Teil III: Der Umgang mit Emotionen
6Wie Sie Ihr Gefühlsleben und das Ihrer Mitarbeiter umsichtig managen
Susanne Mingers
Übersicht
Gefühlsleben in Organisationen
Der Umgang mit eigenen Gefühlen
Auf die Emotionen der Mitarbeiter eingehen
Gefühlsleben in Organisationen
Gefühle sind wie das Salz im Meer. Sie bedeuten Bewegung, Lebendigkeit, Energie. Wenn es Ihr Job als Führungskraft ist, Organisationen zu gestalten, Teams zu führen und Mitarbeiter zu motivieren, haben Sie die Aufgabe, mit Gefühlen zu arbeiten: mit Ihren eigenen und mit den Gefühlen Ihrer Mitarbeiter. Einer Ihrer wesentlichen Erfolgsfaktoren wird zweifellos darin liegen, mit wie viel Überzeugung und Kompetenz Sie dies tun.
In den letzten Jahren hat das Thema »Emotionales Management« oder »Emotionale Intelligenz« (Golemann 1996) erheblichen Aufschwung erfahren. Dies bemerken Sie mit Blick auf den wachsenden Umfang der Managementliteratur rund um das Thema Emotionen. Wir Berater bemerken dies nicht zuletzt anhand der steigenden Nachfrage nach Workshops und Seminaren zum Umgang mit Gefühlen. Was ist passiert? Hat vermehrter Humanismus Eingang in die Chef- oder Personalentwicklungsetagen gefunden? Vielleicht. Vielleicht setzt sich aber auch hier das ökonomische Prinzip durch. Zahlreiche empirische Studien belegen mittlerweile, wie hoch die Kosten sind, wenn Unternehmen die Stimmungen der Belegschaft nicht ausreichend berücksichtigen. Der Erfolg zum Beispiel von Veränderungsprojekten, etwa von Fusionen oder Restrukturierungen, scheint nicht an der Verfügbarkeit elaborierter inhaltlicher Konzepte zu scheitern, wohl aber an ihrer emotional-intelligenten Umsetzung. Und hierbei handelt es sich nur um eine von vielen Facetten des Gefühlslebens in Organisationen. Es zu ignorieren, statt es mit viel Aufmerksamkeit zu entwickeln und zu pflegen, kostet sehr viel Geld. Zudem kostet es auch an Lebensqualität der Personen, die einen beträchtlichen Anteil ihrer Lebenszeit in der Organisation verbringen und für die Organisation investieren.
Wir werden uns nicht lange mit wissenschaftlichen Definitionen befassen. Die Absicht dieses Beitrags besteht darin, Ihnen als Führungskraft konkrete und praktisch umsetzbare Hinweise dafür mitzugeben, das Gefühlsleben in Ihrer Organisation oder Organisationseinheit professionell zu gestalten. Es geht dabei um den Erfolg der Organisation und um Ihren persönlichen Erfolg als Führungskraft. Fein, wenn Sie diesen Erfolg anhand von Kennzahlen messen und auch am steigenden Wohlbefinden Ihrer eigenen Person und Ihrer Mitarbeiter erkennen. Entsprechend folgen keine ausführlichen theoretischen Exkurse, sondern lediglich am Anfang der Versuch einer Begriffsbestimmung: Was ist unter »Emotion« zu verstehen? Diese Frage habe ich bereits an viele emotional wissbegierige Seminarteilnehmer gerichtet. Die jeweiligen Antworten sind spannend, sehr unterschiedlich, nicht zuletzt branchenspezifisch und lesen sich wie folgt: Emotionen sind »eine chemische Reaktion« (Pharmaunternehmen), »eine Störung« (Maschinenbauunternehmen), »etwas Menschliches« (Umweltschutzorganisation), »eine Messgröße« (politische Partei). Über alle Branchen hinweg scheinen sich die Teilnehmer in einem Punkt einig zu sein: »Emotionen treten spontan und unberechenbar auf und sind nicht zu kontrollieren.« Wohl wahr, Emotionen haben eine beachtliche innewohnende Kraft, die so überraschend wie unbezwingbar zugleich erscheinen mag. Dennoch: Sie sind Führungskraft, und mit diesem Job haben Sie sich eine unerlässliche Anforderung eingehandelt, die Impulskontrolle heißt. Mit Impulskontrolle ist hier die Bereitschaft und Fähigkeit gemeint, den eigenen gewohnten Handlungsreflexen zu widerstehen und sein persönliches Handlungsspektrum darüber hinausgehend zu erweitern. Dazu jedoch später mehr.
Der Uneinigkeit der Seminarteilnehmer darüber, was Emotionen sind, stehen anscheinend Wissenschaftler in nichts nach. In der einschlägigen wissenschaftlichen Literatur sind unzählige Definitionen zu finden. Einen kleinen Vorgeschmack bietet folgender Kurzüberblick: Die Bandbreite reicht von »unbegrifflichem Denken« (deskriptive Emotionstheorie), »Notfallfunktion zur Mobilisierung von Energie, die Unterbrechung organisierter Verhaltenssequenz« (behavioristische Aktivierungstheorie), »zu kontrollierende Krisenerscheinung (Selbstregulation)« (kognitive Emotionstheorien) bis hin zum »individuell zu bewältigenden Problem, Handlungserschwernis« (humanistische Erziehungstheorie).
