TEIL II
ERFOLGSSTRATEGIEN FÜR STATIONÄRE HÄNDLER oder: Wie Sie auch morgen noch kräftig verkaufen werden
Handelspessimisten frage ich gern, ob sie schon mal auf einem Wochenmarkt gewesen sind. Die Antwort lautet meistens „Ja!“ Wochenmärkte sind fast immer gut besucht, und das, obwohl sie eigentlich aus der Zeit gefallen sind. Im Mittelalter, in der frühen Neuzeit und bis ins frühe 20. Jahrhundert mag es sinnvoll gewesen sein, dass Händler aus der Umgebung einen zentralen Platz aufsuchten, um dort zu festen Terminen ihre Waren feilzubieten. Aber heute? Jeder Supermarkt ist preiswerter und bequemer. Der Kunde muss nichts schleppen, da er Einkaufswagen nutzen und seinen eigenen auf einem Stellplatz vor der Tür abstellen kann. Bei Regen und Wind hat der Kunde ein Dach über dem Kopf, der Supermarkt ist im Winter geheizt, im Sommer klimatisiert. Zudem haben Wochenmärkte ein begrenztes Angebot und finden höchstens zweimal wöchentlich statt. Wer dort einkauft, muss daher ohnehin weitere Geschäfte aufsuchen. Nüchtern betrachtet gibt es wenig Gründe, auf einen Wochenmarkt zu gehen: Es ist teurer, unbequemer und zeitraubender.
Trotzdem tun es Millionen Kunden Woche für Woche. Denn Wochenmärkte bündeln wie in einem Brennglas die Vorteile des stationären Handels: direkte Verfügbarkeit, Sinnlichkeit, menschliche Begegnungen. Man kennt sich, man grüßt sich, man trifft sich. Als Kunde entdeckt man, statt nur zu ordern. Als Verkäufer muss man seinen Job lieben, um Eisfüße im Winter, Regen, Kälte und Hitze im Sommer zu ertragen. Kunden werden zu Stammkunden, weil das Sortiment stimmt und weil sie sich persönlich angesprochen fühlen. Einkaufen folgt eben nicht nur rationalen Gesetzen und nüchternen Kosten-Nutzen-Rechnungen. Wer das als stationärer Händler versteht und beherzigt, hat bereits die erste und wichtigste Hürde genommen. Wochenmärkte führen uns vor Augen, dass Kunden auch heute noch „analoge“ Erlebnisse suchen. Diese erfolgreich zu gestalten ist die zentrale Herausforderung an den modernen stationären Handel.
Man muss Menschen mögen (M4)
Die wenigsten von uns taugen zum Eremiten – Menschen sind soziale Wesen. Ein wesentlicher (wenn auch nicht der einzige) Grund dafür, das Haus zu verlassen, um eine Ware zu erstehen, statt das im Internet mit wenigen Klicks zu erledigen, ist die persönliche Begegnung. Verläuft diese Begegnung positiv, ist das eine Bestätigung, die weitere stationäre Einkäufe nach sich ziehen kann. Verläuft sie negativ, werden viele Kunden nach Alternativen suchen. Das kann ein anderer Laden sein oder auch das Internet. Im Umkehrschluss bedeutet das: Wer möchte, dass Menschen sich zu ihm auf den Weg machen, sollte dafür sorgen, dass sie sich willkommen fühlen. Und die Grundvoraussetzung dafür ist, Menschen zu mögen. Dieses Zitat von meinem Geschäftsleitungskollegen Dominic Möckli aus Uhwiesen in der Schweiz bringt es auf den Punkt. Oder wie man in China sagt: „Wer nicht lächeln kann, sollte kein Geschäft eröffnen.“ Wenn der Computerbildschirm das Einzige ist, was in Ihrem Laden strahlt, bekommen Sie eher früher als später ein Problem.
Muss man solche Selbstverständlichkeiten eigentlich noch aufschreiben? Gegenfrage: Wenn das so selbstverständlich ist, warum wird es dann so selten gelebt? Beispiel: ein inhabergeführtes Sanitätshaus. Der Kunde möchte ein ergonomisches Sitzkissen für seinen Bürostuhl. Vorrätig ist nur ein schwarzes. „Gibt es das auch in blau?“ – „Ja, aber(!) das müsste ich bestellen.“ Der Kunde will wissen, wie lange das dauern wird. „Eine Woche.“ Fest entschlossen, den lokalen Einzelhandel zu stärken, bittet der Kunde um Bestellung. Angeboten wird sie ihm nicht. Eine Woche später bei der Abholung (eine Benachrichtigung gibt es nicht; „Da müssen Sie nachfragen.“): Während die einzige Verkäuferin mit einem anderen Kunden beschäftigt ist und nicht einmal grüßt, diskutieren in einem einsehbaren Büroraum zwei weitere Kräfte interne Probleme. Nach etwa drei Minuten macht der Kunde auf sich aufmerksam: „Entschuldigung, ich möchte nur eine Bestellung abholen!“ Widerstrebend erbarmt sich eine Verkäuferin. Von einer Bestellung weiß sie nichts und sie findet das Kissen auch nicht. Nach einigem Hin und Her und dem Durchsuchen etlicher Schubladen taucht die Ware schließlich auf. Zu allem Überfluss möchte der Kunde jetzt auch noch einen Beleg fürs Finanzamt. Wo war doch gleich der Quittungsblock? Nur spaßeshalber schaut der ernüchterte Kunde zu Hause im Internet nach. Bei einem großen Online-Händler, den wir alle kennen, wäre das Kissen fünf Euro billiger und versandkostenfrei in zwei Tagen lieferbar.
