1 Einleitung
Die dialektologische Tradition lehrte lange Zeit â bis in die 1960/70-er Jahre hinein â, dass der Faktor Raum der entscheidende Parameter und das konstitutive Element von VarietĂ€ten darstellt, was allerdings eine eingeschrĂ€nkte und eindimensionale Sicht zur Folge hatte. Der Fokus aktuellerer Variationsforschung hat sich in den letzten Jahrzehnten verlagert: von den lokalen Basisdialekten hin zu einem âvariativen Spektrum des âSubstandardsââ (Lenz u. a. 2004: 7).1 Es flieĂen zunehmend soziolinguistische Methoden wie auch regionale Variation in die Untersuchungen mit ein, was ein Feld fĂŒr eine Interaktion von rĂ€umlichen und sozialen Bedingungen eröffnet und den Blick fĂŒr einen âpluridimensionalenâ (Herrgen 2000: 50) Ansatz weitet. In der âmodernenâ Dialektologie gewinnen auch stadtsprachliche VarietĂ€ten an Bedeutung, denn StĂ€dte werden zunehmend als Orte wahrgenommen, die Zugang zur heterogenen Gesellschaft und Sprache bieten. Andererseits bleibt jedoch das Bild aufrecht, das Land als statisch und isoliert anzusehen bzw. âas an idyll of peace and tranquility rather than as composed of heterogeneous communities, of contact, of change and progress, and of conflictâ (Britain 2004: 607f.). Von einer solchen, rein dichotomischen Behandlung von Stadt vs. Land kommt man mittlerweile zusehends ab und tendiert zu Betrachtungsweisen, bei denen die Abgrenzungen der VarietĂ€ten als flieĂend und kontinuierlich angesehen werden.
Auch das Spannungsfeld von MĂŒndlichkeit und Schriftlichkeit, das durch unterschiedliche Kommunikationsbedingungen, DomĂ€nen und Funktionen gekennzeichnet ist, spielt in der Untersuchung gesprochener Sprache eine Rolle. Gesprochene Sprache ist durch ihre starke Situations- bzw. Kontextgebundenheit, eine raumzeitliche NĂ€he der GesprĂ€chspartner und FlĂŒchtigkeit gekennzeichnet, wĂ€hrend die wesentlichen Charakteristika der Schriftlichkeit in ihrer Entbindung aus der Situation, ihrer raumzeitlichen Distanz und der dauerhaften Tradierung von Wissen liegen. Das Grundcharakteristikum gesprochener Sprache sehen Fiehler u. a. (2004: 130f.) in ihrer Varianz, welche sich auf jeder sprachlichen Ebene niederschlĂ€gt. Trotz ihrer Varianz und VariabilitĂ€t zeichnet sich gesprochene Sprache aber auch durch ihre Regelhaftigkeit und Rekurrenz aus, ohne die einer linguistischen Untersuchung die Basis fehlen wĂŒrde, um Gemeinsamkeiten und Unterschiede auf den verschiedenen Sprachebenen abzubilden.
Der Fokus des vorliegenden Beitrags liegt im Verbalbereich auf der Konjunktiv II-Bildung, anhand derer ein sprachliches Kontinuum vorgefĂŒhrt werden soll. Hauptanliegen ist es zu zeigen, wie sich die unterschiedlichen Formen der Konjunktiv II-Bildung in ein Kontinuum einpassen lassen. Hierzu werden drei Teilkorpora herangezogen, wovon ein Teilkorpus Graz (TK G) stĂ€dtische Variation und die beiden anderen Teilkorpora Weiz und Hartberg (TK WZ und TK HB) lĂ€ndliche Variation reprĂ€sentieren. Die Teilkorpora sind durch unterschiedlich stark dialektale FĂ€rbungen charakterisiert, was fĂŒr eine GegenĂŒberstellung und Beschreibung der Varianten von Bedeutung ist. Da es sich hierbei nicht um verschiedene VarietĂ€ten handelt, steht die Frage eines Stadt-Land-Vergleichs im Vordergrund.
Bei der Zielsetzung sollen folgende Leitfragen die Richtung weisen:
Welche Unterschiede zeigen sich zwischen den beiden Teilkorpora, die stÀrker dialektal geprÀgt sind und den Sprachgebrauch in lÀndlichen Regionen reprÀsentieren, im Vergleich zur weniger stark dialektalen AusprÀgung im Teilkorpus, das die stadtsprachliche Region reprÀsentiert?
