Der Garten der anderen
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Der Garten der anderen

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Der Garten der anderen

About this book

Als die junge Lili bei ihrem großen Idol, dem Schriftsteller Noah Berger, klingelt, rechnet sie mit allem, nur nicht mit dessen zweiter Frau Sonja. Egal, wie sehr sie es will, Lili wird nicht zu Noah durchgelassen. Immer wieder probiert sie es, immer neue Ausreden hat Sonja parat. Und so beginnt Lili heimlich, einen Roman über das Paar zu schreiben.Doch was hat ihre Geschichte von Flurin und Cristina noch mit den Vorbildern Sonja und Noah Berger zu tun? Und spiegelt sich da nicht auch Lilis eigene, belastete Beziehung? Was ist Wirklichkeit, was Fiktion?Michèle Minelli öffnet in ihrem neuen Roman subtil und klug mehrere Ebenen des Geschichtenerzählens. "Der Garten der anderen" handelt von neuen und alten Beziehungen, von den Möglichkeiten der Fiktion, von der Macht der Sprache und nicht zuletzt vom Glück in einem fremden Garten.

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Information

Publisher
Salis Verlag
Year
2018
eBook ISBN
9783906195735
Edition
1
BLEIB!
»Bist du wieder da?«, sagt sie, und es klingt wie jemand, der zu einer heimatlosen Katze spricht. Ihre Stimme ausgefranst.
»Ich habe eine Weile gebraucht, bis ich so weit war, aber ist das nicht ein großer Wurf? Ist das nicht fantastisch, mehr als zwanzig Seiten?« Ich bin noch ganz aufgebracht, soeben hat mich Fred hier abgesetzt. Bescheuerte Idee, aufs Land zu ziehen ohne einen eigenen Wagen.
»Komm rein, ich bring dir deine Filzpantoffeln.« Deine Filzpantoffeln. Als würde ich hier wohnen. Keinen eigenen Wagen, dafür Hausschuhe aus Filz. Als wäre ich nur eben fünf Minuten fort gewesen. Im Keller Holz holen. Die Post von draußen. Von oben verklingt der vierte Satz von Gustav Mahlers Erster Symphonie; Titan, dieses ungeheuer pompöse Werk. Sie streckt mir die Pantoffeln hin. Ich wechsle meine Schuhe und bringe meine Jacke selbst nach hinten in die Garderobe, gehe aufs Klo. Meine Schritte erinnern sich an die Mulden in den Bodenfliesen, Wärme durchströmt meinen Körper, eine Hitze, als ich merke, dass ich mich nicht wie ein Gast benehme. Angestachelt von einem plötzlichen Mut sage ich: »Ist er also da?«
Ihr Blick drückt Bedauern aus.
»Warum?«, versuche ich meiner Forderung einer Berechtigten Nachdruck zu verleihen. »Ich höre ihn doch? Ist das nicht er, dieses Poltern?« Und schon etwas unsicherer, das alte Ich: »Dieses Geräusch?«
Und wie bei unserer ersten Begegnung meint sie, ich solle erst einmal reinkommen. Und jetzt bemerke ich, dass sie wieder ihre Schürze umhat, diesmal nur um die Hüften geschnürt, der Latz hängt ihr lose über die Oberschenkel. Ja, sie sind eher fest, denke ich, und eine unheimliche Befriedigung kriecht in mich wie ein arglistiger Geist.
Diesmal ist die Küche ordentlich. Aufgeräumt, die Chromstahlabdeckung blitzt. Sonja bückt sich und holt ein zweites Sieb aus einer Schublade. Ein altmodisches mit Emailbeschichtung und abgeschlagenem Blumenmuster. Sie reicht mir das silbrige, nur leicht modernere, ein Standsieb, dessen Bauch offensichtlich schon mehrmals mit einem Hämmerchen zurück in die ursprüngliche Form geklopft worden ist.
»Der Schnee ist getaut«, sagt sie, und als ob das schon alles wäre, was man im Leben je zu wissen braucht, bedeutet sie mir, ihr zu folgen. Mich ärgert diese Art der alten Leute, mit Geheimnissen und Überraschungen zu spielen, mit der Gewissheit, am längeren Hebel zu sein, nichts sagen, nur schmunzeln zu müssen, so, als sei die Welt allein dadurch gut; der Trick funktioniert.
Ich folge ihr durch eine Seitentür in die Garage. Der Raum ist halb Werkstatt, halb Autounterstand. Hier riecht es nach abgelagertem Holz, Ölresten, Metall, und wie in der Stube oder in der Küche von heute herrscht peinliche Ordnung; ich wette, in den rund drei Dutzend tiefen Werkzeugschubladen liegt jedes Teil an seinem Platz. Sonja öffnet eine genagelte Holztür, die nach hinten hinausgeht. Ich winde mich an ihrem Volvo vorbei und stehe unbeholfen neben ihr vor dem Treppenabsatz. Sie dreht sich um und weist mit einem Wink aus dem Handgelenk in eine Ecke, in der Gartenschuhe stehen. Ob das ihre sind? Seine? Ich steige hinein, sie haben annähernd meine Größe.
