KAPITEL 1
Einleitung
In diesem Kapitel:
- Herzlich willkommen in der Welt des Storytellings
- Geschichten überall
- Warum Storytelling?
- Mehrwert durch Geschichten
- Storytelling – Warum jetzt?
- Hunger nach guten Geschichten
»Stories are how we remember; we tend to forget lists and bullet points.«
Robert McKee
Daniel ist ein aufgeweckter Junge. Er ist sieben Jahre alt und lebt mit seinen Eltern, seiner fünf Jahre älteren Schwester und einem kleinen Yorkshire-Terrier namens Prince Maxwell in Indiana. Der kleine Junge wächst zwischen Maisfeldern, Farmen und jeder Menge großer Pferde auf. Wie fast jeder Junge in seinem Alter liebt er Dinosaurier. Aber er ist auch vernarrt in Santa Claus und sammelt alles, was er von dem Mann mit dem weißen Rauschebart bekommen kann. Daniel ist neugierig und sehr an technischen Dingen interessiert. Ein ganz normaler Junge. Doch nicht ganz. Daniel kann keinen Baseballschläger schwingen, er kann kein Fahrrad halten und auch keine Klimmzüge machen. Denn Daniel hat einen verkrüppelten Arm. Dieser ist viel zu kurz geraten, und statt einer Hand sind nur zwei Finger ausgeprägt. Ganz wie bei seinem Urgroßonkel. Ein genetisch vererbter Defekt.
Eines Tages stehen Mark und Jacob, zwei Studenten des Rose-Hulman Institute of Technology vor der Tür und laden Daniel ein, mit ihnen zusammen eine Armprothese zu entwickeln. Der Junge engagiert sich mit Enthusiasmus, seiner Technikbegeisterung, seiner kindlichen Fantasie, aber vor allem auch mit seiner Alltagserfahrung. Die Prothese, die sie gemeinsam erarbeiten, weicht weit von dem ab, was man erwarten würde. Es ist ein sehr funktionales Gerät, orangefarben mit einer Greifzange, mit der Daniel Dinge gut packen kann. Eine Geschichte mit Happy End, und am Ende bleibt offen, wer mehr von dem Projekt gelernt hat: Daniel, der die Welt nun neu be- und ergreifen kann, die Studenten, die ein sehr nützliches Studienprojekt abgeliefert haben, oder gar der Zuschauer, der von Daniels Offenheit und Lebensfreude angesteckt wird.
Die Arm- und Handprothese, die Daniel zusammen mit Mark Calhoun und Jacob Price, angehenden Ingenieuren des Rose-Hulman Institute of Technology, entwickelt, wurde mithilfe einer CAD-Simulation erstellt. Die dazu notwendige PLM-Software stammt von Siemens.
»Helping Hand« ist eine von zahlreichen Geschichten, die der Technologiekonzern Siemens in seiner Storytelling-Kampagne »Siemens\answers« präsentiert.
Videotipp
»Die helfende Hand (Helping Hand)« ist eine von vielen Geschichten der Siemens-Kampagne \answers, zu finden auf YouTube unter:
http://bit.ly/1GWWWtb
Mit dieser Kampagne geht Siemens kommunikativ neue Wege. Im Gegensatz zu herkömmlicher Produktkommunikation und klassischer Werbung, die meist die Vorzüge von Produkten in den Vordergrund stellt, stehen im Mittelpunkt aller Siemens\answers-Geschichten Menschen, die von Siemens-Produkten profitieren. In »Helping Hand« stellen die Dokumentarfilmer Zac Murphy und Lorien Kranen, die diesen Film im Auftrag von Siemens gedreht und produziert haben, einen kleinen Helden namens Daniel ins Zentrum ihrer Geschichte.
Sie nehmen sich sehr viel Zeit, dem Zuschauer den kleinen Jungen mit seinem Faible für Dinosaurier, Santa Claus und Traktoren näherzubringen, erklären ausführlich, mit welchen Problemen Daniel zu kämpfen hat und wie er mit seiner Behinderung umgeht.
»Helping Hand« wird aus unterschiedlichen Perspektiven erzählt. Zunächst erfährt man von Daniel selbst, wie er seine Welt versteht, dann kommt aber vor allem seine Schwester zu Wort, und sogar die Perspektive des Familienhundes, Prince Maxwell, darf nicht fehlen. Der Film unterhält sein Publikum durch mehrfache Stilwechsel. »Helping Hand« ist ein Dokumentarfilm, doch manche Filmszenen erinnern auch an Comics oder Mangas, und sogar Spielfilmszenen und autobiografische Elemente kommen zum Einsatz.
