Digitale Diskurse und Wikipedia
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Digitale Diskurse und Wikipedia

Wie das Social Web Interaktion im digitalen Zeitalter verwandelt

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Digitale Diskurse und Wikipedia

Wie das Social Web Interaktion im digitalen Zeitalter verwandelt

About this book

Die Online-Enzyklopädie Wikipedia dient im Alltag mittlerweile verbreitet zur ersten Orientierung bei Wissensfragen und kann als eines der erfolgreichsten Projekte im Social Web verstanden werden: Rund 17 Jahre nach ihrer Gründung verzeichnet die Wikipedia mehr als 46 Millionen Einträge, die von Tausenden von Freiwilligen gemeinschaftlich verfasst wurden. Nur wenige Internet-Nutzer wissen allerdings, wie die enzyklopädischen Inhalte der Wikipedia in digitalen Diskursen entstehen und welche Rolle Sprache bei der Erarbeitung der Einträge spielt. Der wissenschaftliche Blick hinter die Kulissen der größten Online-Enzyklopädie weltweit soll dabei unterstützen, mit Informationen im digitalen Zeitalter kompetent umzugehen. Er zeigt auf, wie der reflektierte Zugang zu digitalen Diskursen im Netz gelingen kann.

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1. Einführung: Relevanz und Reichweite der Wikipedia

