Das Tal der Gebeine
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Das Tal der Gebeine

Ein Tanz zur Musik der Zeit – Band 7

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Das Tal der Gebeine

Ein Tanz zur Musik der Zeit – Band 7

About this book

Der zwölfbändige Zyklus »Ein Tanz zur Musik der Zeit« —­ aufgrund­ seiner inhaltlichen­ wie formalen Gestaltung immer wieder mit Mar­cel Prousts »Auf der Suche nach der verlorenen Zeit« verglichen —­ gilt­ als­ das­ Hauptwerk des­ britischen Schriftstellers Anthony Powell und gehört zu den bedeutendsten Romanwerken des 20. Jahrhunderts. Inspiriert von ­dem ­gleichnamigen Bild des französischen Barockmalers Nicolas Poussin, zeichnet der Zyklus ein facettenreiches Bild der englischen Upperclass vom Ende des Ersten Weltkriegs bis in die späten sechziger Jahre. Aus der Perspektive des mit typisch britischem Humor und Understatement ausgestatteten Ich­-Erzählers Jenkins — der durch so­ manche­ biografische­ Parallele­ wie­ Powells­ Alter ­Ego­ anmutet — bietet der »Tanz« eine Fülle von Figuren, Ereignissen, Beobachtungen und Erinnerungen, die einen einzigartigen und auf­schlussreichen Einblick geben in die Gedanken­welt der in England nach wie vor tonangebenden Gesellschaftsschicht mit ihren durchaus merkwürdigen Lebensgewohnheiten. Im siebten Band bildet das Jahr 1940, in dem Churchill Premierminister wird und Italien in den Krieg eintritt, den historischen Hintergrund.