Bei dieser mutig und innovativ erzählten Geschichte steht nicht die Technik, sondern stehen Menschen im Zentrum. Dezent nimmt sich das Unternehmen zurück und hält sich im Hintergrund. Während des gesamten Films wird der Firmenname kein einziges Mal erwähnt. Erst am Ende erfährt der Zuschauer, dass Siemens als Softwareexperte an der Lösung von Daniels Problem beteiligt war. Das letzte Wort der Geschichte, das der Zuschauer zu lesen bekommt ist: Siemens.
Herzlich willkommen in der Welt des Storytellings
Siemens\answers ist nur eine von vielen Storytelling-Kampagnen, die erfolgreich für moderne Unternehmen und Marken werben. Google präsentiert die »Google Stories«. Zum Beispiel mit Lars und Isa, die während der Elbflut 2013 den Bewohnern von Halle mithilfe einer Online-Karte halfen, sich in Sicherheit zu bringen oder Hilfe zu holen.
Die Telekom erzählt unter dem Motto »Telekom – besondere Geschichten« ein Projekt des Fotografen Bob Carey. Der etwas korpulente Mittvierziger fotografiert sich selbst an ungewöhnlichen Orten und in unterschiedlichen Posen – in einem rosa Ballett-Tutu. Er tut dies alles, um seine Frau Linda zum Lachen zu bringen und ihr Leiden vergessen zu lassen. Denn Linda hat Brustkrebs. Linda Carey ist begeistert von der Aktion ihres Mannes und zeigt die Selbstporträts ihren Freundinnen. Die Bilder ziehen ihre Kreise, weit über die USA hinaus – bis sogar ein Unternehmen wie die Telekom aufmerksam wird und Bob und Linda mit einer Kommunikationskampagne unterstützt.
Microsoft startet ein eigenes Online-Portal mit dem Namen »Microsoft Story Labs«, und Edeka berührt ganz Deutschland mit einer herzzerreißenden Weihnachtsgeschichte um einen alten Vater und Opa, der nur durch eine fingierte Todesanzeige seine Familie zum Weihnachtsfest nach Hause locken kann. eBay bedankt sich bei seinen Nutzern mit unterschiedlichen Anwenderstories unter dem Motto »eBay Thanks You«, Coca-Cola startet ein eigenes Online-Storytelling-Magazin »Coca-Cola Journey«, und das Technologieunternehmen Bosch bereichert seine Webseite mit bildstarken Geschichten von Menschen aus unterschiedlichsten Lebensbereichen, die von Bosch-Technologie profitieren, unter dem Titel »Bosch Webstories«.
Geschichten überall
Storytelling entwickelt sich zu einer der erfolgreichsten Taktiken und Techniken moderner Unternehmenskommunikation, ganz besonders in Zeiten, in denen digitale Medien so viele neue Möglichkeiten für Unternehmen und Marken bereithalten. Wenn auch Sie Storytelling für Ihr Unternehmen oder Ihre Marke nutzen wollen, so finden Sie in den folgenden Kapiteln zahlreiche Hinweise, Tipps und Checklisten sowie Beispiele, an denen Sie sich orientieren können. Dabei wendet sich dieses Buch ganz explizit an Kommunikationsverantwortliche aus Unternehmen und Organisationen.
Sind Sie also Unternehmenssprecher und für die Unternehmenskommunikation verantwortlich? Dann interessiert Sie »Storytelling« als Methodik für das Reputationsmanagement. Vor allem wollen Sie aber sicher wissen, wie Sie Ihr Unternehmen und Ihre Kollegen zu besseren »Storytellern« machen können, ohne dabei zum »Märchenonkel« oder zur »Märchentante« zu werden.
Sind Sie Marketingmanager und mitverantwortlich für die Kommunikation einer Marke? Dann wollen Sie sicher erfahren, wie Ihnen »Storytelling« helfen kann, das Image Ihrer Marke zu optimieren, Markenbotschaften attraktiver und merkfähiger zu gestalten, Konsumenten aktiv in Ihre Geschichten einzubauen und ihnen letztendlich damit Kaufimpulse zu geben.
