Angekränkeltes Land
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Angekränkeltes Land

Skizzen zweier Übel

Holger Schulz

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Angekränkeltes Land

Skizzen zweier Übel

Holger Schulz

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Im Jahr 1832 leiden Menschen in Paris an der Cholera, verursacht durch ein Bakterium, heute kämpfen wir gegen ein Corona-Virus, das eine ernsthafte Lungenkrankheit verursachen kann.Heinrich Heine, in Paris lebend, veröffentlicht Zeitungsartikel, in denen er als "ordnender Geist" und unmittelbarer Zeuge beschreibt, wie er die Cholera-Epidemie in Paris 1832 erlebt. Geistreich, ironisch, sich virtuos der deutschen Sprache bedienend, schildert Heine die Zustände in Paris. Heines Berichte, unter dem Titel "Französische Zustände" in der "Allgemeinen Zeitung" und später als Buch veröffentlicht, bilden das Gerüst dieses Buches.Heines Darstellungen über die Entwicklungen vor 190 Jahren stellt der Autor die heutige Lage gegenüber, unser Verhalten angesichts der Heimsuchung durch das Corona-Virus.

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CHOLERA IN PARIS, CORONA IN DEUTSCHLAND
„FRANZÖSISCHE ZUSTÄNDE“, DEUTSCHE ZUSTÄNDE
Heinrich Heine hat Deutschland verlassen und lebt seit 1831 in Paris. Die Julirevolution in Frankreich im Jahr 1830 mit der Beendigung der Bourbonen-Herrschaft verspricht ihm, so sieht er es, in Frankreich ein freieres Leben als in Deutschland, dem Land des „Schlafmützentums“. Heines Problem, ein geregeltes Leben in eingeengten beruflichen Bahnen zu führen - er bezeichnet die Stadt Hamburg, in der er mit dem von seinem Onkel Salomon Heine für ihn eingerichteten Tuchgeschäft pleite geht, als „Schacherstadt“ und „verludertes Kaufmannsnest“ - dieser Enge meint er in Paris entkommen zu können und sein „unerquickliches Leben“ in Hamburg hinter sich zu lassen. Salomon Heine zeigt sich sein Leben lang großzügig und unterstützt seinen Neffen auch im fernen Paris.6
Heines erste Adresse in Paris ist das Hôtel de Luxembourg in der Rue Vaugirard 54, direkt am Jardin de Luxembourg, also eine sehr noble Unterkunft. Schon im Februar 1832 wechselt er allerdings auf die andere Seite der Seine, die Rive droite, in eine Wohnung in der Rue de l´Échiquier 38, die in einem stillen Hinterhof liegt. August Lewald schreibt dazu in seinen Gesammelten Schriften über seinen Freund Heine: „In Paris wählt er lange, bis er eine Wohnung findet. (…) Die einsamsten, entlegensten Straßen sind ihm die liebsten; und nun wählt er wieder einen einsamen, stillen Hof, oft den zweiten, dritten, wenn es sein kann, weit weg vom Geräusche und Treiben des Lebens; kein Stall, kein Waschhaus, kein Handwerker darf in der Nähe sein.“ Heines Wohnung „lag im zweiten Hofe eines geräumigen Hôtels, in welchem Gras wuchs und eine Todtenstille lagerte.“7
Heine glaubt sich, schreibt August Lewald weiter, „von Spionen aller Nationen umgeben, denn auch wegen seiner kühnen Aeußerungen über Louis Philipp hielt er sich nicht für sicher. Es war merkwürdig, ihn zu beobachten, mit welcher Verachtung der Gefahr er seine Meinung ins Publicum sandte.“8
In Paris schreibt Heine in dieser Wohnung neben Essays, Gedichten und Prosa auch politische Artikel für Zeitungen, für das deutsche Publikum in der Augsburger „Allgemeinen Zeitung“, die im Verlag der Cotta´schen Buchhandlung des Verlegers Johann Friedrich Cotta erscheint. Einige in dieser Zeitung veröffentlichten Beiträge gibt Heines Hamburger Verleger Julius Campe später, im Jahr 1833, nach längerem Streit zwischen Heine und Campe („Leben Sie wohl und hole Sie der Teufel“, Heine am 28. Dezember 1832 an Julius Campe) unter dem Titel „Französische Zustände“ als Buch heraus.
