1 Gegenstand und Besonderheiten des internationalen Dienstleistungsmarketing
1.1 Bedeutung und Entwicklung des internationalen Dienstleistungsmarketing
In den vergangenen Jahrzehnten ist eine zunehmende Dynamik im internationalen Wettbewerb zwischen Dienstleistungsanbietern zu beobachten (Weiber/Kleinaltenkamp 2013, S. 26). Die Globalisierung des Wettbewerbs zeichnet sich u. a. durch die verstärkte integrierte Planung und Abstimmung von Unternehmensaktivitäten auf weltweiter Ebene ab, die das Ziel hat, sich gegenüber anderen globalen Dienstleistern zu profilieren (Bieger 2007; Gelbrich/Müller 2011; Morschett/Schramm-Klein/Zentes 2015). Die Intensität des globalen Wettbewerbs wird dabei von umfassenden Entwicklungen bei der Deregulierung des internationalen Handels begünstigt. In erster Linie sind Anstrengungen hinsichtlich einer stärkeren Liberalisierung und Deregulierung internationaler Dienstleistungsmärkte zu beobachten.
Ursachen für die ansteigende Internationalisierung von Unternehmen sind die verstärkte Globalisierung des Wettbewerbs sowie die Zunahme an technologischen Innovationen (Gelbrich/Müller 2011; Keegan 2011; Meckl 2014). Mit Hilfe von grenzüberschreitenden Tätigkeiten versuchen Unternehmen dabei, Wettbewerbsvorteile zu erlangen, indem sie sich Wachstumspotenziale weltweit zunutze machen. Möglichkeiten hierfür bietet der erweiterte Zugang zu Informationen, Personal und Sachmitteln. Darüber hinaus werden Kostenvorteile beispielsweise durch die Erreichung von Skaleneffekten bei der Leistungserstellung oder durch Standortvorteile generiert. Zusätzlich ermöglicht die internationale Tätigkeit, einen größeren Markt anzusprechen und das Produkt bzw. die Dienstleistung in verschiedenen Ländern zu vertreiben. Zuletzt wird durch eine geringere Abhängigkeit von einzelnen Ländermärkten das Risiko des Unternehmens global gestreut. Potenzial zur Internationalisierung bieten hierbei verschiedene Dienstleistungsbranchen wie die Fast-Food-Industrie, das Hotelgewerbe, der Tourismus, die Logistik (Backhaus et al. 2006), die Marktforschung und Unternehmensberatung. Das besondere Maß der Internationalisierung dieser spezifischen Branchen wird anhand von weltweit präsenten Hotel- und Fast-Food-Ketten wie Hyatt oder Hilton Hotels sowie McDonald´s oder Burger King offensichtlich.
Parallel mit der Bedeutungszunahme für die Praxis gewann das internationale Dienstleistungsmarketing auch in der Wissenschaft immer mehr an Relevanz. Ausgehend von der traditionellen Industrielehre der Betriebswirtschaftslehre setzte sich die Wissenschaft erst in den 1980er-Jahren mit Dienstleistungsfragen auseinander. Dabei identifizierten Wissenschaftler die charakteristischen Merkmale einer Dienstleistung und erkannten den damit einhergehenden Bedarf nach spezifischer Forschung im Dienstleistungsbereich (Jahn 2007, S. 7). Infolgedessen verzeichneten wissenschaftliche Zeitschriften einen weltweiten Anstieg an wissenschaftlichen Untersuchungen mit dem Schwerpunkt Dienstleistung. Die Herausgabe von Zeitschriften wie dem Journal of Services Marketing, dem Journal of Service Research oder dem Journal of Service Theory and Practice folgte und dokumentiert die wissenschaftliche Relevanz des Themas. Daneben wurden mit dem Ziel des wissenschaftlichen Austauschs internationale Forschungsgesellschaften mit Fokus auf das Dienstleistungsmanagement und -marketing ins Leben gerufen. Ein bekanntes Beispiel hierfür stellt die SERVSIG dar, eine spezialisierte Forschungsgemeinschaft der American