Der scharlachrote Buchstabe
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Der scharlachrote Buchstabe

Nathaniel Hawthorne

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Der scharlachrote Buchstabe

Nathaniel Hawthorne

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"The Scarlet Letter", deutsch "Der scharlachrote Buchstabe", ist ein Roman von Nathaniel Hawthorne, erschienen 1850. Er gilt als eines der bedeutendsten Werke der amerikanischen Literatur.

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Information

Year
2015
ISBN
9783738628067
Edition
1

XII – Die Vigilie des Geistlichen

Gewissermaßen in Traumesschatten dahinschreitend und vielleicht auch wirklich unter dem Einflüsse einer Art von Somnambulismus erreichte Dimmesdale die Stelle, wo vor jetzt so langer Zeit Esther Prynne ihre erste Stunde der öffentlichen Schmach durchlebt hatte. Unter dem Balkon des Versammlungshauses stand noch dasselbe Gerüst, schmerzlich und von dem Sturm und Sonnenschein sieben langer Jahre gefärbt und von den Schritten der vielen Sünder, welche seitdem hinaufgestiegen waren, ausgetreten. Der Geistliche erstieg die Stufen.
Es war eine dunkle Nacht zu Anfang des Monats Mai. Der ganze Himmel war vom Zenit bis zum Horizont von einer ununterbrochenen Wolkendecke verhüllt. Wenn jetzt dieselbe Volksmenge, welche Augenzeuge der Strafe Esther Prynnes gewesen war, hätte herbeigerufen werden können, so würde sie auf dem Gerüste kein Gesicht, ja in dem dunklen Grau der Mitternacht kaum die Umrisse einer menschlichen Gestalt wahrgenommen haben. In der Stadt schlief jedoch alles, es war keine Gefahr der Entdeckung. Der Geistliche konnte, wenn es ihm beliebte, dort stehen bleiben, bis der Morgen sich im Osten rötete, ohne weitere Gefahr zu laufen, als daß die feuchte, kalte Nachtluft in seinen Körper drang und seine Glieder mit rheumatischer Steifheit erfüllte und seine Kehle durch Katarrh und Husten heiser machte und dadurch die erwartungsvolle Gemeinde um das Gebet am nächsten Morgen und die Predigt brachte. Kein Auge konnte ihn erblicken, außer dem stets wachenden, welches ihn in seinem Gemach die blutige Geißel hatte schwingen sehen. Warum war er aber dann hierhergekommen? War es bloß die Parodie eines Bußaktes? Allerdings eine Parodie, bei der seine Seele ihrer selbst spottete, eine Parodie, über welche Engel erröteten und weinten, während Teufel mit höhnischem Gelächter jubelten. Er war von der Macht der Reue, die ihn überall verfolgte und deren Schwester und engverbundene Gefährtin die Feigheit war, welche ihn stets mit ihrer zitternden Hand zurückzog, wenn ihn der andere Impuls bis zur Grenze eines Geständnisses gedrängt hatte, hierher getrieben worden. Der unglückliche Mann! Welches Recht hatte eine Schwäche, wie die seine, sich mit einem Verbrechen zu belasten? Das Verbrechen ist für mit eisernen Nerven Begabte, welche die Wahl haben, es entweder zu tragen oder, wenn es zu schwer lasten sollte, ihre wilde, wütige Kraft zu einem guten Zwecke anzuwenden und es mit einem Male von sich zu werfen! Dieser schwache und von seinen Gefühlen beherrschte Geist konnte keines von beiden tun, und doch tat er beständig eines oder das andere, was die Qual dem Himmel trotzender Sünde und vergebliche Reue zu dem gleichen unauflöslichen Knoten verschlang.
