
- 183 pages
- English
- ePUB (mobile friendly)
- Available on iOS & Android
About this book
"Power Frauen" oder "Emanzipation macht Angst": Im Jahr 1977 erschien das Kursbuch 47, das – ganz schlicht – Frauen hieß und neben diesen 11 weitere Artikel verschiedenster Autorinnen versammelte. 40 Jahre und etliche Nummern später schließt nun das aktuelle Kursbuch 192 mit dem ebenso schlichten Titel Frauen II an. In ihm schreiben wieder ausschließlich Frauen, wieder über die vielfältigen Konstellationen im Gefüge Frau-Gesellschaft – und doch sind sie ganz anders als 1977. Dass die sogenannte "Frauenfrage" von einst sich selbst überholt hat – so viel ist klar. Das bedeutet aber nicht, dass sie sich erledigt hat. Sie muss in Zeiten von Genderdebatten, Feminismus und #MeToo nur ganz neu gedacht werden. Mit Beiträgen von Margarete Stokowski, Sonja Zekri und Jasmin Siri.
Frequently asked questions
- Essential is ideal for learners and professionals who enjoy exploring a wide range of subjects. Access the Essential Library with 800,000+ trusted titles and best-sellers across business, personal growth, and the humanities. Includes unlimited reading time and Standard Read Aloud voice.
- Complete: Perfect for advanced learners and researchers needing full, unrestricted access. Unlock 1.4M+ books across hundreds of subjects, including academic and specialized titles. The Complete Plan also includes advanced features like Premium Read Aloud and Research Assistant.
Please note we cannot support devices running on iOS 13 and Android 7 or earlier. Learn more about using the app.
Information
Anti-Genderismus
Über das Feindbild Geschlechterforschung
- Da wäre zunächst die katholische Kirche zu nennen. Als 2011 in den französischen Schulbüchern die sexuelle Identität nicht nur biologisch, sondern auch soziokulturell erklärt werden sollte, protestierten 100 Politiker der konservativen, katholisch geprägten UMP lautstark. Es handle sich um eine »unwissenschaftliche These«, schrieben sie,2 und sie erhielten Rückendeckung vom französischen Berater des Vatikans für Familienfragen, der Gender als eine »totalitäre Ideologie« beschrieb, »die repressiver und schädlicher als der Marxismus ist«.3 Später stimmte auch Papst Franziskus in den Kanon ein, als er der Gender-Theorie vorwarf, einen »Weltkrieg zur Zerstörung der Ehe« zu führen.4 In Deutschland unterstellt die katholische Publizistin Gabriele Kuby den Gender Studies, nicht nur die »überlieferten Wertsysteme aller Kulturen und Religionen zu zerschlagen«, sondern sogar die Weltherrschaft anzutreten. »Was einst der ›dialektische Materialismus‹ an den Hochschulen der DDR war, das ist heute die Gender-Ideologie an den Ausbildungsstätten des akademischen Nachwuchses, welche sich darauf vorbereiten, die Führungspositionen in dieser Gesellschaft zu übernehmen.« 5 Ihr Buch Die globale sexuelle Revolution. Zerstörung der Freiheit im Namen der Freiheit wird von der katholischen Kirche vertrieben und wurde zu Hunderten von Exemplaren an Politiker versandt. Für Kuby ist Gender ein »neuer Totalitarismus«, der »insbesondere gegen Christen gerichtet« sei.6
- Auf der evangelischen Seite ist das Urteil eher gespalten. Während der Ratsvorsitzende der EKD, Heinrich Bedford-Strohm, in der Homo-Ehe (die eng mit der Flexibilisierung der Geschlechterkategorien zusammenhängt) eine Werbung für die Einrichtung Ehe überhaupt sieht, gehörte Angela Merkel bei der Parlamentsabstimmung im Juli 2017 über die Ehe für alle zu denen, die gegen die Gesetzesänderung stimmten. Allerdings hatte sie selbst die Parlamentsabstimmung zu dieser Frage eingeleitet. Die Evangelikalen (die vor allem in den USA eine wichtige Rolle spielen) sprechen sich strikt dagegen aus.
