Die Musik auf den Dächern
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Die Musik auf den Dächern

Erzählungen

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Die Musik auf den Dächern

Erzählungen

About this book

Latifa riecht plötzlich nach frisch geröstetem Kaffee, was erstaunliche Folgen hat. Ein junger indischer Germanist knackt das Passwort zum Nachlass eines gefeierten Schriftstellers – beobachtet von einem Hasen im Kopf von dessen Sohn. Außerirdische pflanzen Sonnenblumen in zu einem Hakenkreuz arrangierten Gummistiefeln. Der Rattenfänger von Hameln erzählt die Geschichte endlich mal aus seiner Sicht. Hillalum trifft die Gottmaschine. ?eyda hat Migrationshintergrund und geht mit dieser Diagnose ganz anders um, als von ihr erwartet wird.Virtuos schlüpft Selim Özdogan in sehr verschiedene Erzählerrollen und zeigt dabei sein Können in allen Registern. Sein oft melancholischer Blick spürt das Schöne im Alltäglichen auf und legt dabei Überraschendes bloß. Gekonnt unterläuft Özdogan immer wieder die Erwartungen, indem er sämtliche Zuschreibungen ins Leere laufen lässt. Nicht zuletzt die Anspielungen und Zitate aus Mafiafilmen, Popmusik und Beatliteratur machen die Lektüre seiner Texte zu einem großen Vergnügen.

