Predigtstudien 2021/2022 - 1. Halbband
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Predigtstudien 2021/2022 - 1. Halbband

Perikopenreihe IV

Johann Hinrich Claussen, Wilfried Engemann, Wilhelm Gräb, Doris Hiller, Kathrin Oxen, Christopher Spehr, Christian Stäblein, Birgit Weyel, Johann Hinrich Claussen, Wilfried Engemann, Wilhelm Gräb, Doris Hiller, Kathrin Oxen, Christopher Spehr, Christian Stäblein, Birgit Weyel

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Predigtstudien 2021/2022 - 1. Halbband

Perikopenreihe IV

Johann Hinrich Claussen, Wilfried Engemann, Wilhelm Gräb, Doris Hiller, Kathrin Oxen, Christopher Spehr, Christian Stäblein, Birgit Weyel, Johann Hinrich Claussen, Wilfried Engemann, Wilhelm Gräb, Doris Hiller, Kathrin Oxen, Christopher Spehr, Christian Stäblein, Birgit Weyel

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Die Predigtstudien sind eine bewährte Arbeitshilfe für die qualifizierte und fundierte Predigtvorbereitung. Sie enthalten praxisorientierte Anregungen für die Predigt und die Gestaltung des Gottesdienstes. Jeder Predigttext wird von zwei Theologinnen/Theologen aus Gemeindearbeit, Kirchenleitung und Wissenschaft bearbeitet. Dieser Dialog verbindet wissenschaftliches Niveau mit homiletischer Praxis.

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Information

Publisher
Kreuz Verlag
Year
2021
ISBN
9783451824845
Edition
1
Subtopic
Religion
1. Advent – 28.11.2021
A
Jeremia 23,5–8
Da kommt noch was!
Sven Petry

IEröffnung: Alle Jahre wieder: Erinnern, Warten, Hoffen

Er ist gerecht, ein Helfer wert … Als im Corona-Advent 2020 der gottesdienstliche Gemeindegesang nach und nach verstummte, gehörten diese Worte zu jenen, die zuletzt verklangen. Kaum ein Adventsgottesdienst ohne »Macht hoch die Tür«. Und wenn schon nicht das ganze Lied gesungen werden kann, fällt die zweite Strophe eher selten weg, jedenfalls am 1. Advent mit dem passenden Wochenspruch aus dem Buch des Propheten Sacharja: »Siehe, dein König kommt zu dir, ein Gerechter und ein Helfer.« Alle Jahre wieder beginnt das Kirchenjahr mit der Verheißung des gerechten Herrschers und der Gerechtigkeit, die sich unter seiner Herrschaft ausbreitet. Im Corona-Jahr hat das Virus die Gerechtigkeitsfrage auf mancherlei Weise verschärft ins Gedächtnis gerufen oder neu aufgeworfen. Wie weit sind wir als Gesellschaft in Fragen der Geschlechtergerechtigkeit wirklich, wenn die familiären Lasten der Krise überproportional von Frauen getragen wurden? War es gerecht, dass Friseursalons öffnen durften, Kosmetikstudios aber nicht? Dass Fachmärkte im Einzelhandel geschlossen blieben, während ihre Angebotspalette im Supermarkt neben Plätzchen und Glühwein weiter verkauft werden durfte? Kult blieb unter Einschränkungen und Auflagen öffentlich möglich, während Kultur in den Winterschlaf geschickt wurde. Waren die Priorisierungskriterien beim Impfen nicht nur richtig oder falsch, sondern auch gerecht? Und was schließlich die Frage nach Arm und Reich betrifft, kann auch in dieser Krise als Faustregel gelten: Wer viel hatte, hatte viel zu gewinnen, wer wenig hatte, hatte dagegen viel zu verlieren.
Wenn am 1. Advent 2021 die Verheißung des gerechten Sprosses aus dem Haus Davids immer noch zur Predigt anzuregen vermag, dann ist die Gerechtigkeit weiterhin nicht ausgebrochen. Die Verheißung des gerechten Herrschers geschieht dann immer noch auf Hoffnung hin. Eine Hoffnung, die für Christ*innen im Glauben gründet, dass sich die Verheißung des kommenden Königs in Jesus von Nazareth gleichwohl bereits erfüllt hat. Entsprechend ist die erste Hälfte des Predigttextes eine der als Lesungen für die Christvesper vorgeschlagenen Weissagungen. Erfüllte Ankunft und Hoffnung auf vollendende Wiederkunft sind in der Botschaft des Advents ineinander verwoben. Die Erinnerung an Vergangenes soll den Boden bereiten, aus dem Hoffnung auf und für die Zukunft emporsprießt. Alle Jahre wieder bedienen wir uns dazu eingeübter Traditionen und Rituale. Über das Erinnern des Vergangenen kann dabei der Blick in die Zukunft, über das Warten aufs Christkind das Warten auf Christus in Vergessenheit geraten.