- In der Politik wird der Anti-Genderismus inzwischen in die Parteiprogramme fast aller populistischen Parteien Europas und rechter Bewegungen in den USA geschrieben.7 Aber es gibt auch Ausnahmen. So hat Geert Wilders’ rechtspopulistische Partei für die Freiheit keine Einwände gegen die liberale Gesetzgebung der Niederlande zu Geschlechterfragen, wohl aber instrumentalisiert er diese Liberalität, um gegen den Islam zu polemisieren.8
- Konservative Intellektuelle wie der Franzose Dominique Venner werfen wiederum die Aufhebung der alten Geschlechterordnung in einen Topf mit der Unterwanderung der französischen Gesellschaft durch den Islam. Am 21. Mai 2013 erschoss er sich vor dem Hochaltar der Kathedrale Notre-Dame de Paris. Zuvor hatte er einige Briefe auf den Altar gelegt und auf seinem Blog verkündet, dass nun endlich »Taten den Worten folgen« müssen. Venner hinterließ eine Art testamentarisches Radiogespräch, in dem er sagte: »Ich liebe das Leben und erwarte nichts darüber hinaus, wohl aber hoffe ich auf die Perpetuierung meiner Rasse und meines Geistes.« Zu Venners Feindbildern gehörten Angst vor Überfremdung wie auch das gerade von der französischen Nationalversammlung erlassene Gesetz zur Legitimierung der Homosexuellen-Ehe. »Ich erhebe mich gegen die Vergiftung der Seele und das wuchernde Begehren von Einzelnen, das unsere Identitätsverankerung und vor allem die Familie zerstört.« 9
- Die deutsche Schriftstellerin und Literaturkritikerin Sibylle Lewitscharoff wiederum sieht das Abendland aus einer anderen Ecke bedroht. Am 2. März 2014 hielt sie einen Vortrag im Staatsschauspiel Dresden, in dem sie polemisch gegen lesbische Paare, die »sich ein Kind besorgen«, indem ein anonymer oder befreundeter Mann »herangezogen wird, um sein Sperma abzuliefern«, wettert. Sie erhebt sich gegen die »Selbstermächtigung der Frauen«, für die es zweifellos »am schönsten« wäre, »man könnte den Samen selbst auch noch künstlich erzeugen und mit einem im Voraus definierbaren Bündel an erwünschten Merkmalen ausstatten«. (Die Elternschaft männlicher homosexueller Paare thematisiert sie seltsamerweise gar nicht.) Sie attackiert ganz allgemein die Praxis der Reproduktionsmedizin: Diese sei »vom Teufel ersonnen«; die Kinder, die auf »solch abartigen Wegen« entstehen, werden von ihr als »Halbwesen« und »nicht ganz echt« bezeichnet: »zweifelhafte Geschöpfe, halb Mensch, halb Weißnichtwas«.10 (Lewitscharoff, die sich, wie Venner, auf die Werte der christlichen Gesellschaft beruft, übersieht freilich, dass ein Gutteil der modernen Reproduktionsmedizin wie die säkulare Umsetzung christlicher Dogmen daherkommt. Besonders deutlich zu erkennen an der Jungfrauengeburt, bei der dank In-vitro-Fertilisation aus einer christlichen Lehre praktizierte Medizin geworden ist – eine Erbschaft, die sich einige Teilnehmer der großen Pariser Demo von 2013 für die Zulassung der Homo-Ehe nicht entgehen ließen: Sie trugen ein Transparent mit der Aufschrift: »Jésus avait deux pères et une mère porteuse« – Jesus hatte zwei Väter und eine Leihmutter.)
- Der Anti-Gender-Diskurs der Konservativen hindert einige Linksliberale und Aufgeklärte nicht, die Gender Studies wiederum für den Aufstieg der Populisten verantwortlich zu machen. So etwa Hans Monath, der im Dezember 2016 im Tagesspiegel schrieb: »Wer als Scheinselbstständiger zwölf Stunden am Tag Amazon-Pakete ausfährt, wer das Geld für die Klassenfahrten seiner Kinder nicht aufbringen kann, auch wer ein gutes Einkommen hat, aber von Abstiegsängsten geplagt wird, empfindet die Emanzipationsideale der gut ausgebildeten, linksliberalen Eliten schnell als Kriegserklärung von oben.«11 D...
Table of contents
- Armin Nassehi | Editorial
- Sonja Zekri | Brief einer Leserin (20)
- Margarete Stokowski | Stadt, Land, Fluss beim Sex. Mein Leben als feministische Kolumnistin
- Christina von Braun | Anti-Genderismus. Über das Feindbild Geschlechterforschung
- Tatjana Schönwälder-Kuntze | Antigones Verletzungen. Anmerkungen zum Gender Trouble bei Judith Butler
- Barbara Thiessen | »Entlastet von häuslichen Pflichten«. Ein trügerisches Emanzipationsideal
- Moshtari Hilal | Das Mädchen mit dem Damenbart
- Paula-Irene Villa | »Frauen«. Warum es sie gar nicht gibt und man trotzdem über sie redet
- Gertrud Lehnert | Der kleine Unterschied. Weibliche Modelust und männlicher Modefrust
- Shila Meyer-Behjat | Eine Qual hinter dem Vorhang. Das starke Leben der persischen Feministin Tahiri
- Karin Reschke | Power Frauen! Zum Wiederabdruck meines Essays aus dem Kursbuch 47. Frauen, 1977
- Jasmin Siri | Rechte Frauen. Ein Blick hinter unsichtbare Fassaden
- Widad Nabi | Eine Frau am Spreeufer. Geschichte und Gedichte
- Die Autorinnen
- Impressum