Wenn eine Definition des Wortes »Emotion« gefragt ist, zitieren wir gerne Luc Ciompi, einen Schweizer Neurobiologen und systemischen Familientherapeuten, der uns und unsere Arbeit durch viele gemeinsame anregende Dialoge sehr bereichert hat. Ciompi (1997) sagt, dass Emotionen »körperlich-seelische Gestimmtheiten unterschiedlicher Qualität, Dauer und Bewusstseinsnähe« sind. Auf seine überzeugende Art wird Ciompi nicht müde zu betonen, dass Emotionen (hier synonym mit »Gefühlen und Empfindungen« verwendet) letztlich nichts anderes sind als Energie. Und so beschreibt er mit seinem Konzept der »Affektlogik« fünf Grundgefühle (Interesse, Angst, Ärger, Trauer, Freude), die mit unterschiedlichen energetischen Zuständen und Handlungsmustern korrespondieren. Jedes dieser fünf Grundgefühle existiert nicht zufällig, sondern übernimmt eine überlebenswichtige Funktion und setzt einen jeweils spezifischen Handlungsimpuls. Die Tabelle verdeutlicht dies.
Fünf Grundgefühle | Nutzen, überlebenswichtige Funktion | Handlungsimpuls |
Interesse, Neugierde | entwickeln, lernen, neue Impulse aufnehmen … | öffnen, hinbewegen, Spannungsaufbau … |
Angst | Schutz vor Gefahren, Aufmerksamkeit und Wachsamkeit erhöhen, wichtige Voraussetzung für Mut … | Abwehr von Schmerz durch Flucht, Ignorieren, Verleugnen … |
Ärger, Wut | Grenzen ziehen, eigene Bedürfnisse und Interessen geltend machen, Position beziehen, etwas angehen, schaffen … | Abwehr von Schmerz durch Kampf, Angriff, Expansion … |
Traurigkeit | Abschied nehmen, Bindung lösen, Platz für Neues schaffen … | Bindung lösen durch Loslassen, Rückzug, Weinen … |
Freude | Bindung stärken, sich identifizieren, vitale Energien freisetzen … | Bindung stärken durch Kontakt, Zugehen auf andere, Lachen … |
Tab.: Die fünf Grundgefühle, ihr Nutzen und Handlungsimpuls
Ein Schlüssel für den kompetenten Umgang mit eigenen und fremden Gefühlen besteht darin, die Energie und Logik von Gefühlen zu erkennen und wahrzunehmen, verbal und nonverbal zum Ausdruck zu bringen und handhaben zu können. Verschiedene Praxisbeispiele aus dem Führungsalltag werden auf den folgenden Seiten zeigen, was dies konkret bedeutet und wie es umsetzbar ist. Dabei beschäftigen uns zwei grundlegende Aspekte:
•der Umgang mit eigenen Gefühlen
•der Umgang mit Gefühlen von Mitarbeitern in erfolgskritischen Schlüsselsituationen
Der Umgang mit eigenen Gefühlen
Wir widmen uns zunächst der Frage des Umgangs mit eigenen Gefühlen, denn emotionale Kompetenz beginnt mit Selbstverantwortung und Selbstentwicklung. So gut, wie Sie Ihre eigenen Gefühle kennen und mit ihnen haushalten, so gut werden Sie für Ihre Mitarbeiter ein hilfreicher Begleiter in emotional schwierigen Situationen sein.
Selbstentwicklung setzt einen hohen Grad an Selbstbewusstheit und Selbstreflexion voraus. Es ist gut, sich mit sich selbst gut auszukennen und einen trainierten inneren Beobachter zu haben. Dieser kann das eigene Handeln und seine Wirkungen wahrnehmen, spiegeln und zur Weiterentwicklung anregen. Verhaltenstraining ist für Führungskräfte eine lebenslange Aufgabe und bedeutet Verhaltensstretching im wörtlichen Sinne: Sie dehnen und erweitern Ihr Denken, Ihr Fühlen und damit Ihr Handeln. Erfolgreiche Führungskräfte sind bewusst und flexibel in ihrer Wahrnehmung und in ihren Denkgewohnheiten. Sie verfügen über tiefe Empathie (siehe hierzu auch den Beitrag von Gerardo Drossos in diesem Buch), eine klare emotionale Präsenz und gehen sicher mit Gefühlen unterschiedlicher Färbungen um. Dies erlaubt Ihnen ein breites Handlungsspektrum und den Luxus, in vielen fordernden Situationen gelassen und sicher aufzutreten.
