Mein Nidden
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Frido Mann

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  1. 160 páginas
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Mein Nidden

Frido Mann

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"Wie auf einem Schiff" fühlte sich Thomas Mann in seinem Niddener Ferienhaus. Und in der Tat können die drei Sommer 1930–1932, welche die Manns im Fischerdorf Nidden auf der Kurischen Nehrung verlebten, einer schmalen Halbinsel zwischen Ostsee und Kurischem Haff, als eine Art Vor-Exil gelten, bevor die Familie über den Ozean nach Amerika emigrierte. Zwei Generationen später entdeckt nun Frido Mann, der Enkel Thomas Manns, bei zahlreichen Besuchen sein Nidden: Dabei wandelt er nicht nur auf den Spuren seiner Vorfahren, sondern zeichnet auch die wechselvolle Geschichte der Kurischen Nehrung im 20. Jahrhundert nach – hin- und hergerissen zwischen Deutschem Reich, Sowjetherrschaft und der Unabhängigkeit Litauens. Mit Neugier, Empathie und Weitblick wirkt Frido Mann an der Zukunft des Niddener Hauses als eines Zentrums für interkulturellen Austausch mit. Nicht zuletzt entwirft er in seinem Buch ein eindrucksvolles Bild der überwältigenden Natur mit ihrer Mischung aus nördlichem und südlichem Charme und einem Himmel, der sich in fast endlosen Blautönen über dem Haff und der "europäischen Sahara" – dem berühmten Wanderdünenfeld – erstreckt.

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Información

Editorial
mareverlag
Año
2019
ISBN
9783866483620
Categoría
History
Categoría
Baltic History

Onkel Toms Hütte

… wir fuhren also für einige Tage nach Nidden auf der
Kurischen Nehrung und waren so erfüllt von der
Landschaft, dass wir beschlossen, dort Hütten zu bauen,
wie es in der Bibel heißt.
Thomas Mann: Mein Sommerhaus, 1931
3. Oktober 2010. Ich werde in der Morgendämmerung mit dem Dienstauto der University of Kansas in Lawrence/USA von meinem Hotel abgeholt. Zusammen mit mir fährt Professor Guy Stern, einer der Referenten des gestern Abend beendeten dreitägigen Internationalen Symposiums »Exil und Performance/Inszenierung«, zum Internationalen Flughafen von Kansas City, von wo aus auch er heute nach Hause fliegt. Guy Stern, der 1937 als Fünfzehnjähriger aus Deutschland emigrierte, lehrte bis zu seiner Emeritierung an mehreren amerikanischen Universitäten, mit dem Schwerpunkt Migrantenliteratur. Ich habe in meinem gestrigen Abschlussvortrag »Zwischen den Rassen – zwischen den Kulturen. Exil als Herausforderung« u. a. die Exilschicksale von Heinrich und Thomas Mann vor dem Hintergrund der brasilianischen Abstammung ihrer Mutter Julia da Silva-Bruhns-Mann nachgezeichnet. In der anschließenden öffentlichen Diskussion habe ich die drei Sommeraufenthalte der Manns 1930–32 im litauischen Nidden als eine politisch zunehmend belastete Übergangszeit zwischen ihrem Leben in Deutschland und ihrem Exil in der Schweiz und den USA erwähnt. Ich bezog mich dabei auch auf ein von Thomas Mann in Nidden gegebenes Interview für das Hamburger Fremdenblatt vom 14. August 1932, gegen Ende seines letzten dortigen Sommers. Darin bekannte der Schriftsteller, er fühle sich in seinem Niddener Heim »wie auf einem Schiff«. Dies war nicht nur eine überaus treffende Charakterisierung der geologischen und geschichtlichen Struktur der von ihm als Sommersitz ausgewählten Kurischen Nehrung. Das »Schiff« war auch eine fast hellseherische Metapher für seinen eigenen Weg aus dem brennenden Europa über den Ozean ins Exil nur wenige Jahre später, vielleicht überhaupt eine richtige biografische und psychologische Kennzeichnung des Künstlers und seiner Familie allgemein. Professor Stern zeigte gerade für die erste ausländische Station der Mann-Familie in Litauen vor ihrer Emigration besonderes Interesse. Ich schlug daher vor, ihm während der gut einstündigen Autofahrt vom Hotel zum Flughafen das, was ich über Thomas Mann in Nidden weiß, etwas ausführlicher zu berichten.
