Liebe, Sex & Sozialismus
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Vom intimen Leben in der DDR

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Liebe, Sex & Sozialismus

Vom intimen Leben in der DDR

About this book

Liebe, Sex & Sozialismus ist eine faszinierende Auseinandersetzung mit der stillen sexuellen Revolution in der DDR und ihren Grenzen. Auf packende und unterhaltsame Weise zeigt Josie McLellan, dass im Sozialismus die ScheidungsratenRekordwerte erzielten, Abtreibung eine NormalitĂ€t wurde und die Rate der außerehelichen Geburten zu den höchsten in ganz Europa zĂ€hlte. FKK entwickelte sich vom verbannten Außenseiterhobby zum staatlich geförderten Boom, und Erotika wurden zu einer beliebten Tauschware sowohl in der offiziellen Ökonomie als auch auf dem Schwarzmarkt. Die öffentliche Diskussion ĂŒber SexualitĂ€t wurde dennoch strikt kontrolliert, und es gab nur eingeschrĂ€nkte Möglichkeiten, Grenzen traditioneller Geschlechterrollen oder Sexualnormen zu ĂŒberschreiten. Das vorliegende Buch ĂŒber "die schönste Nebensache der (DDR-)Welt" stellt eine herausragende Studie dar und leistet einen wegweisenden Beitrag zum VerstĂ€ndnis des emotionalen Alltagslebens in der DDR. Es hinterfragtliebgewordene Überzeugungen hinsichtlich der Beziehung zwischen SexualitĂ€t, Politik und Gesellschaft und veranschaulicht, dass die Einwohner der DDR trotz Repressionen ĂŒber ein großes Maß an persönlicher Freiheit und Autonomie im sexuellen Bereich verfĂŒgten.