„Ich rede von der Cholera, die seitdem hier herrscht, und zwar unumschränkt, und die, ohne Rücksicht auf Stand und Gesinnung, tausendweise ihre Opfer niederwirft.“
Am 29. April 1832 veröffentlicht die „Allgemeine Zeitung“ als „Außerordentliche Beilage“ ohne Nennung des Namens des Verfassers den ersten Teil eines Berichtes mit dem Titel „Französische Zustände“, die Schilderung Heinrich Heines über die Cholera in Paris. Der Text erscheint bereits zehn Tage nach seiner Niederschrift in der Zeitung. An den folgenden Tagen können die Leser bis zum 2. Mai die weiteren Fortsetzungen der Beschreibungen Heines über die Cholera verfolgen. Am Schluss der letzten Folge sind die Initialen des Verfassers der Berichte aufgeführt: H. H., mehr nicht.
Unter den Datum des 19. April 1832 schreibt Heine, er wolle in einem späteren Artikel über die Revolution in Frankreich schreiben, aber „die Gegenwart ist in diesem Augenblicke das Wichtigere, und das Thema, das sie mir zur Besprechung darbietet, ist von der Art, daß überhaupt jedes Weiterschreiben davon abhängt.“9 „Ich rede von der Cholera“, erklärt Heine, die jetzt in Paris herrsche „und zwar unumschränkt, und die, ohne Rücksicht auf Stand und Gesinnung, tausendweise ihre Opfer niederwirft.“
„Bei dem großen Elende, das hier herrscht, bei der kolossalen Unsauberkeit, die nicht blos bei den ärmeren Klassen zu finden ist, bei der Reizbarkeit des Volkes überhaupt, bei seinem grenzenlosen Leichtsinne, bei dem gänzlichen Mangel an Vorkehrungen und Vorsichtsmaaßregeln, mußte die Cholera hier rascher und furchtbarer als anderswo um sich greifen.“
Mit dem „großen Elende“ beschreibt Heine die Lebenssituation der „ärmeren Klassen“, die nach seiner Darstellung darunter leiden müssen, dass die politisch Verantwortlichen keine ausreichenden Vorsichtsmaßnahmen veranlasst hätten, wie sie, Heine erwähnt es an anderer Stelle, in London getroffen worden sind.
Die „Deutsche Welle“ meldet am 31. Dezember 2019 unter der Überschrift „Mysteriöse Krankheit in China entdeckt“, eine bislang unbekannte Lungenkrankheit sei in der zentralchinesischen Metropole Wuhan ausgebrochen und fragt „Droht eine neue Pandemie?“10
Es würden Erinnerungen an die SARS-Pandemie aus dem Jahr 2002 wach, die zu den gefährlichsten Infektionswellen der jüngeren Zeit zähle. Jeder zehnte Patient sei damals an der Virus-Infektion gestorben. Das chinesische Parteiorgan, die „Volkszeitung“, dementiere jedoch diese Darstellung.
Seit Anfang Dezember 2019 erkranken mehrere Patienten in Wuhan an einer Lungenentzündung. Die Polizei in Wuhan ermittelt gegen Personen, die Gerüchte verbreiten, es handele sich um einen neuen Ausbruch von Infektionskrankheiten.11 Der Augenarzt Li Wenliang warnt vor der neuen Krankheit, unterschreibt jedoch anschließend auf Druck des örtlichen Büros für Sicherheit eine Erklärung, er habe „falsche Kommentare“ abgegeben und sei bereit, die Krankheit nicht weiter zu diskutieren. (3. Januar 2020). Li Wenliang stirbt am 6. Februar 2020 an der neuen Lungenkrankheit.
Eine ähnlich nüchterne Darstellung der Auswirkungen der Cholera in Paris im Jahr 1832, wie die obige Wiedergabe der aktuellen Entwicklung der Corona-Infektionen in Wuhan, ist nicht zu erwarten, wenn Heinrich Heine als Autor berichtet.
Ein Blick auf die literarische Arbeit Heines zeigt, dass er in den „Französischen Zuständen“ keineswegs objektiv als neutraler Berichterstatter agiert.
