Aktuelles zum internationalen Steuerrecht aus der Rechtsprechung und der Finanzverwaltung1
Univ.-Prof. Dr. Bert Kaminski2
1. ZulÀssigkeit eines Treaty Override
1.1 Die bisherige Rechtsprechung des BFH
1.2 Aktuelle VorlagebeschlĂŒsse des BFH
1.3 Mögliche Praxiskonsequenzen
2. Aktuelle Entwicklungen zum Anrechnungshöchstbetrag
2.1. ZulĂ€ssigkeit einer Doppelbesteuerung und BilligkeitsmaĂnahmen bei einer ĂbermaĂbesteuerung
2.2 BMF-Schreiben vom 30.09.2013 zu § 34c Abs. 1 Satz 2 EStG
2.3 Folgerechtsprechung des BFH zur Rs. Beker
2.4 Belastungsunterschiede
3. Mögliche vGA bei Nutzung einer auslÀndischen Ferienimmobilie
4. EU-RechtskonformitÀt der Dokumentationspflicht nach § 90 Abs. 3 AO
5. Antrag auf fiktiv unbeschrÀnkte Erbschaftsteuerpflicht auch in DrittstaatenfÀllen
6. Lohnsteuereinbehalt bei auslÀndischen Arbeitnehmern auf Sachzuwendungen
7. AbzugsfÀhigkeit im Inland
7.1 EU-Auslandsspenden
7.2 EU-GeldbuĂen
7.3 Benennung von ZahlungsempfÀngern nach § 160 AO
7.4 Due Diligence-Kosten bei erfolgter oder erfolgloser Akquisition
7.4.1 Auffassung der Finanzverwaltung
7.4.2 Rechtsprechung
7.4.2.1 Beim Kauf einer Beteiligung
7.4.2.2 Bei nicht erfolgendem Kauf der Beteiligung
7.5 Aufwendungen im Zusammenhang mit einem VerstĂ€ndigungsverfahren sind keine VerĂ€uĂerungskosten i. S. v. § 17 Abs. 2 EStG
7.6 Verluste im Zusammenhang mit auslÀndischen BetriebsstÀtten
8. Entwurf eines BMF-Schreibens zur Anwendung von DBA auf Personengesellschaften und § 50i EStG
8.1 Hintergrund
8.2 Begrenzung der Wegzugsbesteuerung im Zusammenwirken mit § 50i EStG
8.2.1 Auswirkungen des § 50i EStG
8.2.2 Sonderproblem: Auslösung des § 6 AStG durch Abschluss eines verÀnderten DBA am Beispiel Spaniens
1.ZulÀssigkeit eines Treaty Override
Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) sind völkerrechtliche VertrĂ€ge, die zwischen zwei Staaten abgeschlossen werden. Die Steuerpflichtigen sind zwar die BegĂŒnstigten aus solchen VertrĂ€gen, können aber selber aus ihnen keine unmittelbaren Rechte herleiten, da sie nicht selber Vertragspartner sind. In der Gesetzgebung vieler Staaten ist die Praxis festzustellen, dass im innerstaatlichen Recht Regelungen geschaffen werden, die von den Vorgaben des DBA â in der Regel zu Lasten der Steuerpflichtigen â abweichen. Schon seit lĂ€ngerem wird die Frage diskutiert, ob eine solche Vorgehensweise mit höherrangigem Recht vereinbar ist.
Nach dem Bericht des OECD-Steuerausschusses vom 2.10.19893 liegt ein Treaty Override (nur dann) vor, wenn der nationale Gesetzgeber mit Wissen und Wollen eine Bestimmung erlÀsst, die in klarem Widerspruch zu den vom gleichen Staat in einem DBA eingegangenen Verpflichtungen steht. Hingegen soll in den folgenden FÀllen kein Treaty Override vorliegen:4
â Durch eine nationale gesetzliche Regelung wird ein Urteil korrigiert, das der unbestrittenen Auslegung des DBA durch die Vertragsparteien widerspricht.
â Ein Staat Ă€ndert die Bedeutung eines Begriffs des innerstaatlichen Rechts, der auch fĂŒr die Anwendung des DBA Bedeutung hat, sofern die Ănderung Geist und Sinn des DBA entspricht.5
â Ein Gesetz widerspricht unbewusst dem DBA.6
â Ein DBA enthĂ€lt Vorbehalte fĂŒr eine Ănderung des nationalen Rechts oder der Schaffung einer Regelung, die eine Abweichung vom DBA vorsieht.
