1Arbeitsdefinitionen
1.1 Hypnose und Trance
Definitionen von Hypnose werden der in ihr verborgenen Vielfalt nie gerecht, denn immer werden bestimmte Charakteristika hervorgehoben und andere mĂŒssen vernachlĂ€ssigt werden. Milton Erickson soll auf die Frage nach einer Definition von Hypnose geantwortet haben:
»Was immer ich sage, dass es sei âŠ, lenkt mich davon ab, die vielen Möglichkeiten zu erkennen und nutzbar zu machen, die da sind« (Gilligan 1991, S. 60).
Trotzdem wird immer wieder um Definitionen gerungen.
Definition von Hypnose der American Psychological Association (APA)
Die folgende Definition der APA entstammt einem Konsens eines Expertenkomitees aus dem Jahre 2014 (zitiert in Elkins et al. 2015):
Hypnose ist ein Bewusstseinszustand (state of consciousness), der eine fokussierte Aufsmerksamkeit und ein reduziertes peripheres Gewahrsein umfasst und der durch eine erhöhte FĂ€higkeit charakterisiert ist, auf Suggestionen zu reagieren (Elkins et al. 2015, Ăbers.: M. E. H.).
Hypnotische Trance
Hypnotische Trance ist ein Zustand, in dem man von bestimmten Wahrnehmungen oder Gedanken absorbiert ist, wĂ€hrend andere Wahrnehmungen unter UmstĂ€nden dissoziiert sind. Es ist ein Zustand innerer Offenheit, der Suchprozesse und kreative Lösungen ebenso erleichtert, wie sich auf bestimmte Vorstellungen einzulassen und andere loszulassen. Die dabei ablaufenden mentalen Prozesse sind unwillkĂŒrlich. Das Alltagsbewusstsein, das dazu tendiert, Wahrnehmen und Denken in bestimmte, gut gebahnte Richtungen zu drĂ€ngen und andere Denk- und Wahrnehmungsmöglichkeiten auszuschlieĂen, ist deaktiviert (nach Revenstorf 2017, S. 93â94).
Verwendung einiger Begriffe in diesem Buch
Hypnose: Ein meist ritualisiertes Vorgehen, bei dem eine Person eine andere dazu einlĂ€dt, in Trance zu gehen. Je nach Kontext unterscheidet man psychotherapeutische Hypnose, medizinische Hypnose, BĂŒhnenhypnose etc. In der Selbsthypnose ist man gleichzeitig Anleiter und Angeleiteter.
Trancen: BewusstseinszustĂ€nde, ĂŒber deren Charakteristika unterschiedliche Auffassungen bestehen. Je nach Kontext unterscheidet man hypnotische Trancen, Konversationstrancen, Alltagstrancen, schamanische Trancen etc., je nach Inhalten Problem-, Symptom-, Lösungs- und Ressourcentrancen. Sie können auf natĂŒrliche Weise spontan auftreten oder ausdrĂŒcklich eingeladen und induziert werden.
Hypnotherapie: Kommunikationsformen und Interventionen, die auf das Wirken von Milton H. Erickson aufbauen und im Wesentlichen von Mitgliedern der Milton H. Erickson Gesellschaften weiterentwickelt und vermittelt werden. Sie wird in andere Psychotherapieverfahren integriert, am hÀufigsten in die Verhaltenstherapie.
Hypnosepsychotherapie: Ein im österreichischen Psychotherapiegesetz anerkanntes eigenstÀndiges Psychotherapieverfahren, bei dem Hypnotherapie in ein umfassenderes psychodynamisches VerstÀndnis eingebettet ist (siehe Abschnitt 2.1.2, S. 29 f.). Die Unterscheidung zur Hypnotherapie ist in jenen Bereichen sinnvoll, in denen der spezifische Umgang mit der therapeutischen Beziehung von Bedeutung ist.
Wenn man Trancen als spezielle BewusstseinszustĂ€nde versteht, dann sind damit aus ericksonianischer Sicht ZustĂ€nde gemeint, die auch ganz natĂŒrlich und spontan im Alltag auftreten. Sie sind dadurch charakterisiert, dass bestimmte Wahrnehmungen und Funktionen dem Bewusstsein nicht zugĂ€nglich sind, sie sind dissoziiert, d. h. unverbunden und somit nicht integriert. Die Einengung der Aufmerksamkeit fĂŒhrt dazu, dass man von einem bestimmten Bewusstseinsinhalt absorbiert ist. So ist man beispielsweise von einem spannenden Buch gefesselt oder hört nur die Worte des Hypnotiseurs, alles andere wird ausgeblendet. Zugleich erlebt man die eigene Innenwelt besonders intensiv und lebendig, denn worauf sich die Aufmerksamkeit richtet wird verstĂ€rkt und vertieft. Man kann WĂŒnschenswertes und ZukĂŒnftiges imaginieren und Vergangenes erinnern und damit reaktivieren. Das kritische Denken tritt dabei in den Hintergrund, sodass im Möglichkeitsraum der Trance zuvor Unbekanntes und Unvorstellbares zu einer neuen inneren RealitĂ€t wird. AnschlieĂend wird das in der Hypnose Erlebte oft nicht mehr bewusst erinnert.
