Kirchengemeinschaft â Church Communion â
Communion Ecclésiale1
Ergebnis eines LehrgesprÀchs der Gemeinschaft
Evangelischer Kirchen in Europa
Von der 8. Vollversammlung der GEKE zu eigen gemacht
Inhalt
Zu diesem Text
1Eine Bilanz: Kirchengemeinschaft als Erfahrung der Einheit der Kirche
1.1Kirchengemeinschaft in der Perspektive der Leuenberger Konkordie (1973).
1.2Die Kirche Jesu Christi (1994)
1.3Verwirklichte und gelebte Kirchengemeinschaft
1.3.1Kirchengemeinschaft wurde und wird in der GEKE als Gemeinschaft im Gottesdienst erfahren:
1.3.2Kirchengemeinschaft wurde und wird in der GEKE als Gemeinschaft im Lehren erfahren:
1.3.3Kirchengemeinschaft wurde und wird in der GEKE als Gemeinschaft wachsender Gestaltwerdung erfahren:
1.3.4Kirchengemeinschaft wurde und wird in der GEKE als Zeugnis- und Dienstgemeinschaft im heutigen Europa erfahren:
1.4Kirchengemeinschaft und Ăkumene
2 Theologische Grundlagen
2.1Die Kirche als Leib Christi und Gemeinschaft der Heiligen
2.2Gemeinschaft in Wort und Sakrament
2.3Bekenntnis, Lehre und Leben
2.4Herrenmahlsgemeinschaft und Kirchengemeinschaft.
2.5Kirche und Kirchengemeinschaft als Ausdruck des Rechtfertigungsgeschehens
3 Herausforderungen: Verbindlichkeit â Rezeption â KatholizitĂ€t
3.1Verbindlichkeit
3.2Rezeption
3.3KatholizitÀt
4 Empfehlungen und Konkretionen
4.1Kirchengemeinschaft als Gottesdienstgemeinschaft
4.1.1Gottesdienstgemeinschaft und KatholizitÀt
4.1.2Die gemeinsame Feier von Wort und Sakrament
4.2Kirchengemeinschaft als Gemeinschaft im Lehren
4.3Kirchengemeinschaft als Gemeinschaft wachsender Gestaltwerdung.
4.4Kirchengemeinschaft als Zeugnis- und Dienstgemeinschaft im heutigen Europa
5 Kirchengemeinschaft als gemeinsame ökumenische Verpflichtung
Anhang: Beteiligte des Prozesses
Zu diesem Text
1) In den beiden zurĂŒckliegenden Jahrzehnten ist der fĂŒr die Leuenberger Konkordie zentrale Gedanke der Kirchengemeinschaft immer stĂ€rker in das Blickfeld der Aufmerksamkeit gerĂŒckt. Das Interesse an einer vertieften und weiterfĂŒhrenden KlĂ€rung dessen, was als Kirchengemeinschaft verwirklicht und gelebt wird, hat auffĂ€llig zugenommen. Die Gemeinschaft, in der sich die Mitgliedskirchen der GEKE verbunden wissen und in der sie sich als Kirche wahrnehmen, inspiriert zu wachsender Gemeinsamkeit in den VollzĂŒgen des kirchlichen Lebens und im Zeugnis und Dienst an der Welt. Indem sie sich mit der Leuenberger Konkordie gegenseitig als Kirche anerkannt und Kirchengemeinschaft erklĂ€rt haben, haben sich die Mitgliedskirchen der GEKE dazu verpflichtet, alles aus dem Weg zu rĂ€umen, was das mit der Kirchengemeinschaft gegebene Tatzeugnis von der in Christus gegebenen Einheit der Kirche verdunkeln kann. Hinter der Frage nach den Formen weiterer Ausgestaltung der Kirchengemeinschaft kam ein Bedarf an KlĂ€rung und Vergewisserung des EinheitsverstĂ€ndnisses zum Vorschein, den die Mitgliedskirchen der GEKE auf dem Weg von Belfast (2001) nach Budapest (2006) und dann nach Florenz (2012) immer deutlicher gespĂŒrt haben.