Die spannende Frage lautet hier, welche Möglichkeiten es gibt, mit eigenen Gefühlen umzugehen. Nun komme ich an dieser Stelle wieder zu meinen Teilnehmern zurück, die dabei sehr unterschiedliche Ansätze und Gewohnheiten schildern. Eine Teilnehmergruppe wird mir diesbezüglich wohl immer besonders im Gedächtnis bleiben. Die Gruppe bestand zum einen aus deutlich eher beziehungsund gefühlsorientierten Teilnehmern und zum anderen aus deutlich eher verstandes- und sachorientierten Teilnehmern. Nachdem es sich bei dieser Gruppe um eine zeitlich begrenzte Seminargruppe und nicht etwa um ein fixes Arbeits- oder Projektteam handelte, fiel es allen leicht, die augenscheinlichen Unterschiede mit viel Interesse und Humor zur Kenntnis zu nehmen und zu nutzen. Eine erste Übung bestand darin, in Untergruppen 20 Minuten spazieren zu gehen und den Umgang mit eigenen Emotionen zu reflektieren. Die Wahl der Gruppenbildung war frei, und es kamen die jeweils ähnlich orientierten Teilnehmer zum Austausch zusammen. Die eher verstandesorientierten Teilnehmer kamen nach bereits zehn Minuten zurück (»Wir sind schon fertig«), während sich die eher Beziehungsorientierten noch gut weitere 20 Minuten hätten austauschen wollen (»Wir haben uns gerade so richtig schön warmgeredet«). In der anschließenden gemeinsamen Runde schilderten die Gruppen ihre Gewohnheiten im Umgang mit eigenen Gefühlen: »Meine Frau sagt, zum Lachen gehe ich in den Keller.« »Mein Mann sieht es noch krasser, er behauptet, ich habe gar keine Gefühle und zeige daher auch nie welche« (lautes Gelächter der anderen Untergruppe). »Wenn ich ein Gefühl habe, lebe ich es sofort aus. Ich bin für die anderen wie ein offenes Buch.« »Ich bin total impulsiv und daher leider oft überschäumend oder sogar verletzend« (Grinsen nun auf der anderen Seite: »Alles klar, Zickenalarm droht!«).
Haben Sie Gefühle, oder haben Ihre Gefühle Sie?
Wenn wir die Schilderungen der jeweiligen Teilnehmergruppen übersetzen, kristallisieren sich zwei grundsätzliche Handlungsstrategien im Umgang mit eigenen Emotionen heraus: Die eine Handlungsstrategie geht mit hoher Impulskontrolle und geringer Sichtbarkeit der Gefühle einher. Sie besteht darin, eigene Gefühle zu ignorieren, zu unterdrücken oder abzuspalten. Die andere Handlungsstrategie geht mit geringer Impulskontrolle und hoher Sichtbarkeit der Gefühle einher. Sie besteht darin, mit den eigenen Gefühlen zu verschmelzen, sie auszuleben und auszuagieren. Es wird spannend sein, welche weiteren Strategien sich auch zwischen diesen beiden Polen finden lassen. Allerdings sei, bevor wir uns damit befassen, gleich betont, dass keine der unterschiedlichen Handlungsstrategien per se besser oder schlechter ist. Stellen Sie sich vor, Sie sind am Vormittag auf dem Weg zu einem wichtigen Geschäftstermin, bei dem es um den Abschluss eines hoch dotierten Vertrages geht. Beim Frühstück haben Sie sich mit Ihrem Partner oder Ihrer Partnerin gestritten. Belastende Gedanken und Gefühle kreisen in Ihnen, bis Sie entscheiden, innerlich »Stopp!« zu sagen. Das, was vom Streit noch da ist, unterdrücken Sie für die nächsten Stunden, um sich mit Ihrer ganzen Energie und Aufmerksamkeit auf den Kunden konzentrieren zu können. Und Konzentration auf eine Sache heißt nun mal, etwas anderes nicht zu denken, zu fühlen oder zu tun. Wenn Sie am Abend nach Hause kommen, wird es unter Umständen wichtig sein, die Strategie zu ändern. Wenn Sie es für sinnvoll erachten, nehmen Sie nun das Gefühlsbad, steigen ein, lassen alles raus und werden auf diese Weise mit all Ihren Befindlichkeiten und Bedürfnissen sichtbar und greifbar.
Die wirklich hohe Kunst des Umgangs mit eigenen Emotionen besteht darin, entscheiden zu können, in welcher Situation Sie mit welcher Strategie reagieren werden. Darin liegt der Kern der Steuerung eigener Gefühle. Wenn Ihnen Ihre Gefühle und Ihr Umgang mit ihnen einfach nur »passiert«, können Sie nur hoffen, dass Ihre erlernten Handlungsreflexe situationsadäquat sind. Ich will Sie nicht frustrieren, aber die Wahrscheinlichkeit, dass dies in allen wichtigen Situationen der Fall ist, ist ziemlich gering. Wir erinnern uns daran, dass Emotionen Energie sind, satte, kraftvolle Energie, die beschleunigt, die verlangsamt, die beruhigt, die aufregt und vieles mehr. Daher ist klar, ...