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Fremdsprachendidaktische Professionsforschung: Brennpunkt Lehrerbildung
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Fremdsprachendidaktische Professionsforschung: Brennpunkt Lehrerbildung
About this book
Der Band versammelt empirische Arbeiten aus der fremdsprachlichen Professions-, Ausbildungs- und Fortbildungsforschung und zeigt die derzeitigen Forschungsschwerpunkte in diesem Bereich auf. In den letzten zwei Jahrzehnten entstanden zahlreiche innovative Aus- und Fortbildungskonzepte, deren Auswirkungen auf die Unterrichtspraxis in UniversitĂ€ten, Studienseminaren und Schulen bislang nur unzurei-chend untersucht wurden. Dieser Band fĂŒllt diese LĂŒcke und ist somit fĂŒr all jene von Interesse, die in der Aus- und Fortbildung von LehrkrĂ€ften fĂŒr den fremdsprachlichen Bereich tĂ€tig sind.
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Information
Fremdsprachliche Lehrerbildungsforschung: Bilanz und Perspektiven
Michael K. Legutke/Michael Schart
1 Die Ausbildung von Lehrenden: ein vernachlÀssigtes Forschungsfeld
Die gesellschaftlichen UmwĂ€lzungen der letzten vierzig Jahre, die gemeinhin mit dem Begriff Globalisierung zusammengefasst werden, haben die Bedingungen, unter denen Sprachen gelehrt, gelernt und gebraucht werden, grundlegend verĂ€ndert. Schulische Bildungseinrichtungen im Allgemeinen und die sprachlichen FĂ€cher im Besonderen mĂŒssen nicht nur der wachsenden sprachlichen und kulturellen HeterogenitĂ€t der Lernenden Rechnung tragen, sondern gezielt die FĂ€higkeit junger Menschen entwickeln, selbstbestimmt mit Sprachen und Kulturen umzugehen, sich kritisch in Diskurse einzuschalten und sie zu gestalten.
Diese Aufgabe, als Kernbestand einer zeitgemĂ€Ăen und zukunftsfĂ€higen allgemeinen Bildung, beinhaltet die Entwicklung von SchlĂŒsselkompetenzen, die die Mehrsprachigkeit, die FĂ€higkeit zur Sprachmittlung und die interkulturelle Kompetenz einschlieĂen (KMK /BMZ 2016: 156â191). Dem Fremdsprachenunterricht kommt dabei sicher eine ganz besondere Bedeutung zu. Er muss sich zudem den Herausforderungen und Möglichkeiten stellen, die die technologischen UmwĂ€lzungen mit sich bringen. Legen doch letztere nahe, das fremdsprachliche Klassenzimmer als institutionellen Ort des Lehrens und Lernens von Sprachen neu zu bestimmen, nĂ€mlich als ein Ensemble vernetzter Lernorte. In diesem nimmt das Klassenzimmer, so wie wir es kennen, nach wie vor eine zentrale Stelle ein. Aber es ist zugleich in vielfacher Weise mit der Lebenswelt und anderen Lernorten verknĂŒpft. Es schafft das Umfeld fĂŒr virtuelle und direkte Begegnungen, fungiert als Produktionsort multimodaler Texte und stellt den Reflexionsraum fĂŒr individuelles und kooperatives Lernen bereit. Didaktische Arrangements sind gefragt, die diese neuen Möglichkeiten produktiv nutzen und die Herausforderungen zu meistern helfen (vgl. Legutke 2015).
