1.Grundlagen
Atherosklerotische vaskulĂ€re Erkrankungen entwickeln sich ĂŒber Jahrzehnte und bleiben lange Zeit symptomlos. Wir wissen aus Erfahrung, dass das Alter ein starker Risikofaktor fĂŒr die Entstehung vaskulĂ€rer Erkrankungen ist. Die Adaptationsbreite des Herz-Kreislaufsystems an psychische und physische Belastungssituationen nimmt mit dem Alter kontinuierlich ab.
1.1 Herz und Kreislauf im Alter
Die maximale LeistungsfÀhigkeit, gemessen an der maximalen SauerstoffaufnahmefÀhigkeit (VO2max) sinkt bis zum 9. und 10. Lebensdezennium physiologischerweise um bis zu 50%.
Neben die nachlassende Kontraktionskraft und â hĂ€ufig wenig beachtet â die eingeschrĂ€nkte diastolische Funktionsbreite tritt die eingeschrĂ€nkte chronotrope Adaptationsbreite im Hinblick auf die maximal erreichbare Herzfrequenz.
Kontraktionskraft, diastolische Funktionsbreite und Frequenz sind beim Altersherz eingeschrÀnkt.
1.1.1 Das arterielle GefĂ€Ăsystem
Das arterielle GefĂ€Ăsystem wird durch den Verlust elastischer Bindegewebsfasern mit dem Alter rigide, messbar an einer beschleunigten Pulswellengeschwindigkeit. DiesbezĂŒglich galt lange Zeit auch die isolierte systolische Hypertonie als altersbedingte physiologische VerĂ€nderung. Neuere Studien konnten jedoch zeigen, dass gerade die hohe Blutdruckamplitude besonders risikobehaftet hinsichtlich kardio-vaskulĂ€rer Ereignisse ist. Daher kann eine adĂ€quate hypertensive Therapie vaskulĂ€re Komplikationen besonders wirksam vermeiden.
Eine hohe Blutdruckamplitude ist besonders risikobehaftet.
1.1.2 Das venöse GefĂ€Ăsystem
Das venöse GefĂ€Ăsystem ist bei entsprechend prĂ€disponierten Individuen im Alter hĂ€ufig von Klappeninsuffizienzen, vor allem im Bereich der Perforansvenen betroffen. Es finden sich Varizenbildungen vorwiegend im Bereich der Saphena magna et parva, im Alter hĂ€ufig gefolgt von Stauungsdermatosen bis hin zu Ulzerationen, wobei bei multimorbiden alten Patienten, z. B. mit diabetischen Makro- und Mikroangiopathien die Ă€tiologische Zuordnung nicht immer eindeutig gelingt.
1.2 Zunehmende Verletzlichkeit von Herz und Kreislauf
Solche sog. altersphysiologischen VerĂ€nderungen treffen bei Betagten hĂ€ufig auf weitere Risiken, die in der genetischen Ausstattung des jeweiligen Individuums (z. B. polygenetisch bedingte Fettstoffwechselstörung) als auch im persönlichen Risikoverhalten (z. B. Rauchen, Ăbergewicht, Bewegungsarmut) begrĂŒndet sind. Hierbei beginnen die meisten pathologischen Prozesse, z. B. aterosklerotische VerĂ€nderungen, bereits im Erwachsenenalter, verlaufen jedoch lange asymptomatisch. Lumeneinengungen um bis zu 70% im Bereich des KoronargefĂ€Ăsystems bleiben meist symptomlos.
Lumeneinengungen der KoronargefĂ€Ăe bis 70 % bleiben in der Regel symptomlos.
Erst eine weitere Lumeneinengung oder ein akuter Verschluss, z. B. durch eine eingerissene Plaque mit Einlagerung thrombotischen Materials, fĂŒhren zu Symptomen der belastungsabhĂ€ngigen Angina pectoris bzw. dem Akutsymptom des Myokardinfarktes. Ăhnliches gilt fĂŒr meist hypertoniebedingte strukturelle VerĂ€nderungen im Bereich des Myokards mit initialer Hypertrophie und bindegewebigen UmbauvorgĂ€ngen, die schlieĂlich zu einer diastolischen Relaxationsstörung fĂŒhren und oft erst im fortgeschrittenen Lebensalter symptomatisch werden. HĂ€ufig reicht dann ein weiteres Ereignis, wie z. B. eine hypertensive Krise, um eine kardiale Dekompensation auszulösen â eine nicht seltene Konstellation.
1.3 Epidemiologie
In einer Zehnjahresstatistik machen Hypertonie und chronische Herzinsuffizienz in der Gruppe der ĂŒber 65jĂ€hrigen 16,7 % aller Beratungsprobleme in der Allgemeinarztpraxis aus. Der Ausdruck Volkskrankheit oder gar Volksseuche ist daher durchaus gerechtfertigt. Bereits in der 6. Lebensdekade sind nahezu 50 % der Bevölkerung an einer arteriellen Hypertonie erkrankt, verbunden mit einem weiteren exponentiellen Anstieg der ErkrankungshĂ€ufigkeit bis in das Greisenalter. Im Maximum fand sich bei Patienten einer geriatrischen Schlaganfalleinheit eine PrĂ€valenz von nahezu 90 %. Mit einer Latenz von ca. einer Dekade findet sich ein ebenso exponentieller Anstieg bei der koronaren Herzkrankheit (KHK). Mit dem 8. und 9. Lebensjahrzehnt folgt die Herzinsuffizienz, eine sehr schwerwiegende Erkrankung mit hohem MortalitĂ€tsrisiko.
