Wach denken
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Wach denken

Für einen zeitgemäßen Vernunftgebrauch

Rebekka Reinhard

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  1. 200 páginas
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Wach denken

Für einen zeitgemäßen Vernunftgebrauch

Rebekka Reinhard

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In unsicheren Zeiten wächst die Sehnsucht nach einfachen Antworten. Da kommt ein Denken gerade recht, das die Lösung aller Probleme verspricht und Widersprüche ausschließt. Computer-Logik nennt Rebekka Reinhard diese irrationale Rationalität, in der immer nur Entweder – Oder gilt. Doch ein solches Denken sieht an der Realität vorbei und liefert uns den Zwängen der Eindeutigkeit aus. Es macht uns nicht klüger – und erst recht nicht glücklicher.Das Beharren auf Gegensätzen wie Problem oder Lösung, Erfolg oder Scheitern, echt oder Fake, Mann oder Frau lässt unsere Vernunft verblöden, provoziert die Philosophin. Aus Einfachheit wird Unfreiheit, aus Eindeutigkeit wird Anpassungsterror. Das "wache Denken" ist Reinhards Alternative: Es entspricht der Uneindeutigkeit der Welt und begegnet ihr mit Lust am Spiel, am Experiment, am Wagemut.Rebekka Reinhard inspiriert dazu, wach zu denken: sich auf die Unberechenbarkeit des Lebens einzulassen und frei, kreativ und vorurteilslos auf die Welt zu schauen. Denn das brauchen wir heute dringend, um zu neuem Wissen zu finden, zu einer intelligenten Verbindung von Verstand und Emotion, von Hirn und Herz.