Und während Dimmesdale in dieser eitlen Nachäfferei der Sühne auf dem Gerüste stand, bemächtigte sich seiner ein tiefer Schrecken des Geistes, als blicke die ganze Welt auf ein scharlachrotes Zeichen auf seiner nackten Brust gerade über dem Herzen. An dieser Stelle befand sich in der Tat und schon lange der nagende, giftige Zahn körperlichen Schmerzes. Ohne eine Anstrengung seines Willens, ohne Kraft, sich zurückzuhalten, schrie er laut auf, daß es durch die Nacht hallte und von einem Hause gegen das andere geworfen wurde und von dem Hügel im Hintergrund antwortete, als ob eine Gesellschaft von Teufeln so großes Elend und Entsetzen in dem Laute entdeckt habe und ihn zu ihrem Spielwerk gemacht hätte und scherzend hin und her schleudere.
»Es ist vollbracht«, flüsterte der Geistliche und bedeckte sein Gesicht mit den Händen. »Die ganze Stadt wird erwachen und herbeieilen und mich hier finden!«
Aber dem war nicht so. Der Schrei war vielleicht mit weit größerer Kraft, als er wirklich besaß, in seinen eigenen erschreckten Ohren erklungen. Die Stadt erwachte nicht, oder wenn sie es tat, so hielten die müden Schläfer den Schrei entweder für einen furchtbaren Traum oder für den Lärm der Hexen, deren Stimmen man zu damaliger Zeit oft über die Niederlassungen und einsamen Hütten hinziehen hörte, wenn sie mit Satan durch die Luft ritten. Da der Geistliche kein Zeichen einer Störung seiner Einsamkeit wahrnahm, entfernte er die Hand, womit er sein Gesicht bedeckt hatte, von den Augen und blickte um sich. An einem von den Kammerfenstern des Herrschaftshauses des Gouverneurs Bellingham, welches in einiger Entfernung in der Linie einer andern Straße stand, bemerkte er die Gestalt des alten Magistratsherrn selbst mit einer Lampe in der Hand, einer weißen Nachtmütze auf dem Kopfe und einem langen, weißen Nachtgewande, das seine Figur einhüllte. Er sah aus wie ein zur unrechten Zeit aus dem Grabe heraufbeschworener Geist. Der Schrei hatte ihn offenbar aufgeschreckt. An einem andern Fenster desselben Hauses zeigte sich überdies die alte Hibbins, die Schwester des Gouverneurs, ebenfalls mit einer Lampe, die selbst in so weiter Ferne den Ausdruck ihres versäuerten, unzufriedenen Gesichtes erkennen ließ. Sie streckte ihren Kopf aus dem Fenster und blickte aufmerksam in die Höhe. Ohne allen Zweifel hatte die ehrwürdige Hexendame Dimmesdales Schrei gehört und ihn mit seinen zahlreichen Widerhallen und Echos für den Lärm der Dämonen und Nachtgespenster gehalten, mit welchen sie bekanntlich Ausflüge in den Wald machte.
Als die alte Dame den Schimmer der Lampe des Gouverneurs Bellingham bemerkte, löschte sie schnell ihr Licht aus und verschwand. Vielleicht fuhr sie hinauf in die Wolken. Der Prediger sah von ihren Bewegungen weiter nichts. Der Gouverneur zog sich nach einigen in die Dunkelheit hinausgeworfenen Blicken, die ihn jedoch nicht tiefer in diese dringen ließen wie in einen Mühlstein, vom Fenster zurück.
Der Geistliche wurde etwas ruhiger. Seine Augen bemerkten jedoch bald ein kleines schimmerndes Licht, welches anfänglich eine weite Strecke entfernt die Straße entlang herankam. Es warf einen Strahl des Erkennens hier auf einen Pfosten, dort auf einen Gartenzaun, da wieder auf eine Fensterscheibe und dann auf einen Brunnen mit seinem vollen Wassertroge und hier endlich auf eine gewölbte, eichene Tür mit einem eisernen Klopfer und einem behauenen Klotze statt der Schwelle. Dimmesdale bemerkte alle diese kleinen Einzelheiten, selbst während er fest überzeugt war, daß das Strafgericht seiner Existenz in den Schritten, die