Hypertonie und chronische Herzinsuffizienz sind mit Abstand die hÀufigsten Beratungsprobleme im Alter.
Neben den Herz-Kreislauferkrankungen weisen auch alle anderen sog. Zivilisationskrankheiten einen deutlichen Altersbezug auf. Dies gilt insbesondere fĂŒr Stoffwechselerkrankungen wie den Diabetes mellitus und seine Folgeerkrankungen, aber auch fĂŒr degenerative muskulo-skelettale und neuro-degenerative Erkrankungen.
1.4 MultimorbiditÀt
Mit zunehmendem biologischen Alter wĂ€chst die PrĂ€valenz gleichzeitig nebeneinander bestehender ruhender Leiden und aktiver Krankheiten. Im Alter von 65 Jahren oder höher weisen ĂŒber 80 % der Patienten mehr als zwei unterschiedliche Diagnosen auf. Wenn bei einer einzelnen Person gleichzeitig mehrere Krankheiten bestehen, wird dieses PhĂ€nomen als MultimorbiditĂ€t (seltener PolymorbiditĂ€t oder Polypathie) bezeichnet. Bei MultimorbiditĂ€t kann es sich um kausalunabhĂ€ngige Begleiterkrankungen handeln oder um kausalabhĂ€ngige Kombinationskrankheiten (Fall 1).
Fall 1
MultimorbiditĂ€t am Beispiel von Frau Fischer (78). Die Patientin ist seit ĂŒber 20 Jahren bei ihrer AllgemeinĂ€rztin. Neben einer schwer einstellbaren arteriellen Hypertonie und einem Diabetes Typ 2a haben sich mittlerweile eine (diastolische) Herzinsuffizienz (NYHA II), eine diabetische Nephropathie und Polyneuropathie mit ParĂ€sthesien und brennenden Schmerzen eingestellt. Wegen degenerativer Polyarthrosen ist ebenfalls eine kontinuierliche Schmerztherapie notwendig. Die Patientin ist wegen permanenten Vorhofflimmerns seit 3 Jahren antikoaguliert.
Wir sehen uns in der Altersmedizin nur noch selten einem monosymptomatischen Patienten mit klar zuordenbaren Symptomen gegenĂŒber. HĂ€ufig finden sich Mischbilder verschiedenster Erkrankungen, z. B. Dyspnoe bei Patienten mit COPD und Herzinsuffizienz, Symptome einer aVK, die durch eine diabetische Mikroangiopathie kompliziert werden, oder es kommt zu Problemen, z. B. bei der Polypharmakotherapie verschiedenster Erkrankungen mit multiplen Möglichkeiten der Medikamenteninteraktion und der VerstĂ€rkung von Neben- und Wechselwirkungen. Hier den Ăberblick zu behalten ist im ambulanten Bereich eindeutig die DomĂ€ne des Hausarztes.
Krankheiten im Alter sind hÀufig chronisch und irreversibel.
2.HĂ€ufige Leitsymptome
Die wichtigsten kardiologischen Leitsymptome im Herz- und Kreislaufbereich sind auch bei geriatrischen Patienten im wesentlichen Thoraxschmerz, Dyspnoe, Synkope und Palpitationen in unterschiedlicher AusprÀgung.
2.1 Beschwerden
Der Ă€ltere Mensch fĂŒhlt sich meistens erst dann gesundheitlich beeintrĂ€chtigt, wenn aufgrund seiner Herz-Kreislauferkrankungen die Adaptationsbreite seines Organismus (vgl. 1.1) bei psychophysischer Spitzenbelastung, aber oft auch im Alltag nicht mehr ausreicht. BezĂŒglich der Koronarperfusion kommt es bei Unterschreiten einer kritischen Grenze zunĂ€chst bei Spitzenbelastungen zu pektanginösen Beschwerden mit typischem EngegefĂŒhl in der Brust, retrostenalem Brennen, ggf. mit Ausstrahlung in die Unterkiefer und der oberen (linken) ExtremitĂ€t.
Die allgemein als âtypischâ gelehrten Symptome treten bei geriatrischen Patienten, insbesondere Frauen, hĂ€ufig in den Hintergrund. Im Alter gewinnen sog. atypische bzw. als diffus beschriebene Symptome zunehmend an Bedeutung. HĂ€ufig lenken epigastrische Beschwerden vom eigentlich betroffenen Herz ab. Ebenso werden nicht selten beginnende Schocksymptome wie KaltschweiĂigkeit oder arterielle Hypertonie als unspezifische Kreislaufreaktion fehlgedeutet. Eine deutliche Unterdiagnostik, aber auch Untertherapie mit einer erhöhten MortalitĂ€t bei Ă€lteren Herzpatientinnen sind die Folge.
Klagen geriatrische Patienten ĂŒber allgemeine Leistungsminderung, so sollte der Hausarzt im...