Kursbuch 186
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Rechts. Ausgrabungen

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Rechts. Ausgrabungen

About this book

Was ist die "Neue Rechte"? Wie erklĂ€rt sich der Erfolg der AfD? Warum bringt die Gleichsetzung von Islam und Faschismus WĂ€hlerstimmen? Wie kann Islam-Bashing zu einem lukrativen GeschĂ€ft werden? Die Autoren des Kursbuchs 186 begeben sich auf Expedition in die (Un-)Tiefen der rechten Ideologien. Unter einer Ausgrabung versteht der Duden das systematische, wissenschaftliche Ausgraben und Freilegen von GegenstĂ€nden. Und genau darum geht es: Die Autoren versuchen in ihren BeitrĂ€gen, die tiefen Sedimentschichten rechter Ideologien freizulegen. Mit BeitrĂ€gen von Daniel Bax, Hans HĂŒtt, Armin Nassehi, Rainer Joedecke, Angela Wierig, Liane Bednarz, Barbara Vinken, John Stuart Mill, Peter Felixberger und Jens-Christian Rabe.

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Armin Nassehi
Nicht nur die Rechten
Warum die Moderne so anstrengend ist
Die Bundesrepublik hat sich im europĂ€ischen Vergleich stets gerĂŒhmt, dass es hierzulande bis dato keiner rechten Partei gelungen sei, sich im parlamentarischen System zu etablieren. Vielleicht sind also die jĂŒngsten Wahlerfolge der AfD als eine Art europĂ€ische Normalisierung zu verstehen, nachdem eine offenkundig rechte, wenigstens stark rechtskonservative politische Kraft sich in den Parlamenten einzurichten beginnt. Freilich ist das ebenso wenig ein Grund dafĂŒr, das Abendland untergehen zu sehen, wie es die Einwanderungs- und Fluchtfolgen der letzten Jahre gewesen sind. Die öffentliche Panik und der entsprechende Alarmismus in der öffentlichen Debatte verweisen denn auch auf etwas anderes als nur die Frage, was sich da im politischen Spektrum abbildet. Vielleicht ist es ein Hinweis darauf, wie anstrengend die Moderne ist – was ĂŒbrigens ein Topos ist, der seit Beginn der sozialwissenschaftlichen Reflexion ĂŒber Modernisierungsprozesse diskutiert wird. Vielleicht sollte man dieser »Angestrengtheitsdiagnose« einmal nachgehen, um zu verstehen, warum »rechte« Reflexe derzeit so gut funktionieren – und warum sie womöglich darin unterschĂ€tzt werden, gar nicht das »ganz andere« zu sein. Vielleicht ist das, was hinter dem AfD-Syndrom steht, reprĂ€sentativ fĂŒr die Reaktion der Moderne auf sich selbst. Und womöglich sind die VerĂ€chter der rechten KleinbĂŒrger diesen Ă€hnlicher, als sie es sich in ihren schlimmsten TrĂ€umen ausmalen können. Die AfD sei dafĂŒr nur als Seismograf genommen, als eine Art MessgerĂ€t, Ă€hnlich einem Hirnscanner, der auf AktivitĂ€t hinweist, ohne dass wir gleich wissen, was diese AktivitĂ€t konkret bedeutet, durch welche Wechselwirkungen sie zustande gekommen ist und ob sie tatsĂ€chlich das reprĂ€sentiert, was auf den ersten Blick darin zu sehen ist. Sehen kann man zunĂ€chst nur, wo es feuert (so jedenfalls scheint es sich bei den meisten Hirnscans zu verhalten, weswegen auch die Hirnwissenschaft eine Art hermeneutischer Wissenschaft ist, die mehr deuten als wahrnehmen und erklĂ€ren kann).
Meine Argumentation wird, das sei hier schon angedeutet – besser: angedroht – geradezu ungerecht sein, ĂŒbertreiben, angeblich Inkommensurables mit einem Maß vermessen. Und es wird sich zeigen: Es fĂŒgt sich demselben Maß.