Anlässlich einer Einladung des Königsberger Goethebundes zu einer Vorlesung in Königsberg im August 1929 verbrachten Thomas und Katia Mann mit ihren beiden jüngsten Kindern Elisabeth und Michael einige Ferienwochen im Kurhaus des samländischen Ostseebades Rauschen. Thomas Mann war vom mondänen Betrieb dieses Massenkurorts wenig angetan. Auf eine besondere Empfehlung des jungen österreichischen Konsuls Bernhard Koch fuhr er für die letzten Ferientage ins nicht sehr weit entfernte litauische Nidden, das bis Ende des Ersten Weltkrieges zum deutschen Memelland gehört hatte.
Der Zauber der Nehrung und ihre insulare Lage – etwa in der Mitte zwischen Berlin und Sankt Petersburg – hatten schon Forscher wie Wilhelm von Humboldt sowie die beiden ostpreußischen Schriftsteller Ludwig Passarge und Walter Heymann angezogen. Ende des 19. Jahrhunderts war Nidden ein wald- und dünenreiches Fischer- und Feriendorf gewesen, mit einigen Hotels und Wirtshäusern, einer Kirche, einem Schulhaus, einer Arztpraxis und einer Apotheke. Das kulturelle Zentrum bildete der am idyllischen Haff gelegene Gasthof des Mäzens Hermann Blode. Hier stiegen über hundert Maler der Königsberger Akademie, aus Berlin und aus Dresden ab und bildeten eine regelrechte Künstlerkolonie, eine Art Worpswede des Ostens. Zu ihnen gehörte Lovis Corinth, der um 1893 den heute in der Münchner Neuen Pinakothek ausgestellten Fischerfriedhof von Nidden malte. Später gesellten sich die Brücke-Maler Max Pechstein und Karl Schmidt-Rottluff sowie Oskar Moll und insbesondere Ernst Mollenhauer dazu, der 1920 Blodes Schwiegersohn wurde und nach dessen Tod 1934 zusammen mit seiner Frau die Leitung des Gasthofs übernahm.
Die deutschen Expressionisten faszinierten das Licht und die Farben der Umgebung, vom strahlenden Himmelsblau bis zum Haff mit seinen fast endlosen Blautönen, wie auch die reichhaltigen Motive auf der Nehrung: die Häuser mit den blau gestrichenen Giebeln und Fensterrahmen und den am First sich kreuzenden Pferdeköpfen, die Bauerngärten hinter den Staketenzäunen, die Ziehbrunnen, Fischernetze und Kurengräber, umleuchtet von einer unendlichen Blumenpracht. Nach der Tagesarbeit in ihrem Freilichtatelier versammelten sich die Maler abends gern zur Diskussion von Kunstproblemen im Schein der Petroleumlämpchen auf Blodes lang gestreckter, gedeckter Veranda mit wunderbarem Blick auf das Haff oder in einer Künstlerecke in der Gaststube des Hotels. Blode hatte extra ein Atelier eingerichtet, das er zeitweise an Pechstein oder Moll vermietete. Die Gaststube sah bald aus wie eine Galerie, da Blode eifriger Sammler war und Bilder als Bezahlung von Kost und Logis annahm. Karl Schmidt-Rottluff hat uns von seinem Schaffen in Nidden die noch vor dem Ersten Weltkrieg gemalten Bilder, beispielsweise Landschaft mit Leuchtturm, Three Nudes – Dune Picture from Nidden und Sun over Pine Forest, hinterlassen und Max Pechstein aus den Zwanziger- und Dreißigerjahren seine Fischerboote, Fischerbucht und Fischer III (Aquarell und Tuschpinselzeichnung). Von Ernst Mollenhauer stammen der noch 1962 unmittelbar vor seinem Tod aus seiner Erinnerung gemalte Hafen in Nidden und Haus Hermann Blode in Nidden. Nach der Rückgliederung des Memellandes an das Deutsche Reich 1939 erklärte man Mollenhauers Werk für »entartet« und verbot dem Künstler das Malen und Ausstellen. Mollenhauer konnte es zwar verhindern, dass sein Werk und die ganze Sammlung Hermann Blodes einem »Bildersturm« zum Opfer fielen. Doch nach Mollenhauers Flucht in den Westen wurde im Januar oder Februar 1945 die Sammlung einschließlich seiner eigenen Bilder von sowjetischen Truppen in einer Sauna verheizt.