Wenn SuggestibilitĂ€t als Merkmal hypnotischer Trancen genannt wird, so ist damit die FĂ€higkeit eines Individuums gemeint, die suggerierten VerĂ€nderungen in seiner Physiologie, in seinen Empfindungen, GefĂŒhlen, Gedanken oder in seinem Verhalten umzusetzen (Elkins et al. 2015). Ein bedeutsamer Zweig der akademischen Hypnoseforschung beschĂ€ftigt sich mit der Erfassung der SuggestibilitĂ€t von Versuchspersonen unter standardisierten Bedingungen. Die SuggestibilitĂ€t wurde lange Zeit als ein stabiles Persönlichkeitsmerkmal angesehen, bis nachgewiesen werden konnte, dass man sie trainieren kann. Schon Erickson hat oft viele Stunden dafĂŒr aufgewendet, um seine Klienten mit dem Erleben von TrancephĂ€nomenen vertraut zu machen, erst danach begann er mit der »eigentlichen« Trancearbeit. Es gibt aber auch Kritik an der These, die erhöhte SuggestibilitĂ€t sei ein geeignetes Merkmal, TrancezustĂ€nde zu definieren. Denn viele Menschen sind schon im Alltagsbewusstsein und unabhĂ€ngig von speziellen TrancezustĂ€nden höchst suggestibel, sodass sich diese FĂ€higkeit dann in Trance nicht wesentlich verstĂ€rkt.
Sozialpsychologische Theorien gehen davon aus, dass der Hypnotisierte das ausfĂŒhrt, von dem er meint, dass es von ihm erwartet wird. In diesen Konzepten wĂ€re SuggestibilitĂ€t die FĂ€higkeit, expliziten und impliziten Instruktionen zur RollenĂŒbernahme zu folgen.
Eine intersubjektive Sicht versteht das Gelingen therapeutischer Begegnungen als ResonanzphĂ€nomen. Sie berĂŒcksichtigt nicht nur den Kontext und die Einzigartigkeit des Klienten, sondern auch den Bewusstseinszustand des Therapeuten und seine Aufmerksamkeitssteuerung. Das Beziehungsangebot des Therapeuten bildet den Kontext, in dem der Klient im Zusammensein mit einem bedeutsamen Menschen neue Erfahrungen machen kann. Der Therapeut trĂ€gt dazu bei, die in seinen Klienten vorhandenen Ressourcen zu aktivieren, und schafft eine AtmosphĂ€re, in der sie ihre Potenziale entfalten, sich entwickeln und aufblĂŒhen können.
1.2 Achtsamkeit
Ebenso wie bei der Hypnose stoĂen auch die Versuche, Achtsamkeit zu definieren und ihr Wesen in Worte zu fassen, bald an ihre Grenzen. So gibt es bis heute keine einheitliche und allgemein verbindliche Definition. Jon Kabat-Zinn (2011b), der wesentlich zur Verbreitung der Achtsamkeit in Medizin und Psychotherapie beigetragen hat, fĂŒhrte den Begriff der Achtsamkeit als »Schirmbegriff« (umbrella term) ein. Unter dem Dach der Achtsamkeit sollte in seinen Kursen vieles Platz haben, was ihm wichtig und wertvoll war.
Definitionen von Achtsamkeit
Die bekannteste Arbeitsdefinition von Achtsamkeit lautet: Achtsamkeit bedeutet, auf eine bestimmte Weise aufmerksam zu sein: absichtsvoll, gegenwÀrtig und nicht bewertend (Kabat-Zinn 2011b).
Andere Definitionen von Achtsamkeit â so wie die in diesem Buch vertretene â rĂŒcken den »inneren Beobachter« ins Zentrum. FĂŒr sie bedeutet Achtsamkeit das Erwachen eines inneren Beobachters bzw. den Wechsel der Perspektive in eine Beobachterposition und das Einnehmen eines Bewusstseinszustandes des rezeptiven Wahrnehmens und Beobachtens (siehe Abschnitt 6.4.5, S. 129 f.).
Shauna Shapiro und ihre Arbeitsgruppe (2006) definieren die Achtsamkeit ĂŒber die drei Komponenten Aufmerksamkeit (Attention), Absicht (Intention) und Haltung (Attitude). Harrer und Weiss (2016) beschreiben vier Komponenten: (1.) Den »inneren Beobachter«, (2.) Aufmerksamkeitssteuerung und Bewusstheit ĂŒber den jeweiligen Fokus der Aufmerksamkeit, (3.) GegenwĂ€rtigkeit und (4.) Akzeptanz. Eine Haltung der Achtsamkeit entwickelt sich durch das regelmĂ€Ăige Aufsuchen von ZustĂ€nden der Achtsamkeit im Rahmen einer kontinuierlichen Achtsamkeitspraxis.