Dass es dabei in einem erheblichen MaĂe auf die Lehrkraft ankommt, haben die Diskussionen um Hatties Metastudie (Hattie 2008, 2011; Terhart 2014) eindrĂŒcklich bestĂ€tigt. Gefragt sind fremdsprachlich, fachdidaktisch und pĂ€dagogisch qualifizierte LehrkrĂ€fte, denen es gelingt, zusammen mit den Lernenden einen lebendigen (Fremd)Sprachenunterricht zu gestalten, in dem genau jene oben angesprochenen SchlĂŒsselkompetenzen zur Entfaltung kommen können. Die Frage, wann, wo und wie zukĂŒnftige und bereits praktizierende LehrkrĂ€fte entsprechend qualifiziert werden, scheint leicht beantwortet: in den im europĂ€ischen Vergleich höchst komplexen und anspruchsvollen Lehrerbildungsprogrammen der BundeslĂ€nder, die auch dort, wo die Umstellung auf BA und MA erfolgte, fĂŒr die erste Ausbildungsphase an einem breit angelegten Zweifachstudium festhalten, das fachwissenschaftliche, fachdidaktische, bildungswissenschaftliche wie unterrrichtspraktische Anteile vorhĂ€lt. Trotz aller Reformen hat sich die fremdsprachliche Lehrerbildung in seiner Grundstruktur kaum verĂ€ndert. Sucht man jedoch nach Studien, die die Bildungsprozesse dieser komplexen Programme oder ihre Effekte fĂŒr die Ausbildung der Kompetenzen der LehrkrĂ€fte erforschen, wird man bis heute kaum fĂŒndig: Die fremdsprachendidaktische Forschung im deutschsprachigen Raum hat sich dieser ZusammenhĂ€nge erst in jĂŒngster Zeit angenommen (Roters/Trautmann 2014 mit Ăberblick).
Diesen Umstand könnte man so deuten, als seien die positiven Effekte der Programme, die Angemessenheit der Inhalte und Lehr- und Lernarrangements ĂŒber viele Jahre hinweg im deutschsprachigen Raum als gegeben angenommen worden. Ein Blick in die internationale fremd- und zweitsprachliche Lehr- und Professionsforschung legt hingegen nahe, die Wirkungsmechanismen in Aus- und Fortbildungsprogrammen zu hinterfragen: Sie stellen aus gutem Grund einen genuinen Forschungsgegenstand dar. In den letzten vierzig Jahren haben Studien zur Lehrerbildung (second/foreign language teacher education and professional development) erheblich an Bedeutung gewonnen und dabei unter anderem verdeutlicht, weshalb Urteile ĂŒber den Erfolg von Aus- und Fortbildungsprozessen auf empirischen Erkenntnissen beruhen sollten (z.B. Singh/Richards 2006; Wideen u.a. 1998).
Die Diskussion wird allerdings in auffĂ€lliger Weise durch Englisch als Fremd- und Zweitsprache dominiert. Forschungen, das Lehren anderer Sprachen betreffend, und nicht englischsprachige Publikationen finden international durchweg keine Beachtung. Da ein umfassender Forschungsbericht den Rahmen dieser Einleitung sprengen wĂŒrde, verweisen wir auf die einschlĂ€gigen Artikel zum State-of-the-Art (Man 2005, Wright 2010) und vergleichbare Ăberblicksdarstellungen (Burns/Richards 2009, Benitt 2016: 28â77, Crandall/Christison 2016). Wie Crandall/Christison aufzeigen, lassen sich innerhalb der anglo-amerikanischen Forschungen seit den 1990er Jahren die folgenden Schwerpunkte identifizieren, an denen die gesamte Breite des Forschungsfelds deutlich wird:
- Language teacher cognition, teacher experience, and novice teacher development
- Teacher identity, globalization, and non-native English speaking teachers
- Reflection and reflective teaching
- Classroom research, action research, and teacher research
- Language teacher learning, collaboration, communities of practice (âŠ) and professional learning communities (Crandall/Christison 2016: 6)
Bei der Durschicht der Forschungsberichte fĂ€llt auf, dass sich auch unter den englischsprachigen Publikationen so gut wie keine Studien finden lassen, die die Prozesse der universitĂ€ren und postuniversitĂ€ren Lehrerbildung selbst, die dort zum Einsatz kommenden Lehr- und Lernformen in Verbindung mit den erarbeiteten und vermittelten fachdidaktischen und fachwissenschaftlichen Inhalten untersuchen. Auf dieses deutliche Manko weist auch Karen Johnson hin, wenn sie, gestĂŒtzt auf soziokulturelle Lerntheorien, fĂŒr eine Forschung plĂ€diert, die sich mit dem befasst âwhat happens inside the the practices of L2 teacher educationâ (Johnson 2015: 515). Wie wir im Folgenden darlegen werden, schreiben auch wir dieser Frage eine zentrale Bedeutung zu, und Antworten aus verschiedenen Kontexten von Aus- und Fortbildung finden sich in mehreren BeitrĂ€gen dieses Bandes.
