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Verstehen, was passiert: Wissenschaftler, Politiker, Experten und Unternehmer betrachten in Das Netz die wichtigsten Entwicklungen rund um unser digitales Leben. In mehr als 50 Interviews, EinschĂ€tzungen, Analysen und flammende PlĂ€doyers geht es um die digitale Transformation von Gesellschaft und Unternehmen, das Internet der Dinge, KĂŒnstliche Intelligenz, Algorithmenethik und Verantwortung, Social Media und digitalen Wahlkampf sowie die Digitalisierung in China und den USA.PflichtlektĂŒre fĂŒr alle, die sich fĂŒr die Digitalisierung interessieren.
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Information
Subtopic
Globale PolitikPOLITIK
Eine digitale Schlammschlacht
von Lukas Schöne
August 2016: Eine Wahlkampfveranstaltung in einer Kleinstadt irgendwo in Pennsylvania. Die Menschen tragen Kappen mit der Aufschrift âMake America great againâ, schwenken Fahnen, warten gespannt auf den Auftritt ihres PrĂ€sidentschaftskandidaten. NatĂŒrlich sind auch Journalisten da, sprechen mit Leuten, fĂŒhren Interviews. Eigentlich war die Stimmung ganz nett, wird Matthias Kolb, der fĂŒr die SĂŒddeutsche Zeitung aus den USA berichtet, spĂ€ter sagen. Doch dann betritt Donald Trump die BĂŒhne â und legt los. Er beschimpft und beleidigt âdie Medienâ, bezichtigt sie der LĂŒge und spricht von Manipulation. Die Menge gröhlt zustimmend. Es sind genau die Menschen, die kurz zuvor noch bereitwillig Interviews gaben und mit den Reportern von CNN, Fox News oder NBC Selfies machten.
Die Szene, die Journalist Kolb erlebt hat, steht beispielhaft dafĂŒr, welche Gangart in diesem US-Wahlkampf herrschte. Fakten zĂ€hlten nicht mehr, Emotionen und GefĂŒhle bestimmten die politischen Debatten. Jeder bastelte sich seine eigene Wahrheit. Es gibt einen Begriff dafĂŒr, der durch die Medien waberte: Wir befinden uns im âpostfaktischen Zeitalterâ. Donald Trump ist eine der Hauptfiguren, an der Beobachter diese Entwicklung festmachen. Das Duell zwischen ihm und Hillary Clinton verkam zu einer Schlammschlacht. Einer Schlacht, die natĂŒrlich auch auf digitalen KanĂ€len gefĂŒhrt wurde.
Neu ist die Nutzung dieser KanĂ€le in der US-amerikanischen Politik nicht, Barack Obamas Social-Media-Kampagnen im letzten Wahlkampf galten als mustergĂŒltig. Neu ist aber, dass offensichtliche LĂŒgen plötzlich salonfĂ€hig und durch die Mechanismen der Online-Netzwerke verstĂ€rkt wurden. Besonders Donald Trump scheint egal zu sein, ob er wahre oder unwahre Behauptungen ins Netz feuert.
Trumps Ziel war: Er wollte gehört werden und lauter sein als seine Rivalin. Und er war lauter. âTrump ist ein echter, nationaler Promi. Seine Show war jahrelang auf Platz eins â und so, mit diesem Blick auf die Dinge, tritt er auch aufâ, erklĂ€rte Steven Ginsberg, politischer Korrespondent der amerikanischen Washington Post, im GesprĂ€ch mit dem NDR.
Donald Trump ist eine Medienfigur durch und durch. Er beherrscht die Logik von Twitter, Facebook und Co. Ihm kommt zugute, dass vor allem die 140 Zeichen bei Twitter einfache Lösungen und Aussagen verlangen. Einem Populisten wie Trump helfe es, dass in der digitalen SphĂ€re die groĂe Gesamtöffentlichkeit in viele kleine Teilöffentlichkeiten zerfalle, sagte Johannnes Kuhn. âEntsprechend leicht fĂ€llt es ihm, seine Botschaften richtig zu platzierenâ, resĂŒmiert der Journalist. Kuhn berichtet ebenso wie Matthias Kolb fĂŒr die SĂŒddeutsche Zeitung aus den USA. Gemeinsam mit ihrem Kollegen Hakan Tanriverdi stellten sie ihre EindrĂŒcke auf dem ZĂŒndfunk Netzkongress im Oktober 2016 in MĂŒnchen vor.
In der Diskussion in MĂŒnchen wurde deutlich: Trump bewegt sich online in einer Filterblase. Dort werden selbst krude Botschaften verstĂ€rkt und nach auĂen getragen. Im Wahlkampf postete er fragwĂŒrdige Umfragen, die ihn im Rennen um die PrĂ€sidentschaft vorne sahen, er bediente die Erwartungen seiner AnhĂ€nger. Selbst eigene Parteikollegen griff er an. âTrump lebt in dieser Welt auf seine eigene, verrĂŒckte Art und Weiseâ, sagt SZ-Autor Kuhn. Das Fazit der drei Journalisten: Trump will Menschen erreichen, die sich abgehĂ€ngt fĂŒhlen. Menschen, die genug von den politischen Eliten in Washington haben. Und Menschen, die gerne dem vermeintlich stĂ€rksten AnfĂŒhrer folgen wollen. âDie Menschen sind gefesselt von jemandem, der alle Regeln bricht. Das hat eine gewisse Faszination und man will sehen, wohin das fĂŒhrtâ, versucht Ginsberg von der Washington Post das PhĂ€nomen Trump zu erklĂ€ren.
