Lenin
eBook - ePub

Lenin

Utopie und Terror

  1. 528 pages
  2. English
  3. ePUB (mobile friendly)
  4. Available on iOS & Android
eBook - ePub

Lenin

Utopie und Terror

About this book

Bis zum Ende der Ära Gorbatschow war eine kritische Analyse der Rolle Lenins unmöglich. Dann erst konnte der renommierte Historiker Dimitri Wolkogonow exklusiv auf die unter Verschluss gehaltenen Dokumente zurückgreifen, darunter über 3000 Briefe aus Lenins Feder. Entstanden ist eine monumentale Biographie, die auch neues Licht auf ungelöste Streitfragen der Zeitgeschichte wie die Ermordung der Zarenfamilie oder das wahre Verhältnis zu Stalin wirft. Ein faszinierendes Standardwerk, das in keiner Bibliothek fehlen sollte.

Frequently asked questions

Yes, you can cancel anytime from the Subscription tab in your account settings on the Perlego website. Your subscription will stay active until the end of your current billing period. Learn how to cancel your subscription.
At the moment all of our mobile-responsive ePub books are available to download via the app. Most of our PDFs are also available to download and we're working on making the final remaining ones downloadable now. Learn more here.
Perlego offers two plans: Essential and Complete
  • Essential is ideal for learners and professionals who enjoy exploring a wide range of subjects. Access the Essential Library with 800,000+ trusted titles and best-sellers across business, personal growth, and the humanities. Includes unlimited reading time and Standard Read Aloud voice.
  • Complete: Perfect for advanced learners and researchers needing full, unrestricted access. Unlock 1.4M+ books across hundreds of subjects, including academic and specialized titles. The Complete Plan also includes advanced features like Premium Read Aloud and Research Assistant.
Both plans are available with monthly, semester, or annual billing cycles.
We are an online textbook subscription service, where you can get access to an entire online library for less than the price of a single book per month. With over 1 million books across 1000+ topics, we’ve got you covered! Learn more here.
Look out for the read-aloud symbol on your next book to see if you can listen to it. The read-aloud tool reads text aloud for you, highlighting the text as it is being read. You can pause it, speed it up and slow it down. Learn more here.
Yes! You can use the Perlego app on both iOS or Android devices to read anytime, anywhere — even offline. Perfect for commutes or when you’re on the go.
Please note we cannot support devices running on iOS 13 and Android 7 or earlier. Learn more about using the app.
Yes, you can access Lenin by Dimitri Wolkogonow in PDF and/or ePUB format, as well as other popular books in Politics & International Relations & Political Biographies. We have over one million books available in our catalogue for you to explore.
Drittes Kapitel
Die Narbe des Oktober
Der europäische Krieg kam plötzlich wie ein Sommergewitter. Durch die Schüsse von Sarajevo waren die Dämme des Friedens gebrochen, und eine Flut lange aufgestauter nationaler Gegensätze brach über die Völker herein. Österreich stellte den Serben ein Ultimatum, das diese um keinen Preis akzeptieren konnten. Die Stärkeren hatten beschlossen, den Schwächeren eine Lektion zu erteilen.
Als Deutschland Russland den Krieg erklärte, stand die ganze Nation wie ein Mann hinter dem Zaren. Das Volk wurde von einem starken Patriotismus zusammengeschweißt. Am Tag nach der Kriegserklärung rief der Zar in einem Allerhöchsten Manifest zur Einheit aller gesellschaftlichen Klassen und Strömungen auf:
»Mögen in dieser schicksalhaften Stunde alle inneren Streitigkeiten beigelegt werden, auf dass die Einheit des Volkes mit dem Zaren noch wachse und Russland wie ein Mann den feigen Überfall des Feindes zurückschlage.« (Oldenburg, Zarstwowanie imperatora Nikolaja II., New York 1951, S. 519)
