Casanovas chinesisches Restaurant
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Casanovas chinesisches Restaurant

Ein Tanz zur Musik der Zeit – Band 5

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Casanovas chinesisches Restaurant

Ein Tanz zur Musik der Zeit – Band 5

About this book

Der zwölfbändige Zyklus »Ein Tanz zur Musik der Zeit« —­ aufgrund­ seiner inhaltlichen­ wie formalen Gestaltung immer wieder mit Mar­cel Prousts »Auf der Suche nach der verlorenen Zeit« verglichen —­ gilt­ als­ das­ Hauptwerk des­ britischen Schriftstellers Anthony Powell und gehört zu den bedeutendsten Romanwerken des 20. Jahrhunderts. Inspiriert von ­dem ­gleichnamigen Bild des französischen Barockmalers Nicolas Poussin, zeichnet der Zyklus ein facettenreiches Bild der englischen Upperclass vom Ende des Ersten Weltkriegs bis in die späten sechziger Jahre. Aus der Perspektive des mit typisch britischem Humor und Understatement ausgestatteten Ich­-Erzählers Jenkins — der durch so­ manche­ biografische­ Parallele­ wie­ Powells­ Alter ­Ego­ anmutet — bietet der »Tanz« eine Fülle von Figuren, Ereignissen, Beobachtungen und Erinnerungen, die einen einzigartigen und auf­schlussreichen Einblick geben in die Gedanken­welt der in England nach wie vor tonangebenden Gesellschaftsschicht mit ihren durchaus merkwürdigen Lebensgewohnheiten. Der historische Hintergrund — im fünften Band ist es der Spanische Bürgerkrieg ab 1936 — scheint dabei immer wieder überraschend schlaglichtartig auf.