Ulrike Anderssen-Reuster (2007) schreibt im Kontext von Psychotherapie und Psychosomatik: »Achtsamkeit ist ein Prozess, bei dem die Aufmerksamkeit nicht wertend auf den gegenwĂ€rtigen Augenblick gerichtet ist. Sie nimmt wahr, was ist, und nicht, was sein soll. Das heiĂt: Sie ist einerseits nĂŒchtern, real, desillusionierend, andererseits annehmend, integrierend und vielleicht sogar auf mĂŒtterliche Weise liebevoll. Achtsamkeit ist aber noch mehr: Sie ist ein Instrument, um unsere affektiven, geistigen oder körperlichen Regungen in statu nascendi zu beobachten, und sie vermittelt den Kontakt mit der Gegenwart, die, wenn sie nicht explizit in den Blick genommen wird, hĂ€ufig nicht wirklich erlebt wird« (S. 1).
In der folgenden Anleitung sind die wesentlichen Bausteine der Achtsamkeit eingebaut und in kursiver Schrift hervorgehoben. Das VerstĂ€ndnis der Achtsamkeit als ĂŒberdauernde Haltung wird als »posthypnotische Suggestion« angefĂŒgt.
Anleitung zur Achtsamkeit mit psychoedukativen Elementen
Wenn Sie den Zustand der Achtsamkeit erforschen wollen, lade ich Sie ein, einfach bewusst wahrzunehmen, was im Augenblick da ist. Sie können sich der AuĂenwelt zuwenden und fĂŒr ein paar Augenblicke ganz bewusst schauen, ⊠fĂŒr ein paar Momente ganz bewusst hören ⊠und sich dann ganz bewusst dem SpĂŒren zuwenden, etwa dem Kontakt mit dem Sessel, auf dem Sie sitzen ⊠Es kommt aber noch etwas Entscheidendes dazu: die Bewusstheit darĂŒber, dass Sie schauen, wenn Sie schauen, ⊠die Bewusstheit darĂŒber, dass Sie hören, wĂ€hrend Sie hören, ⊠die Bewusstheit darĂŒber, dass Sie die Unterlage spĂŒren, wenn Sie die Unterlage spĂŒren. Wenden Sie Ihre Aufmerksamkeit der jeweils gegenwĂ€rtigen Erfahrung zu, wie sie sich von Augenblick zu Augenblick entfaltet. Jetzt ⊠und jetzt ⊠und jetzt.
Sie haben die Wahl: Sie können sich mit Ihren fĂŒnf Sinnen der AuĂenwelt zuwenden. Sehen, hören, tasten, riechen, schmecken ⊠Sie können sich aber auch Ihrer Innenwelt zuwenden und sie mittels »innerer Achtsamkeit« erforschen.
So können Sie sich Ihrem Körper zuwenden, etwa dem Atem. Vielleicht mögen Sie sich fĂŒr ein paar AtemzĂŒge bewusst machen, dass Sie atmen und woran Sie im Moment bemerken, dass Sie atmen, und aus einer neugierigen Haltung heraus erforschen: Was ist das genau â Atmen? ⊠Buddha beschrieb es in einer Lehrrede zur Achtsamkeit so: »Der Mönch lang einatmend weiĂ, dass er lang einatmet. Der Mönch kurz einatmend weiĂ, dass er kurz einatmet. Der Mönch lang ausatmend weiĂ, dass er lang ausatmet. Der Mönch kurz ausatmend weiĂ, dass er kurz ausatmet.«
Das bewusste Wahrnehmen des Atmens und des Körpers fĂŒhrt immer wieder in die Gegenwart, ins Hier und Jetzt. Den Körper zu spĂŒren ist eine gute Möglichkeit, sich im Hier und Jetzt zu verankern.
Sie können sich auch noch ein paar AtemzĂŒge lang Ihrer Stimmung und Ihren GefĂŒhlen zuwenden. Wie sind Sie da? Jetzt, ⊠was meldet sich an GefĂŒhlen? ⊠Wie ist Ihre Grundstimmung heute? âŠ
Vielleicht tauchen auch Gedanken oder innere Bilder auf. Auch diese können Sie beobachten, wie sie kommen und gehen âŠ
Vielleicht ist es Ihnen möglich, der Erfahrung, wie sie sich von Moment zu Moment entfaltet, in einer Haltung der Offenheit zu begegnen, sich neugierig interessiert dem zuzuwenden, was im Feld der Aufmerksamkeit, in Ihrem Gewahrsein auftaucht. »Ah ja«, könnten Sie zu sich sagen, »da meldet si...