Cybermobbing Psudonyme Anonymität: Nackt vielleicht – aber niemals alleine
// Von Simone Janson
Das Internet generell und die Social Communities im speziellen führen dazu, dass immer mehr Menschen digitale Spuren im WWW hinterlassen – als Text, Ton, Bild oder Video. Das wiederum führt dazu, dass immer mehr Menschen Angst um ihre Daten, ja um ihr Privatleben und ihre Identität haben. Und die allgegenwärtige Frage lautet: Wie viel kann ich preisgeben und was wird mir passieren?
Cybermobbing und Datenklau: Bedroht das Internet unsere Identität?
Am 15. Juni 2011 strahlte das ZDF die Sendung “ZDFzoom – Hilfe, ich bin nackt” aus. Darin geht es um Privatsphäre und Datenschutz in Zeiten von sozialen Medien. Hendrik Speck, Professor für Digital Media an der University of Applied Sciences Kaiserslautern, rechechiert das Digitale Leben von Thomas Praus und findet durch die Verknüpfung verschiedener Informationen nicht nur die Daten, die Praus in Sozialen Netzwerken freiwillig herausgibt – sondern auch solche, die er eigentlich niemandem mitgeteilt hat wie den Namen und den Wohnort seiner Eltern.
Informatiker der Universität Darmstadt entwickeln zu Testzwecken eine Android-App, die unbemerkt im Hintergrund Smartphone-Daten wie Kontakte oder SMS ausliest und zu einem Server hochlädt. Können wir uns gegen diesen Identitätsverlust überhaupt noch wehren? Der ehemalige Google-Chef Eric Schmidt hatte einen kreativen Vorschlag: Einfach seinen Namen ändern. Doch so einfach ist das nicht, wie der kölner Standesbeamte Lutz Zacharias am Ende des Films erklärt: Jeder, der sich freiwillig ins Internet begibt, sei selbst dafür verantwortlich für das, was dort mit seinen Daten geschieht. Ein wichtiger Grund für eine Namensänderung sei das nicht.
Wie wichtig ist Anonymität?
Als sich im Januar 2011 in Kairo tausende, vor allem junge Menschen zum Protest gegen die Regierung zusammenfinden, ist das der Beginn der größten Demonstrationswelle in Ägypten seit Jahren, die schließlich mit dem Rücktritt von Staatspräsident Mubarak endete. Doch damit nicht genug: In der Folgezeit kam es in immer mehr arabischen Ländern zu Unruhen. Doch die Revolutionen gegen die alten Herrscher in diesen Ländern kamen jedoch nicht von heute auf morgen. Sie sind in den vergangenen Jahren heimlich gewachsen – im Internet. Vor allem die Revolutionen in Tunesien, Ägypten oder in Bahrain sind auf die rasante Verbreitung des World Wide Web in diesen Ländern zurückzuführen. Die steigende Internetnutzung ist einer der Gründe, warum es gerade in Tunesien und Ägypten zu den ersten Revolutionen im arabischen Raum kam. Meinungsfreiheit und Meinungsvielfalt – im Netz ist, zum Beispiel auf politischen Blogs, möglich was die Regierungen sonst untersagen. Und mehr noch: Über soziale Netzwerke wie Facebook war es den Demonstranten überhaupt erst möglich, ihre Veranstaltungen zu organisieren. Von den westlichen Medien wurden die Veränderungen im arabischen Raum daher schnell zur Facebook-Revolution hochstilisiert und Soziale Netzwerke als unablässlich für die Demokratie angesehen.
Doch damit soziale Netzwerke so funktionieren können, müssen die Nutzer dort vor staatlichen Zugriffen sicher sein, um sich frei bewegen und austauschen können. Der wirksamste Schutzmechanismus wäre, neben Verschlüsselungsmechanismen der, sich anonym auszutauschen. Doch genau eine hundertprozentige Anonymität zu gewährleisten, ist technisch schwierig, wie die Informatiker George Danezis und Seda Gürses schreiben. Denn auch anonymisierten Datensätzen lassen sich durch entsprechende Werkzeuge wiederum entanonymisieren. Hinzu kommt dass sich selbst aus anonymen Daten Nutzerprofile erstellen lassen, wenn ein ein Service entsprechend häufig genutzt wird. Auf Seite 92 des Beitrages heißt es: Je mehr ‘data mining’ betrieben wird je mehr Daten aus unterschiedlichen Quellen miteinander abgeglichen werden können, desto mehr wird sich auch die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass User doch identifiziert oder anonyme Spuren zu konkreten Sendern zurückverfolgt werden können.