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Information

HERR RICHTER

Arnold Elser landet in der Keupstraße, dort, wo am 9. Juni 2004 die Nagelbombe des NSU detonierte. Es ist das Jahr 2021, ein Jahr vor Arnold Elsers Geburt. Elser ist aus der Zukunft in unsere Zeit gereist, um zu bewirken, dass die NSU-Akten, die bis 2044 unter Verschluss sind, vorher der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. 2044 ist Deutschland bereits ein faschistischer Staat und es ist zu spät für eine Auseinandersetzung.
Aus diesem Plot, der ein wenig nach Sci-Fi-Thriller klingt, nach Philip K. Dick und Terminator, bastelt Adem Rexhepi, 31, in seinem fulminanten Debüt ein mehrdimensionales Bild der Gesellschaft, der jetzigen und der möglichen zukünftigen, und legt seinen Finger dabei in viele Wunden. Elsers Suche nach Unterstützung, Einfluss und Möglichkeiten führt ihn in die verschiedensten Milieus und Zusammenhänge. Doch fast niemand möchte ihm Glauben schenken, auch wenn viele davon beeindruckt sind, wie akkurat er zukünftige Ereignisse vorhersagen kann. Ein spannend geschriebener, gut recherchierter Roman.
Für Leser von Stella, Der Vorleser, Er ist wieder da.
2044, Roman, Adem Rexhepi, 221 Seiten, Mund-Verlag
Im Supermarkt steht Adem vor dem Weinregal. Er kennt sich nicht aus mit Weinen, einen weißen wollte er kaufen, lieber etwas mehr ausgeben, nun nimmt er sein Handy aus der Tasche und gibt in die Suchmaschine Weißwein zu indischem Essen ein. Nur zwei Minuten später steht er mit zwei Flaschen Gewürztraminer zu je 14,90 an der Kasse.
Vier Straßen weiter klemmt er sich eine Flasche unter den Arm, um eine Hand zum Klingeln frei zu haben. Er drückt die Tür mit der Schulter auf und geht die breiten Altbaustufen hoch in den dritten Stock, wo Marc ihn an der Tür erwartet.
Adem fragt sich kurz, warum er im Supermarkt keine Tüte genommen hat, stellt dann beide Flaschen einfach auf den Boden, bevor er Marc die Hand gibt. Hinter ihm sieht er schon Snežana kommen.
Er weiß, dass sie hin und wieder im Fernsehen zu sehen ist, hauptsächlich aber Theater spielt, doch gesehen hat er sie noch nie. Sie ist groß, etwas größer als er, mit dunklen Haaren, die über die Schultern fallen, und einem kleinen Höcker auf der knochigen langen Nase.
Nachdem sie ihm die Hand gegeben hat, legt sie ihre Hände auf seine Oberarme und gibt ihm Küsse auf die Wangen.
– Willkommen, sagt sie, ich habe schon so viel von dir gehört. Das muss ja ein fantastisches Buch sein, das du da geschrieben hast, es liegt auf meinem Nachttisch, seit Wochen schon, aber die Proben für das neue Stück verlangen mir viel ab. Wenn ich mich abends hinlege, fallen mir sofort die Augen zu. Ich will es aber unbedingt lesen.
– Es kommen wahrscheinlich auch wieder andere Zeiten, sagt Adem, dreht sich zurück zur Tür, geht zwei Schritte, beugt sich hinunter und nimmt eine Flasche links und eine Flasche rechts.
– Ich weiß nicht so recht, ob das wirklich zu indisch passt, sagt er und gibt Marc die Flaschen.
– Das wäre nicht nötig gewesen. Und dann gleich zwei.
– Wenn es dir schmeckt, trinkst du allein eine ganze, hast du gesagt.
Marc nickt, schaut aufs Etikett und sagt anerkennend:
– Wenn Weißwein zu indisch, dann am ehesten den. Wir haben auch Kingfisher, falls du lieber Bier magst, komm rein.
Es ist ein langer Flur mit Holzdielen, sie gehen an drei Türen vorbei, bevor sie schließlich in die große Wohnküche mit einem freistehenden Gasherd gelangen. In einem Topf köchelt etwas auf kleiner Flamme und die Luft riecht nach Gewürzen und Frittiertem.
– Setz dich, sagt Snežana. Was möchtest du trinken?
– Ein Wasser.
– Aperitif vielleicht? Hugo, Martini, Campari?
– Nein, nein, danke, ein Wasser, ein stilles reicht vollkommen.
– Ich kann einen sehr leckeren Granatapfel-Ingwer-Aperitif, Marc mag den nicht, aber wenn du mir Gesellschaft leisten würdest …
– Erstmal nur Wasser, wirklich, besten Dank. Schön habt ihr es hier.
– Ja, wir sind ganz glücklich mit der Wohnung, sagt Marc.
Du wohnst in Moabit, richtig?
– Ja, nicht weit vom Gefängnis.
– Bist du da aufgewachsen?, fragt Snežana.
– Nein, antwortet Adem, ich bin nicht aus Berlin. Als wir nach Deutschland kamen, waren wir zuerst fast drei Jahre in Landau, in der Pfalz, dann sind wir nach Berlin gezogen, direkt nach Moabit. Ein guter Freund meines Vaters wohnte schon da.