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1. EinfĂŒhrung –
Die sexuelle Revolution in der DDR
»Wir hatten mehr Sex, und wir hatten mehr zu lachen«, sagte die Schauspielerin Katharina Thalbach im November 2008 rĂŒckblickend auf ihr Leben in der DDR.1 Eine erstaunliche Feststellung, nicht zuletzt deswegen, weil Thalbach, eine Gegnerin des DDR-Regimes, die DDR mitten in einem politischen Aufruhr 1976 verlassen hatte und ihr die Wiedereinreise fĂŒr die nĂ€chsten zehn Jahre untersagt worden war. Dennoch ging in ihrer Erinnerung an das Leben in der DDR die politische UnterdrĂŒckung mit der sexuellen Befreiung einher. Das wird auch von Roman­autor Thomas Brussig gespiegelt, der ein neiderregendes Bild menschlicher Beziehungen in der DDR zeichnet, die getragen gewesen seien von Liebe und gegenseitigem Re­spekt. Die Ostdeutschen, so argumentiert er, seien »freigiebig und tolerant«, »freier und kooperativer« sowie weniger »wachsam und misstrauisch« als Westdeutsche gewesen.2 Solche EindrĂŒcke beschrĂ€nken sich nicht auf DDR-KĂŒnstler. Normale Ostdeutsche, 2007 und 2008 befragt, Ă€ußerten spontan Ă€hnliche Erinnerungen an die »Fröhlichkeit dieser Jahre« und an eine »SexualitĂ€t ohne Tabus«. Eine Befragte urteilte: »Nicht alles war gut in der DDR, aber im Prinzip konntest du deine SexualitĂ€t frei ausleben.«3
Diese Aussagen haben etwas Beunruhigendes. Sie widersprechen der Vorstellung, dass das Leben im Ostblock grau und freudlos war und dass es zwischen der Arbeit am Fließband und den Schlangen vor den GeschĂ€ften nur wenige Gelegenheiten zum GlĂŒcklichsein gab. Sie vermitteln auch einen ĂŒberraschenden Grad an Autonomie im Privatleben, im Gegensatz zu den Überzeugungen des 20. Jahrhunderts, dass autoritĂ€re Regimes der SexualitĂ€t gegenĂŒber grundsĂ€tzlich feindselig eingestellt seien. Nicht umsonst brĂŒstet sich O’Brien, der Folterer Winstons Smiths in 1984: »Wir werden den Orgasmus abschaffen. Unsere Neuro­logen arbeiten schon daran, (
), es wird keine Liebe mehr geben, außer der Lieben zum Großen Bruder.«4 Orwells Anti-Sex-Liga, so scheint es, wurde in der DDR nicht in die RealitĂ€t umgesetzt. Aber einige Darstellungen gehen noch deutlich weiter als das und legen sogar nahe, dass das Leben hinter dem Eisernen Vorhang auf manche Weise angenehmer war als das Leben im Westen. Nach Ansicht vieler schuf der ostdeutsche Sozialismus Bedingungen, die die IntimitĂ€t förderten und verbesserten, beispielsweise durch die finanzielle UnabhĂ€ngigkeit der Frauen und den Mangel an Sexspielzeug und Pornographie.5 Befreit von ökonomischer und ideologischer UnterdrĂŒckung, waren Frauen in der Lage, Beziehungen zu MĂ€nnern auf der Basis von gegenseitigem Vertrauen und Respekt aufzubauen. Wolfgang Engler schrieb in seinem bekannten Buch Die Ostdeutschen. Kunde von einem verlorenen Land, »selten war die Liebe sozial unbelasteter«.6
Die Anschauung, dass der Sozialismus die IntimitĂ€t begĂŒnstigte und sogar ermöglichte, ist jedoch höchst umstritten. Es gibt andere Darstellungen, denen zufolge das Leben im Sozialismus in sexuellen Angelegenheiten grundlegend von Repression geprĂ€gt war. Briefe, welche die westdeutsche Sexshop-Magnatin Beate Uhse nach dem Fall der Mauer erhielt, enthielten bittere Klagen darĂŒber, wie sehr das Leben im Osten von PrĂŒderie verdorben gewesen sei, und schwĂ€rmten von der durch den Zusammenbruch des Sozialismus ermöglichten sexuellen Befreiung Ostdeutschlands.7 Das DDR-Regime hatte tatsĂ€chlich rigide moralische Standards festgelegt und zögerte nicht, in Beziehungen einzugreifen, die als GefĂ€hrdung fĂŒr die soziale Ordnung angesehen wurden. Überwachungsmaßnahmen der Stasi konnten die PrivatsphĂ€re vollstĂ€ndig aufheben, besonders bekannt geworden im Fall von Vera Wollenberger, die von ihrem eigenen Ehemann systematisch ausspioniert wurde.8 Auch nach der Entkriminalisierung von HomosexualitĂ€t blieben gleichgeschlechtliche Beziehungen im öffentlichen Leben so gut wie unsichtbar. Schwule und Lesben waren auf private Netzwerke angewiesen, wenn es um UnterstĂŒtzung, Beratung und Kontakt mit Gleichgesinnten ging.9
Somit haben wir auf der einen Seite die Darstellung von UnterdrĂŒckung, die einen Mangel an PrivatsphĂ€re betont und folglich eine hemmende Wirkung auf persönliche Beziehungen. Auf der anderen Seite bekrĂ€ftigen »verklĂ€rende« RĂŒckblicke, dass die staatliche Einmischung ins Privatleben kaum bemerkbar war und dass die obrigkeitlichen Maßnahmen teils sogar begĂŒnstigend fĂŒrs Intimleben waren. Versucht man nun allerdings, zu erkunden, ob die DDR-SexualitĂ€t »gut« oder »schlecht« war, begibt man sich auf ein recht nutzloses Unternehmen.10 Vordringlicher ist es, die dramatischen VerĂ€nderungen zu analysieren, die in den (hetero-)sexuellen DDR-Sitten und -BrĂ€uchen stattfanden. Zwischen der GrĂŒndung der Deutschen Demokratischen Republik 1949 und ihrem Zusammenbruch 1989 stiegen die Scheidungs- und die Abtreibungsrate steil an, ebenso wie die Rate der außerehelichen Geburten. Nacktbaden entwickelte sich vom Hobby einiger weniger zur umfassenden Bewegung. Nacktfotografie, in den frĂŒhen Jahren des Kalten Krieges im Osten komplett verboten, wurde zum Thema staatlich geförderter Kurse und großangelegter Ausstellungen. Das zentrale Anliegen des vorliegenden Buches ist es daher, diese VerĂ€nderungen zu analysieren und ihre Grenzen auszuloten.