Marketing Association. Diese veranstaltet jährliche internationale Konferenzen, die den wissenschaftlichen Austausch fördern, indem verschiedene Forschungsergebnisse vorgestellt und diskutiert werden. Auch Universitäten eröffneten forschungsspezifische Einrichtungen, beispielsweise das Institut für interdisziplinäres Dienstleistungsmanagement an der Universität Bayreuth sowie das Institut für Service Marketing und Tourismus an der Wirtschaftsuniversität Wien. Darüber hinaus etablierten Universitäten spezifische Dienstleistungsmanagement-Lehrstühle, unter anderem an der FernUniversität Hagen, der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt, der Universität Rostock und der Universität Hohenheim. Gleichzeitig entwickelten verschiedene Länder auf das Dienstleistungsmanagement spezialisierte Abschlüsse wie beispielsweise die Copenhagen Business School (Dänemark), die EMLYON Business School (Frankreich & Shanghai) sowie die beiden schwedischen Universitäten Karlstadt und Lund.
Die beschriebene Bedeutung der Internationalisierung von Dienstleistungen wurde bereits früh von der Politik erkannt, woraufhin diese Überlegungen zur Erleichterung des Dienstleistungshandelns anstellte. Ein einschneidendes Ereignis dieser Überlegungen stellt das Abkommen zur Erleichterung des internationalen Handels mit Dienstleistungen dar, das im Jahre 1986 bei den GATT-Verhandlungen in Uruguay beschlossen wurde (Javalgi/Griffith/White 2003, S. 185). Die teilnehmenden Staaten der Uruguay-Runde verpflichteten sich im Rahmen des Abkommens, eine Vielzahl von Dienstleistungsmärkten für den internationalen Handel zu öffnen. Im Anschluss daran verabschiedeten die Mitglieder im Jahre 1995 das Abkommen über den internationalen Handel mit Dienstleistungen (General Agreement on Trade in Services; GATS). Als weiteres Ergebnis der Uruguay-Runde wurde die Welthandelsorganisation (WTO) gegründet und sämtliche Dienstleistungen der Organisation zugeordnet. Damit ging ein erster Schritt in Richtung einer zunehmenden Internationalisierung von Dienstleistungen einher (Bieger 2007, S. 24). Schließlich wurden im Jahre 2001 auf der vierten Konferenz der WTO-Mitgliedstaaten, der Doha-Runde im Golfstaat Katar, weitergehende Liberalisierungen im Dienstleistungsbereich in die multilateralen Verhandlungen aufgenommen. Im Zentrum der Dienstleistungsverhandlungen standen die Bereiche Finanz- und Transportdienstleistungen, Telekommunikation, Vertrieb, Agrarpolitik, Post- und Kurierdienstleistungen sowie Umwelt- und Energiedienstleistungen (Decker 2004).
Artikel I des GATS definiert vier Bereiche des internationalen Handels mit Dienstleistungen (»Modes of Supply of Services«) (Hibbert 2003, S. 69; Decker 2004):
• Der erste Bereich sieht die grenzüberschreitende Erbringung von Dienstleistungen vor.
• Der zweite Bereich umfasst die Nutzung von Dienstleistungen im Ausland.
• Der dritte Bereich bezieht sich auf die Erbringung von Dienstleistungen durch Auslandsniederlassungen.
• Der vierte Bereich betrifft den grenzüberschreitenden Verkehr natürlicher Personen bei der Erbringung von Dienstleistungen.
Die Bemühungen der World Trade Organisation erleichtern und fördern den internationalen Handel mit Dienstleistungen und bieten Dienstleistungsunternehmen somit die Möglichkeit, neue Märkte einfacher zu erschließen (Javalgi/White 2002, S. 565). Sämtliche Dienstleister sind dementsprechend gefordert, sich systematisch mit den Chancen und den Risiken eines internationalen Engagements auseinanderzusetzen.