Heine beschreibt Stimmungen, auch seine eigenen, und schildert häufig weniger die Realität, sondern erzählt eher von emotional geprägten Eindrücken. Schon bei der Einleitung zu seiner Darstellung über die Cholera vermerkt Heine: „Ich wurde in dieser Arbeit viel gestört, zumeist durch das grauenhafte Schreien meines Nachbars, welcher an der Cholera starb.“ Er sei sich „zwar nicht bewußt, die mindeste Unruhe empfunden zu haben, aber es ist doch sehr störsam, wenn einem beständig das Sichelwetzen des Todes allzuvernehmbar ans Ohr klingt.“ Die Einführung zielt auf Emotionen der Leser, die die grauenhafte Situation nachvollziehen sollen. Das „Sichelwetzen des Todes“ ist ein sprachliches Meisterstück, das eine gewisse Schockwirkung in der Vorstellung der Leser hervorrufen dürfte, wenn sie sich ausmalen, wie der Tod mit abscheulichem Geräusch sein Werkzeug schärft.
Trotz der emotionalen Passagen seiner Berichte nimmt Heine für sich in Anspruch, eine objektive Darstellung der Cholera-Epidemie zu übermitteln. „Die folgende Mittheilung“, schreibt er, „hat vielleicht das Verdienst, daß sie gleichsam ein Bülletin ist, welches auf dem Schlachtfelde selbst, und zwar während der Schlacht, geschrieben worden, und daher unverfälscht die Farbe des Augenblicks trägt.“
Heine selbst bescheinigt sich die nötige „Gemüthsruhe“, um über die „Geschichte der Zeit“, die Cholera, zu berichten. Vom „Schlachtfelde selbst“ berichtet Heine nicht, sondern er lässt sich drei Wochen Zeit, bevor er mit Datum vom 19. April 1832 die Ereignisse der ersten Wochen der Epidemie zu Papier bringt.
„Ihre Ankunft war den 29. März offiziell bekannt gemacht worden, und da dies der Tag des Demi Carême12 und das Wetter sonnig und lieblich war, so tummelten sich die Pariser um so lustiger auf den Boulevards, wo man sogar Masken erblickte, die, in karrikierter Mißfarbigkeit und Ungestalt, die Furcht vor der Cholera und die Krankheit selbst verspotteten.“
„Le Moniteur universel“ informiert die Leser am 29. März 1832, dass einige Vorfälle am 27. und 28. März Anlass dazu geben anzunehmen, die krampfartige Cholera habe sich in Paris ausgebreitet. Die Zeitung beruhigt die Bevölkerung aber sofort mit der Information, es seien Schritte unternommen worden, die Fakten festzustellen. Im Übrigen gelten Sauberkeit, gesunde Ernährung, der Verzicht auf starke alkoholische Getränke und jegliche Exzesse als beste Vorsorge.
Das Corona-Virus breitet sich aus, weltweit, es kann zu einer Pandemie kommen, aber für uns in Deutschland ist das Risiko gering.
Das Robert Koch-Institut (RKI), die zentrale Forschungseinrichtung der Bundesrepublik Deutschland zur Beobachtung von Krankheiten und Gesundheitsgefahren, meldet am 13. Februar 2020, sechzehn Tage zuvor, am 28. Januar 2020, sei in Deutschland ein erster Fall einer Infektion mit dem „neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 laborbestätigt“ worden. Inzwischen seien 16 Fälle einer Infektion bekannt, schreibt das RKI in seinem „Epidemiologischen Bulletin“ 7/2020.13
Kenntnisse über die Eigenschaften des Virus, beispielsweise die Ansteckungsfähigkeit (Infektiosität), die Zeitdauer, bis nach einer Ansteckung bei Infizierten Symptome erkennbar sind (Inkubationszeit) oder wie lange Erkrankte Viren ausscheiden seien nicht vorhanden. Allerdings sei das „Risiko für die Bevölkerung in Deutschland aktuell noch als gering“ einzuschätzen. Wie das RKI zu dieser Beurteilung kommt, ist nicht nachvollziehbar, da das „Epidemiologische Bulletin“ auch berichtet, das Coronavirus breite sich in China, dem Land, in dem das Virus SARS-CoV-2 zuerst festgestellt worden ist, weiter aus, und die globale Entwicklung lege es nahe, „dass es zu einer weltweiten Ausbreitung des Virus im Sinne einer Pandemie kommen kann.“
