Neue Welt Mundus Novus
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und Vier Seefahrten

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Neue Welt Mundus Novus

und Vier Seefahrten

About this book

Während Columbus bis zu seinem Tod wahrscheinlich davon ausgeht, er habe den Seeweg nach Asien gefunden, ist Amerigo Vespucci der richtigen Überzeugung, dass es sich bei den neu entdeckten Küstenlandschaften um einen eigenen Kontinent handeln müsse. In seinen in Briefform überlieferten Reiseberichten Mundus Novus und Vier Seefahrten, die zu seinen Lebzeiten nie angezweifelt worden sind, betont er dies immer wieder – bis der Kartograph Martin Waldseemüller zusammen mit dem Humanisten Matthias Ringmann 1507 eine Weltkarte veröffentlicht, die den neuen Kontinent erstmals aufnimmt und mit dem Namen versieht: "America".

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EINFÜHRUNG

Amerika vor und bei seiner Wiederentdeckung
Entwicklungsstränge seiner Entdeckungsgeschichte
bis Columbus und Vespucci
Kein Ereignis in der Entdeckungsgeschichte hat vor allem die Völker Europas so beeindruckt und bewegt wie die Entdeckung der Neuen Welt – Amerikas. Doch schon lange vor Columbus gibt es erste Entdeckungsfahrten, die den amerikanischen Doppelkontinent aus westlicher und östlicher Richtung gewollt oder ungewollt ansteuerten, wie wir aus Zeugnissen der Antike und des Mittelalters wissen. Aber auf einen noch wesentlich längeren Zeitraum müssen wir zurückblicken, als die ersten Einwanderer in das menschenleere Amerika vordrangen und es sukzessive besiedelten.
ERSTE EINWANDERER UND UREINWOHNER
Woher kamen sie? Wann kamen sie?
Die erste Frage nach der geographischen Herkunft der Ureinwohner lässt sich eindeutiger beantworten als die zweite Frage nach dem genauen Datum der Einwanderung.
Und wie war es überhaupt möglich, dass Menschen vor 40 000 oder sogar 70 000 Jahren den amerikanischen Erdteil betreten konnten, ohne im Besitz von hochseetüchtigen Schiffen zu sein?
Diese Problematik beleuchtet der Geograph und Klimatologe Wilhelm Lauer (1981) von zwei natur- respektive klimageographischen Aspekten her. Der erste Aspekt erklärt die Ankunft der ersten Menschen auf amerikanischem Boden, der zweite die Wanderbewegung in den Kontinent.
In der Zeitspanne zwischen etwa 70 000 und 14 000 Jahren senkten Kaltphasen der letzten Vereisung den Meeresspiegel derart herab, dass die Beringstraße, eine wenig unterhalb des nördlichen Polarmeeres zwischen dem asiatischen Kap Deschnew (Tschuktschenhalbinsel) und dem amerikanischen Kap Prince of Wales (Sewardhalbinsel in Alaska) gelegene 60 km lange, 35 km breite und 57 m tiefe Meerenge, frei von Wasser und somit für nordasiatische Bevölkerungsgruppen passierbar wurde. Als die ersten Einwanderer auf den Nordwesten Amerikas trafen, war ein weiteres Vordringen zunächst unmöglich, da sich über den gesamten kanadischen Raum eine geschlossene Eisdecke erstreckte. Erst nach kürzeren wärmeren Klimaphasen konnten Wanderungen durch einen eisfrei beziehungsweise -arm werdenden Korridor zwischen den vereisten Rocky Mountains und dem östlichen Inlandeis in südliche Richtung stattfinden. So wechselten während der letzten Eiszeit kältere und wärmere Phasen einander ab, wobei die kältere die Beringstraße landfest werden ließ, die wärmere den Durchgang nach Süden schuf und damit Wanderungsbewegungen in den amerikanischen Kontinent auslöste.
Den Nordwesten Amerikas erreichten die Ureinwohner irgendwann vor 40 000 bis 70 000 Jahren. Von hier aus konnten sie erstmals vor etwa 36 000 Jahren den Bereich der Inlandeisbarriere durch einen Korridor verlassen und sich in Teilen der USA und Mexikos ansiedeln. Bei den sich südwärts orientierenden Wanderungen in günstigere Klimazonen sonderten sich verschiedene Gruppen voneinander ab. Von Mexiko über den Isthmus von Panama dürften bereits in einem Zeitraum zwischen 12 000 und 16 000 Jahren erste Gruppen den äußersten Süden Südamerikas erreicht haben.
Nach unserem Sprachgebrauch handelt es sich bei den erwähnten Einwanderergruppen um Indianer, die einen hohen Grad an Multiethnizität erreichten, der sich nicht erst allein isoliert auf dem amerikanischen Doppelkontinent (Nord- und Südamerika) herauskristallisierte, sondern bereits während der Ureinwanderung in verschiedenen Rassen- und Sprachzugehörigkeiten angelegt war. Denn setzte man bei den ersten Einwanderungswellen eine homogene Rasse voraus, würde sich heute wohl kaum ein so sehr heterogenes Erscheinungsbild vom Indianer präsentieren können, worauf uns der Völkerkundler Hermann Trimborn (1964) nachdrücklich verweist. Sicher ist, dass die Ureinwohner dem großen mongoliden Rassenkreis Asiens angehörten. Die Bezeichnung »Indianer« leitet sich vom Namen des Subkontinents Indien ab und beruht auf einem Irrtum, der seit der Entdeckung Amerikas durch Columbus nicht mehr zu korrigieren war. Columbus segelte von Europa nach Westen und glaubte, in den vorgefundenen Ländern auf Indien getroffen zu sein.
Bedenken wir, dass die ersten Einwanderer und zugleich Ureinwohner Amerika schon vor 70 000 Jahren erreicht haben können und Columbus erst im Jahre 1492 auf Amerika traf, ist es gerechtfertigt, den Namen »Indianer« zumindest für den einen langen Zeitraum einnehmenden Vorgang der Erstbesiedlung und Inbesitznahme zu meiden und besser von Einwanderern zu sprechen, die als erste menschliche Gruppen Amerika besiedelten und als dessen Ureinwohner gelten.