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Información

Año
2020
ISBN
9783896845764
Teil 1
DUMPF
»Wie kann ich behilflich sein?«
SIRI
1 Problem oder Lösung
Die Welt ist das Zuhause des Menschen. Anders als unsere Wohnung oder unser Haus liegt sie aber nicht einfach reglos da. Sie ist chaotisch, wirr, ständig in Aufruhr. Diese Welt rückt uns auf die Pelle. Sie macht sich auf den Screens unserer Smartphones breit. Sie bedrängt uns in High Definition, sobald wir die Fernbedienung zücken, laut, bunt, hektisch, intensiv, überwältigend. Die Welt lässt uns nicht in Ruhe – und wir sie nicht. Auf allen Kanälen wird sie kommentiert, jeder hat eine Meinung über sie. Die am meisten recht haben wollen, outen sich in Zeitungen, Talkshows und sozialen Medien. Im Wettbewerb um die größtmögliche Aufmerksamkeit schwellen Sprechblasen jäh zu Monstergebilden an, um von anderen, noch gewaltigeren, gleich wieder verdrängt zu werden. Nichts bleibt, wie es ist. Die Welt hat viele Gesichter, je nach Stimmung, Kontext und Quote. Sie ist ein singulär-plurales, hyperreales Hybrid aus Fakten und Fake, Zufall und Notwendigkeit. Wie soll man sich da zurechtfinden? Wie kann man sich hier heimisch fühlen? Die Welt ist immer anders. Sie hat nicht nur vielfältige, widersprüchliche Erscheinungsformen, sie ist auch vieldeutig. Und das heißt: schwer in den Griff zu kriegen, zeitraubend, eine Zumutung. Das darf nicht sein. Es gibt doch für alles eine App! Wetter-Apps, Dating-Apps, Meditations-Apps, Game-Apps. Warum hat noch niemand eine Welt-App erfunden? Eine App, die endlich Schluss mit dem Chaos machen würde. Eine solche App wäre die Lösung aller Probleme. Sie könnte Vielfalt, Widersprüchlichkeit, Vieldeutigkeit in Eindeutigkeit transformieren. Sie wäre so programmiert, dass sie alles eindeutig trennen könnte: wahr von falsch, echt von fake, gut von böse.
Leider ist völlig unklar, wie lange es dauern wird, bis die Welt-App zur Marktreife geführt ist. So lange ist der moderne Mensch auf andere Methoden angewiesen, um seine Probleme zu lösen. Dieser Mensch ist, genau wie die Welt selbst, unfähig, einfach reglos dazuliegen. Dieser Mensch, dessen durchgetakteter Lebensweg sich unfreiwillig in Kreisen, Ellipsen und Spiralen dreht, kann ohne Probleme und Lösungen nicht leben. Er braucht sie wie ein Mathematiker seine Zahlen und Formeln. Eine der beliebtesten Techniken, die Welt in den Griff zu kriegen, besteht darin, ins Chaos hineinzugreifen und ein klar umrissenes, alles dominierendes Problem auszusondern. Zum Beispiel die Deutsche Bahn. Die Bahn war lange ein Problem, weil sie das reibungslose Funktionieren des modernen Menschen mit Verspätungen und Zugausfällen sabotierte. Ein Problem, das fahrplanmäßig und hygienisch Zukurzgekommene, die unter anderen Umständen niemals miteinander reden würden, zu einem Wir zusammenschweißte. Gemeinsam zeterte und wetterte man – über die Funklöcher, die verstopften Toiletten, die defekte Klimaanlage! So kriegte das existenzielle Chaos wenigstens eine handfeste Sprache, eine glasklare Form. Die Sache ist eindeutig: Die Bahn ist schuld. Woran? An allem natürlich. Schon hatte sich diese Meinung viral verbreitet, schon hatte man eine Wahrheit – und damit die Lösung. Eindeutigkeit tut gut. Deshalb sind nicht nur kollektive Aufregereien so beliebt, sondern auch Castingshows, Gameshows, Talkshows, Krimis, True-Crime-Storys. Man streamt Hart aber Fair, man glotzt Wer wird Millionär, weil hier Probleme effizient identifiziert, erklärt und beseitigt werden. Weil es dort – anscheinend? scheinbar? – immer eine Lösung gibt.
Vom Selbstdenken zur Computer-Logik
