Das Netz 2015/2016
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Das Netz 2015/2016

JahresrĂŒckblick Netzpolitik

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Das Netz 2015/2016

JahresrĂŒckblick Netzpolitik

About this book

Gesellschaftliche VerĂ€nderungen und Konflikte im digitalen Zeitalter sowie deren Aushandlungsprozesse bilden den Schwerpunkt der Ausgabe 2015/2016. Dazu gibt es Hintergrundartikel, Interviews und Kommentare zu Themen wie MobilitĂ€t, Gesundheit, Datenschutz, Urheberrecht, Migration, Bildung und Kunst- außerdem Tipps und Handreichungen zum tĂ€glichen Umgang mit dem Netz.Ein monatlicher Zeitstrahl listet die wichtigsten netzpolitischen Ereignisse und Entwicklungen des zurĂŒckliegenden Jahres und schafft Überblick in einem der dynamischsten Politikfelder ĂŒberhaupt.

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Politik

Offene Gesellschaft – Geheim, geheimer, staatsgeheim

von Kai Biermann
Trotz freier Presse, Open Data und Wikileaks wĂ€chst die Zahl der amtlichen Geheimnisse. Und mit ihnen wachsen der tiefe, unkontrollierbare Staat und die Ohnmacht seiner BĂŒrger.
Geheimhaltung und Journalismus – diese beiden Dinge vertragen sich nicht. Sie sollen und dĂŒrfen sich auch gar nicht vertragen, wenn sie ihrer jeweiligen Aufgabe gerecht werden wollen. Journalistinnen und Journalisten sollen Dinge öffentlich machen, sollen berichten, damit möglichst viele Menschen sich informieren, sich eine Meinung bilden können.
So ist es kein Wunder, wenn ein Journalist – wie der Autor dieses Textes – findet, dass es viel zu viele Geheimnisse gibt. Und es ist sicher auch nicht verwunderlich, wenn Mitarbeiter eines Geheim(sic!)dienstes gegenteiliger Meinung sind.
Denn staatliche Geheimhaltung soll es Regierungen ermöglichen, ihr Handeln zu planen, ohne dass politische, wirtschaftliche oder militĂ€rische Gegner sofort davon erfahren und sich darauf einstellen. Das wĂ€re fĂŒr eine begrenzte Zeit auch in Ordnung, aber leider bleibt es dabei nicht. Geheimnisse sind eine strategische Ware.
Die Bundesregierung setzt sie beispielsweise gezielt ein, um AufklĂ€rung ĂŒber Sauereien zu verhindern. Im NSA-Untersuchungsausschuss des Bundestages ist das gut zu beobachten. Die Akten, die die Regierung den Abgeordneten fĂŒr ihre Ermittlungsarbeit ĂŒberlĂ€sst, sind sĂ€mtlich heftig geschwĂ€rzt oder geblĂ€ut und dadurch gern bis zur Sinnlosigkeit entstellt. AufklĂ€rung wird damit zu einem Puzzle, bei dem aus Satzfragmenten und Andeutungen ein Bild zusammengesetzt werden muss.
Kooperationen zwischen zwei Geheimdiensten zum Beispiel werden auch noch mehr als zehn Jahre nach ihrem Ende mit der BegrĂŒndung als „streng geheim“ eingestuft und weggeschlossen, alles andere wĂŒrde Methoden der Dienste verraten. Dabei verbergen sich in genau diesen Kooperationen die Probleme. Bei ihnen wurde das Recht gebeugt und gebrochen, wurden Grundrechte verletzt. Zehn Jahre sind in der AufklĂ€rung digitaler Signale im Übrigen eine Ewigkeit, die Methoden haben sich in dieser Zeit lĂ€ngst verĂ€ndert. Doch im Untersuchungsausschuss darf öffentlich nicht einmal der Name der Operation „Glotaic“ genannt werden, der lĂ€ngst in allen Zeitungen stand. Was bedeutet, dass albernerweise immer nur von „Glo-Punkt-Punkt-Punkt“ die Rede ist.
Dem immerhin einstimmig beschlossenen Untersuchungsausschuss des Bundestages werden sogar zentrale Beweise vorenthalten. Die sogenannten Selektoren, die Suchworte, mit denen der BND im Auftrag der NSA in Daten stöberte, bleiben trotz aller Proteste unter Verschluss. Niemand außerhalb der Regierung darf sie sehen.
Solange Menschen versuchen, sich ĂŒber andere einen Vorteil zu verschaffen, wird es Geheimnisse geben, keine Frage. Wo aber ist die Grenze? Wo ist der Weg, der fĂŒr eine demokratische, fĂŒr eine offene (!) Gesellschaft der beste ist? Geheim, geheimer, staatsgeheim? Wer legt fest, was die Öffentlichkeit erfahren darf und was sie nichts angeht? Und wer kontrolliert das?