Hillary Clintons Social-Media-Strategie unterschied sich dagegen wesentlich von der Trumps. Kuhn bringt es so auf den Punkt: âClinton ist nicht aus dem Social-Media-Universum, sie ist eine private Frau. Ihr fehlt in der digitalen Welt die AuthentizitĂ€t.â
Deswegen kam Clintons Wahlkampf in den sozialen Medien eher klassisch daher. Sie twitterte Statistiken ĂŒber GefĂ€ngnisinsassen in den USA oder postete inszenierte Bilder, zu denen sie wohlĂŒberlegte Wahlkampfslogans textete. Meist sah das professionell aus, alles war gut durchdacht. Clinton wollte sich auch online staatsmĂ€nnisch prĂ€sentieren. Aber vielleicht war gerade das ein Problem. Donald Trumps Tweets kommen spontaner daher, sie klingen eher so, wie er spricht. Deswegen bekamen sie in der Regel mehr Aufmerksamkeit.
Trump bezeichnete seine Rivalin im Wahlkampf als âCrooked Hillaryâ (betrĂŒgerische Hillary) und befeuerte immer wieder krude Verschwörungstheorien. âTrump greift Verschwörungstheorien, die im Netz kursieren, auch bei seinen Wahlkampfreden auf. Zum Beispiel heiĂt es da immer wieder, Clinton habe Menschen umbringen lassenâ, berichtete Kolb den erstaunten Zuhörern in MĂŒnchen. UnglĂ€ubiges GelĂ€chter ist die Reaktion. Doch in den USA gibt es viele Menschen, die so etwas glauben.
Nicht nur im US-amerikanischen Wahlkampf werden die Fakten passend zurechtgebogen, âpostfaktischesâ Verhalten gibt es ĂŒberall. Auf dem ZĂŒndfunk Netzkongress wird ein Video mit Zitaten von Franz Beckenbauer, Andreas Scheuer und GĂŒnther Oettinger eingespielt. Der âKaiserâ will auf den Baustellen fĂŒr die FuĂball-WM in Katar keine Sklaven gesehen haben, der CSU-GeneralsekretĂ€r findet fuĂballspielende Senegelasen âbesonders schlimmâ und der EU-Kommissar fĂŒr Digitales fordert, dass Englisch als Weltsprache weiter gestĂ€rkt werden mĂŒsse â vorgetragen in unverstĂ€ndlichem Englisch. Donald Trump ist nicht alleine damit, Fakten an den Rand zu drĂ€ngen. Der Trend zur Emotionalisierung von Debatten ist ĂŒberall zu beobachten.
Vielleicht hilft es, sich manche Dinge ganz analytisch anzuschauen, besonders in der aufgeheizten AtmosphĂ€re des US-Wahlkampfs. Das gilt auch fĂŒr das Verhalten von Donald Trump auf Twitter. Die Webseite trumptwitterarchive.com etwa analysiert Trumps Tweets und zĂ€hlt, wie oft er AusdrĂŒcke wie âdummâ, âLoserâ oder âTrottelâ verwendet.
Auch die SĂŒddeutsche Zeitung hat einen Blick hinter die Kulissen des Social-Media-Wahlkampfs geworfen und Daten von Trumps Twitter-Account ausgewertet. Autor Bernd Graff zeigt, dass Trumps Profil im Wahlkampf von zwei verschiedenen Smartphones bespielt wurde: einem Android-GerĂ€t und einem iPhone. Das hat der Datenwissenschaftler David Robinson herausgefunden. Demnach stammten Tweets, die Beleidigungen, Hasskommentare oder andere negative Aussagen enthalten, vom Android-GerĂ€t, wĂ€hrend die positiven und optimistischen Texte vom iPhone losgeschickt wurden. Donald Trump selbst zeigte sich in der Ăffentlichkeit immer mit Android-Handy, das iPhone gehörte wahrscheinlich zu seinem Wahlkampfteam. âDr. Jekyll und Mr. Trumpâ, nennt Journalist Graff das Ergebnis.
Interessant ist auch, wie Donald Trump online mit Skandalen und EnthĂŒllungen rund um seine Person umgeht. Er tritt meist die Flucht nach vorne an. Nachdem ein Video öffentlich wurde, in dem er sich sexistisch und abfĂ€llig ĂŒber Frauen Ă€uĂert (âWenn du ein Star bist, lassen sie dich alles machen.â), veröffentlichte er eine halbherzige Entschuldigung und ging sofort zum Angriff auf seine Rivalin ĂŒber. Auch als bekannt wurde, dass er jahrelang keine Steuern bezahlt hatte, griff er erneut sofort Clinton an und machte sie fĂŒr die laschen Steuergesetze in den USA verantwortlich.