Auch Thomas Mann stieg mit seiner Familie im Gasthof Blode ab. Nach nur wenigen Tagen entschlossen er und Katia sich, wahrscheinlich auch unter dem Einfluss des »Einheimischen« Ernst Mollenhauer, ein Sommerhaus zu bauen. Nachdem sie anfangs mit einem Platz am Fuße der Hohen Düne geliebäugelt hatten, den sie die »Bucht von Portofino« nannten, der ihnen jedoch von Mollenhauer wegen des schlechten Grundwassers und der vielen Mücken an der Stelle ausgeredet wurde, wählten sie eine auf der Gegenseite des Dorfes gelegene Anhöhe mit dem seltsamen Namen »Schwiegermutterberg« und einem traumhaften Rundblick über das Haff aus. Das Tölzer Ferienhaus war bereits seit zwölf Jahren verkauft. Nidden lag zwar unpraktisch weit von München entfernt, mit zwei Nachtzugfahrten nach Berlin und von dort nach Königsberg, dann mit der Bahn oder dem Taxi weiter nach Cranz und schließlich per Schiff nach Nidden.
Der ausschlaggebende Punkt scheint für Thomas Mann jedoch die reizvolle Tonio-Kröger-Mischung aus nördlichem und italienischem Flair, aus deutschen und russischen Einflüssen gewesen zu sein. Die gottvolle Ruhe und scheinbare Grenzenlosigkeit machten dieses vieldeutige Niemandsland mit doppeltem Ufer, trotz der unmittelbaren Nähe zur deutschen Grenze, wahrscheinlich auch zu einem Refugium, vielleicht sogar einer Art Vor-Exil aus der politisch sich rapide verdüsternden, bereits verfallenden deutschen Republik. Der Flecken war zudem weit genug entfernt von Hiddensee, wo der Rivale Gerhart Hauptmann thronte. Eine weitere Rolle dürfte der günstige Kaufpreis in litauischer Währung gespielt haben.
Ein Haus auf einer Anhöhe über dem Wasser zu bauen, scheint die Wahl aller nachfolgenden Domizile des Schriftstellers bis zu seinem Lebensende beeinflusst zu haben. Ob Küsnacht, Pacific Palisades, Erlenbach oder Kilchberg, immer dominierte der Blick hinab auf den See oder das Meer. Selbst das über dem Starnberger See gelegene »Villino«, in das sich der Schriftsteller in den frühen Zwanzigerjahren von München aus gern zum ungestörten Arbeiten zurückzog (sein »Feldafinger Mauseloch«, wie er es nannte), dürfte damals freie Aussicht auf den See gehabt haben. Interessant ist – was Thomas Mann nicht wusste –, dass auch das Elternhaus seiner Mutter in Brasilien direkt über der Atlantikküste lag, mit idyllischem Blick auf die inselreiche tropische Bucht von Paraty.
Über 70 Jahre später erinnerte sich Thomas Manns jüngste Tochter Elisabeth: »Schon der erste Besuch in dem so naturnahen Dorf, wo es keine Autos gab und man mit einem Pferdewagen im Hafen abgeholt wurde, und wo es keine Elektrizität gab – das erste Niddener Elektrizitätswerk wurde gleichzeitig mit unserem Haus erbaut! – und man gemütlich, im Schein des Öllämpchens auf der mit Glasfenstern versehenen Terrasse von Blodes Hotel, das Nachtessen einnahm, war bezaubernd … Die Spaziergänge an dem schönen, wilden Strand; die Ausflüge in die großen Wanderdünen und das Elchrevier, der erste ›Italienblick‹ vom Schwiegermutter-Hügel, wo das folgende Jahr unser Haus stehen sollte, sind unvergeßlich, und daraus mag sich erklären, daß die schnelle Entscheidung unserer Eltern, eben dort ein Haus zu bauen, uns Kinder mit Begeisterung erfüllte.«
Wenige Monate nach dem Entschluss, ein eigenes Sommerhaus zu bauen, konnte Ernst Mollenhauer Thomas Mann brieflich mitteilen, dass die Verhandlung mit der Forstverwaltung über eine Verpachtung des betreffenden Grundstücks für 99 Jahre erfolgreich verlaufen sei, und sogleich wurde der Architekt Herbert Reissmann aus Memel mit dem Entwurf von Haus und Möbeln beauftragt. Am 16. Juli 1930 konnte die Familie in das ländlich einfache, aber nach den örtlichen Maßstäben doch sehr komfortable Haus einziehen – mit soliden Möbeln, Kamin, Grammofon, Radio und später auch Telefon. Zusammen mit Katia und Thomas trafen die zwanzigjährige Monika, die beiden elf- und zwölfjährigen Kinder Michael und Elisabeth sowie eine Köchin mit ihrem Sohn ein. Die Ankunft des nur Monate vorher mit dem Nobelpreis Geehrten muss Berichten von Katia und Thomas zufolge einen wahren Volksauflauf bereits am Landungssteg von Nidden verursacht haben. Auch während der Fahrt in Blodes bereitgestellter Kutsche in das neue, fertig eingerichtete Heim – dem die Einheimischen bald den Spitznamen »Onkel Toms Hütte« gaben – jubelte die am Straßenrand versammelte Dorfbevölkerung dem Ankommenden wie einem Monarchen zu.