Die meisten Internetnutzer sehen in der digitalen Plattform Wikipedia bei ihrer täglichen Nutzung ein Nachschlagewerk, das ihnen bei Alltagsfragen zur ersten Orientierung dient. Zwischenzeitlich geht die Relevanz der Wikipedia jedoch weit über die Funktion einer Online-Enzyklopädie hinaus. Je nach Blickwinkel kann die Wikipedia auch als Nachrichtenquelle, als Kanal für Public Relations oder als Lehr- und Lerngegenstand gesehen werden. Diese möglichen Sichten auf Wikipedia sollen im Folgenden eingehend beschrieben werden. Besonders wichtig und den anderen Perspektiven übergeordnet ist in diesem Buch das Verständnis der Wikipedia als diskursiver Raum: Wikipedia stellt mit ihrer großen Reichweite eine neue digitale Teilöffentlichkeit dar, in der sich grundsätzlich alle Interessierten mit Internetzugang zu einer großen thematischen Bandbreite äußern können. Neben Einträgen zu Allgemeinwissen (z.B. zur Tierart der Schneehasen) werden dort auch viele aktuelle Themen etwa aus dem Bereich der Politik thematisiert, die häufig Gegenstand ausführlicher Kontroversen sind (z.B. die sogenannte Krimkrise). Dies wird besonders deutlich, wenn man hinter die Kulissen der Wikipedia schaut, also die weniger bekannten Bereiche wie Diskussionsseiten oder Versionsgeschichten der Online-Enzyklopädie betrachtet. Wikipedia-Autoren ringen dort um die aus ihrer Sicht richtige bzw. neutrale Benennung aktueller Geschehnisse. Es kommen dann Fragen dieser Art auf: Soll der Wikipedia-Eintrag zu den Ereignissen auf der Krim im Frühjahr 2014 als Krimkrise oder als Annexion der Krim bezeichnet werden? Während eine Krise ‚eine schwierige Lage bzw. Situation’1 ist, bedeutet Annexion so viel wie ‚gewaltsame und widerrechtliche Aneignung fremden Gebiets’2. Anhand solcher Diskussionen in Wikipedia wird sichtbar, dass das Ringen um Worte dann auch ein Ringen um Weltdeutungen ist. Mit dem Durchsetzen spezifischer sprachlicher Muster geht in der Folge auch die Dominanz gewisser Weltdeutungen einher. Die Untersuchung des Aufkommens und der Verbreitung solcher Sprachmuster in einzelnen Wikipedia-Einträgen, in der gesamten Online-Enzyklopädie sowie in der medialen Öffentlichkeit insgesamt ist zentrales Anliegen der Diskurslinguistik. Vor dem Hintergrund der Aushandlung von Wissensbeständen im digitalen Diskurs der Wikipedia lässt sich auch begründen, warum der Begriff Interaktion im Titel dieses Beitrags so prominent gesetzt ist, obwohl er sonst wenig in Verbindung mit diskursanalytischen Arbeiten gebraucht wird. Für die digitalen Diskurse in Wikipedia ist charakteristisch, dass die enzyklopädischen Inhalte der Artikelseiten durch die aufeinander bezogenen Sprachhandlungen auf den Diskussionsseiten von Wikipedia-Autor zu Wikipedia-Autor zustande kommen.
Die reflektierte Betrachtung digitaler Diskurse ist nicht nur für Wissenschaftler, sondern auch ganz allgemein für Internetnutzer von zentraler Bedeutung. Sie ziehen nur dann den größten Nutzen aus der Online-Enzyklopädie, wenn sie auf diese kompetent zugreifen und deren diskursive Dimension erkennen. Obwohl vier von fünf Internetnutzern regelmäßig auf die Wikipedia zugreifen, kennen viele mit den Artikelseiten nur den enzyklopädischen Kern der Wikipedia. Hier wird deshalb die Struktur der Wikipedia erläutert, um die zentrale Funktion der weniger bekannten Bereiche wie Diskussionsseiten und Versionsgeschichte zu verdeutlichen.
Dieses Wissen und der kompetente Zugriff sind in vielen verschiedenen Kontexten relevant: Mittlerweile hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass der reflektierte Umgang mit Wikis und vor allem mit der Wikipedia nicht nur unter dem Vorzeichen der Zitierfähigkeit in der Hochschullehre zu diskutieren ist. Wikipedia wird etwa auch als Anschauungsobjekt für Schreibtrainings genutzt. Im Dialog mit Lehrern hat sich herausgestellt, dass eine Heranführung von Schülern an die reflektierte Nutzung der Wikipedia sehr viel zielführender ist und zu mehr Medien- und Informationskompetenz führt als ein grundsätzliches Verbot der Wikipedia.
Die Wikipedia wird zunehmend auch für die journalistische Recherche genutzt. Den Journalisten kommt in ihrer Funktion als Informationsmittler die besondere Aufgabe zu, Informationen aus dem Netz vor der journalistischen Weiternutzung besonders eingehend zu prüfen. Für diese Berufsgruppe ist deshalb ein kompetenter Umgang mit Wikipedia unumgänglich. Die Wikipedia ist aufgrund ihrer Reichweite auch für die Darstellung von Organisationen und Institutionen nicht zu unterschätzen. PR-Experten haben die Wikipedia als PR-Kanal entdeckt und es gibt Projekte zu bezahltem Schreiben in der Wikipedia. Nicht zuletzt können auch Wissenschaftler, die zum interdisziplinären Feld der Wikipedistik beitragen möchten, indem sie die Wikipedia oder grundsätzlich Wikis zum Untersuchungsgegenstand ihrer Forschungsprojekte machen, inspirierende Hintergrundinformationen in diesem Buch finden.