Snežana hat Adem ein Wasser gegeben und öffnet den Wein, den Adem mitgebracht hat. Sie schenkt zwei Gläser ein und fragt noch mal:
– Oder doch von dem Wein? Nur einen kleinen Schluck vielleicht, zum Anstoßen?
– Danke, nein.
Sie stoßen an, Adem mit dem Wasser, er bedankt sich für die Einladung.
– Schön, dass du Zeit gefunden hast, sagt Marc. Als meine Rezension erschien, habe ich schon damit gerechnet, dass das Buch erfolgreich werden würde, aber das Ausmaß konnte niemand absehen.
– Ja, sagt Adem, im Moment bin ich selten länger als drei Tage am Stück zu Hause, Alva ist langsam genervt, obwohl sie sich auch freut für mich.
– Schade, dass sie nicht mitkommen konnte, wir hätten sie gerne kennengelernt.
– Wie gesagt, sie hat keine Vertretung gefunden.
Marc steht auf, hantiert kurz am Herd und stellt dann einen großen flachen Servierteller auf den Tisch.
– Pakoras, gefüllt mit Erbsen und Paneer. Dazu eine Soße aus Tamarinden und ein Mangochutney. Mangochutney ist gekauft, der Rest ist selber gemacht. Bedien dich einfach. Guten Appetit.
– Wenn Marc indisch kocht, schmeckt das immer so richtig authentisch und nicht so wie in den meisten indischen Restaurants hier, sagt Snežana, während sie den Servierteller in Adems Richtung schiebt.
– Das kann ich nicht beurteilen, ich war noch nie in Indien, sagt Adem. Und fügt nach einer Pause hinzu: Nicht nur das, ich war noch nie außerhalb Europas.
– Krass, sagt Snežana. Ich kenne wahrscheinlich wenig Menschen, die das von sich sagen können.
– Ich bald auch nicht mehr. Ich habe eine Einladung ins Goethe-Institut in Boston.
Adem grinst und wirkt ein wenig verlegen.
– Ah, Boston, gratuliere, sagt Marc, wie schön. Das ist eine der ältesten Städte in Nordamerika, es gibt noch viele Gebäude, die an die georgianische Architektur erinnern. Ich war immer gerne da, reiches Kulturleben, Harvard direkt in der Nähe. Ich kenn den Leiter des Instituts nicht, aber du wirst bestimmt eine gute Zeit haben.
– Die Pakoras schmecken echt gut, sagt Adem mit vollem Mund, auch wenn ich nicht den Vergleich habe.
– Ja, köstlich, Marc, wirklich, sagt Snežana, zum Reinlegen. Du hast dich selber übertroffen.
Sie stöhnt genüsslich und etwas übertrieben. Dann wendet sie sich an Adem:
– Wie gesagt, ich habe dein Buch noch nicht gelesen, aber ich kenne ja die Geschichte und Marc konnte mir eine Frage nicht beantworten: Du hast Terminator gesehen, richtig?
– Klar, sagt Adem. Das ist ja eine offensichtliche Referenz in dem Buch.
– Ich bin vom Fach, ich kann die Referenz erkennen, auch wenn ich den Film nicht gesehen habe. Tiefste 80er, einer von diesen rein weißen Filmen, in denen Diversität ein absolutes Fremdwort ist. Aber ist ja vierzig Jahre später nicht wirklich besser, die meisten Filme und Serien kann ich einfach nicht gucken, was interessiert mich eine Welt, die nur weiß, männlich und sexistisch ist.
– Ich habe so ein Faible für Gangsterfilme und -serien, sagt Adem. Shottas, Top Boy, Ill Manors, Blood in, Blood out und so. Da sind die Schauspieler dann meist nicht weiß.
– Ja, aber das ist auch Teil des Problems, entgegnet Snežana. Entweder ist alles sauber und weiß, oder es ist Gangsta, so richtig böse, dann dürfen People of Color Hauptrollen spielen. Mafia und Italien ist noch irgendwie schick, das sind Weiße und die essen gerne gut, ehren ihre Mutter und verstehen was von Dolce Vita, sind halt nur leider gewalttätig. Aber was kannst du spielen in Deutschland, wenn du dunkle Haare und nennenswerte Augenbrauen hast? Drogendealer, Türsteher, Arbeitslose. Oder in meinem Fall geht so ein Modepüppchen mit viel zu langen Fingernägeln oder eine Prostituierte in einem Krimi für ein drittes Programm. Oder Putzfrau. Ich bin denen zu dunkel, um auf der Bühne das Gretchen zu geben. Im Fernsehen bin ich nie blond genug, um eine Ärztin zu spielen oder eine Anwältin. Die Nase zu groß, um jemanden mit Erfolg zu verkörpern. Allein schon mit wem ich bei der Aufnahmeprüfung für die Schauspielschule war. Nicht Dilaras und Aynurs, sondern Annikas und Sarahs. Man braucht sich nur Filme und Theaterstücke anzuschauen, um zu wissen, dass das ganze Land rassistisch und sexistisch ist, dafür braucht man keine Nachrichten und Debatten. Deswegen will ich auch unbedingt dein Buch lesen. Wenn ich das richtig verstehe, kann man da sehen, dass hier überall noch Nazis sitzen. Und wo zufällig keine Nazis sitzen, sind wir immer noch struktureller Gewalt ausgesetzt. Deutschland versucht uns mit aller Macht kleinzuhalten.