Der Mensch des 21. Jahrhunderts ist zutiefst rational. Er glaubt an die Macht von Vernunft, Wissenschaft und Objektivität. Er will das Chaos ordnen, Licht ins Dunkel bringen – lang ist der Arm Immanuel Kants (1724 – 1804) und der Aufklärung des 18. Jahrhunderts. Kant stiftete einst zum selbstständigen Vernunftgebrauch an, zum Hinterfragen überkommener Theorien, Dogmen und Autoritäten. Die Freiheit, von seiner Vernunft öffentlich Gebrauch zu machen,19 auf die der Philosoph so großen Wert legte, liegt auch heute voll im Trend. Als Kant zum Selbstdenken ermutigte, dachte er natürlich nicht an Stammtische oder Facebook-Gruppen, wo jedes »Wir« andere Probleme und Lösungen durchnudelt. Er hatte vielmehr eine »Weltbürgerschaft« freier, gleicher, brüderlich (und durchaus nicht schwesterlich) gesinnter Geistesmenschen mit Spaß am offenen Meinungsaustausch im Sinn. »Vernunft« war das Zauberwort der Aufklärung, das in »Moralischen Wochenschriften« und »Intelligenzblättern« an ein schnell wachsendes Publikum von Lese- und Debattierwilligen verbreitet wurde.20 Der moderne Mensch glaubt an aufgeklärte Vernunft, nicht aber an umständliches Selbstdenken. Sein Intelligenzblatt ist das Internet. Das Netz ist für ihn ein Zuhause, das erst dadurch gemütlich wird, dass er die darin befindliche Welt der Sortier-, Optimierungs- und Kontrollkompetenz von Algorithmen anvertraut.
Algorithmen – definiert als eindeutige Handlungsvorschriften zur Lösung eines Problems – sind die natürlichen Feinde der Vieldeutigkeit. Sie bestehen aus »wohldefinierten« (d. h. bewiesenermaßen nicht mehrdeutigen) Einzelschritten. Algorithmen sind praktisch. Sie können schneller rechnen als wir. Sie zweifeln nicht, sondern geben, ohne zu mucken, sofort und ständig Feedback. Sie sagen uns, welche Probleme wir haben und wie wir sie lösen können. Algorithmen sind ein menschengemachter Hauptbestandteil der Automatisierung und Computerisierung unseres Lebens, die eine phänomenale Erleuchtung versprechen – deren Funktionsweisen für die allermeisten jedoch dunkel bleiben. Sie erklären uns auf Basis der Spuren, die wir online hinterlassen haben, was wir als Nächstes wollen, wählen, wünschen, fürchten werden. Sie drehen uns wie mit Zauberhand in die gewünschte Richtung. Gewünscht von wem?
Der moderne Mensch liebt Transparenz, will aber nicht groß nachdenken und rauskriegen, was sich hinter den glatten Designs seiner Geräte verbirgt. Es wäre zu zeitintensiv und viel zu anstrengend. Ein Algorithmus ist das Ding zum Shoppen, Lernen und Musikhören; die Cloud das Ding, in das man alles schnell mal hochladen kann. Eine Wolke, ein Nebelgebilde? Man will keine Fragen, sondern glasklare Antworten. Alles muss schnell gehen. Man will wissen, welche Probleme man hat und wie man sie lösen kann. Wahr oder falsch? Gut oder böse? Unter den Bedingungen einer chaotischen Welt ist nicht die Komplexität des Selbstdenkens à la Kant gefragt, sondern die Eindeutigkeit von Programmiercodes und Maschinensprachen. So wurde Selbstdenken zu Computer-Logik. Eine Logik, die blitzschnell Vieldeutigkeit in Eindeutigkeit übersetzt und nur zwei Zustände zulässt: Entweder – Oder.
Auch eine digitale Schaltung kann nur aus zwei Zuständen bestehen: Null und Eins. Die Starrheit der Computer-Logik imitiert die »Rigidität der digitalen Technologie, (das) binäre An oder Aus der Bits«21. Die Binarität ist überaus verbraucherfreundlich. Man kann mit ihr durch die Welt navigieren, ohne an Vieldeutigkeiten kaputtzugehen. Probleme und Lösungen sind die Basisfunktionen des großen Entweder – Oder. Links oder rechts? Schwarz oder weiß? Entweder man findet eine Lösung oder man hat ein Problem. Zweifel ausgeschlossen. Tertium non datur. Computer-Logik zwingt nicht nur zum andauernden Problemlösen, sondern auch zur Akzeptanz der alternativlosen Entscheidung. Ohne Entscheidung keine Lösung, sagt die verblödete Vernunft. Geld oder Liebe? Wirtschaft oder Gesundheit? Wer sich nicht schleunigst entscheidet, weiß nicht, wie’s läuft. Entscheidungen treffen heißt Probleme lösen. Ein Problem ist gelöst, wenn genau eine Lösung zu ihm passt. Man bewältigt das Leben, indem man die Vieldeutigkeit in ein akkurates Raster presst, man schafft Eindeutigkeit, indem