Ein Debattenscan
Wo feuert es derzeit in der öffentlichen Debatte? Die Liste der Themen liest sich wie ein Angstszenario vor wachsender UnĂŒbersichtlichkeit – von der Angst vor dem »Bevölkerungsaustausch« durch Fluchtbewegungen und Einwanderung ĂŒberhaupt ĂŒber den Generalverdacht gegen alles Islamische bis zur Kritik am »Genderwahn«, wie es genannt wird; vom »Euro« als Symbol fĂŒr den Verlust nationaler SouverĂ€nitĂ€t ĂŒber die Kritik an der Hochfinanz und der darin symbolisierten internationalen Verflechtung bis zur generellen Elitenkritik; von Klimaskepsis ĂŒber Kritik an der kulturellen und militĂ€rischen Westbindung bis zur generellen Medienkritik (»LĂŒgenpresse«); von der Abwertung traditioneller Familienbilder bis zur Aufwertung abweichender Lebens- und Liebesstile. Diese Liste ist tatsĂ€chlich eine Liste, deren Punkte sich auf typische Modernisierungserfahrungen kaprizieren – auf WidersprĂŒchlichkeiten, auf UnĂŒbersichtlichkeit, auf die Unkalkulierbarkeit von Rollen, auf die Optionssteigerung von Lebensmöglichkeiten, auf sozialmoralischen Pluralismus, auf den Verlust kollektiver SelbstverstĂ€ndlichkeiten, auf Steuerungs- und Kontrolldefizite und auf ein allgemeines Unbehagen.
Sigmund Freud hat in seiner Schrift Das Unbehagen in der Kultur von 1929 einige dieser ÜberlastungsgefĂŒhle recht drastisch dargestellt. Dabei geht es vor allem um die Dialektik von LiebesbedĂŒrfnis und kollektiver Handlungskoordination. Es geht also darum, ob das von Freud psychologisch beschriebene BedĂŒrfnis nach Bindung und Befriedigung der eigenen BedĂŒrfnisse in ĂŒberindividuellen Einheiten aufgehoben werden kann – psychoanalytisch gesprochen: welche Abstraktionsmöglichkeiten das Über-Ich aushalten kann. »Kultur« wĂ€re dann der Gegensatz zu individueller Freiheit in dem Sinne, dass höhere Abstraktion und KomplexitĂ€t der Kultur auch eine höhere Abstraktionsform der Sublimierung erfordert.29 Und »Kultur« im freudschen Sinne wĂ€re dann ein steigerbarer Sachverhalt, der mit der Abstraktionshöhe dessen, was an Gemeinsamkeit zumutbar ist, wĂ€chst. Insofern könnte man es auf die Formel bringen: Je differenzierter eine soziale Einheit ist, das heißt, je unĂ€hnlicher ihre Teile sich sind, desto abstrakter lĂ€sst sich das Gemeinsame nur ausdrĂŒcken und desto stĂ€rker ist dann folglich das Unbehagen. So gesehen war noch nie mehr »Kultur« als heute und noch nie mehr Grund fĂŒr Unbehagen.
Ähnlich aktuell scheinen heute die Studien zum autoritĂ€ren Charakter30 zu sein, dessen an AutoritĂ€ten und unbedingten Zugehörigkeiten orientierter Sozialtyp als einer beschrieben wird, der sich der individualisierenden Differenziertheit der Moderne nicht stellt und dafĂŒr kompensierende Formen des Aufgehobenseins in etwas Unbefragtem sucht, das eben nicht weiter problematisiert werden muss. Die AktualitĂ€t dieses Sozialtyps lĂ€sst sich an vielem rekonstruieren, was die heutigen Rechten auch ausmacht, vor allem aber: die Unbedingtheit der Zugehörigkeit und die Unterwerfung unter AutoritĂ€ten als eine Art LetztbegrĂŒndung zu fĂŒhren.