ERSTE ENTDECKUNGEN

Die westöstliche Entdeckungsrichtung
Die Entdeckung Amerikas setzt bereits lange Zeit vor Christi Geburt ein. Die frühesten Entdeckungen waren nach unserem heutigen Kenntnisstand vom ostasiatischen Kulturkreis aus erfolgt. Ob diese Entdeckungsfahrten von Westen nach Osten über den Pazifischen Ozean bewusst und gezielt in Angriff genommen worden waren, scheint zweifelhaft. Wahrscheinlicher dagegen ist es, dass die ersten Kontakte zwischen Asien und Amerika ungewollt zustande kamen. Geriet nämlich ein Boot aus ostasiatischen Gewässern in den Sog der Kuroshio-Meeresströmung, die östlich Taiwans einsetzt und sich bei etwa 40° nördlicher Breite von Japan aus ostwärts bewegt, so konnte es ohne Weiteres mit der nordpazifischen Strömung in östlicher Richtung auf die Westküste Nordamerikas treiben. Die Besatzung, auf solche Weise einer durch natürliche Kräfte erzwungenen Route folgend, strandete regelrecht auf Neuland, sodass man solch eine unbeabsichtigte Entdeckungsleistung als das Ergebnis einer Verschlagung bezeichnet. Den heimatlichen Gewässern Ostasiens entrissen, mussten sich verschlagene japanische Fischer wie Ausgesetzte vorgekommen sein, als sie ungefähr um 3000 v. Chr. an die Westküste des amerikanischen Doppelkontinents angespült wurden.
Im Jahr 1974 setzt sich der Österreicher Kuno Knöbl mit sieben Gefährten in eine chinesische Dschunke, die einem Modell aus der Zeit um Christi Geburt nachgebildet wurde, um den eben skizzierten Weg von Asien über den Nordpazifik nach Amerika als mögliche Schifffahrtsroute empirisch nachzuvollziehen. Doch nach einer Fahrtzeit von über einem Vierteljahr muss man nach zwei Dritteln der zurückzulegenden Strecke, nach etwa 8000 von 12 000 km, aufgeben. Schiffsbohrwürmer (häufigste Art der Schiffsbohrmuscheln) fraßen sich in das Fichtenholz der Dschunke »Tai Ki«. Aber hätte man statt wochenlanger Flaute in japanischen Gewässern die gewohnte Zugstärke des Kuroshio-Stroms erwischt, wäre die amerikanische Küste trotz Bohrmuscheln mit großer Wahrscheinlichkeit erreicht worden (K. Knöbl 1975). So erfuhr Kuno Knöbl dann auch Anerkennung von dem wohl populärsten Vertreter der Experimentellen Archäologie, dem norwegischen Forscher Thor Heyerdahl. Persönlich schrieb er an den Gesamtleiter der österreichischen Transpazifik-Expedition: »Ihre Reise mit der ›Tai Ki‹ hat gewiß den Nachweis erbracht, daß primitive Wasserfahrzeuge eine Reise von Südostasien nach Amerika entlang des Großkreises über den Nordpazifik bewältigen konnten. Sie kamen auf jeden Fall weit genug, um die Möglichkeit eines direkten Seeweges von südchinesischen oder indonesischen Gewässern nach Amerika unter Beweis zu stellen« (Zitat aus K. Knöbl 1975, Klappentext). Heyerdahls weltberühmte Kon-Tiki-Expedition befuhr im Jahre 1947 den Südpazifik von Südamerika aus mit einem Balsa-Floß, wie es etwa 1500 Jahre zuvor traditionell in Altperu gebaut wurde. Die sechsköpfige Crew startete im peruanischen Hafen Callao und erreichte nach 101 Tagen das zu Französisch-Polynesien gehörende Atoll Raroia. Rund 7000 km waren geschafft. Diese spektakuläre Expedition zeigte, dass die Besiedlung Polynesiens von Südamerika aus theoretisch möglich gewesen wäre. Weitere derartige Expeditionen Heyerdahls mit primitiven Schiffstypen folgten mit dem Zweck, woanders noch frühere Migrationsrouten und Verbindungen zwischen den Völkern und Kulturkreisen nachzuweisen. Vorherrschende Winde und Meeresströmungen als Transportbänder spielen dabei eine tragende Rolle. (T. Heyerdahl 1978, 1980)