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Information

Year
2016
eBook ISBN
9783941184800
Edition
1
1

Als ich bei der ausgebombten Gastwirtschaft an der Ecke die Straße überquerte und über die Aura des Mysteriö­sen nachsann, die beim Blick durch den Rahmen einer zerstörten Tür vorherrscht, war ich aus irgendeinem Grund froh, dass das Haus nicht wieder aufgebaut worden war. Ein Volltreffer hatte selbst das unterste Stockwerk weggeschnitten, so dass das Kellergeschoss offen dalag wie ein abgesenkter Garten oder eine lange schon aufgegebene Stätte archäologischer Ausgrabungen. Große Büschel von Weideröschen und Jakobskreuzkraut sprossen durch die Risse in den Bodensteinen; nur ein paar zerbrochene Milchflaschen und ein senkelloser Schuh erinnerten an das gegenwärtige Leben. In der Mitte dieser trübseligen Grotte hatten fünf oder sechs gebrochene Stufen der Explosion widerstanden und eine aufragende gemauerte Insel gebildet, auf deren Gipfel sich die Tür erhob. Die Wände zu ihren beiden Seiten waren weggesunken, aber auf dem Türsturz konnte man noch das in pedantischer Schulbuchhandschrift geschriebene Wort
»Ladies« erkennen. Jenseits davon, auf der anderen Seite der beiden Säulen und ihres Querbalkens, war nicht das Geringste von diesem verheißenen Ort der Zuflucht übriggeblieben; hinter der Türschwelle ging es steil ab in einen Abgrund aus Trümmern; ein Triumphbogen, mühsam errichtet von Zwergen, oder das Tor zu einem unbekannten, verbotenen Reich, dem Schlupfwinkel von Zauberern.
Dann plötzlich, als ob solche ausschweifenden Fantasien nicht schon genügten, erklang aus diesem unerforschten Land kraftvoll und wunderbar süß das Lied der blonden Frau auf Krücken, jener Wanderprimadonna der Straßen, deren Stimme ich seit jenem Tag vor Jahren, als Moreland und ich ihr in der Gerrard Street lauschten, nicht mehr gehört hatte, an jenem Nachmittag, als er davon gesprochen hatte, heiraten zu wollen; nachdem wir die Flasche mit dem Etikett »Süßwein (Portwein-Geschmack)« gekauft hatten, den selbst Moreland später nicht mehr zu trinken bereit war. Jetzt wieder erfüllte, das Rauschen des Verkehrs übertönend, genau jener Klang die rußige Luft, und es gelang ihm, diese Umgebung in die Vision eines orien­talischen Traumlandes zu verwandeln, die, wenn man so will, künstlich war, doch auch verlockend genug unter den dahinziehenden Wolken eines freudlosen Himmels in Soho.
Ihr blassen Hände, die ich liebte nahe bei dem Shalimar,
Wo seid ihr jetzt, und wer erliegt nun eurem Zauber?
Letztendlich erweisen sich die meisten – vielleicht sogar alle – Dinge im Leben als miteinander verbunden. So war es auch jetzt, denn hier vor mir lagen die spärlichen Überreste des Mortimer, der Kneipe, in der wir uns kennengelernt hatten und in der unsere Freundschaft begann. Als Begleitung zu Erinnerungen an Moreland war Musik etwas ganz Natürliches, sogar Zwangsläufiges, aber die Wiederholung einer auf so er­staunliche Weise passenden Gesangsdarbietung war wohl kaum vorherzusehen gewesen. Ein fußbodenloser Winkel der Wand, an der noch ein paar Brocken Verputz und Streifen der Strukturtapete hingen, war alles, was von dem Alkoven, wo wir immer gesessen hatten, übriggeblieben war, eine Nische, die auch das elektrische Klavier beherbergt hatte, in das Moreland in regelmäßigen Abständen einen Penny zu werfen pflegte, um eine jener Fortissimo-Melodien erklingen zu lassen, die un­gefähr aus der gleichen Zeit stammten wie das Repertoire der blonden Sängerin.
Diese war jetzt näher gekommen. Sie selbst war vom Gang der Zeit kaum ver­ändert, war vielleicht eine Spur fülliger. Sie arbeitete sich auf der Mitte der leeren Straße voran, bis sie, von dem Rechteck jenes Türeingangs eingerahmt, dahinzugleiten schien unter dem Einfluss einer okkulten Macht, im Begriff, mühelos durch das verwunschene Portal zu segeln:
Ihr blassen Hände, rosa Kuppen, wie Lotusblüten, die dort trieben
Auf jenen kühlen Wassern, wo einst wir weilten ?
Moreland und ich hatten uns hinterher gefragt, wo der Shalimar wohl liege und warum die Örtlichkeit der Treffpunkt blasser Hände gewesen sein mochte, und derer, die süchtig nach ihnen waren.
»Ein Nachtclub? Was meinst du?«, hatte Moreland gesagt. »Ein Bordell vielleicht. Bestimmt ein Etablissement, das exotische Neigungen bedient, und auch nicht sehr gesunde, vermute ich. Wie sehr ich wünschte, es gäbe etwas Derartiges, wo wir heute den Nachmittag verbringen könnten. Der Gesang dieser Frau hat mich aus dem Gleichgewicht gebracht. Welch eine Nostalgie. Es war wirklich großartig. Wen führst du jetzt auf dem Verzückungsweg so weit? Welch eine treffende Frage! Aber wo können wir jetzt hingehen? Ich hab das Gefühl, ich muss mich amüsieren. Lass dir was Brillantes einfallen. Ich bin in düsterster Stimmung, um ehrlich zu sein. Wir wollen uns dem Augenblicke hingeben!«
