Jugendliche Lebensperspektiven: Optionen
„Die pastorale Tätigkeit“
Eva-Maria Gärtner
Der dritte Hauptabschnitt des Vorbereitungsdokuments zur Jugendsynode ist mit einer eher allgemeinen Formulierung überschrieben: „Die pastorale Tätigkeit“1. Im Zentrum steht dabei die Klärung der Frage, welche Konsequenzen sich für die Kirche bei der Begleitung Jugendlicher angesichts der gegenwärtig unsicheren Zeit ergeben. Konkret soll herausgearbeitet werden, „was es mit sich bringt, die Herausforderung der Seelsorge und der Unterscheidung im Hinblick auf die Berufung ernst zu nehmen“2; Berücksichtigung finden dabei „die Subjekte, die Räume und die zur Verfügung stehenden Mittel“3.
Ein solches Vorgehen erfordert, sich mit den Jugendlichen gemeinsam auf den Weg zu machen. Konsequenterweise kann und muss dies bedeuten, „aus den eigenen vorgefertigten Schemata auszusteigen“, sich den Jugendlichen und deren Rhythmen anzupassen und sie in ihrer individuellen Lebenssituation ernst zu nehmen, speziell bei der mehr oder weniger bewussten Suche nach dem Sinn im Leben.4 Zugespitzt ausgedrückt: Die Jugendlichen müssen genau dort abgeholt werden, wo sie sind!
Daraus ergeben sich (An-)Fragen, speziell an die pastoralen Strukturen. Welche Angebote erwarten die Jugendlichen von der Kirche? Oder mit Ute Leimgrubers5 Beitrag nochmals differenziert und äußerst innovativ gefragt: Braucht die Kirche eine gut durchdachte Marketingstrategie, um sich mit attraktiven Angeboten von anderen, den religiös-spirituellen Bereich überfrachteten Optionen abzugrenzen und so wieder Anschluss an das jugendliche Zielpublikum zu finden? Wie können Möglichkeiten für (gelingende) jugendliche Lebensperspektiven in der Pastoral ganz konkret sichergestellt werden? Im Vorbereitungsdokument6 werden kreative Lösungsstrategien und das Gehen neuer, auch unbequemer Wege gefordert, die die Individualität eines jeden Jugendlichen berücksichtigen, was – wie bereits im 1. Kapitel ausgeführt7 – der gegenwärtig existierenden Komplexität und Diversität dieser Altersgruppe Rechnung trägt. Zentral ist die Begegnung mit den Jugendlichen. Grundlegende Impulse hierfür können einzelne Erzählungen aus den Evangelien liefern, die Begegnungen Jesu mit Menschen thematisieren. Abgeleitet wird ein Dreischritt8, der heutigem pastoralen Handeln Struktur und Kontur zu geben vermag: Die erste Dimension betrifft das „Hinausgehen“. Gemeint ist das sich Lösen aus vorgefertigtem Schubladendenken. Die Jugendlichen werden so zu Protagonisten und Protagonistinnen, die „die christliche Gemeinschaft umso anziehender finden, je mehr sie erleben, dass der konkrete und originelle Beitrag, den sie leisten können, angenommen wird“. Das „Sehen“ in einem zweiten Schritt bedeutet, die Jugendlichen genau in den Blick zu nehmen und sich intensiv mit deren Geschichten auseinanderzusetzen; dies betrifft sowohl positive Erfahrungen wie Freude, heißt aber auch, bedrohliche Erlebnisse mit ihnen zu teilen. Schließlich folgt aus der Loslösung von überkommenen Mustern sowie aus dem „In-den-Blick-nehmen“ das „Rufen“. Ein Wort, welches Sehnsüchte in den Menschen neu erweckt und sie dazu ermutigt, Fragen zu stellen, auf die es keine vorgefertigten Antworten gibt.
Entscheidend für die Verwirklichung der genannten Axiome sowie für eine gelingende Entwicklung Jugendlicher im Hinblick auf ihre Berufung sind authentische Bezugspersonen – Eltern sowie Familienmitglieder, die Hirten der katholischen Kirche, Lehrer und Lehrerinnen bzw. Erzieher und Erzieherinnen –, denen die Jugendlichen in unterschiedlichen pastoralen Räumen – zu nennen sind u. a. die Kirche, Pfarreien, Universitäten und Schulen, Seminare und Ausbildungshäuser, spirituelle Gemeinschaften oder kirchliche Bewegungen – begegnen.9 Den Jugendlichen bieten sich in diesen verschiedenen Bereichen Optionen für ein gewinnbringendes Begegnungsgeschehen. Thomas Wienhardt10 wendet sich in seinem Beitrag daher der Pfarrei als pastoralem Ort zu und versucht zu exemplifizieren, welche Erwartungen Jugendliche in qualitativer Hinsicht an diese stellen. Nicole Stockhoff geht exemplarisch auf den liturgischen Bereich ein, konkret auf Jugendgottesdienste; anhand dieser will sie aufzeigen, wie „Liturgie mit Jugendlichen als lebendige Begegnung zwischen Gott und Mensch zu verstehen und zu gestalten“11 sei. Sebastian Kießig legt den Fokus auf eine ganz konkrete Zielgruppe; er geht näher ein auf Berufungen zum priesterlichen Dienst und bewertet diese als „jugendlich und jugendfrei“12. Simone Birkel13 greift den für die Glaubenskommunikation mit Jugendlichen neuralgischen Bereich der Sprache auf; konkret geht sie in diesem Zusammenhang auf den in der Jugendkultur mittlerweile fest etablierten Poetry Slam ein und exemplifiziert dessen Chancen für die Arbeit in der Jugendpastoral.