Sieht man sich den Themenkatalog der AfD nun als jene AktivitĂ€tsstellen auf unserem Scan an, so verweisen diese tatsĂ€chlich allesamt auf diese Distanz zwischen Nah- und Fernraum, auf die Differenziertheit von Lebensformen und die Abstraktionsgrade von Beschreibungen. Mir ist es hier nun nicht um eine psychoanalytische Interpretation der Situation zu tun, zumal es umstritten ist, ob man Freuds Studie als Kritik an konkreten gesellschaftlichen VerhĂ€ltnissen lesen kann oder ob sie eher als Dokument einer grundlegenden anthropologischen Zerrissenheit zu sehen ist. Mir kommt es hier eher auf ein Beschreibungsmotiv an, dessen PlausibilitĂ€t sich historisch als eine Art »Burn-out-Geschichte« der Moderne lesen lĂ€sst – deren jĂŒngstes Symptom die semantischen und praktischen Reaktionen derzeitiger europĂ€ischer Öffentlichkeiten sind, die sich die Wunden jenes Überlastungssyndroms lecken und genau das beklagen, was Freud in Unbehagen in der Kultur angedeutet hat: die Differenzerfahrung zwischen Nah- und Fernraum und die fehlenden VerarbeitungskapazitĂ€ten fĂŒr diese KomplexitĂ€tssteigerungen.
Burn-out? Das Überlastungssyndrom, das gerade Erfolgsmenschen mit differenzierten Aufgaben außer Kraft setzt, tritt dann auf, wenn die Synchronisation zwischen eigenen Aufgaben und den Ressourcen (zeitlicher, organisatorischer, wirkungsmĂ€chtiger, technischer, kapazitativer Natur) zur Erledigung der Aufgaben nicht mehr gegeben ist und wenn das GefĂŒhl entsteht, dass man nicht zum Ende kommt, weil jede Lösung die Grundlage eines neuen zu lösenden Problems ist. Burn-out tritt auf, wenn Dinge zusammengebracht werden, die nicht zusammengehören oder nicht zusammenpassen, aber deswegen nicht einfach verschwinden. Burn-out ist ein Morbus desynchronisationis. Es tritt, weil es nur als Berufskrankheit sozial anschlussfĂ€hig ist, diagnostizierbar und behandelbar nur in Organisationen auf – wird aber auch in Familien, im Freizeitverhalten und im alltĂ€glichen Leben beobachtet. Und scheint so etwas wie ein allgemeines LebensgefĂŒhl zu sein – wenigstens eine sehr plausible Selbstbeschreibung, die genau das kompensiert, was ich soeben mit Freuds Unbehagensdiagnose angedeutet habe. Dass die Dinge nicht zusammenpassen, nicht aus einem Guss sind, sich keiner plausiblen Gesamtgestalt fĂŒgen – das scheint die plausibelste Beschreibung des modernen Überforderungssyndroms zu sein. Und es ist nach meinem DafĂŒrhalten die Grundlage dafĂŒr, dass der rechtspopulistische Themenkatalog trotz inhaltlicher InplausibilitĂ€t fĂŒr viele so plausibel ist. Er ist nĂ€mlich so etwas wie ein Anti-Burn-out-Notkoffer, weil er eine Gesellschaft aus einem Guss verheißen will – wenigstens als Notdosis: eine Gesellschaft aus eher Ähnlichen, ein Wirtschaftsraum nur fĂŒr uns, SolidaritĂ€t nur unter ohnehin schon Solidarischen, MĂ€nner, die wie MĂ€nner sind, vor allem aber Frauen, die wie Frauen sind, Liebe zu fremden Kulturen dort, wo sie hingehören, keine Verunsicherungen durch neumodische Kulturangebote, und bitte keine LĂŒgenpresse, die einfach nicht schreiben will, was wir immer schon wussten. Es geht ein wenig darum, die Monster unterm Bett unsichtbar zu machen. Das hört sich wie Polemik an, ist aber gar nicht so gemeint, denn vielleicht hat die Moderne die Monster unterm Bett nur anders angeordnet. Zuvor waren sie durch moralisches Wohlverhalten, durch Ähnlichkeit, durch den Bann der Tradition und die rituelle BĂ€ndigung metaphysischer Unsicherheiten wenigstens in Schach zu halten. Jetzt laufen sie auf Augenhöhe ĂŒberall herum – als das pluralistische andere, das nicht mehr gebannt werden kann, sondern nun arbeitsteilig zu integrieren ist. Der migrantische Fremde ist nur ein kleiner Teil dieser Bedrohung des anderen. Die Emanzipation der Monster unter den Betten – das scheint die Geschichte der Moderne zu sein. Es ist der Verlust jener Sicherheiten, mit denen wir unseren Kindern wider besseres Wissen abends gesagt haben, dass alles gut werden wird. Das produziert jene Überlastungserfahrungen, fĂŒr die wir offensichtlich noch keine Geschichten haben, die die Monster unsichtbar werden lassen.