Die „Tagesschau“ eröffnet die Sendung am 22. Januar 2020 um 20 Uhr mit der Meldung „In China werden immer mehr Fälle von Erkrankungen durch das neue Coronavirus bekannt. (…) Die Weltgesundheitsorganisation in Genf berät in einer Krisensitzung über die Lage.“ Im darauf folgenden Filmbericht heißt es: „Die Lage ist ernst.“ Filme und Grafiken verdeutlichen die internationale Ausbreitung des Virus, das zum ersten Mal, laut „Tagesschau“, auf einem Fischmarkt in der chinesischen Millionenstadt Wuhan in der Provinz Hubei aufgetreten sei. Der Beitrag über das Coronavirus ist mit 3: 50 Minuten relativ ausführlich; er endet mit der Einschätzung des RKI, das Risiko sei gering.
Das Publikum wird diesen Beitrag achselzuckend zur Kenntnis genommen haben.
Heinrich Heine notiert, die öffentlichen Hinweise und Mahnungen zur Vermeidung der Krankheit würden nicht ernst genommen.
„Desselben Abends waren die Redouten besuchter als jemals; übermüthiges Gelächter überjauchzte fast die lauteste Musik, man erhitzte sich beim Chahût14, einem nicht sehr zweideutigen Tanze, man schluckte dabei allerlei Eis und sonstiges kaltes Getrinke: als plötzlich der lustigste der Arlequine eine allzu große Kühle in den Beinen verspürte, und die Maske abnahm, und zu aller Welt Verwunderung ein veilchenblaues Gesicht zum Vorschein kam. Man merkte bald, daß solches kein Spaß sei, und das Gelächter verstummte, und mehrere Wagen voll Menschen fuhr man von der Redoute gleich nach dem Hotel-Dieu, dem Centralhospitale, wo sie, in ihren abenteuerlichen Maskenkleidern anlangend, gleich verschieden.“
In Düsseldorf erfreuen sich die vielen Tausend feiernden Karnevalisten am 24. Februar 2020 beim Rosenmontagszug an den Themenwagen, die an den Feiernden vorbeifahren. Ein blau-buntes lachendes „Carnevals-Virus“ aus Pappmachée auf einem der Themenwagen macht einem gelb-grünen, grimmig blickenden „Corona-Virus“, ebenfalls aus Pappmachée, eine lange Nase. Dem närrischen Frohsinn sind keine Grenzen gesetzt, jubelnd, trotz Regens, begrüßen die munteren Karnevalisten diesen geistesblitzenden Einfall rheinischen Humors in Zeiten der Pandemie.
Wichtig ist:„Die Karnevalisten bezogen klar Position gegen rechts“, vermittelt der Westdeutsche Rundfunk auf seiner Webseite. „Kamelle gegen Rechts: Rosenmontag in Düsseldorf und Köln“ lautet der Titel des WDR-Berichts, der auch die Zahl der Feiernden nennt: Eineinhalb Millionen Jecken in Köln und Düsseldorf. Das Bild des Karnevalwagens mit den Pappmachée-Viren kommentiert der WDR mit einem speziellen Sinn für Humor so:„Jeck ist härter“. Die Belustigungen der Einfaltspinsel im Karneval finden angemessene Resonanz im öffentlich-rechtlichen Fernsehen.
„Direkt aus dem dpa-newskanal“, also - wie so häufig - unter Verzicht auf den Versuch eigener journalistischer Arbeit, berichtet die „Süddeutsche Zeitung“ am 28. Februar 2020, vier Tage nach dem Rosenmontag, es befänden sich schätzungsweise 1000 Menschen im Kreis Heinsberg, dem westlichsten Kreis in Deutschland im Regierungsbezirk Köln, in häuslicher Quarantäne. Ein 100-köpfiger Krisenstab kämpfe gegen die Ausbreitung des neuartigen Coronavirus. Auf einer Karnevalsveranstaltung am 15. Februar 2020, einer „Kappensitzung“, könnten sich etwa 400 Personen infiziert haben.15
„Lustig, wie sie gelebt haben, liegen sie auch lustig im Grabe.“
„Da man in der ersten Bestürzung an Ansteckung glaubte, und die älteren Gäste des Hotel-Dieu...

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