Wenn die vorliegenden Beiträge auch nur einzelne pastorale Räume und wenige konkrete Situationen hinsichtlich der Unterstützung Jugendlicher bei der Unterscheidung im Hinblick auf ihre Berufung aufgreifen, wird trotzdem deutlich, dass die Jugendlichen „Subjekt und Objekt der Pastoral“14 sind und sein müssen.
1 Vgl. Vorbereitungsdokument zur vatikanischen Jugendsynode „Die Jugendlichen, der Glaube, die Berufungsentscheidung“, in: http://press.vatican.va/content/salastampa/it/bollettino/pubblico/2017/01/13/0021/00050.html#TED [Zugriff am 21. Februar 2018].
2 Ebd.
3 Ebd.
4 Vgl. ebd.
5 Vgl. Leimgruber, Ute, Kirche ist nicht die „message“. Über kirchliche Marketingstrategien und Jugendpastoral, s.u., 183-202, hier: 183-186.
6 Vgl. Vorbereitungsdokument zur vatikanischen Jugendsynode (wie Anm. 1).
7 Vgl. Kühnlein, Marco, „Die Jugendlichen in der Welt von heute“, s.o., 23f.
8 Vgl. hier und im Folgenden: Vorbereitungsdokument zur vatikanischen Jugendsynode (wie Anm. 1).
9 Ebd.
10 Vgl. Wienhardt, Thomas, Qualitätserwartungen junger Menschen an Pfarreien, s.u., 203-213, hier 203-206.
11 Stockhoff, Nicole, „Da wohnt ein Sehnen tief in uns“: Jugendgottesdienste als Thema, s.u., 215-229, hier: 215.
12 Kießig, Sebastian, Berufungsentscheidungen sind jugendlich und jugendfrei. Optionen priesterlicher Berufungswege, s.u., 231-245, hier: 245.
13 Vgl. Birkel, Simone, Connected – Was hält Dich? Poetry Slam als sprachproduktives Moment der Jugendpastoral, s.u., 247-258, hier: 247.
14 Vorbereitungsdokument zur vatikanischen Jugendsynode (wie Anm. 1).
Kirche ist nicht die „message“
Über kirchliche Marketingstrategien und Jugendpastoral
Ute Leimgruber
1. Jugendliche und Kirche: eine Geschichte der Entfremdung
1.1 Jugendliche und religiöse Sozialisation in Deutschland
Dass religiöse Vollzüge im 21. Jahrhundert keine Selbstverständlichkeit mehr sind, ist hinlänglich bekannt und vielfach erforscht. Besonders für die heutige Jugendgeneration hat dies entsprechende Auswirkungen.1 Die Ergebnisse des Religionsmonitors aus dem Jahr 2015 sind hier eindeutig: Es gibt einen „schleichenden Bedeutungsverlust des Religiösen von der älteren zu den jüngeren Generationen“2. Denn religiöse Sozialisation findet zum größten Teil in der Familie statt. Wenn nun aber sowohl religiöses Wissen als auch religiöse Erfahrungen fehlen, führt dies dazu, dass Menschen ein „Leben ohne Religion als ganz selbstverständlich erscheint“3. Jugendliche wachsen nicht mehr ungefragt in ein praktiziertes Christentum hinein wie noch ihre Eltern- oder Großelterngeneration. Dies zeigt auch die Sinus-Jugendstudie „Wie ticken Jugendliche?“ aus dem Jahr 2016, initiiert u. a. vom BDKJ.4 Interesse für religiöse Themen und die Mitgliedschaft in einer Kirche oder Glaubensgemeinschaft wird zumeist vom unmittelbaren Nahfeld beeinflusst.
„Mehrheitlich wurden die Jugendlichen in ihre Glaubensgemeinschaft hineingeboren, im Falle der christlichen Jugendlichen entsprechend der Tradition in Deutschland schon als Baby getauft. Man ist dann ganz selbstverständlich teilweise auch aus Rücksicht auf die Familie Mitglied der Glaubensgemeinschaft geblieben.“5
Je weniger aber die Familie und das enge Nahfeld der Jugendlichen Religiosität als relevant für das eigene Leben kommunizieren, umso weniger werden junge Menschen diese Relevanz für ihr eigenes Leben übernehmen.
„Jugendliche, in deren familiärem Umfeld Religion und Glaube kaum eine Rolle spielen, sind überwiegend konfessionslos. Von einer eigenen ‚bewussten’ Entscheidung, Mitglied einer Glaubensgemeinschaft zu werden, berichten nur wenige Jugendliche.“6
Der Aspekt der religiösen Sozialisation ist damit unverzichtbar im Blick auf künftige Religiosität junger Menschen, was ihre individuelle Kirchlichkeit ebenso wie ihre Verbundenheit mit religiösen Traditionen und Vollzügen angeht. Denn die heutigen Jugendlichen sind die Eltern von morgen, deren Kinder kaum mehr kirchliche Sozialisation erfahren werden.7 Kirchliche Jugendarbeit ist, so die Sinus-Jugendstudie, zwar wichtig, allerdings selten für die Neu-Sozialisation, sondern eher für den Verbleib von bereits in der Glaubensgemeinschaft befindlichen Jugendlichen.
„Das Engagement in der Jugendarbeit und der Freundeskreis haben einen positiven Einfluss auf den Ve...