TEIL II
DIE PRAXIS
DES
MUSKELTESTENS
Von einfachen zu komplexen Anwendungen
In den vorausgehenden Kapiteln habe ich alles beschrieben, was Sie benötigen, um den Muskeltest als Untersuchungsinstrument erfolgreich anwenden zu können:
⹠Die Physiologie macht verstÀndlich, wieso er funktioniert.
⹠Mit der optimalen Testtechnik wissen Sie das Instrument zuverlÀssig einzusetzen.
âą Der Muskeltest-Dialog öffnet TĂŒren zum vegetativen Informationspool und ins Un(ter)bewusste.
âą Die idiomotorische Programmierung des Rastertests erlaubt Ihnen vielfĂ€ltigste und zugleich ĂŒbersichtliche Anwendungen.
âą Die Frage nach den âAntwortgebernâ hat uns sensibilisiert fĂŒr Aufmerksamkeit und Selbstreflexion im Umgang mit dem Testverfahren.
âą Wir haben einen Blick auf den Substanztest geworfen, fĂŒr den wir das wahrnehmende Sinnesorgan (noch) nicht benennen können, und wir haben den Dialogtest betrachtet.
Wie lĂ€sst sich das alles nun zu einem sinnvollen System zusammenfĂŒgen, das fĂŒr unser Leben beziehungsweise fĂŒr die Heilkunde wirklich so nĂŒtzlich ist, wie ich es zu Beginn angekĂŒndigt habe? Und: Kann man sich die praktische Anwendung des Muskeltests ĂŒberhaupt selbst so gut aneignen, dass man sicher und verantwortungsvoll damit umgehen kann? â Das ist tatsĂ€chlich möglich, sofern man die Grundvoraussetzungen beherzigt, nĂ€mlich konsequente Selbstreflexion und BeschrĂ€nkung auf den eigenen Kompetenzbereich. (Darauf komme ich immer wieder und vor allem am Ende des Buches konkreter zurĂŒck.) Auf dieser Basis möchte ich Sie in angemessenen Schritten in das âMuskeltest-Trainingâ einfĂŒhren. Denn mit dem Muskeltesten ist es wie mit anderen Fertigkeiten auch: Man muss es trainieren und man braucht angemessene Trainingseinheiten, die folgerichtig aufeinander aufbauen. Das heiĂt: Sich das Schwerste möglichst nicht gleich beim âWarmlaufenâ vornehmen, sondern mit Erfahrungen beginnen, die Sicherheit schaffen und auf denen, wenn sie âsitzenâ, weiter aufgebaut werden kann.
Wenn Sie die Prinzipien des Muskeltestens beherrschen, können Sie dieses Instrument in vielfĂ€ltiger Weise nutzen. Seiner Grundfunktion entsprechend â nĂ€mlich dass er uns Zugang verschafft zu Informationen des Körpersystems, die im weitesten Sinne mit seiner Unversehrtheit zu tun haben â liegt sein âZuhauseâ in der Heilkunde. Die Reaktionsgrundlage des Muskeltests (Kontrollverlust der Muskulatur) ist ja im Prinzip ein Warnsignal zur Gefahrenabwehr; die primĂ€re Funktion des Muskeltests steht also unmittelbar in Verbindung mit der Gesunderhaltung des Organismus.
Dementsprechend kann der Sinn des Muskeltestens nicht darin liegen, spektakulĂ€r irgendetwas âSpannendesâ auszutesten (auch nicht, ob Rom die Hauptstadt von Italien ist oder welche der vier Antworten bei âWer wird MillionĂ€r?â die richtige ist âŠ). Es geht vielmehr darum, Kontakt aufzunehmen zu Instanzen von Körper und Seele, die uns innerhalb heilungsfördernder Prozesse besser leiten und entscheiden helfen. Hierzu ist der Muskeltest wie geschaffen und er bringt in der Heilkunde einen gravierenden Vorteil ins Spiel: Im Unterschied zu den ĂŒblichen Untersuchungsmethoden bietet er eine âSchau von innenâ.