Nur Lenin und seine Bolschewiki verspürten keinerlei Bedürfnis, die Heimat zu verteidigen. Dagegen hatte sogar Trotzki in der Emigrantenzeitung »Nasche slowo« unterstrichen, dass jene, die eine Niederlage des zaristischen Russland wünschten, damit gleichzeitig einen Sieg des reaktionären Deutschland befürworteten. Während alle Völker Russlands angesichts der drohenden Gefahr ihre politischen und sozialen Differenzen zurückstellten, sahen Lenin und seine Anhänger in den Ereignissen eine phantastische Chance zur Erfüllung ihres Wunschtraums, der Machtergreifung. Je mehr der Patriotismus im Blut und Schmutz des Krieges versank, desto mehr wuchs auch Lenins Überzeugung, dass weder Nikolaj noch Wilhelm den imperialistischen Krieg ohne Revolution überstehen würden. Für ihn stellte sich die Situ­ation von der fernen, friedlichen Schweiz aus anders dar als für den russischen Bauernsoldaten, der in einen Gasangriff geriet, oder den russischen Kriegsgefangenen in einem sächsischen Lager. Er konnte die Ereignisse aus der sicheren Beletage der poli­tischen Emigration verfolgen.
Im Laufe des Krieges schrieb Lenin Hunderte von Briefen an einige wenige Bekannte, unter ihnen Schljapnikow, Kollontaj, Radek, Gorki, Pjatakow, Rawitsch, Sinowjew und Kamenew. Die meisten waren jedoch an I. F. Armand adressiert, mit der er eine ausgesprochen emotionale, intime Korrespondenz führte, in der es um mehr ging als nur um trockene Tagespolitik. Sein Briefwechsel mit Ganjetzki oder Belenski betraf dagegen überwiegend geschäftliche und politische Angelegenheiten.
Lenin beschäftigte sich in dieser Zeit mit Hegel, Aristoteles, Lassalle, Napoleon und Clausewitz, las Gedichte von Hugo und besuchte gelegentlich mit Krupskaja das städtische Theater. Die beiden bewohnten ein Zimmer im Ferienheim von Flims im Kanton Sankt Gallen. Hier entstand auch eines seiner Hauptwerke: »Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus«. Anfang Januar 1917 wurde Lenin in das »Züricher Volkshaus« eingeladen, um dort einen Vortrag über die erste russische Revolution zu halten. Das Publikum bestand aus einigen wenigen Studenten, die eine weitschweifige und ermüdende Rede zu hören bekamen. Die Hauptthese des Referenten bestand darin, dass der Bürgerkrieg 1905 zu zögerlich geführt worden war und so die Selbstherrschaft nicht ernsthaft gefährden konnte:
»Die Bauern setzten damals rund 2000 Landsitze in Brand und teilten die erbeuteten Lebensmittel unter sich auf … Bedauerlicherweise war das nur 1/15 des adeligen Gutsbesitzes, d. h., sie hatten genau 14/15 zu wenig zerstört … Die Bauern waren nicht konsequent genug in ihren Aktionen. Eben darin liegt einer der Hauptgründe für die Niederlage der Revolution.« (PSS, Bd. 30, S. 322)
Weiter gab der russische Emigrant seiner Überzeugung Ausdruck, die Revolution von 1905 sei nur ein Vorgeschmack auf die »künftige europäische Revolution« gewesen: »In den nächsten Jahren wird es in ganz Europa zu Volkserhebungen kommen« (ebd., S. 327). Allerdings bezogen sich seine Prognosen nicht auf Russland, sondern auf Westeuropa, und er war zudem der Überzeugung, dass diese Ereignisse nicht allzu bald zu erwarten seien: »Möglicherweise werden wir, die Älteren, die entscheidenden Schlachten dieser Revolution nicht mehr erleben …« (ebd., S. 328).
Der russische »Prophet« ahnte nicht, dass nur noch zwei Monate bis zur »künftigen Revolution« vergehen sollten.
Der demokratische Februar
Obwohl man in Russland mit der Revolution gerechnet hatte, kam sie dennoch für viele plötzlich und unerwartet.
Die Forscher gehen mit Recht davon aus, dass es zwei Hauptgründe für die Februarrevolution gab: der erfolglose Kriegsverlauf und die Schwäche der Machthaber. Was den Krieg anbelangt, so war die Lage trotz einiger strategischer Niederlagen nicht aussichtslos, denn Deutschland befand sich ebenfalls in einer schwierigen Situation. Die Frontlinie verlief weit entfernt von Petrograd und anderen wichtigen Zentren Russlands. Der Durchbruch von Brusilow im Sommer 1916 hatte bei den Deutschen den Glauben an einen ehrenvollen Ausgang des Krieges zunichte gemacht. Weitsichtigen Politikern war klar, dass Deutschland den Krieg strategisch nicht gewinnen konnte, zumal die USA die Entente offen und direkt unterstützten. Doch die bolschewistische Agitation hatte eine demoralisierende Wirkung auf die kriegsmüde russische Armee. Die einsetzenden Verbrüderungen an der Front hatten einen einseitigen Charakter. Nicht selten warfen die Deutschen defätistische Agitationsschriften der Bolschewiki in die russischen Schützengräben. Es zeigte sich, dass Lenin und Konsorten mit ihrer Agitation eher den deutschen Kaiser unterstützten als die eigene Armee.