Das Einzige, was stört, ist der Kunde?
In Summe bleibt der Eindruck, das Leben mancher Verkäufer könnte recht schön sein, wenn sie nicht ständig durch lästige Kunden gestört würden. Etwa im Kaufhaus, wo niemand zu sehen ist, den man fragen könnte, wo das Gewünschte zu finden ist. Ich nenne das den „David-Copperfield-Effekt“: Die Mitarbeiter sind wie weggezaubert, wenn man sie braucht, und das trotz T-Shirt-Aufdruck „Wir sind gerne für Sie da.“ Nicht viel anders kann es einem als Kunden in den Flagship-Stores bekannter Marken ergehen, in denen Aushilfskräfte sichtlich gelangweilt miteinander Smalltalk halten, während der Kunde vergeblich nach seiner Größe sucht. Gerade in durchdesignten Markenstores birgt das Problem eine bittere Komik: Dort werden sechsstellige Summen investiert, um dem Kunden in teuerster Lage ein „Einkaufserlebnis“ zu bieten, doch das wahre Erlebnis, mit dem er den Laden wieder verlässt und das bei ihm hängen bleibt, ist das von Arroganz, Unfreundlichkeit, bestenfalls Gleichgültigkeit. Der menschliche Faktor dominiert jede noch so stylische Inneneinrichtung.
Eine Ausnahme ist das Geschilderte nicht: Das Magazin stores + shops listete Anfang 2018 die „Top-18-Shoppingkiller im Einzelhandel“, also jene Faktoren, bei denen der Kundenschmerz einer Befragung zufolge „sehr hoch“ bzw. „hoch“ ist. Auf Platz 1 landete „Verkäufer nicht auffindbar“, gefolgt von langen Kassenschlangen. Platz 3: „Unfreundliche, nicht motivierte Mitarbeiter“. Weiter unter den Top 10: „Schlechte Beratung/Fehlberatung.1 Das Absurde: Der wichtigste Erfolgsfaktor im stationären Handel verursacht keine Zusatzkosten. Freundlichkeit und Aufmerksamkeit kosten nicht mehr Zeit und Energie als Unfreundlichkeit und Desinteresse. Allenfalls lässt sich fragen, ob genügend Personal vor Ort ist und ob dieses Personal richtig ausgebildet und geschult ist. Dann kommen natürlich Kosten ins Spiel. Doch wer hier spart, spart am falschen Platz. Fairerweise muss man sagen, dass es natürlich auch Gegenbeispiele gibt – Läden, in denen man zuvorkommend, aufmerksam und freundlich bedient wird. Doch das Erstaunen darüber ist zugleich eine indirekte Bankrotterklärung für den eher mauen Durchschnitt. Muss man als Kunde schon begeistert sein, wenn selbstverständliche Erwartungen an den Servicestandard erfüllt werden? Und wie häufig müssen Positiverlebnisse stattfinden, damit genervte Kunden nicht gänzlich die Lust am stationären Handel verlieren und die „guten“ Händler für die „schlechten“ mit in Haftung genommen werden? Vertrieb kommt von vertreiben – und ich habe den Eindruck, oft vertreibt man die Kunden.
Auch beim Thema Servicequalität im stationären Handel mangelt es eher an konsequentem Handeln als an Studien, die oft genug nur bestätigen, was erfahrene Händler ohnehin schon wissen. So ergab eine repräsentative Umfrage unter 1000 Konsumenten durch das Beratungsunternehmen PwC, dass Kunden sich im stationären Handel vor allem wünschen, dass der Verkäufer
•„freundlich, aufmerksam und präsent“ ist (75 %),
•„neutraler Berater“ ist und dem Kunden „das am besten geeignete Produkt verkauft“ (60 %),
•sich auf den Kunden „einstellen“ kann und „schnell versteht, was der Kunde sucht oder was zu ihm passt“ (51 %), außerdem, dass er
•„Empfehlungen zu passenden Produkten oder Alternativen“ gibt (50 %).