Anonymität vs. Identitätsdiebstahl
In einer Folge der für das ZDF produzierten Reihe “Elektrischer Reporter” erklärt der Psychologe Peter Kruse, dass Menschen, die ständig beobachtet werden, nur noch das tun, was von ihnen erwartet wird und sich bewusst oder unbewusst der Norm unter werfen: “Wenn man ständig unter Beobachtung steht, ist man eben nicht mehr authentisch. Man müsste in der Lage sein, sich zu verhalten wie ein genialer Provokateur, dem das ganz egal ist, wer da zuschaut, der einfach ganz er selbst ist. Sonst wird das ganze System zum Gefängnis.”Der gläserne Post-Privacy-Mensch der Zukunft also ein offenes, aber kreuzbraves Wesen, das ständig acht gibt, nicht aus der Reihe zu tanzen? Dass es genau dazu kommt, befürchten Kritiker, wenn nicht rechtzeitig darüber diskutiert wird, ob wir wirklich bereit sind, jegliche Äußerung im Internet auch unter unserem Klarnamen abzugeben – ohne zu wissen, welche Möglichkeiten, diese miteinander zu verknüpfen es morgen geben wird. Es ging in dieser Diskussion also um die Frage, wie in Zukunft das Thema Anonymität im Netz behandelt werden soll.
Doch seine Identität kann man im Netz auch noch auf ganz andere Weise verlieren: Auch Tina Groll, Redakteurin bei ZEIT ONLINE, hat eine kafkaeske Situationen erlebt: Ende 2009 wurde sie plötzlich mit Inkassoforderungen von Unternehmen konfrontiert, bei denen sie nie etwas gekauft hatte. Recherchen ergaben, dass es sich um einen Fall von sogenanntem Identitätsdiebstahl handelte. Mit einer fiktiven eMail-Adresse und echten Daten, die die Diebe leicht im Internet fanden, wurde unter dem Namen der Redakteurin in diversen Online-Shops eingekauft und die Waren wurden an eine falsche Adresse geschickt. Als die Diebe nicht zahlten, schickten die Unternehmen die Inkassoforderungen an die echte Tina Groll. Die beschrieb ihre absurde Situation in einem Beitrag auf ZEIT ONLINE: “Es klingt lächerlich, aber: Ich habe Angst, den Briefkasten zu öffnen. Beinahe täglich flattern mir derzeit Mahnungen und Drohschreiben von Inkassounternehmen ins Haus. ‘Weil Sie auf die vorbenannten Forderungen noch immer nicht reagiert haben, leiten wir jetzt das Mahnverfahren ein’, steht da zum Beispiel. Schulden soll ich gemacht und Waren bezogen haben von Unternehmen, deren Namen ich noch nie gehört habe. Die Sachen wurden an Adressen geliefert, die nie die meinen waren. Dort soll es sogar Menschen geben, die ‘zweifellos bezeugen können, dass Sie, Tina Groll, dort gewohnt haben’, schreibt mir eine Inkassofirma. Sogar Haftbefehle gibt es gegen mich – und das völlig unverschuldet.”
“Guck mal wie peinlich!” – Cybermobbing
Doch unsere Identität kann noch auf ganz andere Weise im Netz beschädigt werden: Dann nämlich, wenn unser guter Name wissentlich von anderen durch den Schmutz gezogen wird. Und das passiert schneller, als viele denken.
Cybermobbing, auch Cyberbullying genannt, ist das das Beleidigen, Bedrohen oder Verunglimpfen anderer mit Hilfe des Internets. Und diese Erfahrungen machen meist schon ganz junge Menschen. Die aktuelle JIM-Studie zeigt: 15 Prozent der befragten Jugendlichen haben bereits erfahren, wie es ist, wenn jemand peinliche oder beleidigende Bilder oder Videos des Befragten im Internet verbreitet. Mädchen sind mit 17 Prozent etwas häufiger betroffen als Jungen (13 Prozent). Dabei gilt: Je älter die Jugendlichen werden, desto häufiger kommen solche Vorfälle vor: Während nur sechs Prozent der 12- bis 13-Jährigen über eine ungewollte Verbreitung von Bildern berichten, steigt dieser Anteil auf etwa ein Fünftel bei den ab 16-Jährigen an (14-15 Jahre: 14 Prozent, 16-17 Jahre: 21 Prozent, 18-19 Jahre: 18 Prozent). In einer ähnlichen Größenordnung können die Internet-Nutzer auch darüber berichten, dass generell falsche oder beleidigende Äußerungen über die eigene Person in Umlauf gebracht wurden. Allerdings gibt es hier jenseits der Altersgruppen auch hinsichtlich der Bildungsniveaus deutliche Unterschiede – Jugendliche mit Hauptschulhintergrund berichten fast doppelt so häufig wie Gymnasiasten davon, Opfer von Beleidigungen im Internet zu sein. Vereinzelt kam es auch vor, dass nicht nur Lügen und Verunglimpfungen in Umlauf gebracht, sondern auch Fake-Accounts unter falschem Namen erstellt wurden. Und: gut ein Viertel der jugendlichen berichtete davon, in ihrem Bekanntenkreis schonmal jemand gezielt via Internet fertig gemacht wurde.