Wie schon angemerkt, stellen die VerĂ€nderungen in den ostdeutschen Haltungen gegenĂŒber SexualitĂ€t und Körper einige unserer grundlegenden Annahmen ĂŒber den Zusammenhang von SexualitĂ€t, Politik und Gesellschaft in Frage. Generell wissen wir immer noch viel zu wenig ĂŒber das alltĂ€gliche GefĂŒhlsleben der EuropĂ€er nach 1945.11 Wie Dagmar Herzog 2009 in einem brillanten Aufsatz gezeigt hat, ist »eines der Gebiete, das wir bis heute am wenigsten verstehen, die lange sexuelle Revolution in der zweiten HĂ€lfte des 20. Jahrhunderts«.12 Das vorliegende Buch setzt sich zum Ziel, zu dieser im Aufwind befindlichen Historiographie beizutragen, welche, gemĂ€ĂŸ den Vorstellungen von Herzog, sowohl nationale Besonderheiten als auch transnationale Trends und EinflĂŒsse in den Blick nehmen soll. Die sexuelle Revolution im Westen wird ĂŒblicherweise mit den liberalisierenden Tendenzen in Regierung und Zivilgesellschaft in Verbindung gebracht. Als die Gesellschaften des 20. Jahrhunderts demokratischer wurden, so lautet die Theorie, wurde auch die Haltung zur SexualitĂ€t freizĂŒgiger. Eine Ă€hnliche Liberalisierung der SexualitĂ€t in der DDR jedoch stellt die direkte Verbindung zur Demokratisierung in Frage, zumal angesichts der Tatsache, dass viele der Dinge, von denen angenommen wird, dass sie die sexuelle Revolution im Westen vorantrieben, wie eine freie Presse, die Sexindustrie, die Studentenbewegung, die unabhĂ€ngige Justiz, im Osten fehlten. War die Nachkriegsgeschichte in West- und Osteuropa trotz der sehr unterschiedlichen politischen Systeme und ihrer spezifischen Sozialgeschichte am Ende etwa Ă€hnlicher verlaufen, als auf den ersten Blick zu erkennen ist? Auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs teilten EuropĂ€er jedenfalls vergleichbare soziale Erfahrungen zunehmenden Wohlstands, der Urbanisierung, der SĂ€kularisierung und gesteigerter MobilitĂ€t. Welche Auswirkungen hatten solche UmwĂ€lzungen auf intime Beziehungen? Gas es etwas Besonderes an der ostdeutschen IntimitĂ€t? Was sagt es uns darĂŒber, wie es wirklich war, im Sozialismus zu leben? Welches Licht wirft es darauf, wie und warum sich die Haltungen zur SexualitĂ€t Ă€nderten? Die Unterschiede und die Gemeinsamkeiten zwischen West und Ost auszumachen und im Hinblick auf den Osten Deutschlands zu verstehen, wird uns helfen, die Geschichte des Nachkriegsintimlebens umfassender zu begreifen.
Sex und Liebe im Ostdeutschland der
Nachkriegszeit
Es ist unmöglich, das Ausmaß der VerĂ€nderungen nachzuvollziehen, wenn man die Lebensbedingungen in der FrĂŒhphase der DDR nicht berĂŒcksichtigt. Die ersten Jahre des ostdeutschen Sozialismus waren nicht besonders vorteilhaft fĂŒr Sex und IntimitĂ€t. Das Ende des Zweiten Weltkriegs wurde begleitet von sexueller Gewalt und familiĂ€ren UmbrĂŒchen von bis zu diesem Zeitpunkt ungekannten Ausmaßen.13 UnzĂ€hlige deutsche Frauen und MĂ€dchen wurden von Soldaten der Roten Armee wĂ€hrend der letzten Kriegsmonate und den ersten Jahren der Besatzungszeit vergewaltigt.14 Millionen Familien befanden sich auf der Flucht, zwangsumgesiedelt aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten oder weil sie ihre Wohnungen durch die alliierten Bombardements verloren hatten. Millionen deutscher MĂ€nner befanden sich in Kriegsgefangenenlagern in der Sowjetunion und kamen erst Jahre nach dem Kriegsende zurĂŒck.15 Millionen von Frauen, im Unklaren, ob ihre MĂ€nner zurĂŒckkehren wĂŒrden, waren jahrelang auf sich allein gestellt.16 FĂŒr einige von ihnen blieb Pros­titution die einzige Möglichkeit, den Lebensunterhalt zu verdienen.17 Aber auch Familien, die wieder vereint worden waren, kĂ€mpften damit, sich erneut zusammenzufinden: EhemĂ€nner und Ehefrauen hatten sich oft wĂ€hrend der Trennung durch die Kriegsjahre auseinandergelebt, und die beengten WohnverhĂ€ltnisse machten es schwierig, wieder eine gemeinsame IntimitĂ€t aufzubauen. Auch der Staat half solchen Paaren nur wenig. Der Nachdruck, den das DDR-Regime vor allem anderen auf ideologischen und wirtschaftlichen Wiederaufbau legte, war schon in den ersten Zeilen der neuen Nationalhymne angelegt: »Auf­erstanden aus Ruinen und der Zukunft zugewandt  « Die Etablierung des Sozialismus wĂŒrde, so legte es die orthodoxe marxistische Lehre nahe, unweigerlich zu privatem GlĂŒck fĂŒhren; bis dahin wurde von den BĂŒrgern erwartet, individuelle VergnĂŒgungen aufzuschieben und sich der gewaltigen Aufgabe des Aufbaus eines »besseren Deutschlands« zu widmen.
Das Thema Sex wurde zusĂ€tzlich von den Ereignissen der Vergangenheit ĂŒberschattet. Die einzigartige Sexualkultur der Weimarer Republik war teilweise von deutschen Kommunisten toleriert oder sogar unterstĂŒtzt word...

Table of contents

  1. Cover
  2. Über den Autor
  3. Inhalt
  4. 1. EinfĂŒhrung – Die sexuelle Revolution in der DDR
  5. 2. »Ein bisschen Freiheit« – Sex und Jugendliche
  6. 3. Ehe und Monogamie
  7. 4. »Die Diktatur der Liebe« – Sex, Liebe und staatliche Scheinheiligkeit
  8. 5. Lesben, Schwule undder Kampf umdie öffentliche SphÀre
  9. 6. Die nackte Republik – FKK
  10. 7. Sexbilder – DDR-Erotika
  11. 8. Fazit – »Raum fĂŒr Liebe«?
  12. Danksagungen
  13. Interviewfragen
  14. Interviews
  15. Bildnachweis