Die Entwicklungen des internationalen Handels mit Dienstleistungen zwischen 2009 und 2012 zeigt Schaubild 1.1. Allein im Jahre 2011 hat dabei der Handel mit Dienstleistungen weltweit um etwa 11 Prozent zugenommen (WTO International Trade Statistics 2013). Besonders hoch fällt das Wachstum des Dienstleistungshandels in den 27 Mitgliedstaaten der Europäischen Union und Asien aus. Im Gegensatz zur EU ist das wertmäßige Volumen des Dienstleistungshandels der anderen genannten Regionen und vor allem in Afrika noch relativ gering. In diesem Zusammenhang gilt es zu beachten, dass der innergemeinschaftliche Handel der 27 EU-Mitgliedstaaten in dieser Statistik beim Volumen der EU erfasst wurde. Während im Jahre 2003 weltweit die grenzüberschreitend erbrachten Dienstleistungen einen Gesamtwert in Höhe von ca. 1.850 Mrd. USD erreichten, so stieg dieser Wert im Jahre 2013 auf ein Volumen von ca. 4.600 Mrd. USD an (World Trade Organization 2014). Im Zeitraum von 2009 bis 2013 war pro Jahr ein Wachstum des gesamten Dienstleistungshandels von durchschnittlich 8,3 Prozent festzustellen (World Trade Organization 2014). Die von den Mitglieder der World Trade Organisation erbrachten Dienstleistungen im Jahre 2012 erreichten einen Exportumsatz von 4.350 Mrd. USD. Dies stellt einen Anteil von 19,1 Prozent am gesamten Welthandel dar.
Im Hinblick auf die relative Bedeutung von Dienstleistungen im internationalen Vergleich macht der
Dienstleistungsexport in Deutschland ca. 15,5 Prozent an den Gesamtexporten von Waren und Dienstleistungen des Landes aus (World Trade Organization 2013) (
Schaubild 1.2). Damit liegt der Dienstleistungsanteil an den deutschen Gesamtexporten 2012 unter dem durchschnittlichen Anteil aller Nationen mit 19,1 Prozent, der EU mit 24 Prozent oder anderen führenden Industrienationen. In diesem
Schaubild 1.1: Wertmäßiges Wachstum des Welthandels mit Dienstleistungen zwischen 2009 und 2012 (Quelle: World Trade Organization 2013)
ImportExport Jährliche Werte*Jährliche Werte*20092010201120122009201020112012
Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass bei den vorstehenden Ausführungen die relative Bedeutung des Dienstleistungshandels im Vergleich zu den sonstigen Exporten untersucht wurde.
Während beispielsweise die USA und europäische Länder wie England, die Schweiz und Frankreich einen deutlichen Überschuss, d. h. ein positives Handelsbilanzsaldo aufweisen, verzeichnen China, Japan und Deutschland ein Dienstleistungshandelsdefizit. Dieser Sachverhalt verdeutlicht, dass diese drei traditionellen Industrieländer Nachholbedarf hinsichtlich der Exporttätigkeiten ihrer Dienstleistungsindustrien haben. Das als serviceorientiert geltende Japan exportiert einen nur sehr geringen Teil seiner erstellten Dienstleistungen ins Ausland. Ein Erklärungsansatz hierfür ist jedoch in der kulturellen und sprachlichen Spezifität japanischer Leistungen zu sehen. Ungeachtet dessen ist im internationalen Vergleich eindeutig festzustellen, dass Deutschland mit seinem negativen Saldo der Dienstleistungshandelsbilanz (2012: - 36 Mrd. USD) weit hinter andere Nationen zurückfällt.