er jetzt hörte, heranschleiche, und daß in wenigen Augenblicken der Strahl der Laterne auf ihn fallen und sein lange verborgen gehaltenes Geheimnis enthüllen würde. Als das Licht näher kam, erblickte er in dem erhellten Kreise seinen Kollegen oder genauer gesagt, seinen geistlichen Vater und hochgeschätzten Freund, den ehrwürdigen Herrn Wilson, der, wie Pfarrer Dimmesdale jetzt vermutete, am Bette eines Sterbenden gebetet hatte. So war es auch. Der gute alte Pfarrer kam direkt aus dem Sterbezimmer des Gouverneurs Winthrop, der in eben jener Stunde die Erde mit dem Himmel vertauscht hatte, und nun begab sich, wie die Heiligen des Altertums mit einer Strahlenglorie umgeben, die ihn mitten in dieser düsteren Nacht der Sünde erhellte, als ob ihm der dahingeschiedene Gouverneur seine Herrlichkeit zum Erbteil zurückgelassen, als ob auf ihn selbst der ferne Glanz des himmlischen Jerusalems gefallen sei, während er emporblickte, um den triumphierenden Pilger in dessen Tore eingehen zu sehen – jetzt begab sich der gute Vater Wilson nach Hause, indem er seine Schritte nach dem Scheine einer Laterne lenkte. Deren Licht gab dem Dimmesdale diese Gedanken ein und er lächelte, ja er lachte sogar fast über sie und fragte sich dann selbst, ob er nicht wahnsinnig werde.
Als der ehrwürdige Pastor Wilson unter dem Gerüst vorüber ging und sein Genfer Mäntelchen mit der einen Hand dicht um sich schlang, während er mit der andern die Laterne vor seine Brust hielt, konnte der junge Geistliche sich kaum des Sprechens enthalten.
»Guten Abend, ehrwürdiger Vater Wilson. Ich bitte Euch, kommt herauf und bringt mit mir ein angenehmes Stündchen zu.«
Lieber Himmel! Hatte Dimmesdale wirklich gesprochen? Einen Augenblick glaubte er, daß diese Worte über seine Lippen gegangen seien, sie waren aber nur in seiner Phantasie ausgesprochen worden. Der ehrwürdige Vater Wilson schritt ruhig weiter, blickte vorsichtig auf den schmutzigen Weg zu seinen Füßen und wendete den Kopf nicht ein einziges Mal der Schandbühne zu. Als das Licht der Laterne gänzlich verschwunden war, bemerkte der Prediger an der Schwäche, die sich seiner bemächtigte, daß die letzten Augenblicke eine Krisis furchtbarer Angst gewesen waren, wiewohl sein Geist eine unwillkürliche Anstrengung gemacht hatte, sich durch eine Art von gewitterschwüler Scherzhaftigkeit zu erleichtern.
Bald nachher schlich sich das gleiche grauenhafte Gefühl für das Komische wieder unter die ernsten Phantome seiner Gedanken ein. Er fühlte, wie seine Glieder von der ungewohnten Kälte der Nacht steif wurden, und bezweifelte, daß er imstande sein würde, wieder die Stufen des Prangers hinabzusteigen. Der Morgen mußte bald anbrechen und ihn dort finden. Die Nachbarschaft würde anfangen sich zu ermuntern. Der am zeitigsten Aufstehende würde aus dem trüben Zwielicht auftauchen und eine undeutliche Gestalt hoch auf dem Schandplatz stehen sehen, halb irre zwischen Angst und Neugier von Tür zu Tür eilen und klopfen und alle Bewohner herausrufen, damit sie das Gespenst – denn dafür mußte er ihn halten – eines verstorbenen Sünders anschauen könnten. Ein trüber Tumult würde seine Schwinge von einem Hause zum andern schwingen, dann würden mit dem stärker werdenden Morgenlichte alte Patriarchen hastig in ihren Flanellröcken und Matronen, ohne sich zum Ablegen ihrer Nachtgewänder Zeit zu nehmen, herauseilen. Alle jene anständigen Personagen, die sich bisher noch nie mit auch