2) Es handelt sich um zwei Herausforderungen. Die erste Herausforderung kommt aus der weltweiten Ăkumene. Andere Kirchen fragen immer wieder, was Kirchengemeinschaft ökumenisch bedeutet und wie die Mitgliedskirchen der GEKE sie gestalten. Sie haben den Eindruck, dass sich der Gedanke der Kirchengemeinschaft nur in begrenztem Umfang zum ökumenischen Modell eigne, da er eher die Vielfalt als die Einheit der Kirchen abbilde und so zur BestĂ€rkung des Status quo tendiere. Die zweite Herausforderung kommt aus dem Kreis der Mitgliedskirchen selbst. Die evangelischen Kirchen Europas haben erkannt, dass sie enger zusammenarbeiten mĂŒssen, wenn sie mit ihrem Zeugnis in der Ăffentlichkeit Europas gehört werden wollen. In der gegenwĂ€rtigen Situation gesellschaftlicher und politischer Transformationen kann die zwischen den Mitgliedskirchen der GEKE bestehende Kirchengemeinschaft nicht einfach auf ihren Kern, die gottesdienstliche Gemeinschaft in VerkĂŒndigung und Sakrament sowie kontinuierliche LehrgesprĂ€che, beschrĂ€nkt werden. Es waren neue Arbeitsfelder zu erschlieĂen und Vernetzungen und Organisationsformen qualitativ weiterzuentwickeln.
3) Beide Herausforderungen haben den Rat der GEKE und die 7.Vollversammlung in Florenz (2012) dazu bewogen, das Thema Kirchengemeinschaft zum Gegenstand eines LehrgesprÀchs zu machen. In diesem LehrgesprÀch sollte »dem positiven Potenzial und der Sichtbarkeit der Kirchengemeinschaft besonderes Augenmerk gegeben« werden und »auch die theologische KlÀrung der Verbindlichkeit und die rechtlichen Implikationen der Kirchengemeinschaft beachtet werden«. Der nachfolgende Text bietet die Ergebnisse dieses LehrgesprÀchs.
1Eine Bilanz: Kirchengemeinschaft als Erfahrung der Einheit der Kirche
1.1Kirchengemeinschaft in der Perspektive der Leuenberger Konkordie (1973)
4) Mit der Leuenberger Konkordie ist »Kirchengemeinschaft« zu einem Leitbegriff des ekklesiologischen und ökumenischen SelbstverstÀndnisses der evangelischen Kirchen in Europa geworden.
5) Die der Konkordie zustimmenden evangelischen Kirchen verschiedenen Bekenntnisstandes haben »aufgrund ihrer LehrgesprĂ€che unter sich das gemeinsame VerstĂ€ndnis des Evangeliums«, wie es in der Konkordie ausgefĂŒhrt wird, festgestellt (LK 1). Das hat es ihnen ermöglicht, »Kirchengemeinschaft zu erklĂ€ren und zu verwirklichen« (ebd.).
6) Die Konkordie folgt den in Confessio Augustana VII genannten Kriterien fĂŒr die Einheit der Kirche. Die Ăbereinstimmung im VerstĂ€ndnis des Evangeliums und die einvernehmliche KlĂ€rung dessen, was die Kirchen zu Taufe und Abendmahl gemeinsam sagen können, bilden die Voraussetzung fĂŒr die »Gemeinschaft an Wort und Sakrament« (LK 29). Die Vielfalt von gottesdienstlichen und ekklesialen Gestaltungsformen steht der Einheit nicht im Weg, wenn sich diese Vielfalt am gemeinsamen VerstĂ€ndnis des Evangeliums bewĂ€hren lĂ€sst.
7) Die mit der Zustimmung zur Konkordie erfolgende ErklÀrung der Kirchengemeinschaft besteht aus folgenden Elementen:
»a) Sie [die Kirchen] stimmen im VerstĂ€ndnis des Evangeliums, wie es in den Teilen II und III [der Konkordie] Ausdruck gefunden hat, ĂŒberein.
b) Die in den Bekenntnisschriften ausgesprochenen Lehrverurteilungen betreffen entsprechend den Feststellungen des Teils III nicht den gegenwÀrtigen Stand der Lehre der zustimmenden Kirchen.
c) Sie gewĂ€hren einander Kanzel- und Abendmahlsgemeinschaft. Das schlieĂt die gegenseitige Anerkennung der Ordination und die Ermöglichung der Interzelebration ein.
Mit diesen Feststellungen ist Kirchengemeinschaft erklĂ€rt. Die dieser Gemeinschaft seit dem 16. Jahrhundert entgegenstehenden Trennungen sind aufgehoben. Die beteiligten Kirchen sind der Ăberzeugung, dass sie gemeinsam an der einen Kirche Jesu Christi teilhaben und dass der Herr sie zum gemeinsamen Dienst befreit und verpflichtet.« (LK 31â34)
Dabei ist die Anerkennung der Ămter im gemeinsamen VerstĂ€ndnis von Wort und Sakrament begrĂŒndet und folgt aus ihm.