Kein Hauptseminar!
Nein, wirklich kein Hauptseminar – aber interessant ist, dass ein Blick in die erste Generation sozialwissenschaftlicher Theorien der gesellschaftlichen Moderne bereits eine Traditionsbildung fĂŒr die Beschreibung der Moderne als Überlastungs- und Verlusterfahrung erkennen lĂ€sst. Die Beschreibungen setzen vor allem an den Strukturen einer Tradition an, die wenigstens so tun konnte, als sei die Welt aus einem Guss, und diagnostizieren eine Welt, die tatsĂ€chlich aus den Fugen geraten ist – sie beschreiben kaum neue Fugen und Anordnungen, sondern vor allem den Verlust der alten Fugen und kompensatorische Möglichkeiten, diese alten Fugen, sagen wir: Funktionen, wenigstens zu ersetzen.
Die Geschichte der sozialwissenschaftlichen Selbstreflexion der gesellschaftlichen Moderne ist wirklich voller solcher »Burn-out-Diagnosen«. Denn diese Reflexionsform war keineswegs so etwas wie eine Hurra-Bewegung, keine wirkliche Willkommenskultur der Moderne gegenĂŒber, sondern eher eine skeptische Beschreibung von Verlusterfahrungen und Kompensationsmechanismen, die sich mit dem Untergang der alten Welt kalkulierbarer NahrĂ€ume eingestellt haben. Eine kleine, durchaus ĂŒberzeichnete Tour d’Horizon möge das verdeutlichen. Emile Durkheim, der BegrĂŒnder der frankophonen Soziologie, hat die Herausforderung so beschrieben:
»Tiefgreifende VerĂ€nderungen haben sich innerhalb sehr kurzer Zeit in der Struktur unserer Gesellschaften vollzogen. Sie haben sich mit einer Geschwindigkeit und in einem Ausmaß vom segmentĂ€ren Typus befreit, fĂŒr welche die Geschichte kein anderes Beispiel bietet. Folglich ist die Moral, die diesem Sozialtypus entsprach, verkĂŒmmert, ohne dass sich an deren Stelle die neue genĂŒgend rasch entwickelt hat. [
] Das individuelle Urteil hat sich vom Kollektivurteil gelöst. Andrerseits aber haben die Funktionen, die sich im Verlauf des Umschwungs voneinander getrennt haben, noch keine Zeit gehabt, sich einander anzupassen; das neue Leben, das sich plötzlich entfaltet hat, h...

Table of contents

  1. Armin Nassehi – Editorial
  2. Jens-Christian Rabe – Brief eines Lesers (14)
  3. Peter Felixberger – Rechts! Zwo! Drei! Vier!
  4. Daniel Bax – Feindbild: Islam
  5. Hans HĂŒtt – Auf dem Weg in die Tyrannei
  6. Armin Nassehi – Nicht nur die Rechten
  7. Rainer Joedecke – Willkommen in Hoyerswerda
  8. Angela Wierig – Nazis in Sicht
  9. Liane Bednarz – Radikal bĂŒrgerlich
  10. Barbara Vinken – Die Angst vor der Kastration
  11. John Stuart Mill – Die Negerfrage
  12. Anhang