»Noahs Tochter kommt hin und wieder und hilft«, sagt sie. Ich fühle mich durchleuchtet.
Sie bleibt vor mir stehen, wartet auf mich. Ich weiß nicht, ist das Theatralik, mit der sie in den Garten blickt? Mich ärgert mein eigenes Misstrauen; Wohnen auf dem Land färbt ab. Ich will nicht zu dieser werden, als die ich mich gerade fühle. Also sage ich: »Ein schöner Garten.«
»Ja, das ist er, Noahs Garten. Er braucht viel Pflege. Also komm, sooft du willst, hierher. Beim Altherr arbeitest du ja nur Teilzeit.«
Hat das so unausgeglichen geklungen damals? Bei meinem Stammelmonolog? Wirke ich wie jemand, dem man Beschäftigung geben muss? Hallo? Ich?
Sie ist mir in ihren Siebenmeilenstiefeln voraus.
Aus der Nähe betrachtet sind die Gartenmöbel schäbig. Man müsste sie abschmirgeln und neu streichen. Einzelne Latten ersetzen. Vielleicht frage ich Fred. Fred hat eine ganze Tonne solcher Latten bei sich auf dem Dachboden. Bei uns sollte das heißen. Wir. Uns. Unser. Ach.
Eine Gabelweihe schwingt sich vom Gartenhäuschen auf, ich mache ein paar Schritte darauf zu, dann sehe ich, dass der Garten hinter dem Mönchspfeffer weitergeht, sieben terrassierte Beete, dann ein Steingartenfeld, ein Abhang, etwas, das ein uralter Nussbaum sein muss, und ganz unten zehn kurze Reihen Reben.
»Gundermann – Schaumkraut – Lungenkraut«, sie hält sie mir der Reihe nach vors Gesicht. »Kennst du dich ein bisschen aus? Als Landschaftsgärtnerin hast du ja kaum mit Wildgemüse zu tun. Ich schau mal, ob ich weiter unten schon Günsel finde.«
Wir sammeln im Stillen. Ab und zu luchse ich zu ihr hinüber. Ihr langer Rücken, die breiten Schultern. Sie ist noch immer groß, auch als alte Frau. Mit der bloßen Hand wischt sie die braunen Blätter aus einer steinernen Vogeltränke. Einmal kommt eine kleine gelbe Katze aus dem Haus. Sie schnuppert an meiner Hand, aus sicherer Distanz. Von Sonja holt sie sich Bestätigung, es richtig gemacht zu haben mit dieser Fremden. Dann schleicht sie im Zickzack, vielleicht entlang eines unterirdischen Mäusegangs, einer für mich unsichtbaren Duftschnur, zurück zum Haus. Verschwindet in der Wärme.
Ich wünschte, meine Nachbarn wären mit mir ebenso entspannt.
Sonja berührt meine Hand und nimmt den abgerissenen Faden wieder auf: »Noah geht es zurzeit nicht so gut, wie er das gern hätte. Ich bin sicher, er würde zu einem Gespräch mit dir Ja sagen, wenn er könnte. Ich habe ihm von dir erzählt.«
Und dann, als sei es ihr eben als rettende Idee eingefallen, die mich vor dem Ertrinken im aufquellenden Gefühlswirrwarr bewahrt: »Die Pflegeprodukte haben ihm gutgetan. Besonders an der Handcreme hat er Gefallen gefunden. Der Sanddornduft ist angenehm, so … zitronig, hat er gesagt. Er lässt dir danken.«
Ich nicke höflich. Sie plappert, denke ich, als müsste sie sich für etwas entschuldigen. Aber ihr Gesicht ruht entspannt und strahlt, das Emailsieb vor ihrer Brust ist randvoll mit Feldsalat, Zuckerhut, Winterlauch, Rosenkohl und Günsel. Ich schaue auf mein halb leeres.
Als wir in der Küche nebeneinanderstehen und die Ernte rupfen und waschen, beginne ich damit. Dass ich etwas geschrieben habe. Etwas halb Biografisches, halb Autobiografisches. Dass ich Namen, Alter und Zeiten und Orte verändert habe nach langem Überlegen, aber eben doch: geschrieben. Wie es mir ergangen ist in der Zwischenzeit. Dass es eine gute Erfahrung war. Eine ganze Lawine von Worten, die ich gar nicht schnell genug tippen konnte; ich sage ihr nicht, dass ich in brauner Schrift getippt habe.
Sie benutzt Interjektionen, ach, oh, ah, und klopft mich damit ab, ich bin ein Hohlraum, der Echo gibt. Nichts bleibt ihr verborgen, obwohl ich mir Mühe gebe, nicht zu viel von meinem Vorhaben wegzuverraten. Sie lächelt und macht »M-hm« und »Mh-h«. Ihr Kopf nickt dabei. Einmal probiere ich es wieder und frage mich laut, ob Noah wohl wisse, wie man weitermachen solle, wenn einem die Realität in die Quere komme.
