Eine Frage der Erziehung
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Eine Frage der Erziehung

Ein Tanz zur Musik der Zeit – Band 1

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Eine Frage der Erziehung

Ein Tanz zur Musik der Zeit – Band 1

About this book

Der zwölfbĂ€ndige Zyklus »Ein Tanz zur Musik der Zeit« —­ aufgrund­ seiner inhaltlichen­ wie formalen Gestaltung immer wieder mit Mar­cel Prousts »Auf der Suche nach der verlorenen Zeit« verglichen —­ gilt­ als­ das­ Hauptwerk des­ britischen Schriftstellers Anthony Powell und gehört zu den bedeutendsten Romanwerken des 20. Jahrhunderts. Inspiriert von ­dem ­gleichnamigen Bild des französischen Barockmalers Nicolas Poussin, zeichnet der Zyklus ein facettenreiches Bild der englischen Upperclass vom Ende des Ersten Weltkriegs bis in die spĂ€ten sechziger Jahre. Aus der Perspektive des mit typisch britischem Humor und Understatement ausgestatteten Ich­-ErzĂ€hlers Jenkins — der durch so­ manche­ biografische­ Parallele­ wie­ Powells­ Alter ­Ego­ anmutet — bietet der »Tanz« eine FĂŒlle von Figuren, Ereignissen, Beobachtungen und Erinnerungen, die einen einzigartigen und auf­schlussreichen Einblick geben in die Gedanken­welt der in England nach wie vor tonangebenden Gesellschaftsschicht mit ihren durchaus merkwĂŒrdigen Lebensgewohnheiten. So eröffnet Powell seinen »Tanz« in dem Band »Eine Frage der Erziehung« mit Szenen der Jugend: Jenkins in der Abschlussklasse des College, wĂ€hrend eines Sprachaufenthalts in Frankreich sowie beim Five O'Clock Tea seines UniversitĂ€tsprofessors. Der historische Hintergrund, hier die 1920er Jahre, scheint dabei immer wieder ĂŒberraschend schlaglichtartig auf.