Der Vorsitzende der Staatlichen Duma erinnert sich, dass es »Anzeichen von Wehrkraftzersetzung bereits im zweiten Kriegsjahr gegeben hat … Der Nachschub aus den Reservebataillonen war bereits um ein Viertel dezimiert, als er die Front erreichte … Manchmal mussten ganze Militärzüge, die sich auf dem Weg an die Front befanden, auf halbem Weg ihren Marsch unterbrechen, weil nur noch die Offiziere und Fähnriche übrig geblieben waren« (Rodsjanko, Gosudarstwjennaja Duma i fewralskaja rewoljuzija 1917 g., Rostow am Don 1919, S. 31). Die Bolschewiki hatten mit ihrer Propaganda einen bedeutenden Anteil an der Nieder­lage der russischen Armee.
Russland hatte zu diesem Zeitpunkt immer noch nicht alle materiellen und ideellen Ressourcen ausgeschöpft, um den Krieg fortzusetzen, der angesichts der Okkupation weiter Teile des Landes aus russischer Sicht immer mehr den Charakter eines gerechten Verteidigungskrieges annahm. Das zaristische Regime erwies sich jedoch in dieser kritischen Situation als führungsunfähig. Davon zeugt auch die Entscheidung des Zaren vom 6. August 1915, den Oberkommandierenden der russischen Streitkräfte, Fürst Nikolaj Nikolajewitsch, seines Amtes zu entheben und selbst dessen Platz einzunehmen. Seine Minister protestierten daraufhin und warnten, dieser Beschluss könne »schwerwiegende Folgen für ganz Russland, für Sie selbst und für Ihre Dynastie haben« (A. N. Jachontow, Archiw russkoj rewoljuzii, Bd. 18, S. 98). Doch der Zar ließ sich nicht umstimmen. Durch seine Abreise ins Hauptquartier überließ er in der Hauptstadt das Feld den ihm feindlich gesinnten, verräterischen Gruppierungen aus seiner engsten Umgebung. Russland war traditionsgemäß eine starke Regierung gewöhnt, die von einer konkreten Person verkörpert wurde. Die Regierungskrise führte daher zu einem baldigen Scheitern der »Politik des inneren Friedens«, die von der Duma verkündet worden war. Das entstandene Machtvakuum zersetzte noch die letzten Reste von staatlicher Autorität, sozialer Stabilität und nationaler Einheit. Nunmehr ging es nur noch um die Frage, wer diese Situation am besten für sich nutzen konnte. Im Volk wuchs immer mehr die Überzeugung, dass lediglich radikale Maßnahmen revolutionären Charakters den Weg aus der Krise weisen konnten. Dabei hatte man in der Umgebung des Zaren längst dessen unentschlossenes und zögerliches Verhalten als Ursache einer möglichen Revolution ausgemacht. Noch einen Monat vor der Abdankung Nikolajs II. klagte der Großfürst Alexander Michaj­l­owitsch: »Wir erleben derzeit in Russland das einmalige Schauspiel einer Revolution von oben …« (Welikie knjasja Nikolaja II., Moskau 1925, S. 122)
Lenin waren im fernen Zürich die Feinheiten der russischen Entwicklung entgangen. Die Nachricht vom Sieg der Revolution in Petrograd traf ihn völlig unvorbereitet. Sogleich zog er mit Mojsej Bronski, einem Sozialdemokraten aus Łódź, durch die ganze Stadt, um Näheres in Erfahrung zu bringen. Doch alle wussten nur das eine: In Petrograd ist Revolution. Die Minister sind verhaftet. Menschenmassen überfluten die Straßen … Lenin kehrte aufgeregt nach Hause zurück. Irgendetwas musste er unternehmen! Wie fern und weltfremd schienen ihm jetzt seine Studien über die Zukunft der Schweizer Sozialdemokratie, denen er sich in letzter Zeit verstärkt gewidmet hatte! Unruhig lief der verhinderte Revolutionsführer in seiner Wohnung umher und rief Nadjeschda Konstantinowna zu: »Das ist eine Überraschung! Es ist einfach unglaublich! Wir müssen unbedingt nach Hause, aber wie! Nein, das kam wirklich völlig unerwartet! Unglaublich!«
Nachdem er sich ein wenig beruhigt hatte, setzte sich Lenin an seinen Schreibtisch, um Ines Armand die sensationelle Neuigkeit mitzuteilen:
»Wir sind heute hier in Zürich ganz aus dem Häuschen. In der ›Züricher Post‹ und in der ›Neuen Züricher Zeitung‹ wurde berichtet, dass in Petersburg nach dreitägigem Kampf die Rev...

Table of contents

  1. Statt einer Einleitung Im Blickpunkt der Geschichte
  2. Erstes Kapitel Die frühen Jahre
  3. Zweites Kapitel Großmeister der Bolschewiki
  4. Drittes Kapitel Die Narbe des Oktober
  5. Viertes Kapitel Die Opferpriester des Terrors
  6. Fünftes Kapitel Lenins personelles Umfeld
  7. Sechstes Kapitel Die totalitäre Gesellschaft
  8. Siebtes Kapitel Der geistige Kosmos
  9. Achtes Kapitel Das Mausoleum des Leninismus
  10. Statt eines Schlusswortes Die Niederlage im Sieg