IIErschließung des Textes: Zukunft jenseits des Gerichts

Ob die Gegenwart im Hintergrund der Verheißung des gerechten Sprosses in Jer 23,5–8 jene des historischen Propheten Jeremia oder eine literarische ist, ist für die Predigt zweitrangig. Das Prophetenwort konnte noch sechs Jahrhunderte später als Wort der Verheißung und Hoffnung gehört werden, weil sich Grunderfahrungen des Lebens seit den Tagen der letzten Könige von Juda nicht grundsätzlich geändert hatten. Das Exil dauerte an, ob nun als Leben in der Fremde oder als Leben unter Fremdherrschaft. Gerecht ging es nicht zu, man wartete auf bessere Zeiten.
Der Blick in die Zukunft und die Hoffnung auf bessere Zeiten sind von der Hoffnung auf einen neuen gerechten König nicht zu trennen. Zur Verheißung der neuen, der besseren Zeit greift der Prophet auf alte Vorstellungen zurück. Für Recht und Gerechtigkeit zu sorgen ist nach dem im gesamten Alten Orient verbreiteten Herrschaftsverständnis die erste und vornehmste Aufgabe des Königs, die er im Auftrag Gottes auszuführen hat. Im weiteren Kontext des Predigttextes wird ausdrücklich festgestellt, dass Jojakim, der Sohn des großen Königs Josia, an dieser Aufgabe gescheitert ist (Jer 22,13–16). Falls hinter der Notiz am Ende des 2. Buches der Könige (2Kön 25,27–30) mit Jojakims Sohn und Nachfolger Jojachin verbundene Hoffnungen auf ein Wiederaufleben der Dynastie stehen sollten, würden diese durch Jer 22,30 entschieden zurückgewiesen. Und auch mit Zedekia, dem letzten König von Juda, kommt man in Sachen gerechter Herrschaft auf keinen grünen Zweig. Der Name des verheißenen gerechten Sprosses Davids (»der Herr ist unsere Gerechtigkeit«) scheint ausdrücklich gegen Zedekia gerichtet zu sein. Zwar führt auch dieser die Gerechtigkeit im Namen (»meine Gerechtigkeit ist der Herr«), trägt diesen Namen aber auf Anweisung Nebukadnezars (2Kön 24,17). Er hat seine Herrschaft nicht von Gott, er ist König von Babels Gnaden. Als Onkel seines Vorgängers ist er dynastisch ohnehin bestenfalls ein Aufguss, jedoch kein Neuanfang. Mit diesem Davididen ist kein Staat mehr zu machen.
»Es kommt die Zeit.« »Zu seiner Zeit soll …« »Siehe, es wird die Zeit kommen.« Die Verheißung des Neuen wird formuliert, da ist im Erzählzusammenhang des Jeremiabuches das Alte noch gar nicht vergangen, das Unheil des Untergangs von Tempel und Königtum noch gar nicht vollendet. Wann genau die besseren Zeiten kommen, auf die das Volk wartet, bleibt offen. Der gerechte Spross, mit dem die Zeit des Heils anbrechen wird, scheint noch nicht in Sicht, aber er ist ursprünglich auch keine Endzeitgestalt. Erst im Laufe der Jahrhunderte wird sein Kommen eschatologisch gedeutet, noch wird die Heilszeit in der Geschichte erwartet. Eine Heilszeit allerdings, die das bisher in der Geschichte Dagewesene überbietet.
Jenseits des Gerichts der Gegenwart sieht der Prophet eine Zukunft, in welcher der Angelpunkt der Beziehung Gottes zu seinem Volk nicht mehr die Herausführung aus Ägypten sein soll, nicht ein Ereignis der Vergangenheit, sondern ein zukünftiger, ein neuer Exodus, der das verstreute Volk »aus allen Landen« zurückführt. Und anders als nach dem ersten Exodus soll Israel dann nicht mehr bedroht sein, sondern sicher wohnen. Die kommende Heilszeit ist kein schrittweiser Umbau des Gegenwärtigen, auch nicht einfach die Wiederherstellung des Alten, die Rückkehr in ein (vermeintlich) goldenes Zeitalter. Gottes Taten in der Vergangenheit sind deswegen jedoch kein Schnee von gestern. Sie sind bleibender Bezugspunkt und Grund der Hoffnung auf Gottes Handeln in der Zukunft. Der Gegenstand dieser Hoffnung ist weder ihre Wiederholung noch ein Zurück zu den Anfängen, sondern das Neue, das hinter der Gegenwart liegt. Die Zukunft Gottes kommt sicher, so sehr die Gegenwart mit Verweis auf die Vergangenheit noch ihren Platz zu behaupten sucht.