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Information

Year
2016
eBook ISBN
9783941184763
Edition
1
1

Die MĂ€nner, die an der Ecke der Straße arbeiteten, hatten sich eine Art Lager aufgeschlagen, wo – durch rote, an dreibeinigen StĂ€ndern hĂ€ngende Sturmlampen markiert – ein tiefes Loch in der Fahrbahn zu dem Netzwerk der unterirdischen Abwasserrohre hinabfĂŒhrte. Um den Eimer mit brennendem Koks vor dem Schutzzelt scharten sich mehrere Gestalten. Mit großen, pantomimischen GebĂ€rden, wie Komiker, die durch Gesten die Vorstellung extremer KĂ€lte vermitteln wollen, rieben sie sich die HĂ€nde und schlugen die Arme um ihre Körper. Einer von ihnen, ein hagerer Kerl in blauem Monteuranzug, grĂ¶ĂŸer als die ĂŒbrigen, von spaßigem Gebaren und mit langer, spitzer Nase wie ein Shakespeare’scher Narr, trat plötzlich hervor und warf, als vollzöge er einen Ritus, einen Gegenstand – offensichtlich die lose in Zeitungspapier eingewickelten Reste zweier BĂŒcklinge – auf die glĂŒhenden Koh­­len. Die Flammen zĂŒngelten wild auf, und der Rauch dreh­te sich hoch in die Wirbel des Nordostwindes. WĂ€hrend der dunkle Qualm ĂŒber die HĂ€user glitt, begann es leise aus einem trĂŒben Himmel zu schneien, wobei jede der Flocken kurz aufzischte, wenn sie den Kokseimer erreichte. Die Flammen fielen wieder in sich zusammen, und die MĂ€nner wandten sich alle – so als ob die religiösen Pflichtverrichtungen fĂŒr den Augenblick beendet seien – vom Feuer ab, ließen sich umstĂ€ndlich in die Grube hinab oder zogen sich in das Dunkel ihres Zeltunterstandes zurĂŒck. Der Schnee fiel weiter in grauen, zö­gernden, nicht sehr dichten Flocken, wĂ€hrend ein scharfer Geruch bitter und gasig die Luft durchdrang. Der Tag neigte sich dem Ende zu.
Irgendwie weckt der Anblick von Schnee, der auf Feuer fĂ€llt, in mir immer Gedanken an die Welt der Antike: an LegionĂ€re in Schafsfellen, die sich an einem Feuerkorb wĂ€rmen; an BergaltĂ€re, auf denen Opfergaben zwischen eisbedeckten SĂ€ulen glĂŒhen; an Zentauren, die Fackeln tragen und leicht an einem gefrorenen Meer entlanggaloppieren – an verstreute, unzusammenhĂ€ngende Gestalten aus einer mythischen Vergangenheit also, die von dem gegenwĂ€rtigen Leben unendlich entfernt sind und die doch Erinnerungen an Reales und Erdichtetes mit sich bringen. Diese Projektionen aus klassischer Vergangenheit, aber auch etwas in der Körperhaltung der MĂ€nner selbst, als sie sich von dem Feuer abwandten, beschworen plötzlich die Szene des GemĂ€ldes von Poussin, in der die Jahreszeiten, Hand in Hand und nach außen gewandt, zu der Musik der Leier tanzen, die der geflĂŒgelte, nackte Graubart spielt. Und diese allegorische Darstellung der Zeit weckte dann Gedanken an das irdische Leben: an die Menschen, wie sie, nach außen gewandt wie die Jahreszeiten, sich Hand in Hand in verschlungenem Rhythmus bewegen; wie sie langsam, methodisch und manchmal leicht unsicher schreiten in Wendungen, die erkennbare Formen annehmen, oder wie sie ausbrechen in wilde, scheinbar sinnlose DrehsprĂŒnge, wĂ€hrend ihre Partner verschwinden, nur um dann wieder zu erscheinen und erneut dem SchaustĂŒck eine Struktur zu geben; wie sie unfĂ€hig sind, die Melodie, und unfĂ€hig vielleicht auch, die Schritte des Tanzes zu bestimmen. Die klassischen Assoziationen riefen aber auch Gedanken an die Zeit in der Schule in mir wach, wo so viele zuvor unvertraute KrĂ€fte allmĂ€hlich unerbittliche Klarheit angenommen hatten.