Auch wenn, wie oben angedeutet, die fremdsprachendidaktische empirische Lehrerbildungsforschung im deutschsprachigen Raum kaum entwickelt ist, lĂ€sst sich wĂ€hrend der letzten dreiĂig Jahre parallel zur internationalen Entwicklung ein zunehmendes Interesse an der Lehrperson feststellen; die Fachdidaktik beginnt sich zum einen fĂŒr den Zusammenhang von Lehrerwissen (Erfahrungswissen) und praktischer Unterrichtskompetenz zu interessieren (Appel 2000), zum anderen versuchen Forschende aus unterschiedlichen fachdidaktischen Perspektiven zu ergrĂŒnden, âwas in den Köpfen von Fremdsprachenlehrer(inne)n vorgehtâ (Caspari 2014). Untersucht werden u.a. subjektive Sichtweisen von LehrkrĂ€ften zu interkulturellem Lernen und zur Mehrsprachigkeit, zum beruflichen SelbstverstĂ€ndnis. Gegenstand sind Reflexionsprozesse und Kognitionen, Berufsbiographien, das Erfahrungswissen oder die Verarbeitung und EinschĂ€tzung der universitĂ€ren Ausbildung in den ersten Phasen selbstĂ€ndiger BerufstĂ€tigkeit (Ăberblick und Zusammenfassung bei Caspari 2014). Ohne Frage haben diese Studien Implikationen fĂŒr die Aus-, Fort- und Weiterbildung von FremdsprachenlehrkrĂ€ften; sie werden vielfach am Ende der Studien zu Empfehlungen gebĂŒndelt oder sie sind aus VorschlĂ€gen fĂŒr weitere Forschungen, mit denen die Studien enden, abzuleiten. Solche Einsichten systematisch zusammenzustellen und auszuwerten, könnte die Lehrerbildungsforschung sicher bereichern. Wir werden im Folgenden auf einige von ihnen Bezug nehmen.
Neben dem deutlich gewachsenen Interesse an der Lehrperson sind wenige Arbeiten zu nennen, die fremdsprachliche Lehrerbildungsprozesse explizit untersuchen. Dem Bereich Lehrerfortbildung zuzuordnen sind beispielsweise Paul Meyermanns Fallstudie zur Qualifizierung von DeutschlehrkrĂ€ften in Costa Rica (1995) und Marita Schockers vergleichende Mehrfachfallstudie zur teilnehmerorientierten Fortbildung (Schocker-v. Ditfurth 1992). Die Rolle der schulpraktischen Studien als zentraler Baustein der Ausbildung wurde von Gabel (1997), Schocker-v. Ditfurth (2001), Elsner (2010) und SchĂ€dlich (2011, 2015) untersucht. In einer vergleichenden Studie ermittelte Roters (2012) die Reflexionsniveaus von Novizen, indem sie Lerngelegenheiten fĂŒr Studierende an einer deutschen und einer US -amerikanischen UniversitĂ€t herausarbeitete, um dann die unter diesen Lernbedingungen entstandenen studentischen Reflexionen zu analysieren. Im Kontext eines innovativen Blended-learning Master Programms fĂŒr PrimarschullehrkrĂ€fte im Fach Englisch erforschten Zibelius kooperatives Lernen als ein Kernelement der Ausbildung (Zibelius 2015) und Benitt die Funktion von Aktionsforschungsprojekten fĂŒr die Ausbildung von Lehrkompetenz und die StĂ€rkung professionellen Selbstvertrauens (Benitt 2015). Forschungen, die sich der zweiten Ausbildungsphase, dem Referendariat, widmen, sucht man vergeblich. Dieses neue Forschungsfeld eröffnet der Beitrag von Gerlach/Steiniger im vorliegenden Band.
Alle bisher genannten Studien, einschlieĂlich der von Caspari (2014) zusammengestellten, sind Einzelarbeiten, sie sind also in keinem gröĂeren Forschungsverbund entstanden. Ferner handelt es sich fast ausschlieĂlich um Qualifikationsarbeiten, d.h. sie wurden von Forschungsnovizen geleistet. Diese Bestimmungsmerkmale sprechen keinesfalls gegen ihre QualitĂ€t, belegen jedoch, dass sich die etablierten Fachdidaktiker und Fachdidaktikerinnen dem Forschungsfeld bisher nicht angenommen haben. Dem Mangel an Engagement fĂŒr die Erforschung der eigenen Lehre (einschlieĂlich ihrer institutionellen Bedingungen und dynamischen Prozesse), die ja eine zentrale Aufgabe der Wissenschaftler ausmacht, stehen allerdings zahlreiche Positionspapiere gegenĂŒber, mit denen etablierte Vertreter der Fachdidaktik den Reformprozess der letzten Jahrzehnte kommentieren und dabei Forschungsperspektiven skizzieren, die bis heute allerdings nicht konkretisiert wurden (z.B. ZydatiĂ 1996; Bausch u.a. 1997, 2003).