Für die drei Aufenthalte der Familie in den Sommermonaten zwischen 1930 und 1932 fehlen die Tagebücher Thomas Manns, die er 1945 im amerikanischen Exil verbrannt hat. Doch sind viele Berichte, auch von ihm selbst, von Thomas Sprecher in »Alles ist weglos«. Thomas Mann in Nidden, einem Sonderheft der Marbacher Magazine, zusammengestellt worden. Darin erfahren wir, dass die Aufenthalte in Nidden für Thomas Mann keine Ferien waren; auch dort ging er seinem disziplinierten, ganz auf Arbeit ausgerichteten Tagesablauf fast unverändert nach. Darauf hatte die Familie strenge Rücksicht zu nehmen. Er durfte nicht gestört werden, weder bei der Arbeit noch beim Nachmittagsschlaf. Nach dem Frühstück mit kurzem Waldspaziergang davor schrieb er mit dem Blick von seiner Mansarde aufs Haff einige Stunden vor allem an den Josephs-Geschichten. Mit ähnlicher Pünktlichkeit wie Immanuel Kant bei seinen Tagesverrichtungen in Königsberg folgte er zwischen elf und zwölf Uhr seiner Familie ans Meer, wo er im Strandkorb weiterarbeitete. »Der Strand empfiehlt sich nicht durch Komfort. Nur wir haben einen Strandkorb, alle anderen Gäste bauen sich Sandburgen«, sagte er in dem Vortrag »Mein Sommerhaus«, den er 1931 vor dem Rotary Club München hielt. Nachmittags las er oder schrieb Briefe, von Hand oder indem er sie Katia diktierte, die sie abends auf der Schreibmaschine ins Reine tippte. Elisabeth erinnerte sich noch lange daran: »Als Kind bin ich oft mit dem Geräusch der Schreibmaschine im Ohr eingeschlafen. Später im Leben […] bildete ich mir beim Einschlafen ein, ich höre die Schreibmaschine klappern. Das war ein so beruhigendes Geräusch«, erzählte sie später in einem Interview.
Am Nachmittag kam auch oft Besuch: Journalisten, einige von weit her. Einmal erschien eine Schülergruppe aus der kleinen Stadt Švėkšna. Litauische Verehrer brachten dem Schriftsteller ein Ständchen. Des Öfteren fanden sich die beiden Fotografen Isenfels und Krauskopf ein und knipsten Bilder, die von der Familie teilweise als Ansichtskarten verwendet wurden: die Familie im oder vor dem Haus, auf der Terrasse oder in der Kutsche, der Hausherr mit Kapitänsjackett und -mütze oder mit Bademantel und Zigarette am Strand. Einheimische Kinder boten im Haus Waldbeeren zum Verkauf an. Abends wurde wie zu Hause Musik gehört. Im Ort war Thomas Mann nicht viel zu sehen. Katia kaufte dort ein. Sie berichtete, dass ihr Mann bis zum Schluss die litauische Währung nicht kannte.
Auch vom Leben der Kinder der Manns im Sommerhaus und darum herum gibt es einiges zu erzählen.