In jĂŒngster Zeit ist â in der Bundesrepublik Deutschland, aber auch in einer Reihe von weiteren Staaten â eine zunehmende Praxis festzustellen, dass solche Treaty Overrides im nationalen Recht vorgesehen werden.
1.1Die bisherige Rechtsprechung des BFH
Nach dem bisherigen VerstĂ€ndnis war ein Treaty Override zwar völkerrechtswidrig, gleichwohl hielt der BFH dieses fĂŒr zulĂ€ssig. Er begrĂŒndete dies im Wesentlichen mit folgenden Argumenten: DBA als völkerrechtliche VertrĂ€ge werden zwischen den Staaten ausgehandelt. Zu ihrer Wirksamkeit benötigen sie einer Transformation in das nationale Recht. Diese geschieht durch das Zustimmungsgesetz, das den Rang eines einfachen Bundesgesetzes hat. Dieses steht folglich auf gleicher Ebene wie andere nationale gesetzliche Regelungen. Deshalb habe der Gesetzgeber auch die Möglichkeit, durch ein spĂ€teres Gesetz hiervon abweichende Regelungen anzuordnen. Diese Abweichung sei zwar ein VerstoĂ gegen das Völkerrecht, allerdings ist der einzelne Steuerpflichtige nicht Vertragspartner des DBA. Folglich könne er hieraus keine AnsprĂŒche herleiten. Im Ergebnis kommt es zwar zu einem VerstoĂ gegen völkerrechtliche Regelungen, gleichwohl solle dies nicht zur Rechtswidrigkeit oder Unwirksamkeit der entsprechenden Normen fĂŒhren. Der BFH verlangt in seiner alten Rechtsprechung lediglich, dass der Gesetzgeber klar zum Ausdruck bringt, dass er von den Vorgaben des DBA abweichen wolle.7 Dies geschieht in einer Vielzahl von FĂ€llen durch die Formulierung â⊠ungeachtet der Bestimmungen eines Abkommens zur Vermeidung der Doppelbesteuerung âŠâ8.
Allerdings ist eine Reihe von Sachverhalten festzustellen, in denen gesetzliche Regelungen von den Vorschriften des Abkommenrechts abweichen oder ĂŒber diese hinausgehen, indem innerstaatlich Vorgaben getroffen werden, die sich so nicht im DBA finden. Dies zeigt sich z. B. beim Fremdvergleich. Dieser wird allgemein in Art. 9 Abs. 1 OECD-MA als MaĂstab fĂŒr die internationale Einkunftsabgrenzung zwischen verbundenen Unternehmen angeordnet. In der nationalen Umsetzung in § 1 Abs. 1 AStG wird zwar auch dieser Grundsatz verankert, darĂŒber hinaus jedoch z. B. der Grundsatz einer umfassenden Kenntnis der jeweiligen Vertragsparteien fingiert.9 Fraglich ist, ob eine solche Regelung zulĂ€ssig ist oder ob hierin eine ĂŒber das DBA hinausgehende Vorschrift zu sehen ist. Denkbar ist, dass in diesen FĂ€llen das Abkommensrecht als Schrankenrecht anzusehen ist und insoweit eine Nichtanwendung dieser Regelungen in AbkommensfĂ€llen zur Folge hat.
Beratungshinweis:
Bisher ist die Rechtsprechung dieser Auffassung lediglich fĂŒr die spezielleren Anforderungen fĂŒr die steuerliche Anerkennung von Vereinbarungen zwischen beherrschenden Gesellschaftern und deren Gesellschaft10 gefolgt. Hingegen steht hinsichtlich einer materiellen Beurteilung Rechtsprechung noch aus. M. E. gibt es jedoch keinen Grund, eine unterschiedliche Behandlung vorzunehmen, denn schlieĂlich wird im Abkommensrecht hinsichtlich des Fremdvergleichs auch nicht zwischen formellen und materiellen Anforderungen differenziert.
1.2Aktuelle VorlagebeschlĂŒsse des BFH
Nachdem der Vorsitzende Richter des I. Senats bereits vor einiger Zeit in einem Literaturbeitrag Zweifel an der VerfassungskonformitĂ€t des Treaty Overriding geĂ€uĂert hatte11, war es nicht verwunderlich, dass bei einem entsprechenden Sachverhalt diese Frage dem BVerfG vorgelegt wĂŒrde.