Ăbliche Befunde, ob von Labor, Abhorchen oder Röntgenbild, ermöglichen nur einen Blick von auĂen; sie werden zwar auch aus dem Individuum gewonnen, doch bedarf jeder Befund weiterer Interpretation, wird also sozusagen von dem isoliert, durch den Abgleich mit allgemeinen Erfahrungen und daraus resultierenden âNormalwertenâ gedeutet und als allgemeine therapeutische Konsequenz an den Betroffenen âzurĂŒckgegebenâ. Ein Befund aber beweist keinen Zusammenhang! Schmerzlich haben das in meiner Klinikzeit beispielsweise einige Patienten erlebt, deren Leberwert Gamma-GT erhöht war: Umgehend wurden sie des Alkoholmissbrauchs verdĂ€chtigt, weil dieser Wert lange Zeit als Indikator fĂŒr alkoholbedingten Leberschaden galt. Heute weiĂ man, dass es auch andere GrĂŒnde fĂŒr die Erhöhung geben kann, und man braucht weitere Parameter, um die âBeweislageâ zu stĂ€rken.
Der Muskeltest hingegen ist das ideale Instrument, mit dem man tatsĂ€chlich den individuellen ZusammenhĂ€ngen nachgehen kann. Insofern sind, kriminalistisch gesprochen, die klinische Medizin und auch weitestgehend die Regulationsmedizin auf âIndizienâ angewiesen â der Muskeltest jedoch verhilft zum âGestĂ€ndnisâ âŠ
Wie könnte nun eine erste sinnvolle Anwendung in der Praxis aussehen, wenn man das Instrument Muskeltest und seine VerlÀsslichkeit kennenlernen, erproben und nutzbringend einsetzen will?
Mit dem Muskeltest ist es grundsĂ€tzlich möglich, sehr komplexe Befundaufnahmen und daraus resultierende TherapieplĂ€ne zu erstellen. Darauf werden wir zuarbeiten. Wenn man aber gleich mit den komplexesten Problemstellungen begĂ€nne, wĂŒrde das den Lernprozess enorm erschweren. Nach meiner Erfahrung (und nach der Erfahrung vieler Anwender aus unseren Ausbildungen) ist es ideal, mit einem leicht ĂŒberschaubaren Arbeitssystem zu beginnen. GĂŒnstig ist es beispielsweise, den Test zunĂ€chst einmal zum âBeraterâ bei der Therapiewahl zu machen, also reichlich mit dem Rastertest (Selektion von Möglichkeiten nach vorgegebenen Kriterien) und bei Bedarf ergĂ€nzend mit dem Dialogtest zu arbeiten, hiermit Erfahrungen zu sammeln und dann das Untersuchungsspektrum auszuweiten.
Der Rastertest in der Praxis
Weil ich diesen Aspekt fĂŒr so wichtig halte, erlaube ich mir, ihn hier noch einmal zu betonen:
Die Arbeit mit Rastern (= Suchoptionen) zur Differenzierung von mehr als drei Objekten ist eine der wertvollsten Strukturen der Untersuchung mit dem Muskeltest innerhalb der Heilkunde!
Ein paar Beispiele mögen Sie anregen, Bereiche auszuwĂ€hlen, in denen Sie mit dem Praxistraining sinnvoll beginnen können. Ihrer Inspiration bleibt es ĂŒberlassen, weitere Einsatzmöglichkeiten zu erkunden, in denen der Muskeltest hilfreiche Informationen beisteuert. Wenn Sie dann immer wieder ĂŒberzeugende Erfahrungen damit sammeln, werden Sie sich vermutlich (genauso wie ich) fragen, wieso er nicht lĂ€ngst zu einem Standardinstrument in der Schul- und KomplementĂ€rmedizin bzw. Naturheilkunde geworden ist âŠ
Auswahlverfahren (bei denen der Muskeltest individuelle Entscheidungen ermöglicht) kommen in der Praxis sehr hĂ€ufig vor, etwa fĂŒr folgende Zwecke:
⹠Nahrungsmittel (UnvertrÀglichkeiten können bei vielen Erkrankungen mitverantwortlich sein.)
⹠DiÀtempfehlungen (auch zeitlich begrenzte)
⹠Körperpflegemittel (etwa bei diversen Hauterkrankungen)
âą Therapeutische Materialien (zum Beispiel Zahnwerkstoffe)
⹠Medikamente (allopathisch wie homöopathisch)
âą Nachweis von Allergien
⹠Therapieverfahren (bei nichtmedikamentösen Behandlungen)
âą Diagnoseverfahren
âą Suche nach emotionalen Triggerbegriffen in der psychotherapeutischen Begleitung (â ausfĂŒhrlich behandelt in meinem frĂŒheren Buch Gesund durch psychologische Kinesiologie; NĂ€heres dazu auf meiner Internetseite: www.praxis-keding.de/Ausbildung)
Auch als Alltagstest fĂŒr jedermann findet der Muskeltest bei medizinischen Laien durchaus sinnvollen Einsatz, zum Beispiel:
â zum Austesten vertrĂ€glicher bzw. gesundheitsfördernder oder gesundheitsschĂ€dlicher Nahrungsmittel (der Muskeltest als âEinkaufsberaterâ)
â zum AuswĂ€hlen von Körperpflegeprodukten und Kosmetika (sehr bewĂ€hrt bei Sonnenschutzmitteln, Zahnpasta, Waschpulver und vielem mehr)
â zum AuswĂ€hlen von Selbstmedikation und Hausmitteln bei Bagatellerkrankungen.