Dass Menschen von anderen mehr oder minder gezielt fertiggemacht bzw. gemobbt werden, ist kein Phänomen des Internetzeitalters. Neu ist die Art und Weise. Zwar war Mobbing schon immer kein Kampf mit offenem Visier, doch das Internet bietet Mobbenden, die meist anonym agieren, noch ganz neue Möglichkeiten. Zum einen lassen sich über Soziale Netzwerke potenzielle Opfer noch viel besser über Schwachstellen und potenzielle Angriffspunkte ausspionieren – sofern jemand eine gezielte Aktion plant. Oder sie liefern das Material für spontane Mobbingaktionen in Form von peinlichen Fotos gleich selbst. Zudem bietet das Internet den Tätern die Möglichkeit, selbst völlig unerkannt zu agieren. Dieser scheinbare Schutz der Anonymität lässt viele Menschen ihre Skrupel, auch falsche Tatsachen zu behaupten, vergessen.
Soziale Netzwerke als Bühne für Mobber
Und ein wichtiger Aspekt, der leider oft vergessen wird: Gerade soziale Netzwerke bieten Tätern nicht nur Schutz, sondern gleichzeitig auch eine große Bühne mit einem gierig nach neuen Inhalten lechzenden Publikum, das nur allzu bereit ist, ihnen Beifall zu klatschen. Oder sogar mitzumachen. Die Mobbenden fühlen sich durch die Claqueure in ihrem feigen Tun natürlich noch zusätzlich bestärkt und machen so um so bereitwilliger weiter. Für das Opfer potenziert sich dadurch umgekehrt der schmerzvolle Effekt noch: Früher auf dem Schulhof konnte man das Getuschel der anderen zwar erahnen, war aber nie direkt damit konfrontiert. Nun sieht man praktisch schwarz auf weiß, was andere über einen sagen und denken. Schlimmer noch: Häufig werden solche Bemerkungen unbedacht dahingeworfen, weil es eben cool und witzig ist. In der gesprochenen Sprache würden solche Beleidigungen innerhalb weniger Sekunden verhallen, im Netz sind sie zum Teil über Jahre hinweg noch auffindbar. Kein Wunder, dass es bereits zu Selbstmorden unter Cyberbullying-Opfern kam.
Denn man ist vergleichsweise machtlos gegen diese Art der Ruf- und Identitätsschädigung. Sicherlich gibt es juristische Möglichkeiten, bis die jedoch greifen, haben die Angriffe oder peinlichen Fotos oder Videos bereits ihr Publikum gefunden, ja mehr noch, wenn man Pech hat kommt es zum Streisand-Effekt. Ähnliches gilt für außerdem recht schwierigen Versuch, die prekären Informationen wieder zu löschen oder löschen zu lassen. Was also tun? Die beste Lösung wäre eigentlich: Aussitzen. Und zu sich stehen. Nichts wird so heiß gegessen wie es gekocht wird. Die Schnelligkeit der Kommunikation hat auch Vorteile: Nach kurzer Zeit wird bereits die nächste Sau durchs Dorf getrieben und die Mobbing-Attacke, die gestern noch die Gemüter erregte, ist morgen von vielen bereits vergessen. Nur der oder die Betroffene leidet selbst vermutlich deutlich länger unter den Folgen. Und gerade für Jugendliche ist in so einer Situation durchaus auch psychologische Hilfe anzuraten.
Manch einer mag sich hier dann doch Axel Fischers Vermummungsverbot für das Internet wünschen. Das würde aber Mobber auch nicht abhalten. Und sich ganz aus sozialen Netzwerken herauszuhalten, wie einige glauben, ist auch kein probates Mittel gegen Mobbing. Denn selbst wenn man nicht vertreten ist, verbreiten andere ja dennoch ihre negativen Informationen. Langfristig gesehen sollte man eher dafür sorgen, dass die Daten nicht mehr oder wenigstens nicht mehr so leicht auffindbar sind. Zum Beispiel indem man beim Betreiber des entsprechenden Netzwerks einen Antrag auf Löschung stellt. Oder indem man schlicht dafür sorgt, dass die positiven Informationen zuerst gefunden werden. Genau um das zu erreichen, muss man sich ausführlich mit dem Thema befassen. In eine panikartige Internet-Phobie zu verfallen, hilft da leider nicht weiter. Auch wenn Medien und Politiker immer wieder versuchen, uns mit ihren merkwürdigen Vorschlägen genau dahin zu bringen.