nur einem verkrümmten Haare ihres Hauptes hatten sehen lassen, würden mit einer Verstörung wie vom Alpdrücken vor die Augen der Menge treten. Der alte Gouverneur Bellingham würde finster und mit verkehrt umgebundener Krause herauskommen, und am Saume des Gewandes der Hibbins würden noch einige Zweige des Waldes haften und jene selbst sauertöpfischer denn je aussehen, da sie nach ihrem nächtlichen Ritt kaum einen Augenblick hätte schlafen können. Auch der gute Vater Wilson würde, nachdem er die halbe Nacht an einem Sterbebette gewesen, sich nicht gern so früh aus seinen Träumen von den Heiligen im Himmel stören lassen. Hierher würden ferner die ältesten der Kirche Dimmesdales und die Jungfrauen kommen, die ihren Prediger so vergötterten und ihm Altäre in ihren weißen Busen errichtet hatten, die sie sich jetzt in ihrer Eile und Verwirrung kaum Zeit gelassen haben würden, mit ihrem Brusttüchlein zu bedecken. Kurz, die ganze Stadt würde aus den Häusern stolpern und ihre erstaunten und entsetzten Gesichter zu dem Pranger erheben. Wen würde man dort mit dem roten Morgenlicht auf seiner Stirn entdecken? Wen anders als Seine Ehrwürden, den Arthur Dimmesdale, der halb erfroren, von Scham niedergedrückt dastand, wo einst Esther Prynne gestanden hatte.
Von dem grotesken Grausen dieses Bildes mit fortgerissen, brach der Prediger unwillkürlich und zu seinem eigenen unendlichen Schrecken in lautes Gelächter aus. Diesem antwortete augenblicklich ein leichtes, lustiges, kindisches Lachen, in welchem er mit einem Beben des Herzens, von dem er nicht wußte, ob er es unendlicher Pein oder ebenso großer Freude zuschreiben sollte, die Stimme Perlchens erkannte.
»Perle, Perlchen!« rief er nach einer momentanen Pause, und dann mit gedämpfter Stimme: »Esther! Esther Prynne! Bist du da?«
»Ja, es ist Esther Prynne«, antwortete sie im Tone des Erstaunens, und der Geistliche hörte, wie sich ihre Schritte vondem Bürgersteig her, auf welchem sie gegangen war, näherten. »Ich bin es mit meiner kleinen Perle.«
»Woher kommst du, Esther?« fragte der Prediger. »Was bringt dich hierher?«
»Ich habe an einem Sterbebette gewacht!« antwortete Esther Prynne, »an Gouverneur Winthrops Sterbebette und ihm das Maß zu einem Leichenkleid genommen, und gehe jetzt heim nach meiner Wohnung.«
»Komm herauf, Esther, du und Perlchen!« sagte Dimmesdale. »Ihr seid beide schon hier gewesen, aber ich war nicht bei euch. Kommt noch einmal herauf, und wir wollen alle drei beisammenstehen.«
Sie erstieg schweigend die Stufen und stellte sich, mit Perlchen an der Hand, auf die Bühne. Der Geistliche faßte nach der andern Hand des Kindes und nahm sie. In dem Augenblicke, wo er dies tat, kam, wie es ihm schien, eine brausende Flut neuen Lebens, anderen Lebens als das seine, wie ein Bergstrom in sein Herz und jagte durch alle seine Adern, als ob Mutter und Kind seinem halb erstarrten Körper die Lebenswärme mitteilten. Die drei bildeten eine elektrische Kette.
»Prediger«, flüsterte Perlchen.
»Was willst du, Kind?« fragte Dimmesdale.
»Willst du morgen mittag mit der Mutter und mir hier stehen?« fragte Perle.
»Nicht so, mein Perlchen«, antwortete der Geistliche, denn mit der neuen Energie des Augenblicks war die ganze Furcht vor öffentlicher Schmach, die so lange die Qual seines Lebens gewesen war, zurückgekehrt, und er zitterte bereits über die Lage, in welcher er sich, wenn auch mit einer seltsamen Freude, gegenwärtig befand.