Die kurze Antwort lautet: die Behörde, die die Geheimnisse verursacht hat. Der Bundesnachrichtendienst bestimmt, welche seiner Aktionen fĂŒr Jahrzehnte im Panzerschrank zu verschwinden hat. Das Bundeskanzleramt verfĂŒgt, ob ein Vertrag mit der National Security Agency der USA je das Licht der Öffentlichkeit erblicken darf. Nur sie können Geheimhaltungsfristen verlĂ€ngern oder verkĂŒrzen, nur sie dĂŒrfen Geheimhaltungsgrade herabstufen. So steht es in der sogenannten Geheimschutzordnung, so ist es Gesetz.
Doch die lange Antwort ist wie immer nicht so einfach.
Politik und Regierungshandeln mĂŒssen transparent sein, sonst funktioniert Demokratie nicht. WĂ€hler vereinen Macht auf GewĂ€hlte, sie haben daher ein Recht zu erfahren, was die damit anstellen und ob sie im Sinne derer handeln, die sie gewĂ€hlt haben. Es braucht also Wege, Regierungen zu kontrollieren.
Denn leider funktionieren Menschen ohne Regeln und ohne Angst vor Strafe eher schlecht. Das gilt fĂŒr VierjĂ€hrige genauso wie fĂŒr ausgewachsene Politiker. Wer nicht fĂŒrchten muss, dass sein Handeln entdeckt wird, der handelt gern auch mal nur in seinem eigenen Sinne und nicht unbedingt zum Wohl der Allgemeinheit. Wer glaubt, nicht zur Verantwortung gezogen werden zu können, hat nur noch ein paar moralische Schranken – im besten Fall. Macht braucht Kontrolle. Eine wirksame Kontrollmöglichkeit sind Transparenz und Öffentlichkeit.
„Publicity is justly commended as a remedy for social and industrial diseases. Sunlight is said to be the best of disinfectants; electric light the most efficient policeman“, schrieb der Richter Louis Brandeis im Dezember 1913 in Harpers Weekly. Übersetzt: Öffentlichkeit werde zu Recht als Heilmittel fĂŒr gesellschaftliche und wirtschaftliche Krankheiten empfohlen. Sonnenlicht gelte als das beste Desinfektionsmittel, elektrisches Licht als der effektivste Polizist.
Daher gibt es beispielsweise den Artikel fĂŒnf des Grundgesetzes: „Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewĂ€hrleistet. Eine Zensur findet nicht statt.“
Freie Medien sollen die Regierung kontrollieren und die Öffentlichkeit so gut wie möglich informieren. Dazu gehört auch, dass sie im Zweifel Geheimnisse verraten. Daher steht seit einigen Jahren im Strafgesetzbuch, dass sie dafĂŒr nicht bestraft werden dĂŒrfen. Im Paragrafen 353a gibt es seit 2012 einen Abschnitt 3a, der dafĂŒr sorgt, dass Medien Dienstgeheimnisse entgegennehmen und veröffentlichen dĂŒrfen.
Trotzdem setzt sich dieser Gedanke nur mĂŒhsam durch. Ok, es gibt Fortschritte. Das Konzept der Open Data ist so einer: Open Data will Regierungshandeln transparent machen, indem die Statistiken und Daten, die mit Steuergeld erzeugt wurden, jedem zur VerfĂŒgung gestellt werden – damit alle von dem so generierten Wissen profitieren können und nicht nur ein paar Wenige. Denn auch Wissen bedeutet Macht.
Plattformen wie Wikileaks wollen diese Idee ebenfalls fördern, wollen originale Quellen veröffentlichen, damit jeder sich ein Bild machen kann. FĂŒr eine demokratische Gesellschaft ist das gut. Garantiert es doch, dass MissstĂ€nde nicht unentdeckt bleiben. Oder, wie ein hochrangiger Geheimdienstler im NSA-Untersuchungsausschuss des Bundestages sagte: „Ich bin immer davon ausgegangen, dass sowieso alles raus kommt.“ Gut so.
Nimmt die Zahl der staatlichen Geheimnisse also ab? Eher nicht. Beispiel USA: Dort fĂŒhrt das Information Security Oversight Office (ISOO) eine jĂ€hrliche Statistik ĂŒber die Menge der amtlich geheim gehaltenen Dokumente. Demnach sinkt in den USA zwar die Zahl derjenigen, die Dokumente als geheim oder streng geheim einstufen dĂŒrfen seit vielen Jahren. Auch die Zahl der Originaldokumente, die geheim sind, verringert sich seit 2004 stetig. Die Menge der geheimen Informationen jedoch ist gleichzeitig seit 2008 enorm gestiegen. Denn auch alle Akten und SchriftstĂŒcke, die sich auf geheime Unterlagen beziehen oder aus ihnen zitieren, sind geheim. Solche Derivate des Geheimen werden in den USA jedoch immer mehr.