8) Mit der ErklĂ€rung der Kirchengemeinschaft stellt sich die Aufgabe ihrer Verwirklichung. Das geschieht »im Leben der Kirchen und Gemeinden«: »Im Glauben an die einigende Kraft des Heiligen Geistes richten sie ihr Zeugnis und ihren Dienst gemeinsam aus und bemĂŒhen sich um die StĂ€rkung und Vertiefung der gewonnenen Gemeinschaft.« (LK 35) Damit werden gemeinsames Zeugnis des Evangeliums und gemeinsamer Dienst aus dem Evangelium zu entscheidenden Merkmalen gelebter Kirchengemeinschaft.
9) Daneben bildet theologische Weiterarbeit in Form von LehrgesprĂ€chen (und gemeinsamen theologischen, ethischen und liturgischen Projekten) fĂŒr die Kirchen der GEKE ein entscheidendes Element gelebter Kirchengemeinschaft. Dazu heiĂt es in LK 38: »Das gemeinsame VerstĂ€ndnis des Evangeliums, auf dem die Kirchengemeinschaft beruht, muss weiter vertieft, am Zeugnis der Heiligen Schrift geprĂŒft und stĂ€ndig aktualisiert werden.«
10) Gelebte Kirchengemeinschaft hat organisatorische und kirchenrechtliche Implikationen. In der Konkordie werden diese allerdings nur angedeutet und es wird zur Behutsamkeit geraten (vgl. LK 42â45).
11) Gelebte Kirchengemeinschaft blickt ĂŒber sich hinaus; die an ihr beteiligten Kirchen »handeln aus der Verpflichtung heraus, der ökumenischen Gemeinschaft aller christlichen Kirchen zu dienen« (LK 46) und hoffen, »dass die Kirchengemeinschaft der Begegnung und Zusammenarbeit mit Kirchen anderer Konfessionen einen neuen AnstoĂ geben wird« (LK 49).
1.2Die Kirche Jesu Christi (1994)
12) Mit der Studie Die Kirche Jesu Christi (KJC; Leuenberger Texte 1, [1995] 42012) hat die Vollversammlung der Leuenberger Kirchengemeinschaft 1994 in Wien die grundlegenden Auffassungen des evangelischen VerstÀndnisses der Kirche dargelegt und die ekklesiologischen Prinzipien verdeutlicht, von denen die Signatarkirchen sich im ökumenischen Dialog leiten lassen.
13) Die Studie unterscheidet zwischen Grund, Gestalt und Bestimmung der Kirche: »Der Grund der Kirche ist das Handeln Gottes zur Erlösung der Menschen in Jesus Christus. Subjekt dieses Grundgeschehens ist Gott selbst und folglich ist die Kirche Gegenstand des Glaubens. Weil Kirche Gemeinschaft der Glaubenden ist, gewinnt ihre Gestalt geschichtlich vielfÀltige Formen. Die eine geglaubte Kirche (Singular) ist in unterschiedlich geprÀgten Kirchen (Plural) verborgen gegenwÀrtig. Die Bestimmung der Kirche ist ihr Auftrag, der ganzen Menschheit das Evangelium vom Anbruch des Reiches Gottes in Wort und Tat zu bezeugen.« (KJC, Einleitung, 4).
14) Das Geschehen, das Kirche ĂŒberhaupt zur Kirche macht und allem menschlichen Reagieren und Agieren vorausgeht, ist das rechtfertigende, befreiende Handeln Gottes, das in der Predigt des Evangeliums zugesprochen und in den Sakramenten zugeeignet wird. Als Zeugin des Evangeliums in der Welt ist die Kirche zum »Instrument Gottes zur Verwirklichung seines universalen Heilswillens« bestimmt (KJC I. 3.2). Sie darf in dieser Funktion nicht an die Stelle Jesu Christi treten wollen: »Sie wird dieser Bestimmung gerecht, indem sie in Christus bleibt, dem unfehlbaren einzigen Instrument des Heils.« (KJC I. 3.2).
15) Die eine, heilige, katholische und apostolische Kirche existiert in den erfahrbaren Kirchen â dort, wo in Wahrheit Wort und Sakrament gefeiert werden. Dazu gehört das fĂŒr die Kirche konstitutive geordnete Amt (KJC I. 2.5.1.2...