Wenn der Winter in jenes Flusstal vorrĂŒckte, stiegen gewöhnlich am spĂ€ten Nachmittag die Nebel auf und streckten sich ĂŒber das ĂŒberflutete Gras, bis das Haus und all die Außenbezirke der Stadt eingehĂŒllt waren in undurchsichtigen, fros­tigen, zigarrenrauchfarbigen Dunst. Das Haus sah auf andere mietskasernenĂ€
hnliche GebĂ€ude, die – Experimente in architektonischer Bedeutungslosigkeit – sich hineindrĂ€ngten in den den Mittelpunkt bildenden Komplex eindrucksvoller, alter­tĂŒmlicher Bauten, die in vierseitigem, aber unregelmĂ€ĂŸigem Stil angelegt waren. Angeschwemmte RĂŒckstĂ€nde der Jah­re schwelten ungestört – und nicht ohne Melancholie – in dem rotbraunen BacksteingemĂ€uer dieser mittelalterlichen Ein­frie­dungen. Auch jenseits ihrer Kopfsteinpflaster und BogengĂ€nge, mehr nach Norden hin, zwischen den Wiesen am Fluss und den Baumalleen, brĂŒtete, nicht weniger rĂ€tselhaft und untröstlich, die Erinnerung; und manchmal wurde ich fast erdrĂŒckt von der Dringlichkeit, mit der die Vergangenheit ihre schwermĂŒtigen Forderungen erhob.
Vor der EingangstĂŒr verlief nach Westen hin eine Schotterstraße ins offene Land hinaus, das rauer war als diese gotische Parklandschaft: Weiden, EisenbahnbrĂŒcken, ein Gaswerk, dann noch mehr Weiden – eine Art Steppe, wo das Klima immer extrem zu sein schien, wo es Schneeregen gab, oder Wind, oder drĂŒckende Hitze. Ein weites Gebiet, nur lose begrenzt durch die Windungen des Flusses, ĂŒber dem immer – mal stĂ€r­ker, mal schwĂ€cher – der Geruch des Gasometers wehte, jetzt vielleicht in Erinnerung gerufen durch den Qualm des Koksfeuers. In den Anfangstagen des Monats konnte man noch Scharen von Jungen, in GrĂŒppchen und einzeln, diesen Pfad entlangziehen sehen – die Wandervölker der Region, in ewiger Unrast ins Exil hinausstapfend bis zu der Stunde, wenn feuchte Wolken erneut begannen, die roten HĂ€user zuzudecken und die dahinterliegenden Zinnen und SpitztĂŒrme zu verzerren oder in Schleier zu hĂŒllen. Dann, mit der RĂŒckkehr des Nebels, zogen auch diese Nomaden, mit hĂ€ngenden Köpfen und in lang auseinandergezogenen Reihen, immer wieder zurĂŒck in ihre verlassenen Behausungen.
Jetzt aber, zu diesem Zeitpunkt des Jahres, da Schulsport nicht mehr an fĂŒnf Tagen pro Woche stattfand, war die Straße leer; nur Widmerpool hoppelte, in einem einst weißen Pullover und mit einer mindestens eine Nummer zu kleinen MĂŒtze, auf den flachen AbsĂ€tzen seiner Spikes holprig, doch zielstrebig daher. Langsam, aber stetig hob er sich aus der DĂ€mmerung heraus auf mich zu, wĂ€hrend ich, gut eingepackt, wie ich mich erinnere, von einer Expedition zur Hauptstraße der Stadt zurĂŒckkam.
Es war bekannt, dass Widmerpool freiwillig jeden Nachmittag allein einen »Dauerlauf« machte. Jetzt kehrte er zurĂŒck von seinem Trab ĂŒber die Äcker in dem Nieselregen, der seit den frĂŒhen Schulstunden gefallen war. Ich hatte ihn natĂŒrlich vorher schon oft gesehen, denn wir gehörten zu demselben Haus; selbst gesprochen hatte ich mit ihm schon, obwohl er ein wenig Ă€lter war als ich. Mir waren auch die Anekdoten ĂŒber seine allgemein anerkannte Seltsamkeit vertraut. Bis zu diesem Augenblick hatten jedoch solche Geschichten ihn mir nicht zu einer lebendigen Person machen können. Erst auf dem trĂŒben Dezemberasphalt jenes Samstagnachmittags im Jahre, ich glaube, 1921 nahm Widmerpool, mit seiner ziemlich stĂ€mmigen Figur, mit seinen dicken Lippen und seiner Metallbrille, die dem Gesicht wie gewöhnlich einen gekrĂ€nkten Ausdruck gaben, feste Gestalt in meiner Vorstellung an. WĂ€hrend die feuchte, durchdringende KĂ€lte von der Straße hochsprang, trie­ben zwei dĂŒnne DampfstĂ¶ĂŸe aus seinen von Natur aus weiten Nasenlöchern, und plötzlich schien er eine schmerzliche Mitmenschlichkeit zu besitzen, die die GesprĂ€che ĂŒber ihn mir nie hatten vermitteln können. Etwas Unbehagliches, Unelegantes in seiner Erscheinung drĂ€ngte sich plötzlich dem Beobachter auf, als Widmerpool sich steif und fast majestĂ€tisch auf seinen AbsĂ€tzen aus dem feinen Nebel herausschob.
Sein Ansehen war nicht hoch. Er war nicht Mitglied in einer Schulmannschaft; und obwohl bei weitem kein Trottel, w...

Table of contents

  1. Titelseite
  2. Impressum
  3. Kapitel 1
  4. Kapitel 2
  5. Kapitel 3
  6. Kapitel 4
  7. Nachwort
  8. Editionsplan