»Du meinst, wenn du eine Geschichte schreibst, deren Kern zu nah an einer realen Begebenheit liegt?«
Ich überlege, ob es das ist. Aber ich will die Antwort nicht von ihr. Mein Mund sagt dennoch: »Ja, zum Beispiel.«
»Pink. Schreib all die Stellen pink, die du später überprüfen wirst. Brems dich nicht beim Schreiben. Du änderst erst danach, was du verändern willst, und du behältst, was dir gefällt. All die Fakten, die dir selbst vielleicht zu nahegehen, haben Zeit. Die kannst du nach und nach austauschen und sie so in deine Geschichte einpassen, wie du sie haben willst. Hast du den Baum vor unserem Haus beachtet?«
»Den Nussbaum, bei den Reben?«
»Die Mehlbeere, vorn.«
»Ja?«
»Sie ist krumm, nicht wahr? Auf den ersten Blick ist sie vielleicht ein schäbiger alter Baum, vermoost bis in die Krone. Beim zweiten Hinschauen aber siehst du, dass sie nicht nur nach der Sonne gewachsen ist, sondern auch die Form des Hauses abbildet. Eine Bewegung, wie der Lauf des Windes. Aerodynamisch. Sogar den Dachvorsprung kannst du in ihrer Form erkennen.«
»Äh, ich weiß jetzt nicht genau, was du mir damit sagen willst. Dass alles im Leben seine tiefere Bedeutung hat?«
»Dass wir die Mehlbeere nur dort geschnitten haben, wo es nötig war. Den Überhang in die Straße zum Beispiel. Damit die Bauern sie nicht streifen mit ihren Milchwagen, den Traktoren und den SUV. Damit die Gemeinde nicht reklamiert. Aber diese echohafte aerodynamische Form, diese Lichtpause, wir hätten sie nie kennengelernt, hätten die ursprünglichen Besitzer das Bäumlein schon in seinem Trieb gestutzt.«
Ich überlege. »Pink meinst du also?«
»Keiner braucht sich für Pink zu schämen. Und was immer du willst, erfindest du dazu.«
Das Wildgemüse hat sie auf zwei unterschiedlichen Brettchen klein geschnitten. Ich bin enttäuscht, als sie sagt: »Die nicht«, und außer dem Günsel nichts davon in unsere Salatschüssel tut. Dafür etwas blanchierten Rosenkohl. Wintergemüse. Fenchel und Karotten. Nüsse obendrauf gestreut. Haselnuss und Walnuss der letzten Ernte. Gundermann, Schaumkraut, Lungenkraut wandern in eine andere, kleinere Schale, die sie separat und wie mir scheint mit Liebe richtet.
Für Noah! Durchfährt es mich mit einem Stich.
»Wir leben jetzt seit bald fünfundzwanzig Jahren zusammen. Ich bin zu ihm gezogen, da war ich Ende vierzig. Wie du aufs Land. Und seither leben wir jeden Augenblick, als sei es unser letzter. In einem Buch habe ich einmal gelesen, ich erinnere mich nicht mehr daran, von wem das war, aber damals befasste ich mich gerade mit Zen-Literatur, dass nach einer bestimmten Zen-Ansicht ein Augenblick aus einem Fingerschnippen besteht. Oder waren es sechzig Einheiten auf ein Schnippen? Jedenfalls: Wir leben so. Seither schnippen wir beständig mit den Fingern, wir sind uns des Austickens der Zeit bewusst.«
Sie spricht und erzählt von Noah, als ob sie damit etwas gutmachen will. Weil er oben ist und ich noch immer nicht bei ihm. Weil sie es ist, die ihm die kleine Schale mit Salat hochträgt und nicht ich. Weil er ihr Leben ist und nicht meins.
Während ich darauf warte, dass sie zurückkommt, rattert vor dem Küchenfenster ein Traktor vorbei. Ein aufgemotzter. Auch Fred sucht sich Teile zusammen, um sein Monster kräftiger zu machen. Will bereit sein für den Mai, wenn es hier oben wieder ans Traktorpulling geht, dieses hirnverbrannte Schleppen eines Steins über ein flach gewalztes Feld. Wir leben uns, seit ich hergezogen bin, auseinander. Dabei sollten wir gerade jetzt …
Meine Nase beginnt zu tropfen.
Zusammen mit Sonja schwebt ein Tonikum die Treppe herunter, Duftmoleküle eines Präparats, das mich an Krankheit, langes Siechtum erinnert. Es erinnert mich an meine damalige Zeit im Krankenhaus, und es attackiert mich.
»Ist dir nicht gut?«
Eine Erinnerung, die ich tilgen möchte, ausreißen mit Stumpf und Stiel. Ic...

Table of contents

  1. Cover
  2. Titel
  3. Impressum
  4. Widmung
  5. Inhalt
  6. DAS LEBEN, DAS WIR FÜHRTEN
  7. BLEIB!
  8. ALLES, WAS WIR NIEMALS WOLLTEN
  9. DAS VERSPRECHEN VON GLÜCK
  10. ANMERKUNG DER AUTORIN
  11. DANK
  12. ZUR AUTORIN