
Kaleidoskop Kluge
Alexander Kluges Fortsetzung der Kritischen Theorie mit narrativen Mitteln
- 451 pages
- English
- ePUB (mobile friendly)
- Available on iOS & Android
Kaleidoskop Kluge
Alexander Kluges Fortsetzung der Kritischen Theorie mit narrativen Mitteln
About this book
Alexander Kluge, so die These dieser auĂergewöhnlichen Studie, befreit die Kritische Theorie aus ihrer diskursiven Verschanzung der letzten Jahrzehnte und verknĂŒpft sie auf Ă€sthetische wie bildungsphilosophische Weise wieder mit Gesellschaft. Dabei arbeitet Kluge, wie Christoph Streckhardt zeigt, im Grunde nach vier Prinzipien: Entschleunigung, Subjektivierung, konstellative Darstellung sowie kooperative Gegenproduktion. Mit allen Freiheiten eines multimedial agierenden ErzĂ€hlers gelinge es ihm darĂŒber hinaus, auch die theoretischen Grundlagen insbesondere die Walter Benjamins und Theodor W. Adornos weiterzuentwickeln.Die Studie wird eingerahmt von zwei exklusiven Interviews mit dem "Hofpoeten" der Frankfurter Schule. ZusĂ€tzlich gewĂ€hrt sie spannende Einblicke in bislang unveröffentlichtes Material wie verlagsinterne Protokolle aus dem Siegfried Unseld Archiv (Deutsches Literaturarchiv Marbach) oder die Briefkorrespondenz zwischen Kluge und Adorno aus dem Theodor W. Adorno Archiv (Berliner Akademie der KĂŒnste). Als ein Novum in der Kluge-Forschung erlĂ€utert sie zudem in einem etwa 30-seitigen lexikon-untypischen Kluge-Lexikon zentrale SchlĂŒsselbegriffe und -motive.Der Autor war mit diesem Buch fĂŒr den "Opus Primum", den Förderpreis der VolkswagenStiftung fĂŒr die beste wissenschaftliche Nachwuchspublikation des Jahres 2016 nominiert.
Frequently asked questions
- Essential is ideal for learners and professionals who enjoy exploring a wide range of subjects. Access the Essential Library with 800,000+ trusted titles and best-sellers across business, personal growth, and the humanities. Includes unlimited reading time and Standard Read Aloud voice.
- Complete: Perfect for advanced learners and researchers needing full, unrestricted access. Unlock 1.4M+ books across hundreds of subjects, including academic and specialized titles. The Complete Plan also includes advanced features like Premium Read Aloud and Research Assistant.
Please note we cannot support devices running on iOS 13 and Android 7 or earlier. Learn more about using the app.
Information
1 ThekengesprÀch in der CinémathÚque
- Kluge: [âŠ] Wenn Sie mir noch einmal kurz in Erinnerung rufen könnten, an was Sie genau arbeiten?
- CS: Gern. Ich beschĂ€ftige mich in meiner Arbeit mit Ihrem Werk aus einer philosophischen Perspektive heraus, weil meines Erachtens, und fĂŒr mich unverstĂ€ndlich, eine solche vollkommen fehlt. Ich bin davon ĂŒberzeugt, dass einem dadurch etwas Entscheidendes entgeht. Konkret gesagt, geht es mir um Kritische Theorie â und zwar als ErzĂ€hlung. Meine Arbeit wagt den Titel: âDie Fortsetzung Kritischer Theorie mit epischen Mitteln.â
- Kluge: Das ist ein sehr schöner Titel, den Sie da gewĂ€hlt haben. Vielleicht besser ânarrativâ. Obwohl, âepischâ können Sie auch sagen.
- CS: An dieser Stelle bin ich mir auch unsicher. Ich will die Verwandtschaft zum epischen Theater so gern dabei haben, auch wenn das natĂŒrlich nicht der einzige Verwandtschaftsgrad Ihrer Arbeit ist und gleichzeitig ist der Begriff auch irrefĂŒhrend, weil er so viel bedeutet, weil er anderes ausschlieĂt, was ich nicht ausschlieĂen möchte. Mit âepischâ meine ich nicht Buddenbrooks, sondern natĂŒrlich eher Brecht. Wiederum ist es ja keine Moralveranstaltung, hier habe ich eher Verfremdungseffekte, Multimedia oder den Einsatz von Musik im Sinn âŠ
- Kluge: Sie verfolgen da einen richtigen Gedanken. Das Thema, Philosophie mit ErzĂ€hlung zu begleiten, ist ein Uraltthema der Kritischen Theorie. Wenn man eine EnzyklopĂ€die je neu schreiben wĂŒrde, mĂŒsste man sie mindestens in sechs oder sechzehn Sprachen und in Dialekten gleichzeitig schreiben. Man mĂŒsste sie in einer plebejischen Ausdrucksweise und in einer individuellen gleichzeitig schreiben. Und das Cross-Mapping davon, diese Differenz davon, ist die wirkliche Information und die EnzyklopĂ€die, also die Spannung.Wenn Sie z.B. das russische Wort fĂŒr Liebe nehmen, oder fĂŒr Wasser nehmen, oder Sie nehmen das russische Wort fĂŒr Haut â das heiĂt âLederâ; aber das Chagrinleder bei Balzac ist etwas anderes als âHautâ und âLederâ sich zueinander verhĂ€lt. D.h. Sie wĂŒrden hier eine Differenz in die Sprache kriegen und damit wĂŒrde Philosophie ĂŒberhaupt ihr Ausdrucksfeld haben. Man kann nicht versuchen, in Hochsprache Philosophie allein einzufangen. Auch Hegel schreibt ja offenkundig schwĂ€bisch und Adorno schreibt eine Kunstsprache, die aber ganz schön frankfurterisch ist. In der Hinsicht ist also die Begleitung von Philosophie und die Vernetzung von Philosophie mit ErzĂ€hlung mehr als die Beispiele zur Philosophie. Sondern man muss also jeden Gedanken 17 Mal erzĂ€hlen, so wie das im Talmud auch ĂŒblich ist, also gewissermaĂen einen Kreis machen um das, was unaussprechbar ist.