Die Kriterien, nach denen die jeweiligen Substanzen selektiert werden sollen, mĂŒssen vor Testbeginn gut durchdacht sein â wobei sich einige Standardsituationen wiederholen, in denen dann natĂŒrlich auch auf vorgefertigte Formulierungen zurĂŒckgegriffen werden kann. Diese jeweiligen Optionspaare sollten um der Klarheit willen möglichst vor dem Testen benannt oder notiert werden, beispielsweise so:
Optionen
âą Der Muskel hĂ€lt (+), wenn die Substanz fĂŒr den Organismus vertrĂ€glich ist.
Der Muskel gibt nach (â) bei UnvertrĂ€glichkeit.
⹠+ wenn an dieser Stelle als Zahnmaterial geeignet und vertrÀglich;
â, wenn eines davon nicht der Fall ist.
⹠+, wenn das Medikament den Heilungsprozess relevant fördert;
â, wenn das nicht der Fall ist.
âą +, wenn das Medikament fĂŒr den Heilungsprozess unerlĂ€sslich ist;
â, wenn man darauf verzichten kann.
âą + bei dem, was als SofortmaĂnahme erforderlich ist;
â bei allem, was zunĂ€chst zurĂŒckgestellt werden kann (beispielsweise bei akuter Dekompensation einer chronischen Erkrankung).
âą + bei Therapieverfahren, die hier und heute die Beschwerden lindern;
â bei allem, was nicht ausreichend nĂŒtzt oder nicht verfĂŒgbar ist.
In manchen FĂ€llen empfiehlt sich sogar ein wiederholter Testdurchgang mit denselben Substanzen unter verschiedenen Vorgaben, um noch differenziertere Entscheidungsmöglichkeiten zu nutzen, indem man die Auswahlkriterien vom Ăbergeordneten zum Spezielleren verfeinert.
Beispiele fĂŒr Verfeinerung:
âą ZunĂ€chst âvertrĂ€glicheâ Nahrungsmittel austesten, dann erst unter diesen die âempfehlenswertenâ, sodass dem Patienten eine Entscheidungsoption bleibt, falls die âEmpfehlungsâ-Testergebnisse sein ErnĂ€hrungsspektrum stark einschrĂ€nken.
âą ZunĂ€chst âgeeigneteâ Medikamente auswĂ€hlen (was sich ĂŒblicherweise auf Wirksamkeit und VertrĂ€glichkeit bezieht), um unter âoptimalâ dann auch situationsbezogen das Ideale zu wĂ€hlen. (TetracyclinprĂ€parate könnten zwar in Bezug auf eine Erkrankung ideal sein, aber nicht in Anbetracht eines Urlaubs mit starker Sonneneinstrahlung. âNotwendigâ (= unumgĂ€nglich) könnte dann als Kriterium wiederum darauf hinweisen, dass genau dieses Mittel eingenommen, die Sonne jedoch gemieden werden sollte ⊠â Auf âgeeigneteâ Mittel kann auch zurĂŒckgegriffen werden, sofern âoptimaleâ situativ nicht verfĂŒgbar sind.
Da ein guter Rastertest in jeder Praxis sozusagen Gold wert ist, gebe ich seinem Einsatz hier noch etwas mehr Raum, indem ich anhand des âklassischenâ (weil gerade in der Kinesiologie oft genutzten) Nahrungsmitteltests noch einmal die unterschiedliche Aussagekraft von Rastervorgaben deutlich machen möchte.
Am weitesten verbreitet ist der VertrÀglichkeitstest:
+ = vertrÀglich
â = unvertrĂ€glich
Diese Aufteilung ergibt beispielsweise Sinn bei Störungen des Magen-Darm-Traktes, bei nahrungsabhÀngiger MigrÀne, eventuell bei Neurodermitis oder generell auf irgendwelche Beschwerden oder Störungen bezogen (zu denen vor dem Testen ein Bezug formuliert werden sollte).
