
Wir legten uns schlafen. Fedja ist verzweifelt. Aber was soll man machen. Wir haben noch 45 Goldstücke.“ „Ich war sehr schlechter Stimmung, traurig, ich weiß nicht einmal, warum.“
Sie ahnt bestimmt, was ihr noch bevorsteht, und leidet wegen ihrer Ohnmacht. Und trotzdem macht sie mit; oder deswegen?
„Samstag, den 24. Juni/6. Juli 1867
Wir standen ziemlich früh auf, aber ich konnte nicht so schnell fortgehen, um die neue Wohnung anzuzahlen, weil mir so schlecht war, dass ich mich sogar einmal übergeben musste. (…) Ich fühlte mich den ganzen Tag furchtbar unwohl, immer wieder wurde mir übel, ich war ganz grün im Gesicht und hatte trübe Augen. In der neuen Wohnung legte ich mich sofort aufs Sofa und blieb fast den ganzen Tag liegen.
An Geld verloren wir noch 5 Goldstücke, so dass nur noch 40 übrig waren; Fedja nahm davon 10, um sein Glück noch einmal zu versuchen. Es blieben also 30 übrig. (…)
Dann ging Fedja fort, und ich schlief ein. Ich hatte, glaube ich, ziemlich lange geschlafen; als ich plötzlich die Augen öffnete, sah ich Fedja am Kopfende meines Bettes stehen. Er war furchtbar verstört. Mir war sofort klar, dass er wohl die 10 Goldstücke verspielt hatte. So war es auch. Ich beschwor ihn, nicht gleich zu verzweifeln, und fragte, ob ich ihm noch mehr Geld geben sollte. Er bat mich um weitere 5, die ich ihm sofort gab. Er dankte mir überschwänglich, als ob ich ihm eine Wohltat erwiesen hätte. (…)
Er versprach mir, so bald wie möglich zurückzukommen und verließ das Haus um vier Uhr; es wurde fünf, sechs, sieben Uhr, und er kam nicht. Das begann mich stark zu beunruhigen. (…) Ich lag noch immer auf dem Bett und schlief kaum, sondern wachte immer wieder auf, weinte und hatte furchtbare Sehnsucht. (…), aber es wurde neun, zehn Uhr, und er war immer noch nicht zurück. Ich stellte mir vor, er habe wahrscheinlich im Spielsaal einen Anfall gehabt und sei nicht in der Lage zu sagen, wo er wohne. Vielleicht lag er im Sterben, und ich würde nicht mehr rechtzeitig kommen, um von ihm Abschied zu nehmen. Diese Gedanken quälten mich so sehr, dass ich nicht mehr wusste, was ich tun sollte. Ich beschloss, wenn er bis elf Uhr nicht zurück sei, in den Spielsaal zu gehen und herauszufinden, ob ihm etwas zugestoßen sei.
Aber um elf Uhr kam Fedja und war ganz verstört. Er sagte mir, dass er sich die letzten drei Stunden ganz stark zu mir hingezogen gefühlt und einfach nicht gewusst habe, was er tun solle, weil er sich nicht vom Spiel habe losreißen können; dass er mit seinem Geld an die vierhundert Franken gewonnen habe, dass er aber noch mehr habe gewinnen wollen und sich nicht rechtzeitig vom Spiel losgerissen habe. Das quälte ihn sehr. Ich versuchte ihn zu trösten und sagte, das habe nichts zu bedeuten, das seien doch Kleinigkeiten, er solle sich nur beruhigen. Er bat mich um Verzeihung für Gott weiß was, sagte, er sei meiner nicht würdig, ich sei ein Engel, er aber ein Schuft. Ich konnte ihn nur mit Mühe trösten. Dann machte er sich auf, um Kerzen, Zucker und Kaffee zu holen. Als er zurückkam, fragte er, ob ich keine weiteren Aufträge für ihn habe, ob er noch etwas holen solle. Doch ich bat ihn, zu Hause zu bleiben.
Er war in furchtbarer Aufregung. Armer Fedja, wie leid tat er mir! (Ich vergaß zu erwähnen: An diesem Tag hatte er beschlossen, seinen alten Geldbeutel wegzuwerfen, da er ihm nur Unglück gebracht habe. Ich gab ihm einen Taler, mit dem er sich einen neuen kaufen sollte, außerdem noch einen Glückspfennig, den er, wie er sagte, als ersten in das neue Portemonnaie legte.) (…) Es gelang mir endlich, ihn etwas zu beruhigen. Er tat mir furchtbar leid, weil ihn das alles so aufregte. Ich fürchtete sogar, er würde einen Anfall bekommen.“
Trotz ihres schlechten Befindens tröstet sie ihn, statt er sie. Das ist ohne Zweifel großherzig, menschlich edel, doch nur im Moment hilfreich, auf längere Sicht jedoch schädlich: Ein Suchtkranker muss mit den negativen Konsequenzen seines süchtigen Verhaltens konfrontiert werden, zumal er zur Bagatellisierung und sogar Leugnung tendiert. Es muss ihm der Spiegel vorgehalten werden.