1.1 Wikipedia als Online-Enzyklopädie und diskursiver Raum

Die Wikipedia ist nicht nur ein kontrovers diskutiertes Nachschlagewerk, das vielen im Alltag zur ersten Orientierung dient, sondern mit über 40 Millionen Artikeln in rund 295 Sprachen auch die größte (Online-)Enzyklopädie weltweit. Monatlich greifen 500 Millionen Nutzer auf ihre Inhalte zu und Tausende ehrenamtlicher Autoren erweitern die Wikipedia kontinuierlich.
Die Erfolgsgeschichte der Wikipedia begann 2001 mit der Idee des Gründers Jimmy Wales, der sich fragte: „Was wäre, wenn das gesamte Wissen der Menschheit frei zugänglich ist?“ (Wikimedia e.V. Deutschland 2011: 9). Zwischenzeitlich liegt Wikipedia auf Rang 5 des Alexa-Rankings und ist somit eine der erfolgreichsten digitalen Plattformen weltweit („The top 500 sites on the web“1) noch vor dem sozialen Netzwerk Twitter (Rang 10).
Rund 17 Jahre nach ihrer Gründung verzeichnet die Wikipedia auch zahlreiche Artikel zu aktuellen Ereignissen oder prominenten Personen, die auf ein besonders großes Interesse stoßen: So wurde die Wikipedia-Seite zu Donald Trump in der englischen Wikipedia allein im Januar 2017 mehr als neun Millionen mal aufgerufen.2 Zu vielen dieser Artikel in der Wikipedia gibt es hypertextuell verknüpfte Diskussionsseiten, die den Autoren die Möglichkeit geben, die Ausgestaltung der Einträge, aber auch den Prozess der kollaborativen Wissensproduktion zu thematisieren. Die Online-Enzyklopädie ist somit nicht nur als eines der erfolgreichsten Projekte im Social Web zu verstehen, sondern auch als sozialer Raum zu deuten, in dem Wissen sprachlich von vielen Akteuren ausgehandelt wird.
Ein Grund für die frequente Nutzung der Wikipedia ist sicherlich auch, dass sie in der Suchmaschine Google oftmals unter den ersten Treffern zu finden ist, wie Spoerri bereits in der frühen Phase der Wikipedia feststellen konnte: In einer Fallstudie fand er heraus, dass bereits 2007 rund 96 Prozent der Einträge in seinem Sample an Wikipedia-Artikeln unter den sieben ersten Google-Treffern zu finden waren (Spoerri 2007: o.S.).
Bei einer Befragung deutscher Internetnutzer antworteten vier von fünf der rund 1000 Befragten, dass sie Wikipedia nutzen. Auch das Vertrauen in die Qualität der Wikipedia ist relativ hoch: Von den befragten Wikipedia-Nutzern stimmten 67 Prozent der Aussage zu „Die Inhalte der Artikel sind meistens verlässlich“. Weitere zwölf Prozent der Wikipedia-Nutzer hielten die enzyklopädischen Inhalte der Wikipedia für „immer verlässlich“.3
Ausschlaggebend für den Erfolg der Wikipedia ist sicher auch das große Spektrum an Themen, das dort enzyklopädisch dokumentiert wird. Die im Folgenden überwiegend betrachtete deutsche Sprachversion belegt – bei Betrachtung der Artikelzahl – mit ihren rund 2,18 Millionen Artikeln Platz vier der Liste der größten Sprachversionen. Angeführt wird die Liste von der englischen Sprachversion mit 5,65 Millionen Artikeln, gefolgt von der Sprachversion in Cebuano4 (5,38 Millionen Artikel) und der schwedischen Sprachversion (3,78 Millionen Artikel). Anzumerken ist jedoch, dass es große Unterschiede zwischen den Sprachversionen gibt: In der cebuanosprachigen Wikipedia etwa werden 99 Prozent und in der schwedischen Wikipedia 58 Prozent der Bearbeitungen von Bots durchgeführt, wohingegen in der englischen Version nur neun Prozent und in der deutschen Version lediglich zehn Prozent der Bearbeitungen durch Bots erfolgen. Vor allem in der Cebuano-Version sind viele Artikel kurze bot-generierte Übersetzungen aus anderen Sprachversionen.5
Die Sprachversionen unterscheiden sich jedoch nicht nur durch den Anteil maschinell erzeugter Textpassagen. Es gibt auch große Unterschiede bezüglich der Seitenaufrufe, die die einzelnen Sprachversionen aufweisen können und die deren Relevanz und Reichweite belegen: Die englische Sprachversion wird 4,5 Millionen mal, die deutsche Sprachversion 640000 mal pro Stunde aufgerufen. Die schwedische Version hingegen nur 34500 mal, die Version in Cebuano sogar nur 1270 mal pro Stunde.6