Indirekt zeigt sich das Wachsen des geheimen Staates auch an den Ausgaben fĂŒr die entsprechenden Dienste und Operationen, black budget genannt. Das steigt seit Jahren unaufhörlich. Im Jahr 1998 betrug das Budget aller amerikanischen NachrichtendienstaktivitĂ€ten 26,7 Milliarden US-Dollar. Im Jahr 2013 gab die US-Regierung bereits 52,6 Milliarden Dollar aus. Eine Zahl ĂŒbrigens, die die Öffentlichkeit Edward Snowden verdankt, denn der Etat der Spione ist selbstverstĂ€ndlich geheim.
In Deutschland sieht der Trend genauso aus. Im Jahr 2000 gab der Bund dem Bundesnachrichtendienst 331 Millionen Euro. Im Jahr 2015 betrug dessen Etat bereits 615 Millionen Euro, also fast doppelt so viel. Der fĂŒr das Bundesamt fĂŒr Verfassungsschutz stieg in der gleichen Zeit von 113 auf 210 Millionen Euro. Die Zahl der Menschen in Deutschland hat sich in den 15 Jahren nicht verdoppelt, die Ausgaben fĂŒr die Überwacher und Spione schon.
Wie viele Geheimnisse es hierzulande gibt, ist nicht so leicht zu ermitteln. Die Menge der geheim gestempelten Dokumente wird nicht zentral gesammelt und schon gar nicht veröffentlicht. Die WÀhler sollen nicht einmal erfahren, wie viele Geheimnisse es gibt. Schon das ist eigentlich ein Skandal.
Und wer bei Bundesministerien nach solchen Zahlen fragt, erfĂ€hrt auch gleich noch, wie relativ Geheimnisse eigentlich sind und wie abhĂ€ngig von dem guten Willen der geheim haltenden Behörde. So antwortet das Bundesverteidigungsministerium bereitwillig, man habe insgesamt 197.889 Akten im Bestand, davon seien 6.493 mit dem Geheimhaltungsgrad VS-Vertraulich eingestuft, weitere 11.967 seien VS-Geheim und 19 VS-Streng Geheim. Fast zehn Prozent der Akten des Verteidigungsministeriums sind somit in irgendeiner Form verschlossen – und die Auskunft darĂŒber ist kein Problem.
Das Bundesinnenministerium, zu dem die Polizei und der Verfassungsschutz gehören, antwortet hingegen, eine Statistik darĂŒber werde nicht gefĂŒhrt. Es sei auch nur mit einem „unverhĂ€ltnismĂ€ĂŸig hohen Verwaltungsaufwand“ zu ermitteln, wie viele Akten als geheim eingestuft sind. Denn die VS-Bestandsverzeichnisse gebe es nur in Papierform, sie mĂŒssten manuell durchgesehen werden. Was bedeutet: Es gibt eine Statistik, aber niemand will sie zugĂ€nglich machen.
Und das Bundeswirtschaftsministerium sagt gleich gar nichts. Die VS-Bestandsverzeichnisse seien genauso geheim wie die Akten, die in ihnen aufgelistet seien, daher erteile man keine Auskunft ĂŒber sie.
Wie soll angesichts einer solchen Haltung kontrolliert werden, ob Dinge zu Recht geheim sind oder ob sie nicht doch besser an die Öffentlichkeit gehören? Wie soll die Gesellschaft verhindern, dass auf diese Art ein verdunkelter, ein tiefer Staat im Staat wĂ€chst, der sich jeder Überwachung entzieht? In einer offenen Gesellschaft muss ein demokratischer Weg existieren, Geheimhaltungsgrade, Geheimhaltungsfristen und verschlossene Dinge zu ĂŒberprĂŒfen. Es wird Zeit, diesen Weg zu schaffen.
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Foto: Wolfgang Stahr
Kai Biermann: einst Psychologe, lĂ€ngst aber Journalist, Autor, Blogger und Redakteur im Team Investigativ | Daten bei Zeit Online. Er beschĂ€ftigt sich dort vor allem mit Datenschutz und Überwachung. 2011 erhielt er fĂŒr das Blog und fĂŒr die Mitarbeit an der interaktiven Grafik „VerrĂ€terisches Handy“ zwei Grimme-Online-Awards.

NSA-Ausschuss – Nicht öffentlich!

von Christoph Zeiher
Immer wieder versuchen die Abgeordneten im NSA-Ausschuss die AktivitĂ€ten der Geheimdienste aufzuklĂ€ren. Dieses Jahr brachte erstaunliche Erkenntnisse ĂŒber die Zusammenarbeit von BND und NSA – und ein sehr verlockendes Angebot.
Gehen Sie gerne in Sneak Previews? Sehen Sie, ich auch nicht. Sneak Previews, das sind diese Kinovorstellungen, bei denen man vorher keine Ahnung hat, welcher Film gezeigt wird. Das kann zwar ganz unterhaltsam und spannend sein. Man kann aber auch den neuen Til Schweiger-Film erwischen.
Bei einem Besuch im NSA-Untersuchungsausschuss verhÀ...

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