»Nicht so, mein Kind, wir werden in der Tat noch eines Tages beisammenstehen, aber nicht morgen.«
Perle lachte und versuchte, ihre Hand hinwegzuziehen; der Geistliche hielt diese aber fest. »Einen Augenblick noch, mein Kind!« sagte er.
»Willst du mir versprechen«, sagte Perle, »morgen mittag meine und meiner Mutter Hand zu nehmen?«
»Morgen nicht, Perle«, sagte der Geistliche, »aber ein anderes Mal«.
»Welch anderes Mal?« fragte das Kind von neuem.
»Am großen Tage des Gerichtes!« flüsterte der Geistliche. Und seltsam genug trieb ihn das Bewußtsein, daß sein Amt das eines Lehrers der göttlichen Wahrheit sei, an, dem Kinde so zu antworten. »Dann müssen vor dem großen Richterthrone deine Mutter und du und ich beisammen stehen! Aber das Tageslicht dieser Welt soll unsere Vereinigung nicht bescheinen.«
Perle lachte von neuem.
Ehe aber Dimmesdale noch zu Ende gesprochen hatte, strahlte weit und breit ein Licht über den ganzen bewölkten Himmel hinweg. Ohne Zweifel kam es von einem jener Meteore, welche der die Nacht Durchwachende so oft in den leeren Regionen der Atmosphäre verglühen sieht. So mächtig war sein Strahlenglanz, daß er die dichten Wolken zwischen dem Himmel und der Erde völlig erleuchtete. Das große Gewölbe hellte sich auf wie die Glocke einer ungeheueren Lampe; es zeigte die bekannten Gegenstände der Straße mit der Deutlichkeit des Mittags, aber auch mit der Schauerlichkeit, welche bekannten Gegenständen stets durch ein ungewohntes Licht erteilt wird. Die hölzernen Häuser mit ihren hervorspringenden Stockwerken und wunderlichen Giebelspitzen, die Türstufen und Schwellen, um welche das Frühlingsgras aufsproßte, die Gartenbeete, auf welchen schwarz die frisch umgestürzte Erde lag, das wenig benutzte Wagengleise, zu dessen beiden Seiten selbst auf dem Marktplatze grüne Ränder zu sehen waren. Alles dies war sichtbar, aber mit einer Eigentümlichkeit, welche den Dingen dieser Welt eine andere moralische Bedeutung zu verleihen schien, als sie je vorher besessen hatten. Und da stand der Geistliche mit der Hand auf dem Herzen und Esther Prynne mit dem auf ihrem Busen schimmernden und gestickten Buchstaben und Perlchen, selbst ein Symbol und das Verbindungsglied zwischen jenen beiden. Sie standen in der Mittagshelle jenes seltsamen feierlichen Glanzes da, als ob er das Licht wäre, welches alle Geheimnisse offenbaren, und der Morgen, welcher alle, die zueinander gehören, vereinigen soll.
In den Augen Perlchens lag ein zauberhafter Ausdruck, und ihr Gesicht ließ, als sie zu dem Geistlichen hinaufblickte, das schelmische Lächeln wahrnehmen, welches seinen Ausdruck oftmals so elfenartig gemacht hatte. Sie zog ihre Hand aus der Dimmesdales und deutete über die Straße hin. Aber er faltete beide Hände auf seiner Brust und richtete seine Augen zu dem Zenit empor.
Es gab in jener Zeit nichts Gewöhnlicheres, als daß man alle meteorischen Erscheinungen und andere Naturphänomene, die sich mit weniger Regelmäßigkeit als das Aufgehen der Sonne und des Mondes ereigneten, als Offenbarungen einer übernatürlichen Macht auslegte. So verkündete ein glühender Speer, ein Flammenschwert, ein Bogen oder ein Bündel Pfeile, welches man am mitternächtlichen Himmel sah, Krieg mit den Indianern. Man wußte, daß eine Pest durch einen Regen von Purpurlicht im voraus angezeigt worden war. Wir zweifeln, ob in Neu-England von der ersten Kolonisation an bis zu...

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