Wie sicher sind Soziale Netzwerke?
Im Jahr 2010 wurden Mitarbeiter der Stiftung Warentest zu Hackern: Mit Erlaubnis der Betreiber wollten die Tester herausbekommen, ob soziale Netzwerke die Daten ihrer Nutzer ausreichend gegen Angriffe von außen schützen. Nur sechs der zehn geprüften Netzwerke erteilten die Erlaubnis. Abgelehnt haben den Test neben Xing auch die großen US-amerikanischen Netzwerke Facebook, Myspace und LinkedIn. Sie wurden im Test wegen mangelnder Transparenz abgewertet.
In einigen Netzwerken wie Stayfriends dauerte es nur wenige Tage, bis die Tester an der Passwortschranke vorbei waren. Die selbsternannten Hacker hätten jedes beliebige Nutzerkonto übernehmen und auf alle dort vorhandenen Daten zugreifen und diese beliebig verändern können. Bei lokalisten.de und wer-kennt-wen.de war es vor allem einfach, in die Accounts einzudringen, wenn diese von den Nutzern mit einem zu einfachen Passwort versehen wurden. Negativ aufgefallen ist den Testern darüber hinaus, dass die Zugänge aller Netzwerke über mobile Endgeräte wie Handys eher ungeschützt waren. Insgesamt erhielt keines der getesteten Netzwerke Bestnoten: Ein befriedigendes Ergebnis und deutliche Mängel wurden den deutschen Netzweken Lokalisten wer-kennt-wen und Xing bescheinigt. Immerhin gingen die deutschen Netzwerke, abgesehen von Lokalisten, sorgfältig mit ihren Nutzerdaten um. Das gilt auch für die Testsieger schülerVZ und studiVZ, die zur Verlagsgruppe Georg von Holtzbrinck gehören. Ihnen bescheinigten die Tester vorbildliche Rechte für Nutzer und einen guten Umgang mit Nutzerdaten, allerdings auch einige Mängel, in der Datensicherheit und im Jugendschutz, weswegen es auch der Testsieger studiVZ nur auf die Gesamtnote 2,2 brachte. Ohnehin haben auch die VZ-Netzwerke schon den einen oder anderen Datenschutzskandal hinter sich. Erhebliche Mängel in allen getesteten Bereichen zeigten hingegen amerikanische Netzwerke wie Facebook, LinkedIn oder MySpace, die darüber hinaus durch Intransparenz und problematische Geschäftsbedingungen “glänzten”.
Vor allem Facebook hat sich in den vergangenen Jahren immer mal wieder mit Datenschutzverstößen hervorgetan. Schon 2009 sorgten die Änderungen der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) für Aufruhr unter den Nutzern. Denn die neuen AGB sorgten nicht nur dafür, dass man keine Accounts unter fremdem Namen mehr anlegen kann, sondern wollten auch, ganz neben bei, mal eben den Nutzern ihre Rechte auf die eigenen Inhalte abspenstig machen. Facebook wollte sich nämlich uneingeschränkte Rechte auf die Weitergabe kommerzieller Daten an Dritte genehmigen – und das mit allen Daten, die jemals in das Netzwerk eingespeist wurden, selbst dann wenn die Accounts gelöscht würden. Nach heftigen Reaktionen kehrte Facebook schließlich zu den vormaligen Datenschutzrichtlinien zurück. Allerdings weist Facebook-Gründer Mark Zuckerberg im Firmenblogdarauf hin, dass etwa beim Versand einer Nachricht diese automatisch kopiert werde, sodass es, wie bei einer eMail auch, schwierig ist, sie nachträglich zu löschen. In der derzeitigen Datenschutz-Policy heißt es momentan einigermaßen beruhigend: “Entfernte oder gelöschte Daten können für eine Dauer von max. 90 Tagen noch in Sicherungskopien vorhanden sein, stehen anderen jedoch nicht mehr zur Verfügung.”Allerdings lässt Facebook in der gleichen Policy keinen Zweifel daran, dass es diese Bedingungen auch jederzeit wieder ändern kann: Wir können diese Datenschutzrichtlinien gemäß den in der Erklärung d...