Der BFH hat mit Beschluss vom 10.01.201212 dem BVerfG die Frage nach Art. 100 Abs. 1 GG vorgelegt, ob § 50d Abs. 8 EStG verfassungsgemÀà ist. Dieses Verfahren hat grundlegende Bedeutung, weil die Regelung ein Treaty override beinhaltet und streitig ist, ob ein solches ĂŒberhaupt zulĂ€ssig ist. Es handelt sich um Abweichungen von den Regelungen des Doppelbesteuerungsabkommens und des hierzu ergangenen Zustimmungsgesetzes in einem nationalen Gesetz, die vom Abkommen abweichende Rechtsfolgen herbeifĂŒhren sollen. Sollte § 50d Abs. 8 EStG verfassungswidrig sein, wĂŒrde dies auch fĂŒr eine Reihe von weiteren Vorschriften gelten, so dass ein Grundsatzurteil zu erwarten ist.
Dem Beschluss liegt folgender vereinfachter Sachverhalt zu Grunde: Im Streitjahr 2004 erzielte der Stpfl. EinkĂŒnfte aus nichtselbstĂ€ndiger TĂ€tigkeit bei einer im Inland ansĂ€ssigen GmbH. In seinem Arbeitslohn war ein Teil enthalten, der auf seine in der TĂŒrkei verrichtete Arbeit entfiel. In seiner ESt-ErklĂ€rung beantragte er, den fĂŒr die Zeit vom 08.03. bis 31.12.2004 auf die TĂŒrkei entfallenden Arbeitslohn nach Art. 23 Abs. 1 Buchst. a Satz 1 i. V. m. Art. 15 Abs. 1 des DBA TĂŒrkei vom 16.04.198513 i. V. m. dem dazu ergangenen Zustimmungsgesetz vom 27.11.198914 steuerfrei zu belassen und nur den Differenzbetrag der Einkommensteuer zu unterwerfen. § 50d Abs. 8 EStG verlangt â ungeachtet der Regelung im DBA â als Voraussetzung fĂŒr eine solche Freistellung im Inland den Nachweis des Stpfl., dass die EinkĂŒnfte im Ausland tatsĂ€chlich besteuert wurden oder der andere Staat auf eine Besteuerung verzichtet hat. Diesen Nachweis legte der StPfl. nicht vor. Folglich versagte das FA die Freistellung dieser EinkĂŒnfte. Die hiergegen gerichtete Klage vor dem FG Rheinland-Pfalz15 blieb erfolglos.
Der BFH stellt zunĂ€chst fest, dass das Besteuerungsrecht fĂŒr die betreffenden EinkĂŒnfte nach den Regelungen des DBA der TĂŒrkei zusteht. AnschlieĂend prĂŒft er, ob § 50d Abs. 8 EStG zu einer anderen Rechtsfolge fĂŒhrt. Im Verfahren wurde â worauf der Senat ausdrĂŒcklich hinweist â nicht vorgebracht, dass dem Stpfl. der in § 50d Abs. 8 EStG verlangte Nachweis nicht unmöglich oder unzumutbar gewesen wĂ€re. AuĂerdem sei in Art. 25 Abs. 5 DBA TĂŒrkei fĂŒr Staatsangehörige eines der beiden Vertragsstaaten, die im anderen Vertragsstaat eine unselbstĂ€ndige Arbeit ausĂŒben, in besonderer Weise eine wechselseitige Hilfestellung bei der Regelung ihrer Steuerangelegenheiten vorgesehen. Das Besteuerungsrecht fĂŒr den Arbeitslohn falle infolgedessen nach MaĂgabe von § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG an Deutschland zurĂŒck. Der Senat mĂŒsste danach die Klage abweisen. Allerdings ist er davon ĂŒberzeugt, dass die in § 50d Abs. 8 EStG enthaltene Regelung von Art. 15 Abs. 1 DBA TĂŒrkei abweicht und der darin völkerrechtlich zwischen beiden Staaten vereinbarten Verteilung und Zuordnung des Besteuerungsrechts entgegensteht. Sie breche diese Vereinbarung und verstoĂe gegen den Grundsatz des pacta sunt servanda, der gewohnheitsrechtlich zu den allgemeinen Regeln des Völkerrechts gehöre und der insoweit in Art. 26 und Art. 27 des Wiener Ăbereinko...