Marc nickt bestätigend und sagt:
– Immer ein wenig schwierig, als weißer Mann aus gutbürgerlichen Verhältnissen diese Wahrheit zu akzeptieren.
Er lacht ein wenig angestrengt. Adem dreht die Gabel zwischen seinen Fingern, scheint zu überlegen und sagt dann:
– Das ist ja wie immer nur ein Teil der Wahrheit. Nur in solchen Verhältnissen, wie wir sie haben, kann ja ein Buch wie 2044 so erfolgreich sein. Ja, es gibt Nazis, aber es gibt ja auch Menschen, für die es selbstverständlich ist, dagegen zu sein. Besonders, wenn man im Verdacht steht, auf der falschen Seite zu stehen. So wie du dich eben so halbironisch als weißer Mann aus gutbürgerlichen Verhältnissen bezeichnet hast. Gerade dann muss man irgendwie beweisen können, dass man eben nicht so ist, wie man laut Stereotyp sein könnte. Das heißt, Menschen wie ich finden bei Menschen wie dir auch einen Nährboden für Erfolg. Dass 2044 so groß werden würde, konnte ich nicht ahnen, aber ich habe damit gerechnet, dass es erfolgreich wird. Nazis, Rassismus, Attentate, Ausgrenzung, Verschwörungen auf höchster Ebene, das alles von jemandem, der keinen deutschen Namen hat, spannend geschrieben, aber nicht zu einfach, Autor offensichtlich gebildet und gut informiert. Es gibt in diesem Land eine Obsession mit dem Thema, Serdar Somuncu hat seine Karriere auf Mein Kampf aufgebaut. Am liebsten bekommt man es serviert von jemandem, den man nicht als Deutschen wahrnimmt.
Snežana sieht ihn mit leicht offenem Mund etwas ungläubig an, während Adem noch einen Bissen von seinem Pakora nimmt.
– Das war Kalkül?, fragt sie.
Adem kaut und scheint das Essen zu genießen, er fühlt sich nicht angegriffen von dieser Frage. Marc sieht ihn auch abwartend an. Adem schluckt und lehnt sich zurück.
– Kalkül ist ein böses Wort dafür, sagt er. Ich wollte nur sagen, dass die Wahrheit vielschichtig ist. Es gibt ja offensichtlich ein Problem mit diesen NSU-Akten, sonst würden sie sie freigeben. Es wird offensichtlich wenig getan, um das Leben gewisser Menschen zu schützen. Sie wollen uns weismachen, das seien nur drei Leute gewesen, und wenn sie könnten, würden sie auch noch sagen, dass die nicht mal rechtsextrem waren, sondern psychotisch. Wie kann ich das so verpacken, dass ich möglichst viele Menschen damit erreiche, habe ich mich gefragt. Und es ist ja immer noch kein Mainstream, die Verkaufszahlen liegen weit hinter Büchern wie Stella oder Er ist wieder da, eben weil es auch wehtut und nicht so behaglich ist. Aber ich wollte Erfolg haben und habe geschaut, wie man das wohl bewerkstelligen kann. Ich bin nicht einer, der verkannter Künstler sein will und sich einen darauf runterholt, dass die Leute ihn nicht verstehen, einer, der nur eine Elite erreichen möchte, die hohe Literatur schätzt und dem die anderen egal sind. Ich wollte, dass alle dieses Buch lesen können, auch die, die die ganzen filmischen und literarischen Referenzen nicht erkennen können. Ich sitze ja jetzt privat hier, in eurem privaten Raum, also rede ich vielleicht zu offen, keine Ahnung, das geht ja jetzt irgendwie auch gegen Marc, so: Ich weiß genau, welche Knöpfe ich bei dir und deinesgleichen drücken muss, ...

Table of contents

  1. Cover
  2. Über den Autor
  3. Titel
  4. Impressum
  5. Inhalt
  6. Alles fängt mit A an
  7. In Gummistiefeln
  8. Die Bibelwerkstatt
  9. Drei Seiten
  10. Das Kleid meiner Mutter
  11. Ein geheimer Akkord
  12. Was in dieser Musik geblieben ist
  13. Vom Leben gezeichnet
  14. Geschichte ohne Papier
  15. Letzte Wünsche
  16. Prüfung
  17. Die Depressionen der anderen
  18. Worauf wartest du
  19. 130 Kinder
  20. Man trauert nur um sich selbst
  21. Arabica Pacamara
  22. Am Strand
  23. Fitnessflüchtlinge
  24. Nach der Seitenlinie
  25. Herr Richter
  26. Erdkunde
  27. Sauber bleiben
  28. Paket
  29. Stimmt
  30. Nicht die Ohren
  31. Titelseite
  32. Fuchs und Bass
  33. Epilog