Manche Sommergäste verboten ihren Kindern, mit den Fischerkindern zu spielen. Dies war bei den Manns nicht der Fall. Gemeinsam wurde im Wald Indianer gespielt; am Strand waren Ballspiele besonders beliebt. »Die Kinder bauten im Sand«, erzählte Katia Mann später. »Und dann kam das schönste Vergnügen des Tages, das Bad in der Ostsee. Die ist ja in Nidden besonders großartig und hat oft eine gewaltige Brandung. Noch heute erinnere ich mich mit einem gewissen Schrecken daran, wie ich wohlgemut mit meinem zwölfjährigen Sohn Michael herausschwamm und dann mit Müh und Not gegen die tosenden Wellen wieder ans Land gelangte.«
»Nidden!«, schwärmt auch mein Vater Michael fast 35 Jahre später. »Dieser Name ist für mich fast gleichklingend mit Sommerferien, Freiheit, Kinderglück. Wir hatten ein Ruderboot, mit dem wir in die Wanderdünen fuhren, einmal sogar, ausgerüstet mit heißem Kaffee, in Begleitung unseres Vaters. […] Unsere Eltern versorgten uns damals mit viel Lektüre, darunter, besonders von meinem Vater empfohlen, Storms Schimmelreiter. Eine kleine Storm-Ausgabe wurde für uns aus Berlin bestellt, in deren Genuß mein Vater sich mit uns geteilt hat. So entstand die Studie über Storms Schimmelreiter. Auch sie paßt, darf man wohl sagen, in die Niddener Landschaft.« Wie Katia berichtete, beschäftigte sich der Vater in der Tat »immer gern mit den Kindern, las ihnen vor oder erzählte ihnen auch Märchen, wobei er besonders Andersen bevorzugte […]. Er zeichnete auch häufig für sie; besonders schwebt mir ein eleganter Herr vor, der die Unterschrift trug: Ballherr feinster Art.«
Elisabeth äußerte sich, ebenfalls 35 Jahre später, wie Michael unvermindert begeistert: »Die Morgengänge durch den Wald ans Meer; die Nachmittagsgänge zum Italienblick, zu den Wanderdünen, die Wagenfahrten ins Elchrevier. […] Die Leute, das Segeln auf dem Haff (ich wollte immer einmal im Winter kommen, zum Eissegeln; aber das ging nicht, wegen der Schule); die Brombeeren im Wald; die Muscheln am Strand.« Und noch viel später, im Januar 2000, befand sie: »Selbst die Sprache der dortigen Menschen, Kurisch, und der Akzent, mit dem sie Deutsch sprachen, waren faszinierend. So sagte das Hausmädchen, zum Beispiel, ›wird schönes Wetttter werden, Herrchen wird jeben‹. Und mit ›Herrchen‹ war der Liebe Gott gemeint. Auch meine Eltern zeigten Interesse für die einzigartige kurische Sprache – die inzwischen leider ausgestorben ist. Als ich Nidden, nach über 60 Jahren […], wiederbesuchte, gab es im Dorf nur noch eine uralte Frau, die Kurisch sprach, und ihren Sohn, der es verstand … Und die Frau ist wohl inzwischen auch nicht mehr da. In den Jahren unserer Sommeraufenthalte aber sprach die […] Bevölkerung Kurisch, eine nicht-indogermanische Sprache, wohl der ugro-finnischen Sprachgruppe zugehörend.«
Bei allen Unternehmungen war auch Monika dabei. Sie schreibt in ihren Memoiren von 1956: »Mein Vater ist an der Ostsee geboren, und es hat ihn immer wieder dorthin oder auch an ein anderes Meer gezogen. […] Wir schweiften durch die schier endlosen fein- und weißsandigen Dünen […] und wir tobten in den Wellen und wir schweiften abends unter den Sternen, die nirgends so hell und klar und mannigfach sind wie über dem Meer. Und wir ließen uns von Sonne und Wind bräunen und beleben, sahen dem Mond zu, wie er schwand und wuchs, ließen einen Tag um den anderen sorglos vergehen. […] Oft regnete es tagelang. Dann war Meer und Himmel eins, Dünen, Wälder und verstreute Häuser mit Strohdächern – alles zerfloß im nassen Grau, in einer seltsam kräftigen, ›untraurigen‹ Melancholie.«
Fast die ganzen ersten Sommerferien lang hielt sich der 21-jährige Golo Mann im Haus auf und schrieb an seiner Dissertation über Hegel. Nach den 1986 von ihm verfassten Erinnerungen und Gedanken war er der Einzige, der sich dort weniger wohlfühlte: »Unlust, die Sommerferien mit der Familie […] zu verbringen.« 1932 kam er nochmals kurz vorbei, auf der Rückfahrt von seiner Reise mit dem kleinen DKW durch Finnland.
Erika Mann war nur im Sommer 1931 kurz da. In ihrem 1965 erschienenen Artikel »Die letzte Adresse« vergleicht sie Nidden mit ihrem Jugendsommerparadies in Tölz: »Ein zweites Landhaus entstand – in etwas unpraktischer Ferne diesmal – in Nidden, auf der Kurischen Nehrung. Immer noch gab es Kinder, die sich im Ferienparadies tummelten: Medi und Bibi, will sagen, Elisabeth und Michael, waren jetzt so alt, wie Klaus und ich es im letzt...

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