man einfach zu allem ein Gegenteil konstruiert. Was schlecht ist, kann niemals gut sein. Wenn Reisen mit der Deutschen Bahn frustrierend sind, können sie nie beglücken. Wer seinen offenen Geist zuklappt, sortiert, optimiert und kontrolliert auf Teufel komm raus. Irgendwann beginnt das Gehirn zu knarzen – nicht, weil es so viele tolle innovative Ideen zutage fördert, sondern weil es wie sein großes Vorbild, der Algorithmus, das immer gleiche, a priori feststehende Ergebnis produziert. Null oder Eins. Problem oder Lösung. Die digitale Technologie ist unfähig, zwischen der realen Welt und ihrem Modell von Welt zu unterscheiden, und der moderne Mensch ist es zunehmend auch. Er hält die Entweder-Oder-Konstruktion für eine Systemvoraussetzung. Für das, was der Fall ist. Für das Ganze der Realität.
Zuckerbrot oder Peitsche
Der Mensch vertraut der Technologie nicht nur, weil sie so gut funktioniert, sondern auch, weil er sie nicht versteht. Es bleibt ihm gar nichts anderes übrig, als ihr zu vertrauen. Sowenig er aber auch die Technologie versteht, die natürliche Welt überfordert ihn gleichermaßen. Sobald er ein elektronisches Gerät in Händen hält, kommt sie ihm vor wie ein Fremdkörper. Denn die Welt bietet ihm eine Fülle möglicher Entscheidungen, ohne ihm die passende Anwendung mitzuliefern. Sie sagt ihm nicht, welche Option die richtige ist. Die Benutzeroberfläche der modernen Welt ist viel unübersichtlicher als die des antiken Mythos. Als der junge Herkules am Scheideweg zwischen einer moralisch verwerflichen und einer tugendhaften Existenz stand, gab es weder Frappuccinos noch Smoothies. Seither haben sich die Optionen, was man trinken, essen, leben kann, vertausendfacht. In der Welt wimmelt es jetzt vor Scheidewegen. Und das ist ein Problem. Welche Entscheidung ist richtig? Kaum poppt diese Frage auf, hat man schon Google befragt. Findet man keine Lösung für sein Problem, fühlt man sich bestraft. Tut man das, was die Leute aus der eigenen »Wir«-Gruppe tun, fühlt man sich belohnt. Bis man sein Geldproblem, Beziehungsproblem, Jobproblem, Depressionsproblem, Gewichtsproblem gelöst hat, hat man Trillionen Wischbewegungen auf dem Handy vollzogen – und minütlich wechselnde Informationen, Meinungen, Narrative dazu erhalten, welche Probleme als Nächstes anstehen. Der moderne Mensch kann ohne Probleme und Lösungen nicht leben. Probleme und Lösungen helfen ihm, das Chaos zu strukturieren. Problem gleich Bestrafung, Lösung gleich Belohnung. Die Null-und-Eins-Logik, die die verblödete Vernunft über die Welt stülpt, funktioniert immer perfekter, je öfter man durchs Problemlösen belohnt wird.
Diese Veränderung im Denken scheint Teil einer umfassenderen Verhaltensänderung zu sein: der operanten Konditionierung. Dass menschliches Tun durch positive Anreize verstärkt und durch negative vermieden werden kann, bewies in den 1950er Jahren B. F. Skinner. Der Psychologe und Vertreter des Radikalen Behaviorismus, der »Lernmaschinen« für IBM konzipierte,22 lieferte den Entwicklern der Digitalisierung in ihrer frühen Phase wichtige Impulse.23 Skinners »Verhaltenstechnologie« operierte nach dem Prinzip: entweder Belohnung – oder Bestrafung. Sie hatte für jedes Problem eine Lösung. Sie passte perfekt in die neue Nullen-und-Einsen-Welt.
Wie sehr sich Skinners Menschenbild von dem Immanuel Kants unterscheidet, zeigt der Titel seines Magnum Opus: Jenseits von Freiheit und Würde (1971).24 Skinners Utopie war eine globale Kultur totaler Gleichheit, in der alles Chaos, alle Vieldeutigkeit ausradiert ist; in der sich Menschen wie perfekt programmierte Automaten selbst steuern, optimieren und kontrollieren, angestupst nur durch ein paar sanfte Sanktionen. Der Mensch als Bündel von Verhaltensweisen braucht keinen freien Willen. Willensfreiheit ist schädlich für den Weltfrieden. Individuelles Selbstdenken ist das Problem, kollektive Selbststeuerung die Lösung. »Es ist der autonome innere Mensch, der abgeschafft wird«, schreibt Skinner, »und das ist ein guter Schritt voran.«25