IIIImpulse: Gegenwartsfragen und Zukunftsmusik

»Siehe, es kommt die Zeit …« – wenn einer so anfängt, dann weiß man, dass alles, was er im Folgenden aufzählt, Zukunftsmusik ist. »Siehe, es kommt die Zeit …« heißt: Jetzt ist sie noch nicht da. In der Gegenwart wird nicht immer verständig regiert, kommen Recht und Gerechtigkeit vielfach unter die Räder. Unsicherheit allenthalben statt allseits sicherem Wohnen.
»Siehe, es kommt die Zeit …« – das lässt Gott den Propheten Jeremia in eine Zeit höchster Unsicherheit und Not sagen. In Jerusalem herrscht Zedekia, ein Marionettenkönig von Babylons Gnaden. Seinen Vorgänger hat die damalige Supermacht abgesetzt, ihm dafür auf den Thron verholfen. Ein Herrscher aus dem Geschlechte Davids zwar, aber einer, der den Anforderungen an einen König nicht gerecht wird. Die sozialen Missstände häufen sich, die Regierenden, die Elite des Volkes, wirtschaftet in die eigene Tasche. Die Kriegsgefahr steigt, weil die Herrschenden sich nicht einig sind, ob nicht ein Überlaufen von der einen zur anderen Großmacht, aus dem Schutzbereich der Babylonier in den Schutzbereich der Ägypter, sinnvoll wäre. Das Chaos steht vor der Tür, die Menschen erhoffen sich einen Retter – den sollen sie bekommen, lässt Gott den Propheten verkünden: »Siehe, es kommt die Zeit …«
Es gibt Menschen, die meinen, wir befänden uns heute in einer vergleichbaren Lage: Unsere Gesellschaft sei nur noch durch ein radikales Umsteuern zu retten. Die Zeit für eine Wende sei jetzt da, die Zeichen der Zeit eindeutig: Währungskrise, Flüchtlingskrise, Corona-Krise. Schicksalsjahre für die westliche Welt. Jetzt sei die Zeit, endlich aufzuräumen und die Fehlentwicklungen der Vergangenheit zurückzudrehen. Sicherheit wird im Vergangenen gesucht. Was früher richtig war, das kann doch heute nicht falsch sein. Es gilt, das Heft des Handelns in die Hand zu nehmen und endlich etwas zu tun. Nicht: Es kommt die Zeit! Sondern: Jetzt ist die Zeit für Veränderung!
Zeit für Veränderung ist freilich immer. Das Leben ist Veränderung, die Welt steht nicht still. Die Frage ist, wer die Veränderung vorantreibt und in welche Richtung. Ob die Krisen, die Klimakrise voran, nur als Bedrohung des Gegenwärtigen oder auch als Beginn des Zukünftigen betrachtet wird. Ob der Blick auf die Zukunft gerichtet ist oder auf die Vergangenheit fixiert bleibt. Und welche Rolle Gott dabei zukommt. Sein Wille ist es, an dem der Prophet Jeremia die Eliten seiner Zeit misst. So soll regiert werden: mit Recht und Gerechtigkeit.
B

Helmut Aßmann

IVEntgegnung: Heilszeit ist gut. Aber wovon reden wir?