»Tee in Casanovas chinesischem Restaurant? Das wäre angemessen orientalisch nach dem Lied.«
»Meinst du? Ich war schon eine Ewigkeit nicht mehr da. Es war nicht besonders aufregend bei meinem letzten Besuch. Außerdem, das Casanova ist für mich nicht mehr dasselbe seit dieser Geschichte mit Barnby und der Kellnerin. Es wäre billiger, Tee zu Hause zu trinken – und nicht weniger chinesisch, denn ich habe ein Paket Lapsang.«
»Wie du willst.«
»Aber warum weilten sie auf den kühlen Wassern? Ich verstehe die Präposition nicht. Waren sie in einem Boot?«
Moreland hatte die Angewohnheit, ewig auf einer Sache her­­umzureiten, wenn sie ihm gefiel – seine typische Art, innerlich den Zugang zu ein paar Dingen zu intensivieren, nachdem er die meisten äußeren Zeichen der Ernsthaftigkeit aufgegeben hatte; eine Vorliebe für Wiederholungen, die für seine Freunde manchmal ermüdend war, wenn er immer wieder gnadenlos auf irgendeine triviale Sache zurückkam, die weniger amüsant für andere war als für ihn.
»Glaubst du, sie waren in einem Boot?«, fuhr er fort. »Das Gedicht hat den Titel Ein Kaschmiri-Liebeslied. Meine Tante sang es häufig. Hausboote sind typisch für den Kaschmir, nicht wahr?«
»Bei Kipling gehen Leute da hinauf, um ihren Urlaub dort zu verbringen.«
»Als wir in Fulham wohnten, sang meine Tante dieses Lied immer und begleitete sich dabei auf dem Klavier.«
Er blieb auf der Straße stehen und bot an Ort und Stelle laut eine Version des Stückes dar, wie sie von seiner Tante gesungen worden war, wobei er sich hin und wieder unterbrach, um den Kontrast zu der Vorführung zu betonen, die wir gerade gehört hatten. Morelands Eltern waren gestorben, als er ein Kind war. Diese Tante, die eine große Rolle in seiner persönlichen Mythologie spielte, hatte ihn aufgezogen. Zweifellos verängstigt wegen des schwächlichen Gesundheitszustandes ihres Neffen und des Gedankens an die Tuberkulose, an der sein Vater (der sich einen Namen als Musiklehrer gemacht hatte) gestorben war, soll sie Moreland schrecklich verwöhnt haben. Es gab eindeutige Anzeichen dafür. Sie war wohl auch eingeschüchtert durch seine jugendliche Brillanz; denn obwohl Moreland nie, wie Carolo, ein Wunderkind gewesen war – jene absonderliche, leicht unbehaglich machende Erscheinungsform allein des musikalischen Genius –, hatte er als Junge doch aufsehenerregende Erwartungen geweckt. Die Tante war ebenfalls mit einem Musiker verheiratet, einem Mann, der beträchtlich älter war als sie und dessen allgemeine Mittellosigkeit ihn nicht daran hinderte, lose Verbindungen zu einer sublimeren Welt als der zu unterhalten, in der er den größten Teil seines täglichen Lebens verbrachte. Er hatte Wagner in der Albert Hall dirigieren und Liszt im Crystal Palace spielen gehört; hatte den schwarzen Habit und die metallgraue Haarpracht des Abbé auf dessen Durchreise in Sydenham gesehen; hatte ein Glas Wein mit Tschaikowsky in Cambridge getrunken, als dem russischen Komponisten dort die Ehrendoktorwürde verliehen wurde. Man sollte diesen Höhepunkten nicht zu viel Gewicht beimessen. Moreland war ebenfalls in ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen, aber auch in einer Tradition, in der über berühmte Menschen in einem Ton der Vertrautheit geredet wurde, nicht bloß als außerordentliche Persönlichkeiten, über die man in Büchern las, sondern auch als Personen, die sich in der Welt zurechtzufinden hatten wie jeder andere auch. Diese Herkunft war der von Barnby nicht unähnlich, wobei Musik die Stelle der darstellenden Künste einnahm.
»Vielleicht handelte es sich um ein Hausboot von schlechtem Ruf.«
»Welch ein erfreulicher Gedanke«, sagte Moreland. »Während der Momente der Verzückung, von denen der Text spricht, würde man das Wasser, wenn ich so nautisch sein darf, sanft gegen den Kiel schlagen hören. Eine überwältigende Sehnsucht nach etwas Derartigem bedrängt mich heute Nachmittag. Etwas Aktives, Emotionales – wie zum Beispiel hinter einer attraktiven Person um nasse Lorbeerbüsche herzujagen.«
»Unmöglich, leider.«
»Wie schade, dass London keinen Lunapark hat. Ich würde gern Karussell fahren und diese Monstrositäten sehen. Erinnerst du dich, wie wir mit der Geisterbahn fuhren, wenn man auf geschlossene Türen zuschießt und einen Hügel hinunterjagt auf einen Körper zu, der quer auf den Schienen liegt?«
Am Ende entschieden wir uns an diesem Tag gegen Casanovas chinesisches Restaurant und versuchten, wie ich schon sagte, unser Glück mit einem der Wei...

Table of contents

  1. Titelseite
  2. Impressum
  3. Kapitel 1
  4. Kapitel 2
  5. Kapitel 3
  6. Kapitel 4
  7. Editionsplan