Um aber wieder auf die westöstliche Entdeckungsrichtung Asien–Amerika zurückzukommen, sei auf den großen Forschungsreisenden und Geographen Alexander von Humboldt verwiesen, der zu Beginn des 19. Jahrhunderts schon vermutete, dass amerikanische von asiatischen Kulturen beeinflusst wurden. Und ohne derartige Kontakte über den transpazifischen Weg im Sinne der kulturellen Diffusion Robert Heine-Gelderns wären die vielen übereinstimmenden Kulturmerkmale kaum denkbar. (K. Knöbl 1975)
Als weitere Quelle über frühere Entdeckungen respektive Kenntnisse Amerikas kommt die 1980 erschienene, groß angelegte kartographiehistorische Interpretation des belgisch-argentinischen Gelehrten Paul Gallez in Betracht. Schon vor dieser Arbeit war bekannt, dass vornehmlich Südamerika auf Karten und Globen des 15. und 16. Jahrhunderts einem Drachenschwanz ähnlich aus Südostasien herauswächst. Der Argentinier Enrique de Gandía erblickte erstmals 1942 in dem drachenschwanzartigen Gebilde den südamerikanischen Subkontinent. Als nicht exakt erscheinende und fehlerhafte Kartierung brauchte man den Drachenschwanz angeblich einer wissenschaftlichen Analyse nicht zu unterziehen. Gallez begann als Erster, die verschiedenen Drachenschwanzdarstellungen näher zu untersuchen. Es sei hier nur auf die Londoner Ptolemaios-Karte des deutschen Kartographen Heinrich Hammer aus dem Jahre 1489 verwiesen, welche drei Jahre vor der ersten Fahrt des Columbus »die vollständigste und richtigste Darstellung des südamerikanischen Flußnetzes« beinhaltet, »die vor der Mitte des 19. Jahrhunderts angefertigt worden ist« (P. Gallez 1980). Aber wie war es nur möglich, Südamerika in so früher Zeit zu kartieren? Der Bonner Geographie- und Reisehistoriker Hanno Beck beschreibt dieses Phänomen in seiner einführenden Problemorientierung zum Gallezschen Drachenschwanz-Buch wie folgt: »Wir stehen damit [gemeint ist der Drachenschwanz] vor einem Problem, das in der Wissenschaftsgeschichte nicht unbekannt ist: Wir erkennen ein vorhandenes Wissen, nur können wir uns (noch!) nicht erklären, wie es zustande kommen konnte.« (H. Beck 1980)
Denn »das Geheimnis des Drachenschwanzes« birgt Geheimnisse vergangener Expeditionen, zum einen von solchen, deren Existenz zwar als gesichert gilt, deren Absicht aber noch nicht geklärt werden konnte, zum anderen von denen, welche überhaupt noch nicht bekannt sind, die also erst noch entdeckt werden müssen. Diese Geheimnisse der Vergangenheit ans Tageslicht zu fördern, wird nicht zuletzt auch mit dem Einsatz computertechnischer Neuerungen in Zukunft ermöglicht werden können.
Selbstverständlich betreffen die soeben skizzierten Äußerungen im Hinblick auf vorkolumbische Entdeckungen Amerikas nicht allein die westöstliche, sondern genauso die im Anschluss zu verfolgende ostwestliche Entdeckungsrichtung.
Die ostwestliche Entdeckungsrichtung
Das bisher älteste bekannte Dokument, das die Anwesenheit phönizischer Seefahrer in Amerika belegt, wurde 1873 im brasilianischen Paraíba (heute João Pessoa) an der Ostspitze Südamerikas gefunden. Nachdem die Inschrift etwa zwei Jahrzehnte für echt gehalten wurde, bezweifelte man später deren wahren Charakter. Erst 1969 ließ sich aufgrund einer minutiösen philologischen Studie die Echtheit des achtzeiligen Textes nicht mehr anzweifeln. Dem Bonner Theologen und Aramaisten Lienhard Delekat (1969) war es fast 100 Jahre nach dem Fund von Paraíba gelungen, die Anwesenheit der Phönizier in Amerika auf das 5. Jahrhundert v. Chr. zu datieren. Bevor die Phönizier aber in Paraíba schriftlich Zeugnis ablegten, müssen sie nach den Interpretationen Delekats zunächst auf Mittelamerika gestoßen sein, wo sie in erste Kulturkontakte getreten sind.