Sie sind Personalverantwortlicher und für Veränderungskommunikation in Ihrem Unternehmen oder Ihrer Organisationen verantwortlich? Dann interessiert Sie sicher, warum Geschichten so überzeugend arbeiten und warum sie Menschen motivieren.
Sie sind Onlinemanager und verantwortlich für die Social-Media-Kanäle und Communities eines Unternehmens oder einer Marke? Dann interessiert Sie sicher, warum Geschichten viral sind und wieso Menschen sie gern weitererzählen und weiterreichen.
Wenn Sie eine dieser Fragen mit »Ja« beantworten, Sie also einen dieser Berufe und Interessen haben, dann finden Sie in diesem Buch zahlreiche Antworten. Vor allem hoffe ich aber, dass Ihnen dieses Buch eines gibt: Inspiration, selbst mehr Geschichten zu erzählen.
Ein Hinweis jedoch an alle Schriftsteller oder Drehbuchautoren, die bis hierher gelesen haben: Sorry, aber Sie sind hier wahrscheinlich nicht richtig. Dieses Buch wendet sich an alle, die Geschichten im professionellen Umfeld der Marketingkommunikation, der Öffentlichkeitsarbeit und Online-Kommunikation nutzen wollen. Autoren haben weit mehr Freiheiten und Möglichkeiten, die in diesem Buch leider keine Berücksichtigung finden und die Kommunikationsprofis im Geschäftsleben nicht ganz zur Verfügung stehen. Aber dazu kommen wir später.
Sie wollen weiterlesen? Dann herzlich willkommen, denn dieses Buch gibt Ihnen einen Überblick über die Möglichkeiten des Storytellings und präsentiert Ihnen auch eine Methodik: einen Baukasten, bestehend aus fünf Erfolgsfaktoren, der es Ihnen ermöglicht, selbst ein erfolgreicher »Storyteller« zu werden. Nur fünf, werden Sie fragen? Selbstverständlich gibt es weit mehr als nur fünf Bausteine für eine gute Geschichte. Doch lassen Sie uns auf das Wichtigste fokussieren. Fünf Faktoren lassen sich leicht an einer Hand abzählen. Und so reiche ich Ihnen gerne die Hand – eine »Helping Hand« –, um das Prinzip »Storytelling« schnell und einfach zu verstehen.
Warum Storytelling?
Kommunikation hat im Geschäftsleben vor allem eine Funktion: Menschen zu überzeugen. Persuasion ist der Motor aller kommunikativen Aktivitäten in Unternehmen und Organisationen, von Marken und Produkten. Manager überzeugen Geschäftspartner und Geldgeber von den Zielen und Strategien des Unternehmens. Marketing und Vertrieb überzeugen Meinungsbildner und Kunden von den Vorzügen ihrer Produkte. Personalverantwortliche und Führungskräfte überzeugen Mitarbeiter von Zukunftsplänen und notwendigen Veränderungen im Unternehmen.
Mit oft erheblichem Aufwand werden hierfür Informationen zusammengetragen, gebündelt, aufbereitet, in eine mehr oder weniger logische Reihenfolge gebracht, dargestellt und präsentiert.
Robert McKee, Autor des Standardwerkes Story. Substance, Structure, Style and the Principles of Screenwriting nennt zwei verschiedene Techniken, wie man diese Informationen sinnvoll bündelt: erstens rational mit der Auflistung und Aneinanderreihung von Daten und Fakten und zweitens emotional, durch eine Geschichte.
McKee ist ein Meister des Storytellings. Generationen von Drehbuchautoren – halb Hollywood – gingen durch seine Schule. Es ist also nicht verwunderlich, dass er die zweite Variante, emotionale Persuasion mithilfe einer Geschichte, als die erfolgreichere ansieht.
Rationale Persuasion ist ein intellektueller Prozess, der darauf basiert, dass Erzähler und Rezipient die gleichen Interessen sowie das gleiche Wertesystem teilen und einem Thema die gleiche Aufmerksamkeit widmen. Der Weg der rationalen Informationsvermittlung ist dann erfolgreich, wenn beide Seiten sich auf ein gemeinsames Beurteilungssystem geeinigt haben und ähnliche Maßstäbe an Daten und Fakten anlegen. Entscheidend für den Erfolg rationaler Persuasion ist vor allem, dass der Rezipient, also der Empfänger der Botschaft, einw...