Zu dem Geldbeutel, der Unglück gebracht habe: Süchtig gewordene Glücksspieler tendieren zu Aberglauben. Dostojewski weist ein Zehn-Frankenstück zurück, weil es keine drei Taler ausmache und er nur mit drei Talern anfangen könne (Tagebuchnotiz vom 4.8./23.7.) Dann habe er aber schon „wiederholt“ die Beobachtung gemacht, dass er mit Talern noch nie gewonnen, sondern immer verloren habe (Tagebuch 23.7./11.7.). Viele haben ihre „Glückszahlen“, zu denen kaum jemals die „13“ gehört. Manche tragen immer wieder ein bestimmtes Kleidungsstück, wenn sie ins Casino gehen, weil sie darin schon einmal Glück gehabt hatten.
„Sonntag, den 25. Juni/7. Juli 1867
(…) Ich hatte noch 25 Goldstücke, aber Fedja hat sich heute wieder 5 genommen, so dass jetzt nur noch 20 übrig sind. (…)
Als er fortgegangen war, wurde ich sehr traurig: Ich war überzeugt, dass er das Geld sofort verspielen würde. Mir war unerträglich traurig zumute, ich weinte sogar mehrmals, es war zum Verrücktwerden. Schließlich kam er, ich frage ihn ganz kaltblütig: ‚Verspielt?‘ Er antwortete: ‚Ja‘ und war furchtbar verzweifelt, aber ich tröstete ihn, und dann umarmte er mich fest und sagte mir voll Rührung, dass er mich liebe, dass ich eine wunderbare Frau und er meiner nicht würdig sei.
Dann bat er mich, ihm wieder Geld zu geben. Ich antwortete, heute würde ich ihm keines mehr geben, vielleicht morgen wieder, heute aber um keinen Preis, denn er würde es wahrscheinlich doch wieder verlieren. Doch er flehte mich an, ihm wenigstens zwei Goldstücke zu geben, damit er wieder spielen gehen und sich beruhigen könne. Mir blieb nichts anderes übrig, als sie ihm zu geben. Er bat mich, ihn nicht für einen Schuft zu halten, der mir das letzte Stückchen Brot nimmt, um es zu verspielen. Ich bemühte mich, ihn zu beruhigen, versicherte ihm, dass ich ihn keineswegs so einschätzte und er frei sei zu verspielen, soviel er wolle.
Fedja ging fort, und ich weinte bitterlich. Er kehrte bald zurück und eröffnete mir, er habe alles verloren, so dass uns nur noch 18 Goldstücke blieben. Wir gingen zur Post, und Fedja bat mich, Goldstücke mitzunehmen, er sagte, wenn er diese verspielte, dann müssten wir morgen aus Baden-Baden abreisen, weil wir dann nichts mehr hätten, wovon wir hier leben könnten. So blieben mir also nur noch 15 Goldstücke. Wir gingen zur Post. Keine Briefe.
Dann gingen wir in den Spielsaal. Hier begann Fedja zu spielen und verspielte alles, und als wir nach Hause kamen, beschlossen wir, morgen nach Genf zu reisen. Aber unterwegs traf Fedja Gontscharow (russischer Schriftsteller, wie bereits erwähnt, B. K.) mit dem er mich bekannt machte. Gontscharow sagte mir, dass Turgenjew (er lebte damals in Baden-Baden und hatte 1865 in Wiesbaden Dostojewski 50 Taler geliehen, B. K.) gestern Fedja gesehen habe, aber nicht zu ihm gegangen sei, weil er wisse, dass Spieler es nicht mögen, angesprochen zu werden. Da Fedja Turgenjew fünfzig Rubel schuldet, muss er unbedingt gleich morgen zu ihm gehen, sonst könnte Turgenjew denken, Fedja komme nicht, weil er Angst habe, Turgenjew werde das Geld von ihm zurückverlangen.
Als wir heimkamen, erklärte Fedja, er könnte mit mehr Berechnung spielen, wenn ich nicht bei ihm wäre, er beeile sich da zu sehr. Ich fürchtete, er werde mir Vorwürfe machen, ich sei ihm hinderlich, deshalb schlug ich ihm vor, noch 3 Goldstücke zu nehmen und ein letztes Mal sein Glück zu versuchen. Fedja war unbeschreiblich glücklich, er gab mir alle möglichen Kosena...

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