Kann im Teilkorpus G eventuell eine stÀrkere Normierung als in den anderen beiden ausgemacht werden? Oder lÀsst sich ein Kontinuum zwischen den drei Teilkorpora ermitteln?
Zeigen sich Unterschiede im verbalen Bereich â eventuell eine vermehrte Verwendung des Konjunktivs II in der Form i gebat/gabat (âgebenâ) in lĂ€ndlichen Regionen?
2 Der urbane Raum als Sprachlandschaft
Die Stadt wird von der modernen Stadtsprachenforschung als âKonglomerat von zentripetal zur Mitte hin orientierten Sprachringen, reprĂ€sentiert durch Wohnquartiere, AuĂenquartiere und Umlandgemeindenâ (Löffler 2010: 136) betrachtet. Die erwĂ€hnten Sprachringe besitzen eine vertikale Gliederung je nach sozialen Sprechergruppen und Situationen, wobei die einzelnen ĂbergĂ€nge von einer VarietĂ€t zur nĂ€chsten nicht trennscharf abgegrenzt werden können, sondern eher stufenlos als Kontinuum verlaufen (vgl. ebd.). Auf welcher Beschreibungsebene man die distinkten Merkmale auch illustrieren möchte, Barbour / Stevenson (1998: 111) fĂŒhren an, dass eine simple Beschreibung nicht mehr genĂŒgt, sondern dass â mindestens zweidimensionale â Modelle erarbeitet werden sollen, âinnerhalb derer Variation in VarietĂ€ten bzw. Kommunikationsgemeinschaften erklĂ€rt werden kann.
StĂ€dte sind Siedlungsformen, die sich durch eine hohe soziale KomplexitĂ€t auszeichnen; darĂŒber hinaus besitzen sie eine lokale Gebundenheit, die sich auch sprachlich in Bezug auf die jeweilige Umgebung manifestiert (vgl. Krefeld 2008: 10). Mattheier (1982: 90) fasst die mit der Urbanisierung in Zusammenhang stehenden VerĂ€nderungen und die Konzepte, die allgemein fĂŒr die Stadt/Umland-Beziehungen entwickelt worden sind, als âModernisierungâ zusammen und konstatiert, dass VerĂ€nderungsprozesse zunĂ€chst in den StĂ€dten greifen und sich erst allmĂ€hlich auf lĂ€ndliche Regionen ĂŒbertragen, wodurch sich ein gewisses GefĂ€lle zwischen Stadt und Land herausbildet. Der Fokus der traditionellen Dialektologie auf der Aufnahme und Konservierung lokaler VarietĂ€ten, und zwar bevorzugt mit lĂ€ndlichen und Ă€lteren Informanten, verstĂ€rkte die Annahme, dass der lĂ€ndliche Sprachgebrauch statisch und der stĂ€dtische Sprachgebrauch innovativ sei (vgl. Vandekerckhove 2010: 316). Zwar wird die Stadt zunehmend als der Ort wahrgenommen, der Zugang zur heterogenen Gesellschaft und Sprache bietet, andererseits bleibt aber weiterhin das Bild aufrecht, dass das Land als statisch und isoliert angesehen wird (vgl. Britain 2004: 607f.). Die vorherrschende Dichotomie kann allerdings heutzutage nicht mehr aufrechterhalten bleiben, denn der Prozess der Urbanisierung und Industrialisierung und die damit einhergegangene gestiegene (geographische wie auch soziale) MobilitĂ€t macht eine regionale und ĂŒberregionale Kommunikation möglich, was noch zusĂ€tzlich verstĂ€rkt wird durch das einsetzende Pendeln der Menschen in die Stadt oder aus der Stadt, um beispielsweise einer Arbeit oder anderen AktivitĂ€ten nachzugehen (vgl. Vandekerckhove 2010: 316). Viele Dörfer verschmelzen mit den angrenzenden Dörfern zu kleineren oder gröĂeren StĂ€dten. All dies fĂŒhrt letztlich dazu, dass Dialekte miteinander in Kontakt treten, was wiederum Akkommodation auslösen kann. Vandekerckhove fasst das linguistische Interesse an dieser Entwicklung wie folgt zusammen:
âThe developments [âŠ] do not imply that the distinction between urban and rural or non-...