Like oder Dislike?26 Die Vereindeutigungsmechanismen des Netzes, von Google bis Facebook, lassen Skinners Utopie gar nicht mehr allzu utopisch erscheinen.
»Wir haben noch nicht erkannt, was der Mensch aus dem Menschen machen kann«, schrieb Skinner 1971.27 Jetzt wissen wir es: Algorithmen, die auf Eindeutigkeit stehen.
Dass es so weit kommen konnte, liegt auch am sogenannten automation bias, also an der Tendenz, automatisierten Systemen mehr Objektivität zuzutrauen als eigenen Beobachtungen und Erkenntnissen.28 Kein Wunder. Automatisierte Informationen liefern blitzschnell eindeutige Lösungen. Lahme menschliche Grübeleien machen nur Probleme. Also glaubt man etwa einer Rechtschreibprüfungs- oder Gesichtserkennungssoftware mehr als dem eigenen Wahrnehmungsapparat – selbst dann, wenn dieser rührend altmodische, aus menschlicher DNA gewirkte »Apparat« recht haben und das System irren sollte. Also setzt man nicht nur bei der Restaurantauswahl, sondern auch bei der Personalauswahl auf Algorithmen. Eine persönliche Beurteilung im Direktkontakt? So von Mensch zu Mensch? Viel zu vieldeutig! Viel besser, die Kandidatinnen und Kandidaten vom System erfassen und vereindeutigen zu lassen: sie messbar, vergleichbar, visualisierbar zu machen. Ein Algorithmus hat keine schlechte Laune. Ein Algorithmus ist nicht ungerecht. Er ist »objektiv«. Transparenz ist alles, Robot-Recruiting ist toll: Die Technik wertet Sprache, Stimme und Mimik aus, scannt Leistungsstärke, Belastbarkeit und Integrität, die Personalchefin gibt ihren computer-logischen Senf dazu29 – und schon folgt die Belohnung: Die neue Mitarbeiterin ist im Kasten.
Der Rudel-Schalter
Der moderne Mensch ist versessen darauf, Probleme zu lösen. Er ist darauf konditioniert. Dass es überhaupt »Probleme« gibt, ist aber keineswegs klar. Jedenfalls gibt es sie nicht wie Bäume, Garagen oder Handys. Ein Mann, der nicht einparken kann, ist zunächst nichts anderes als ein Mann, der nicht einparken kann. Seine fehlende Einparkkompetenz wird erst dann zum Problem, wenn er und andere es so interpretieren. Hinter dem altgriechischen Wort problema stecken zwei Bedeutungen:
1) ein Ding, das man aufnimmt, um sich (wie mit einem Schild) zu schützen, 2) eine Sache, die man einem anderen hinwirft, damit er sie aufnimmt und sich mit ihr auseinandersetzt.30 Problema lässt gewisse Spielräume zu, verschiedene Möglichkeiten, Schwierigkeiten wahrzunehmen, mit ihnen umzugehen, sie zu verändern.
In der computer-logischen Kultur ist für solche Mehrdeutigkeiten kein Platz. Für die verblödete Vernunft gleicht ein Problem einem Puzzle, das in mehr oder weniger viele Einzelteile zerfallen ist. Da es nur eine einzige, mathematisch genau zu berechnende Möglichkeit gibt, die Teile (wieder) zu einem Ganzen zusammenzufügen, gibt es – so scheint es – immer eine eindeutige Lösung. Aber auch eine »Lösung« ist an sich noch keine Realität. Das entsprechende mittelhochdeutsche Verb lôsen wurde ursprünglich im Sinne von »loswerden, frei machen« gebraucht – fast so, wie man einen Knoten in einem Kabel loswerden kann, indem man es entwirrt. Die Rede von »der Lösung eines Problems« ist metaphorisch zu verstehen.31 Aber diese Metapher ist so mächtig, dass sie Realitäten schafft. Die Realität lösungsorientierter Menschen, die, wenn sie wissen wollen, ob es draußen regnet, ihre Wetter-App checken, anstatt aus dem Fenster zu schauen. Die Realität von ComputerLogikern, die auf die Welt-App hoffen, während sie sich daran abarbeiten, ihr verknotetes Leben aufzudröseln – das Puzzle des Chaos zusammenzusetzen, dessen Teil sie sind.32
Niemand hält es auf Dauer aus, mit seinen Problemen alleingelassen zu werden. Der aufs Problemlösen konditionierte Mensch hält sich selbst schwer aus. Die direkte Konfrontation mit seinem...

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