1.2 Wikipedia als Diskussionsgegenstand

In den mittlerweile 17 Jahren ihrer Geschichte ist und war die Wikipedia immer wieder Gegenstand gesamtgesellschaftlich geführter Debatten. Besonders gut lässt sich die mediale Berichterstattung zur Wikipedia in Zeitungen, im Radio und im Fernsehen rekonstruieren. Dies gelingt der Wikipedia-Gemeinschaft eindrucksvoll auf einer eigens eingerichteten Seite des Wikipedia-Projekts unter dem Titel „Pressespiegel“ (Wikipedia 2018: Pressespiegel). Dieser Pressespiegel wird durch Wikipedia-Autoren erstellt und erhebt nicht den Anspruch auf Vollständigkeit. Deutlich wird über diese Zusammenschau dennoch, dass das mediale Interesse an Wikipedia nach wie vor ungebrochen ist. Berichteten anfangs eher besonders netzaffine Medien, finden sich mittlerweile monatlich Berichte zu unterschiedlichsten Aspekten der Wikipedia in Qualitätszeitungen wieder.
Im Wikipedia-Pressespiegel werden Beiträge zur Wikipedia in deutschsprachigen Medien aufgeführt. Der Pressespiegel ist unter dem folgenden Link zu finden: https://de.wikipedia.org/wiki/Wikipedia:Pressespiegel.
In den ersten Jahren der Wikipedia-Geschichte (2002/2003) dominierte in der medialen Berichterstattung die Präsentation des Formats einer kollaborativ erstellten Online-Enzyklopädie. Titel der Medienbeiträge gaben auch Auskunft über die ersten Erfolge der Wikipedia gemessen an deren Artikelzahlen, wie etwa „Online-Enzyklopädie Wikipedia mit mehr als 200000 Artikeln“.1 Thematisiert wurde in der frühen Phase die Offenheit der Wikipedia und die Möglichkeit aller Internetnutzer die Enzyklopädie zu editieren.
Ab 2005 weist der Pressespiegel dann einige negative Meldungen auf, in denen Journalisten Überforderungsdiagnosen stellten. Manche Aspekte der Wikipedia werden in medialen Diskursen ambivalent diskutiert: So heißt es am 28. Mai 2005 im Focus noch „Die Reaktionsgeschwindigkeit ist Wikipedias Trumpf – Schon am Abend der Papstwahl erschien in der freien Enzyklopädie ein umfangreicher Eintrag über den neuen Heiligen Vater“.2 Während hier noch die Aktualität der Wikipedia gelobt wird, werden zu einem späteren Zeitpunkt des Jahres – wiederum im Focus – inhaltliche Mängel kritisiert: „Lexikon mit Lücken. Die Web-Enzyklopädie Wikipedia, unter Manipulationen und Fehlern leidend, ringt um ihr gutes Image“.3 Ein wiederkehrendes Thema ist in den Medien auch die Finanzierung der Wikipedia: 2014 betitelt die Frankfurter Allgemeine Zeitung einen Beitrag wie folgt: „Spendenwunder Wikipedia. Warum das Online-Lexikon so erfolgreich Geld einwirbt“.4 Nur zwei Jahre später heißt es dort abwertend: „Alle Jahre wieder bittet Wikipedia um Spenden. Aber was passiert mit dem Geld eigentlich genau?“5
Die Beispiele zeigen, dass sich die anhaltende mediale Auseinandersetzung mit...

Table of contents

  1. Cover
  2. Titel
  3. Impressum
  4. Inhaltsverzeichnis
  5. Für Michael und Johanna.
  6. Vorwort
  7. 1. Einführung: Relevanz und Reichweite der Wikipedia
  8. 2. Diskursanalysen als Methode für Sprach-, Kultur- und Gesellschaftsanalysen
  9. 3. Digitale Diskursanalysen
  10. 4. Wer spricht wie in digitalen Diskursen auf Wikipedia?
  11. 5. Tools und Ressourcen zur Analyse der Wikipedia
  12. Literaturverzeichnis
  13. Fußnoten