- CS: Einkreisen, umzingeln, bis man es begreifen kann.
- Kluge: Richtig. Um sozusagen die Gravitation zu spĂŒren, die in einem Gedanken, einer verdichteten Haltung steckt. Und dies jetzt fĂŒr die Kritische Theorie zu machen, wĂŒrde u.a. bedeuten, dass Sie bei Walter Benjamin, bei seinem Passagen-Werk, ĂŒberlegen: Wie können wir, meinetwegen, ausgehend vom 21. Jahrhundert das 20. Jahrhundert in eine Inventarliste, so wie das Passagen-Werk das ja macht mit dem 19. Jahrhundert, kleiden? Wie können wir vom 22. Jahrhundert aus, das ja mit Gewissheit irgendwie kommt, das 21. Jahrhundert bereits im Vorgriff, weil wir im Grunde das BedĂŒrfnis haben, schnell zu sein, einfangen? Und dann wĂŒrden Sie sehen, die Frage âWas ist die Hauptstadt des 19. Jahrhunderts?ââŠ
- Beide: Paris.
- Kluge: Was wÀre die Hauptstadt des 21. Jahrhunderts? Ich weià gar nicht, ob das eine Stadt wÀre, das kann etwas anderes sein.
- CS: Das Internet vielleicht.
- Kluge: Vielleicht. Vielleicht wĂ€re es eine Beziehung zwischen etwas. Aber Lagos ist es nicht. Und Moskau auch nicht. Und Berlin auch nicht.Wenn die Dominanz des Eisens nicht so sichtbar ist heute ⊠Es ist wichtig, aber der Eifelturm, die transsibirische Eisenbahn â das ist alles Eisen. WĂ€hrend heute z.B. selten werden: Indirektheit und Silizium, und an die Stelle treten. Und die haben ja ganz andere Beziehungen als festgefĂŒgtes Eisen. Und das mĂŒsste man jetzt weiterentwickeln:
CERN ist eine Riesenmaschine, sie wĂŒrde Ihnen mit Sicherheit auffallen. Die Maschinerie Weltall, die jetzt erforscht werden kann, die dunkle Materie, die dunkle Energie, wĂŒrden in die Institutionenlehre gehören. Auf diese Weise wĂŒrde man jetzt die erzĂ€hlerische Erfindung des Passagen-Werks fortsetzen. Das ist schon Narration at itâs best: die offene Form. Aber wie transkribiert man das in unser Jahrhundert und dessen Erfahrung? - CS: Genau. Und das kann vielleicht nicht die Philosophie oder die Philosophie nicht alleine machen. Die Philosophie erklĂ€rt ja, verallgemeinert gesprochen, in Begriffen, die Literatur erklĂ€rt in sprachlichen, der Film in bewegten Bildern âŠ
- Kluge: Und jetzt mĂŒssen Sie alles das, einschlieĂlich ĂŒbrigens nach Adorno der Musik, die ja eine Kommentarfunktion hat ⊠Wenn etwas nach alter Weise tönt, will ich das hören. Wenn Keppler eine Himmelsmusik schreibt, möchte ich wissen, was das ist. Anders gesagt: Alle Formen des Ausdrucks lassen sich nochmals verbinden, um Kerngedanken der Kritischen Theorie auszudrĂŒcken, zu umkreisen, also zum gravitativen Zentrum der Kritischen Theorie Planeten, Monde und Planetoiden zu erzeugen. Und das wĂŒrde dann weiter bei Sohn-Rethel bedeuten, dass Sie die Ableitung des Apriori und des Denkens aus der ökonomischen Praxis noch einmal in ErzĂ€hlung nachvollziehen.
- CS: Das erreicht mehr Menschen.
- Kluge: Ganz viel mehr. Und sowas macht man auch nicht alleine. Aber man muss, wie bei den BrĂŒdern Grimm, bereits ErzĂ€hltes ĂŒberprĂŒfen, ob es Kritische Theorie wiedergibt. Das ist eine Sammlung fremder ErzĂ€hlung, die genauso dazugehören könnte. Es kommt erst Horkheimer und dann kommt Adorno. Jede dieser ErzĂ€hlungen von denen lĂ€sst sich in dieser Weise fortsetzen â zu mehreren. Und dass ich das tue, ist ganz sicher, also das kann ich Ihnen garantieren.
- CS: Und deshalb löst es bei mir eine Verwunderung aus, dass das nirgendwo in der Literatur, in der Forschung angekommen ist. Ihr Name steht nicht bei der Kritischen Theorie und Sie sagen ja selbst âŠ
- Kluge: Ja, aber das ist egal. Ob wo was steht, ist egal. Aber trotzd...
Table of contents
- Cover
- Titel
- Impressum
- Inhaltsverzeichnis
- âKunst der Gegenwart.
- Vorwort
- Forschungsstand, Arbeitsmethoden und Aufbau
- 1 ThekengesprÀch in der CinémathÚque
- 2 Die Fortsetzung der Kritischen Theorie mit narrativen Mitteln
- Leuchtfeuer Philosophie
- Kluge-Lexikon
- Siglen und Quellenverzeichnis
- Dank
- FuĂnoten