Jeremia kündigt an, dass Gott nun selbst eingreifen und einen Spross aus davidischer Linie aufrufen will, der – endlich – »wohl regieren und Recht und Gerechtigkeit im Lande üben« soll (23,5). Die Erinnerung an goldene Zeiten soll der Hoffnung auf Besserung in der Zukunft den Boden bereiten. Nicht als Wiederherstellung des Alten, aber auch nicht als schrittweiser Umbau des Gegenwärtigen. Der Gegenstand der Hoffnung, so die Überlegungen in Teil A, ist »das Neue, das hinter der Gegenwart liegt«.
Daran leuchtet unmittelbar ein, dass die Hoffnung auf Recht und Gerechtigkeit nicht durch ein Zurückdrehen der Geschichte eingelöst werden kann. Sei es in den Krisen der Geschichte, sei es in den aktuellen Topthemen unserer Zeit. Denn jegliche vermeintlich goldenen Zeiten waren bekanntermaßen so golden nicht, wie die Erinnerung sie in Szene setzt. Desgleichen ist ein ambitioniertes Herumbasteln an den Verhältnissen der Gegenwart mit iterativen Optimierungen oder gar gelegentlichen Verschlimmbesserungen etwas sehr anderes als der solenne Aufzug einer Heilszeit. Die Abgrenzung von derlei Missverständnissen ist wichtig, wann immer von kommenden Epochen des Glücks oder des Rechts gesprochen und die Geste prophetischer Rede aufgerufen wird.
Damit ist eine Präzisierung dessen, worum es sich in der Sache substantiell handelt, aber auch noch nicht gegeben. Je unbestimmter die Zukunftshoffnung, umso handlungs- und emotionsloser der Bezug darauf. Das »Neue, das hinter der Gegenwart liegt«, entwickelt nur dann Tätigkeitsimpulse und leidenschaftliche Hingabe, wenn es mit einer Richtung und einem in Aussicht stehenden Gewinn verbunden werden kann, die in das eigene Leben hineinspielen oder zu dem wir uns mit Leib oder Seele (am besten mit beidem) positionieren und verhalten können.
Ich sehe zwei Momente, die für eine solche Richtungsangabe bzw. einen Gewinn fruchtbar gemacht werden können. Als Richtungsangabe lese ich den Hinweis auf die davidische Linie, die das strenge dynastische Konzept verlässt und eher unbestimmt von einem »Spross« spricht, also den Erwartungshorizont weiter zieht. Das »Neue« verbindet sich nicht mit klassischen Traditionsbeständen, sondern kann auch aus anderen Quellen schöpfen. Die Aufnahme der Exodustradition in V.7f. weist in dieselbe Richtung. »David«, modern gesprochen, ist ein Prädikat, kein genealogisch zwingender Bezug.
Als theologischen ›Gewinn‹ lese ich, zugegebenermaßen schon ein wenig über den Predigttext hinaus, die noch weitergehenden jeremianischen Überlegungen zum neuen Bund (31,31ff.), in dem Recht und Gerechtigkeit nicht mehr Sache königlichen Regierungshandelns sind, sondern in den Herzen der Menschen verankert werden. Hier verändert sich der Modus der Gottesherrschaft von extrinsischen Vorgaben in intrinsische Haltungen. Der Ort der Gerechtigkeit wird damit neu bestimmt. In V.6 ist durch die Formulierung »unsere Gerechtigkeit« ein erster Schritt in diese Richtung bereits gegangen.