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Information

Year
2016
eBook ISBN
9783941184824
Edition
1
1

Der am Vortag gefallene Schnee war an einigen Stellen liege
ngeblieben, und die Morgenluft war eisig. Zu dieser Stunde war noch niemand in den Straßen zu sehen. Rechts und links neben mir schritten Kedward und der Kompaniehauptfeldwebel forsch dahin, als seien wir auf dem Exerzierplatz. Irgendwann in der Vergangenheit – vor langer, langer Zeit, in einer anderen Existenzform, in einer früheren, weniger beschwerlichen Inkarnation – hatte ich einmal eine Nacht in dieser Stadt verbracht, damals nur gekommen, um mir die Gegend anzusehen, in der meine eigene Familie vor mehr als einem Jahrhundert gelebt hatte. Einer von ihnen (ein ziemlich schwieriger Bursche, so wie es aussieht, auf den Onkel Giles Unzulänglichkeiten vielleicht zurückgingen) war aus dem Grenzgebiet zwischen Wales und England nach Westen gezogen, um die Erbin eines kleinen Anwesens zu heiraten, das oberhalb einer Bucht an dieser verlorenen, einsamen Küste lag. Die Klippen unter dem Gelände um das Haus, von dem nur die Fundamente den Jahreszeiten widerstanden hatten, umschlossen unregelmäßig aufragende Felsbrocken, an denen sich die auslaufenden Wellen des Atlantiks unaufhörlich brachen, unaufhörlich ihre schäumende, grünliche Gischt erneuerten: la mer, la mer, toujours recommencée, wie Moreland so gerne zitierte, eine Alltagslandschaft rollender Wogen, zu offenkundig dramatisch für meinen eigenen Geschmack. Später dann zogen sie, in dem gleichen Landesteil bleibend, auf eine grasbewachsene Halbinsel in dem Delta, wo das sich verengende Meer tief in das Land eindrang. Dort hatten sich Moos und Efeu über verfallene, dachlose Gemäuer gebreitet, auf die dichter Regen niederging. In der nahegelegenen Kirche war eine weiße Marmortafel in memoriam angebracht. Das waren die sichtbaren Überreste gewesen. An die Stadt selbst konnte ich mich kaum noch erinnern. Die Straßen, in dauernd wechselnden Höhen angelegt, waren nicht ohne düsteren Charme und vermittelten einem die Illusion, im Winter durch Grecos Toledo zu stapfen, oder durch eine jener schlossähnlichen Bergstädte der Toskana, die ohne viel Rücksicht auf die Perspektive im Hintergrund von Porträts des Quattrocento dargestellt sind. Irgendwie hatte man, ohne zu wissen, warum dieses Faktum so unausweichlich war, stets das Gefühl, dass das Meer nicht weit entfernt sei. Die Unaufhörlichkeit der Wel­len des Ozeans, wie sie das Gedicht betont, weckten in meiner Vorstellung tausend flüch­tige Bilder, Bruchstücke von Gedichten, Fragmente von Ge­mälden, vergessene Melodien, ungeordnete Erinnerungsstücke jeglicher Art – alles eigentlich, außer den praktischen Dingen, die jetzt von einem erwartet wurden. Doch als ich versuchte, mich zusammenzureißen, wurde ich erneut von Tagträumen überwältigt.
Obwohl sie nur zwei Generationen lang in diesem Teil des Landes geblieben waren, lag eine gewisse Angemessenheit, etwas fast Unausweichliches, darin, dass ich mich im Rang eines Fähnrichs in einem Ort zu melden hatte, von dem aus eine nicht unbeträchtliche Anzahl von Vorläufern des gleichen Blutes sich aufgemacht hatte, um nicht weiter auffallende Offiziere in der Marine oder der East India Company zu werden; und oft genug auch, um ihre zwanzig Jahre alten Gebeine in Gräber auf den Friedhöfen von Bombay und Mysore zu legen. Ich war nicht eigentlich überrascht, mich selbst jetzt den gleichen Dienstbedingungen verpflichtet zu sehen und hatte dies in gewisser Weise stets als Teil eines vorgegebenen Musters aufgefasst, das zu erfüllen mir irgendwie Erleichterung verschaffte. Dennoch, welche militärischen Assoziationen sich mit dieser Region auch immer aufdrängten, Bonapartes Überzeugung war nicht zu widerlegen – das Französische schien mir in diesem Moment Halt zu geben: A partir de trente ans on commence à être moins propre à faire la guerre. Das war genau, wie ich mich fühlte; nicht mehr, nicht weniger. Vielleicht hatten auch andere Mitglieder dieses Geschlechts nicht ohne Vorbehalte das Schwert als ihre Karriere gewählt. Jedenfalls hatte sich vier- oder fünfhundert Jahre lang niemand von ihnen auch nur in geringstem Maße besonders ausgezeichnet. Im Mittelalter allerdings hatten sie sich in Kriegen als von größerer Bedeutung erwiesen; und einmal, in tiefer Vergangenheit, waren sie sogar, als Glieder in der irritierenden, anarchischen Kette keltischer Erbfolge, Könige gewesen – so unwahrscheinlich das im Hinblick auf das viel umkämpfte Land dieses südlichen Königreichs jetzt auch erscheinen mag. Ich fragte mich, wie wohl solche Vorfahren als Menschen gewesen sein mochten – gewiss auch fähig dazu, anderen die Augen auszustechen und sie zu kastrieren, wenn sie in der rechten Stimmung waren. Eine blasse, mysteriöse Sonne spiegelte sich trübe in dem Goldreif um ihre Helme, während die bewaffneten Männer, ihre Umrisse immer schwächer und substanzloser werdend, sich in den glänzenden Nebelschwaden in zeitlose Zwischengestalten auflösten, zugleich nachweisbar historisch als auch mythisch-heroisch: Llywarch der Alte, ein unzufriedener Gast an der Tafel