Interessanter kann sein, ob jemand allergisch reagiert, also:
+ = nicht allergisch
â = allergisch
Was hier scheinbar verdreht definiert ist (bei ânichtâ steht das +), ergibt insofern Sinn, als der schwache Muskel weiterhin anzeigt, was gemieden werden sollte bzw. was âschadetâ.
Interessant ist die Unterscheidung der Allergie von der UnvertrĂ€glichkeit deshalb, weil sehr hĂ€ufig nach Sanierung der ihr zugrunde liegenden Störung (siehe Kapitel âUrsachenorientierter Heilungsansatzâ) das Allergen problemlos vertragen wird.
SelbstverstÀndlich können auch DiÀtplÀne ausgetestet werden:
+ = zurzeit fĂŒr den Heilungsprozess förderlich oder zumindest neutral
â = beeintrĂ€chtigt derzeit Heilungsprozess oder Befinden
Die hierbei erscheinenden Testergebnisse mĂŒssen nichts mit genereller UnvertrĂ€glichkeit zu tun haben! Beispielsweise kann ein hoch fiebernder Grippepatient wĂ€hrend der akuten Krankheitsphase vielleicht keine Milch vertragen (da sie Verschleimung begĂŒnstigt) oder kein Fleisch (das den Verdauungstrakt belastet), hingegen reichlich Obst â nach der Genesung aber verkraftet er problemlos sein MilchmĂŒsli und den Schweinebraten.
Vielleicht hat ein Patient einmal den Wunsch, prĂ€ventiv nach der fĂŒr ihn gesunden ErnĂ€hrung zu forschen, die per Muskeltest individualisiert und optimiert werden kann:
+ = gesundheitsfördernde Nahrungsmittel
â = Nahrungsmittel, die nicht der Gesundheit dienen
Oder man kann eine Spezialkost austesten, um Mangelerscheinungen zu beheben oder eine Stoffwechselstörung auszugleichen (Stichwort SĂ€ure-Basen-Haushalt). Ihrer KreativitĂ€t sind da kaum Grenzen gesetzt. Ăberlegen Sie also vorab konkret, was Sie fĂŒr den Patienten wollen, fassen Sie es in die passenden Worte und setzen Sie diese sozusagen als Leuchtschrift ĂŒber den gesamten nachfolgenden Testablauf!
Im Zusammenhang mit dem Rastertest insbesondere fĂŒr Arzneien sollte der Umgang mit TestkĂ€sten nicht unerwĂ€hnt bleiben. Um dieses Kapitel nicht zu ĂŒberfrachten, gehe ich darauf dort nĂ€her ein, wo es gröĂere praktische Relevanz hat, nĂ€mlich im Kapitel ĂŒber biochemische Krankheitsursachen.
Verbale Suchlisten
Wenngleich sich in den oben genannten Beispielen die Suchkriterien auf den Substanztest beziehen, ist der Rastertest keineswegs auf die Anwendung bei materiellen Objekten beschrĂ€nkt. Wie schon im Eingangsteil angesprochen, lassen sich Listen mit Stichworten erstellen, die ebenfalls nach definierten Kriterien selektiert werden können. In der medizinischen Praxis gehört dazu vor allem die Wahl von Therapieverfahren. Diese könnten zwar auch per Dialogtest benannt werden â aber stellen Sie sich den Aufwand vor, wenn Sie alle infrage kommenden Behandlungsmöglichkeiten fĂŒr RĂŒckenschmerzen der Reihe nach in ganzen SĂ€tzen auf ihre Eignung ĂŒberprĂŒfen mĂŒssten! Wie viel einfacher ist es da, nach der entsprechenden Vorgabe nur noch eine Methode nach der anderen mit einem einzigen Wort aufzurufen und die unmittelbare Muskelreaktion abzulesen.
Beispielhaft könnte eine solche Liste fĂŒr die Behandlung von RĂŒckenschmerzen so aussehen:
â Akupunktur
â BĂ€der
â Chiropraktik
â Elektrotherapie
â Fangopackung
â Kurzwelle
â Massage
â Neuraltherapie
â operativer Eingriff
â Osteopathie
â Physiotherapie
â RĂŒckenschule
â Schmerzmittel
â Stufenlage âŠ
Ihr Kenntnisspektrum in konventioneller und komplementÀrer Medizin...