VErschließung der Hörersituation: Zeichen der Hoffnung

Die aktuelle Situation der Gottesdienstgemeinde ist geprägt durch eine doppelte Ernüchterung. Einerseits ist festzustellen, dass »Recht und Gerechtigkeit« als Leitparameter von Regierungshandeln wie eh und je gern als Stichworte für Sonntagsreden herhalten müssen, aber ein entschlossener Wille, ihnen auch Kraft und Raum zu geben, an allen Ecken und Enden fehlt. Allfälliger Zorn über schlechte Hirten, Königinnen und Präsidenten haben hier ihren verdienten Platz. Auf der anderen Seite hat die Erfahrung der Pandemie gezeigt, dass auch die beste Politik gegenüber den unvorhersehbaren Wechselfällen des Lebens keine einfachen Rezepte ins Feld bringen kann und der Globus zu klein geworden ist, um mit einfachen Verantwortungszuschreibungen die ethischen Fragen zu delegieren, die es zu beantworten gilt. Die Hoffnung auf den guten Hirten, den wahrhaftigen König oder die redliche Präsidentin ist brüchig geworden, nicht weil es keine Probleme mehr gäbe, sondern weil die Vorstellung einer gottgleichen Regierung angesichts der Komplexität der Verhältnisse ihre Plausibilität verloren hat. Trotz aller nationalistischen und populistischen Umtriebe weltweit ist zu konstatieren: Der Weg in vermeintlich goldene Zeiten und einfache Gegebenheiten ist verbaut. Und nicht nur verbaut: Er ist sinnlos. Das gilt auch für alle religiösen Amalgame in dieser Hinsicht, ob sie nun christlich, muslimisch oder hinduistisch daherkommen.
Dieser doppelten Ernüchterung ist aber mit dem Predigttext zweierlei entgegenzuhalten. Zum einen, auf V.6 bezogen: Der Name des davidischen Sprosses lautet: JHWH ist »unsere« Gerechtigkeit. D. h. wir sind nicht nur Gegenstand, sondern Co-Autoren der neuen Zeit. Der Ton liegt dabei in der Tat auf der Kooperation. Gott handelt, aber wir auch. Und umgekehrt: Wir arbeiten, Gott aber auch. Es ist nicht so, dass Gott ausschließlich unsere Hände und Füße hätte, wie ein Slogan aus der Tradition des Politischen Nachtgebets es formuliert hat, sondern er verfügt über eigene Ressourcen, Mittel und Wege, die er mit unseren zusammenbringen will, kann und – so Jeremia – wird.
Wir selbst sind damit Orte, Urheber und Ausgangspunkte von Recht und Gerechtigkeit. Nicht einfach im Sinne einer Verpflichtung, dies auf jeden Fall und unter allen Umständen sein zu müssen: Da wäre die Überforderung bereits im Ansatz zu greifen. Sondern als Zusage und Verheißung, es sein zu dürfen und sein zu können. Was das konkret im Licht des Evangeliums bedeutet, wäre im Einzelnen situations- und gelegenheitsbezogen auszuführen, dürfte allerdings kein theologisches Hexenwerk sein.
Vor allem aber legt dieser Umstand nahe, nach Gottes Handeln in Recht und Gerechtigkeit zu schauen und darauf zu vertrauen, dass derlei tatsächlich geschieht. Auch ohne, dass wir es veranlasst haben. Es wäre ein unerhörter Gewinn, wenn kirchliches Leben zuerst dadurch ausgezeichnet wäre, dass nach Gottes Lebendigkeit aktiv gesucht und nicht dessen Fehlen beklagt werden würde.
Denn, und das wäre der zweite Hinweis, die bemerkenswerten Aktivitäten junger Menschen rund um den Globus, die sich für Recht und Gerechtigkeit stark machen, lese ich als Nachweis göttlicher Aktivität, mitten in reichlich deprimierenden Umständen. Felix Finkbeiner pflanzt Bäume, Bojan Slat säubert den Ozean, Yousafzai Malala kämpft für Bildung von jungen Frauen, Greta Thunberg rüttelt die ökologischen Fragen in die Öffentlichkeit. Damit ist keine christliche Heiligsprechung verbunden, ebenso wenig ein Verzicht auf Kritik im Detail und im Verfahren. Freilich auch keine feindliche Umarmung, wie es gelegentlich auf Seiten kritisierter Unternehmen oder Gremien den Anschein hat. Es ist nicht mehr und nicht weniger als der keineswegs risikolose Versuch, »Jahwe, unsere Gerechtigkeit« in den konkreten geschichtlichen Akten de...

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