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Forum Exegese und Hochschuldidaktik Verstehen von Anfang an (VvAa)
Jahrgang 2 â 2017, Heft 1
Materiale, textliche und metaphorische ZugÀnge zur Bildwelt der Bibel
Stefan Fischer, Florian Lippke und Thomas Wagner
Abstract | The importance of the visual world for the development and understanding of mental images is reflected in various stages within this article. Starting with a closer look to the characteristics of Egyptian and Ancient Near Eastern art the authors reflect on methodological aspects of how to interpret the images in their original environment. The meaning of aspective rendering for visual art, the relevance of a form-critical investigation of images, and the transformation of visual images in mental images are described firstly methodologically, and secondly in their reference to specific objects and in their relation to biblical texts.
Jeder, der sich mit der Interpretation biblischer Schriften beschĂ€ftigt, kommt um einige Grundlagen nicht herum: Die Kenntnis der âParameterâ der biblischen Welt ist von besonderer Wichtigkeit.1 Sowohl fĂŒr die professionelle exegetische Arbeit, als auch fĂŒr den privaten Bibelleser gilt: Wer die Bibel besser verstehen will, muss zuerst die Welt der Bibel kennen und verstehen. Dies gilt in historischer, kultureller, sozialer und realienkundlicher Hinsicht.2 Erst die Kenntnis der antiken Tier- und Pflanzenwelt (z.B. spezifisches Wissen ĂŒber Löwe, BĂ€r, Schlange, Mandelbaum und Getreidesorten) ermöglicht ein VerstĂ€ndnis vieler prophetischer Bildworte (insbesondere bei Amos, Ezechiel oder Jeremia).3 Im gleichen Sinn hilft auch eine solide landeskundliche Orientierung, viele ErzĂ€hlungen im Pentateuch oder in den Evangelien besser zu verâortâen. Wer einmal den Weg von Jerusalem nach Jericho abwandern durfte, weiĂ: Die Gluthitze im Wadi Quelt4 (zwischen Jerusalem und Jericho), der Weg durch die trockene WĂŒstenlandschaft und die Verlassenheit von aller Zivilisation sind prĂ€gend fĂŒr diese Gegend. Und so wird ein Wanderer, der die judĂ€ische WĂŒste gut kennt, den folgenden Gleichnisbeginn mit anderen Augen lesen als der europĂ€ische GroĂstadtbewohner: âEin Mann ging von Jerusalem nach Jericho hinab. Unterwegs ĂŒberfielen ihn RĂ€uber. Sie nahmen ihm alles weg, schlugen ihn zusammen und lieĂen ihn halb tot liegenâ (Lk 10,30). Ein VerstĂ€ndnis der Verlassenheit und der TodesnĂ€he steht dem Leser deutlich vor Augen, der mit den lokalen Gegebenheiten vertraut ist.
Theologisch gewendet â und bei manchen Auslegern mit einer gewissen Prise Frömmigkeit angereichert â kann das Land, der (imaginĂ€re aber auch der mit der Wirklichkeit in Bezug stehende) Raum, als âfĂŒnftesâ Evangelium, als SchlĂŒssel fĂŒr die biblischen Texte verstanden werden.5
Heilige Schriften kreieren immer eine Welt, die durch den Text prĂ€sent ist. In diesem Sinne etablierte sich der Begriff der Textwelt6 gut. Jedoch kann an diesem Punkt beim Verstehensversuch nicht pausiert werden. Der Text weist immer auch eine Referenz auf. Diese Referenz gilt der antiken Welt, in der er produziert wurde. ArchĂ€ologische, epigraphische, kulturgeschichtliche, ethnographische aber in besonderem MaĂe auch ikonographische Befunde spielen fĂŒr diese Textreferenz eine groĂe Rolle.7 Wesentlich ist fĂŒr ein solches antikes VerstĂ€ndnis der Text- und Realwelten das Modell der verbundenen KultursphĂ€ren.