Da die Exporte als Kosten und die Importe als Erlöse des internationalen Dienstleistungshandels zu betrachten sind, ergibt sich für Länder wie Deutschland, die eine hohe
Schaubild 1.2: Dienstleistungsanteil am Gesamtexport führender Exportländer (Quelle: World Trade Organization 2013)
Einfuhrquote von Dienstleistungen aufweisen, eine zentrale Aufgabe. Um diese höheren Importe zu finanzieren und in der gesamten Handelsbilanz kein hohes Defizit auszuweisen, sind über die Ausfuhren anderer industrieller Produkte ein positives Handelssaldo zu erreichen und damit eine ausgeglichene Handelsbilanz sicherzustellen. Insgesamt stellt sich somit für Deutschland, vor dem Hintergrund einer zunehmenden Wettbewerbsfähigkeit der Industrien anderer Nationen, die Herausforderung, die Finanzierung der Dienstleistungsimporte zu sichern oder diese Dienstleistungen selbst zu erstellen. Hierfür ist jedoch ein Umdenken in Richtung einer stärkeren und konsequenteren Serviceorientierung über die nationalen Grenzen hinaus erforderlich.
Die Aussagekraft von statistischen Daten über den internationalen Dienstleistungshandel ist jedoch nur begrenzt aussagefähig, da z. T. erhebliche Zuordnungs- und Abgrenzungsprobleme einzelner Dienstleistungsbranchen wie beispielsweise bei den industriellen Dienstleistungen bestehen (Corsten/Gössinger 2015, S. 6 ff.; Schmoch 2003; Gardini/Dahlhoff 2004, S. 265; Burr/Stephan 2006, S. 73 f.). Darüber hinaus erschwert der hohe Aggregationsgrad der Daten die Möglichkeit, differenzierte Aussagen zu treffen.
Die Entwicklung der internationalen Dienstleistungsmärkte wird von verschiedenen Einflussgrößen der internationalen Dienstleistungsmärkte und des Agierens der Marktteilnehmer bestimmt. Um den heutigen Stellenwert von Dienstleistungsangeboten im internationalen Wettbewerb zu begründen, ist es notwendig, die unterschiedlichen Entwicklungen der Mikroumwelt, d. h. der spezifischen Marktteilnehmer, und der Makroumwelt bestimmt. d. h. des unternehmensrelevanten Umfeldes, näher zu untersuchen. Unternehmen stehen dabei mit ihren Leistungen im Spannungsfeld zwischen Kunden, Wettbewerb und Gesellschaft. Schaubild 1.3 gibt einen Überblick über die Bestimmungsfaktoren der Internationalisierung von Dienstleistungen.
Schaubild 1.3: Bestimmungsfaktoren der Internationalisierung von Dienstleistungen
Zunächst sind kundenbezogene Veränderungen zu verzeichnen. Die Internationalisierung der Kunden – insbesondere auch in Business-to-Business-Branchen – führt dazu, dass sich Unternehmen und ihr Dienstleistungsangebot ebenfalls international ausrichten (»Client-Follower«-Motiv). Dienstleistungsunternehmen aus den Branchen Finanzen, Marktforschung, Rechts- und Unternehmensberatung, Versicherungen, Fort- und Weiterbildung folgen international expandierenden Industrieunternehmen, die im Zuge der Globalisierung ebenfalls internationalisieren (Fitzsimmons/Fitzsimmons 2007, S. 353; McQuillan/Mangematin/Scott 2013). Durch die stärkere Vernetzung der Weltwirtschaft und den zunehmenden internationalen Handel ist auch eine stärkere Internationalisierung der Dienstleistungsbranchen festzustellen. International mobile Kunden profitieren dabei von einem internationalen Dienstleistungsangebot, da bei Kaufentscheidungen nicht immer wieder die Dienstleistungsprogramme von nationalen Anbietern zu prüfen sind, sondern sie sich auf das Dienstleistungsprogramm eines internationalen Anbieters be...