König Arthurs; Cunedda – König allerdings nur über die weibliche Linie –, dessen Reiter die Mauer bewacht hatten. Irgendwie drängte sich der Brythone Cunedda besonders der Vorstellung auf. Hatte seine mit großem Gemetzel verbundene Vertreibung der Goidels auf ausdrücklichen Befehl Stilichos, des vandalischen Heerführers, der beinahe das römische Imperium für sich gewonnen hätte, stattgefunden? Ich dachte über diese Möglichkeit nach, während wir, ohne den Schritt zu wechseln, einen kurzen, sehr steilen, sehr rutschigen gepflasterten Abhang hinaufmarschierten. Auf dem Gipfel dieses kleinen Hügels stand ein graues Steingebäude, das von einem Gitter aus spitzen Eisenstäben umgeben war – eine Kapelle oder ein religiöses Versammlungshaus, in eisiger Düsternis vor sich hin brütend. Eine geschnitzte Schnecke unter dem Portikus trug die Inschrift:
SARDIS
1874
Kedward kam zackig vor den Eingang dieses Tabernakels zum Stehen. Der Hauptfeldwebel und ich schlossen zu ihm auf. Ein Sturm blies lärmend die Straße hinauf. Gedämpft zwar, aber irritierend klagten die Kriegshörner Cuneddas, wie er hoch oben über der Wolke davonritt, in dem eisigen Wind.
»Die ist das Quartier der Kompanie«, sagte Kedward. »Rowland wollte uns hier treffen.«
»War er gestern Abend in der Offiziersmesse?«
»Nicht, als du da warst. Er machte als Hauptmann der Woche seine Runde.«
Ich folgte Kedward durch das abschreckende Portal von Sardis – eine der Sieben Kirchen Asiens, wie ich mich erinnerte –, und wir traten unmittelbar in eine Art Höhle ein, dunkler als die Straßen, doch eine Spur wärmer. Der Form genügend befahl der Hauptfeldwebel dem Raum, Haltung anzunehmen, doch in dem bedrohlichen Halbdunkel, über dem der schwere Geruch kürzlich verstorbener Männer lag, überlagert noch von dem Odeur ausströmenden Gases, war keinerlei erkennbare Bewegung auszumachen. Kedward befahl denselben schemenhaften Wesen: »Weitermachen.« Er hatte mir vorher erklärt, dass die Kompanie in dieser Woche wieder »wie verdammt üblich mit dem Küchendienst und so was« dran sei. Zuerst war es nicht leicht zu erkennen, was um uns vor sich ging in dieser Daumier-Welt bedrohlicher, sich stark neigender Schatten, in deren Mitte zwei schwache, bläuliche Gasflammen, die Ursache jenes scharfen Geruchs, der amorphen Masse nebliger Kuben und Pyramiden unregelmäßige, stetig wechselnde Konturen gab. Aber allmählich zogen sich die Formen neben mir zu asymmetrischen Reihen von Etagenbetten zusammen, auf denen Stapel von vorschriftsmäßig gefalteten grau-braunen Decken lagen. Jetzt erhob sich plötzlich am hinteren Ende der Höhle – wie die Hymne eines Solisten, der glorreich aus einem versteckten Chor herausbricht – die Stimme eines Mannes, tief, kehlig und durchdringend, und schwoll an zu einem Klagelied von herzzerreißender Melancholie:
»Sie war die Schönste, ich war so verliebt.
Und viele tausend Sterne sah’n auf unser Glück herab.
Denn es war ja mañana,
Und wir waren so froh
Südlich der Grenze
Auf Mexiko zu …«
Ein weiterer der Männer, die Stubendienst hatten – denn als einen solchen schätzte ich den unsichtbaren Sänger zu Recht ein – tauchte jetzt an meinem Ellbogen aus der Dunkelheit auf und stimmte kraftvoll in die beiden letzten Zeilen ein. Dabei schwang er seinen Besen wie den Stab eines Dirigenten mit beträchtlicher Wucht hin und her, bis er ihn schließlich mit voller Kraft gegen den Holzpfosten eines der Etagenbetten schlug.
»Na, na, da«, rief der Hauptfeldwebel, der das bloße Singen zunächst nicht untersagt hatte. »Nicht so viel Lärm, sag ich euch.«
Als sich das Auge an die Düsterheit gewöhnt hatte, konnte man in dem flackernden Licht der Gasflammen gotische Lettern von enormer Größe, ausgemalt in Rot, Schwarz und Gold, an den Wänden des Gebäudes erkennen: ein Text, dessen Botschaft man direkt von den offenen Seiten eines gewaltigen Buches las, das uns von hoch oben über dem gepflasterten Boden anblickte wie die warnende Schrift auf der Wand bei dem Gelage des Belsazar:
»Aber du hast etliche Namen zu Sardis,
die nicht ihre Kleider besudelt haben;
und sie werden mit mir wandeln in weißen Kleidern,
denn sie sind es wert.« (Offb. 3,4)
»Einige dieser Decken sind noch nicht richtig gefaltet, Haupt­feldwebel«, sagte Kedward. »So geht das nicht, wissen Sie.«
Er sprach in einem sehr ernsten Ton, so wie zur Bekräftigung des apokalyptischen Urteils an den Wänden. Obwohl er mir versichert hatte, er sei fast zweiundzwanzig, erweckte Kedward den Eindruck eines kleinen Jungen, der sich aus Jux die Uniform eines Offiziers angezogen und, um die Verkleidung zu vervollständigen, die Oberlippe mit verbranntem Kork eingerieben hatte. Er sah jung genug aus, um der Sohn, fast der Enkel, des Hauptfeldwebels zu sein. Gleichzeitig besaß er so etwas wie eine kindhafte Würde, ein koboldhaftes Prahlgebaren, das ihm das Recht verlieh zu erwarten, dass man ihm gehorchte.
»Einigen der neuen Rekruten ist es beigebracht worden, die Decken anders zu falten«, sagte der Hauptfeldwebel vorsichtig.
»Gucken Sie sich das...

Table of contents

  1. Titelseite
  2. Impressum
  3. Kapitel 1
  4. Kapitel 2
  5. Kapitel 3
  6. Kapitel 4
  7. Editionsplan