Doch Trumps wohl auffĂ€lligste Taktik ist seine Stimmungsmache gegen die groĂen, traditionellen Medien. Sie wĂŒrden die Wahl manipulieren wollen, indem sie gezielt LĂŒgengeschichten ĂŒber ihn verbreiteten. In regelmĂ€Ăigen AbstĂ€nden twitterte er âMedia rigged election!â â die Medien wĂŒrden die Wahl manipulieren, ein schwerer Vorwurf. Er wies Anschuldigungen, die gegen ihn im Raum standen, von sich â und witterte einen groĂen Medienkomplott. Ohne die sozialen Medien und eine radikale rechte Medienszene wĂ€re Trump kaum in der Lage gewesen, solche GerĂŒchte, die tausendfach retweeted und geteilt wurden, zu verbreiten.
Und was ist mit Hillary Clinton? SchlieĂlich vergisst man bei all den Skandalen um Donald Trump schnell, dass sie keineswegs eine weiĂe Weste hat. Das FBI rĂŒgte sie, weil sie dienstliche Mails von ihrem privaten Mailserver verschickt hatte. Die EnthĂŒllungsplattform Wikileaks veröffentlichte Gagen, die sie fĂŒr Reden bei groĂen Banken wie Goldman Sachs erhalten hatte. Eine gewisse NĂ€he zur Finanzindustrie an der Wall Street war ihr schon lange vorgeworfen worden.
Clintons Reaktion in den sozialen Medien: Gar keine. Sie machte weiter Wahlkampf und blendete die VorwĂŒrfe gegen sie â zumindest online â einfach aus. Ein Umstand, der manchen Beobachtern sauer aufstieĂ. âClintons Fehler fallen mir zu oft unter den Tischâ, Ă€rgerte sich ein Teilnehmer des ZĂŒndfunk Netzkongresses. âVor allem deutsche Medien haben sich sehr auf Trump eingeschossen.â Er sei zwar kein Fan von Trump, im Gegenteil. âAber ich frage mich, ob das eine ausgewogene Berichterstattung ist.â
Selten gab es in den USA wohl zwei so unbeliebte PrĂ€sidentschaftskandidaten. Das war wahrscheinlich ein Grund, warum dieser Wahlkampf in eine solche Schlammschlacht mĂŒnden konnte.
Doch ganz gleich, ob man sich wundert, wie ein Mann, der twittert und postet wie ein Troll, PrĂ€sident der USA werden konnte â eines ist klar: Social Media kann in der Politik eine groĂe Macht entfalten. Und abgesehen von der Frage, wer diese Wahl am Ende aus welchen GrĂŒnden fĂŒr sich entschieden hat, tragen die Strukturen der digitalen Welt dazu bei, dass Menschen wie Donald Trump sich Gehör verschaffen können.

Foto: Privat
Lukas Schöne, 24, ist geboren und aufgewachsen in der sĂŒdwestfĂ€lischen Provinzstadt Attendorn und war dort ĂŒber drei Jahre als Lokalreporter unterwegs. Er studierte Sozial- und Medienwissenschaften mit dem Schwerpunkt Politische Kommunikation in Siegen. Zurzeit absolviert er die Ausbildung zum Redakteur an der Deutschen Journalistenschule in MĂŒnchen und macht seinen Master in Journalismus an der Ludwigs-Maximilians-UniversitĂ€t.
Zur Evolution digitaler WahlkÀmpfe
von Adrian Rosenthal und Axel Wallrabenstein
Auch wenn man in Zeiten von Brexit und Donald Trump mit Prognosen mittlerweile vorsichtig geworden ist: Eine Vorhersage wollen wir wagen, da sie so sicher wie der nĂ€chste wĂŒtende Tweet von Donald Trump eintreffen wird. Der deutsche Plakatwald wird auch im nĂ€chsten Bundestagswahlkampf in voller Pracht und Farbenvielfalt erblĂŒhen.
Dem deutschen Plakatwald geht es gut
Denn Parteien und WahlkĂ€mpfer werden auch 2017 einen groĂen Teil ihres Budgets, ihrer Zeit und ihrer (kreativen) Energie darauf verwenden, Bilder und Slogans fĂŒr Plakate zu erdenken, zu diskutieren, abzustimmen â und diese dann auf- und spĂ€ter wieder abzuhĂ€ngen. Eine Funktion erfĂŒllen Plakate auf jeden Fall: Sie erinnern daran, dass bald eine Wahl ist. Ansonsten: austauschbare Slogans und Bilder. Und auch wenn der Tagesspiegel jĂŒngst âWahlplakate verlieren an Bedeutungâ titelte: Der Plakatwald wird kommen.
Vorbild USA? Vorbild Obama!
Und das, obwohl wir den stark digital geprÀgten Wahlkampf auf der anderen Seite des Atlantiks aus Deutschland schon lange genau beobachten. Parteistrategen und Wahlkampfberater pilgern seit Jahren in die USA, um sich das dortige politische Campaigning genau anzuschauen. Was sie...
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- Editorial: Wir lagen vor Madagaskarâ...
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