Bemerkenswert ist, dass die menschliche Komponente („Freundlichkeit“) deutlich vor der fachlichen rangiert. Doch auch in Sachen Beratungsqualität gibt es noch genug zu tun: Bei ihrem letzten Einkauf stießen 2 Prozent der Kunden auf einen komplett ahnungslosen Verkäufer, 10 Prozent auf einen wenig informierten, 13 Prozent fanden erst gar keinen, 38 Prozent sahen sich teilinformiert und nur 30 Prozent bekamen die erhofften Informationen und Empfehlungen.2 Wenn tatsächlich nur jeder dritte Kunde am Point of Sale alle Infos erhält, die er sucht, sägt da eine Branche ziemlich kräftig am eigenen Ast. Bestätigt werden die Ergebnisse der Studie unter anderem durch das Consumer Barometer, für das die IFH Köln und KPMG vom März 2017 500 Konsumenten befragten. Neben Produktqualität und kulanten Rückgabemöglichkeiten ist die „individuelle Beratung durch Mitarbeiter im Ladengeschäft“ wesentlich dafür, dass Kunden sich von einem Unternehmen „in den Mittelpunkt gestellt sehen“, dicht gefolgt von „schneller Verfügbarkeit“ eines Verkäufers.3
Ob Mode, Elektronik oder Lebensmittel, die Tendenz ist überall die gleiche. Speziell dem Lebensmitteleinzelhandel widmete sich eine Feldstudie der Roland Berger Strategy Consultants, die 5000 Konsumenten befragten. Danach sind 34 Prozent der Kunden unzufrieden mit dem stationären Handel (sehen ihre „Bedürfnisse nicht voll erfüllt“). Neben Kritik am Sortiment der Hauptkritikpunkt: fehlende „Hilfe bei Nichtverfügbarkeit von Ware“ (für 51 Prozent ein Ärgernis). Umgekehrt sagt rund jeder zweite Kunde, er habe schon „spontan mehr Geld ausgegeben als geplant“, weil er freundlich und kompetent bedient wurde oder weil ihn ein Verkäufer auf weitere Produkte aufmerksam gemacht habe.4 Wenig überraschend: Gute Verkäufer tragen zum Umsatz bei. Dafür sind sie schließlich da!
Auch wenn der stationäre Handel kostenoptimiert wirtschaften muss, und das aufgrund neuer Wettbewerber heute mehr denn je, verspielt er einen zentralen Wettbewerbsvorteil, wenn er Kunden durch unfreundliches und inkompetentes Verkaufspersonal verärgert. Wir sollten alle wieder mehr in Augenkontakt und Pulsschlag investieren, nicht (nur) in Bits und Bytes. Denn eine Überlebensfrage für viele Händler lautet: Habe ich genügend kundenorientiertes – gleichermaßen freundliches wie kompetentes – Personal? Und was kann ich dazu beitragen, dass meine Mitarbeiter mit Freude verkaufen? Mehr dazu im Abschnitt „Von stinkenden Fischen und lächelnden Mitarbeitern“.
Wahre Größe entscheidet sich in Kleinigkeiten
Ein anderes Einkaufserlebnis, dieses Mal im Schuhgeschäft in meiner Nähe. Die Einrichtung verströmt den rauen Charme der Achtzigerjahre, aber der Service stimmt. Als Kunde wird man beim Eintreten freundlich begrüßt: „Guten Tag! Wie kann ich Ihnen helfen?“ Auch wer sich „nur umschauen möchte“, erntet ein Lächeln: „Gerne, melden Sie sich einfach bei Bedarf!“ Die Beratung ist vorbildlich. „Wofür brauchen Sie den Schuh? Eher sportlich oder eher fürs Büro? An welche Farbe hatten Sie gedacht?“ Schnell ist klar: Hier kennt man sich aus mit Nubuk, Leder und Co. Nach dem Kauf werden die Schuhe kostenlos imprägniert: „Soll ich Ihnen die Schuhe kurz einsprühen? Dann können Sie sie gleich tragen.“ Gekonnt wird das Ganze mit Mehrverkauf kombiniert: „Haben Sie so ein Spray zu Hause? Und auch die passende Creme für diese Farbe? Damit bleibt das Leder lange schön.“ Und schon landen zwei Pflegemittel in der Einkaufstasche. Zu Hause werde ich feststellen, dass wir die Schränke voll haben mit Cremes und Sprays, aber meiner Begeisterung für so viel kundenorientierte Problemlösekompetenz tut das keinen Abbruch. Beim Bezahlen an der Kasse nimmt die Verkäuferin meine Karte entgegen, wirft einen kurzen Blick darauf und verabschiedet mich mit „Viel Freude mit dem neuen Schuh, Herr Dr. Frick!“
Bei diesem mittelständischen Schuhhaus stimmt die „Customer Journey“, vermutlich ohne dass man diesen Begriff dort je gehört hat. Der Kunde fühlt sich willkommen und wertgeschätzt. Ausgehend davon die zehn Gebote der Kundenorientierung beim persönlichen Verkauf:
1.Aufmerksamkeit: Der Kunde wird wahrgenommen und begrüßt, und zwar von jedem Verkäufer. Idealerweise hat er sofort das Gefühl, dass er hochwillkommen ist.
2.Freundlichkeit: Gute Verkäufer schätzen den Kundenkontakt und gehen lächelnd auf Kunden zu.
3.Interesse: Der Kunde wird gefragt, ob und wie man ihm behilflich sein kann. Sind gerade alle Verkäufer im Kundengespräch, geben sie zumindest ein kurzes Signal („Ich bin gleich für Sie da“).
4.Empathie: Gute Verkäufer können Kunden „lesen“. Sie erkennen ra...