Die antiken Hochkulturen (Ăgypten, Mesopotamien, Anatolien) sowie die kenntnisreichen Vermittler zwischen ihnen (Phönizier, Philister, AramĂ€er, ostjordanische Gruppen, Israel und Juda in PalĂ€stina/Israel) haben an diesem kulturellen Kontaktnetz einen groĂen Anteil.8 Wenn Assyrer/Babylonier mit Ăgyptern in Kontakt traten, so zogen sie stets durch den Bereich der sogenannten âLevanteâ.9 Wirtschaftliche Interessen bildeten meist die Grundlage. Mit ihnen wurden aber auch die jeweiligen sozialen, religiösen und kulturellen Aspekte im Land prĂ€sent. Auf diese Weise kann man von PalĂ€stina/Israel als einem Reservoir der antiken Konzepte sprechen: Unterschiedliche Weltvorstellungen, Menschenbilder und theologische Grundlagen liegen zur Rezeption bereit. In dieser Hinsicht steht die Kultur Altisraels auf hohen zivilisatorischen Schultern. Texte und Bilder geben von dieser Tatsache Auskunft und liefern ein beredtes Zeugnis fĂŒr Transformationsprozesse und aktualisierende Tendenzen. Antike theologische Positionen sind somit in einem ganz entscheidenden MaĂe abhĂ€ngig von den natĂŒrlichen, materiell-zivilisatorischen und kulturellen Rahmenbedingungen â und können bei VernachlĂ€ssigung dieser Aspekte nicht umfĂ€nglicher verstanden werden. Die genannten Mechanismen bewirken, dass die HebrĂ€ische Bibel ihrem Charakter nach ein orientalisch-Ă€gyptisches Buch ist, das durch viele Ăbersetzungsprozesse hindurch immer noch die alten Vorstellungen bewahrte.
Schriftgeschichtlich lĂ€sst sich dieser Prozess von den komplexen Schriften der Hochkulturen (in Keilschrift und Hieroglyphen) hin zum genial vereinfachten System der Konsonantenschriften nachzeichnen.10 Bildlich zeigen die Rezeptionen von pharaonisch-Ă€gyptischer und assyrisch-babylonischer Kultur das Zusammenkommen und die Ăberlappungen der imperialen MĂ€chte in der biblischen Welt an.11 Und auch inhaltlich lĂ€sst sich dieses Modell bestĂ€tigen: Wenn im Buch Deuteronomium Phrasen verwendet werden, die im Wortlaut an die assyrischen VasallenvertrĂ€ge anknĂŒpfen, dann birgt dies eine Einsicht ĂŒber die theologisch-ideologischen EinflĂŒsse auf die biblische Welt in sich.12 Solche VertrĂ€ge wurden in den Stadtzentren ausgestellt und die Schriftkundigen wurden damit konfrontiert. Eine Umformulierung des assyrischen Inhalts auf das VerhĂ€ltnis zwischen Israel und seinem Gott stellt eine solche religiöse theologische Transformationsleistung dar. Den beschriebenen Facetten kommt man allerdings nur bei konsequenter BerĂŒcksichtigung aller zur VerfĂŒgung stehenden historischen Quellen auf die Spur.13 Neben Texten gehören darum auch Bilder, archĂ€ologische Erkenntnisse und kulturwissenschaftliche Einsichten zum Interpretationsprozess hinzu.
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Teil 1: Methodische AnnÀherung
Aspektive â die Ausdrucksform Ăgyptens und des Alten Orients
PrÀzision und Konstellation
Wenn das VerhĂ€ltnis zwischen Texten und Bildern erforscht wird, so ist eine grundlegende Aussage immer hĂ€ufiger als Ausgangspunkt in der Diskussion prĂ€sent: âDie StĂ€rke des Textes ist die (historische) PrĂ€zision â die StĂ€rke des Bildes ist die Konstellation.â1 Dies ist an einem einfachen Beispiel nachvollziehbar: Ein Text kann in beliebigem MaĂe historisch prĂ€zisieren. Datumsangaben und umfangreiche Details zur genauen Bestimmung sind ohne gröĂeren Aufwand schriftlich integrierbar. Diese PrĂ€zision kann sehr weitreichend umgesetzt werden: In einem Roman wĂ€re es möglich, jedem einzelnen Kopfhaar eine Bezeichnung zuzuordnen, zum Beispiel durch Namensgebung. Gleiches ist bei einem Bild nur sehr vie...