Am Beginn unserer Bestandsaufnahme bleibt somit festzuhalten, dass die Fremdsprachenforschung ĂŒber Jahrzehnte hinweg die Aus- und Fortbildungspraxis bestenfalls als einen Nebenschauplatz empirischer Forschung behandelte. Damit manövrierte sie sich gerade in den letzten Jahren zunehmend in einen Widerspruch, werden doch Studierende in den Fremdsprachendidaktiken in den BA und MA Programmen immer öfter zum forschenden Lernen angehalten. Und auch der Umfang an Publikationen, in denen das Potenzial von Aktionsforschung fĂŒr das Verstehen und die Weiterentwicklung von Lehr- und Lernsituationen aus theoretischer Perspektive dargestellt wird, hat betrĂ€chtlich zugenommen. Positiv ist indes zu vermerken, dass das Forschungsfeld in jĂŒngster Zeit bewusster wahrgenommen und aktiver erschlossen wird (vgl. z.B. Klippel 2016). Davon zeugen nicht zuletzt die BeitrĂ€ge dieses Bandes. Welche neuen Akzente sie setzen und wie sie an Vorhandenem anschlieĂen, möchten wir im Folgenden verdeutlichen, indem wir sie im Rahmen einer zeitgemĂ€Ăen Aus- und Fortbildung verorten.
2 Professionelle Kompetenzen von Fremdsprachenlehrenden
2.1 Tendenzen in der empirischen Kompetenzforschung
Modelle, die das professionelle Wissen und Können von Lehrenden veranschaulichen und damit der Ausbildung als Orientierung dienen können, beziehen sich zumeist auf Shulmans (1987) Typologie und seine Unte...
Table of contents
- Cover
- Titel
- Impressum
- Inhaltsverzeichnis
- Vorwort
- Fremdsprachliche Lehrerbildungsforschung: Bilanz und Perspektiven
- Der Aufbau des fachspezifischen Professionswissens angehender Fremdsprachenlehrerinnen und -lehrer in der ersten Ausbildungsphase: Wege zur Entwicklung einer quantitativen Messung
- Was sollte eine gute Englischlehrkraft wissen? Ăber die Auswahl von Items im FALKO-E Test zum fachspezifischen Professionswissen
- âDass jedoch Emotionen einen immensen Einfluss auf den Lernerfolg haben können, war mir nicht bewusstâ â
- Effekte der Verzahnung von wissenschaftlichen und anwendungsbezogenen Ausbildungsinhalten auf die Kompetenzentwicklung von Lehramtsstudierenden der Fachdidaktik Englisch
- Lexikalisches Lernen optimieren â AusgewĂ€hlte Befunde einer Mehrfachfallstudie zur Förderung der professionellen Unterrichtswahrnehmung von angehenden Englischlehrpersonen mit Unterrichtsvideos
- Unterrichtsvorbereitung, Kooperation und situiertes Lernen â Untersuchungsergebnisse zu UnterrichtsplanungsgesprĂ€chen angehender Englischlehrender
- Professionalisierung und Kompetenzentwicklung in der 2. Phase der Fremdsprachenlehrer(innen)bildung: Akteure, Prozesse, Themen
- Kooperatives Sprachlernen â ein ChamĂ€leon in Fortbildung und Evaluation
- Lesen und Schreiben im Englischunterricht der Grundschule, aber wie? Gelingensbedingungen aus der Sicht von LehrkrÀften
- âItâs not as academic and impossible as it seems to beâ â Aktionsforschung und berufliches Selbstvertrauen in der fremdsprachlichen Lehrerbildung
- Praxiserkundungsprojekte und ihre Wirksamkeit in der Lehrerfort- und Weiterbildung
- Autorenverzeichnis
- FuĂnoten