Dass phönizische Seefahrten auch technisch durchaus im Bereich des Möglichen lagen, bewies der Nestor authentischer, auf Hochseefahrten erprobter Schiffstypen: der bereits erwähnte Anthropologe, Zoologe und Geograph Thor Heyerdahl. 1970 gelangte Heyerdahl mit sieben Reisegefährten in 57-tägiger Fahrt von der marokkanischen Hafenstadt Safí nach Bridgetown auf der Insel Barbados, die im Südosten der Kleinen Antillen zugleich den östlichsten Punkt Mittelamerikas markiert. Der nach ägyptischen Vorbildern entwickelte und bei den Phöniziern bekannte Schiffstyp, ein rekonstruiertes Papyrusboot, absolvierte die 6100 km weite Transatlantikroute (Ra-II-Expedition) ähnlich erfolgreich, wie es seinerzeit den Phöniziern gelungen sein dürfte (T. Heyerdahl 1980). Von den Fähigkeiten phönizischer Seefahrer berichtet schon Herodot aus Halikarnassos, der uns vor allem als der Vater der Geschichtsschreibung ein Begriff ist. Ergänzend hierzu dürfen wir in diesem großen Griechen auch den »Vater der Geographie Europas« erblicken, wie ihn Hanno Beck (1982) bezeichnet hat. Etwa 150 Jahre nach einer phönizischen Afrikaumsegelung, die um 600 v. Chr. stattgefunden hatte, berichtet uns Herodot über dieses Ereignis. Den Befehl zu dieser Expedition erteilte Pharao Necho II. so klar, dass die Umschiffbarkeit des afrikanischen Kontinents schon vorher bekannt gewesen sein musste, da Necho die Expedition vom Roten Meer in der Gewissheit aussandte, dass diese nach der Umfahrung Südafrikas sowie nach dem Passieren der Säulen des Herakles (Straße von Gibraltar) ohne Weiteres in Ägypten zurückerwartet werden konnte. Die ersten Umschiffungen Afrikas müssen demgemäß von Osten nach Westen vollzogen worden sein. Auch der sprachwissenschaftliche Nachweis des phönizisch geprägten Begriffs Ozean spricht für dieses bedeutende Seefahrervolk (C. Ritter 1861; M. Büttner 1980).
Ob die im Mittelalter in irischen Überlieferungen angeführten Seefahrten über den Atlantik tatsächlich stattgefunden haben, darf wohl spätestens seit der im Jahr 1977 in heyerdahlscher Manier geglückten Überfahrt von Irland nach Neufundland durch Timothy Severin nicht mehr als vollkommen unmöglich erscheinen (T. Severin 1979).
Aus einer normannischen Landnahmesage um 1200 geht hervor, dass norwegische Siedler unter Floke Vilgerdson um 865 den ersten Versuch einer Besiedlung Islands wagten, sich aber infolge einer zu kalten Klimaepoche während einer besonders strengen winterlichen Phase geschlagen geben mussten. Angesichts klimatisch widriger siedlungsfeindlicher Umstände und eines voll mit Eis bedeckten Fjords bezeichnete man das ganze Land respektive die ganze Insel als »Eisland«, was zu »Island« synonym aufzufassen ist. Aber schon wenig später konnte unter Führung von Ingolf Arnarson im Jahr 874 aufgrund eines günstigeren, siedlungsfreundlicheren Klimas die Inbesitznahme der 103 000 qkm großen Insel erfolgen. Bis zum Jahre 930 vollzog sich die isländische Landnahme durch die norwegischen Siedler.
Grönland, was »Grünland« bedeutet, verdankt seinen gar nicht typisch erscheinenden Namen dem normannischen Entdecker Erik Thorwaldson, der uns als Erik der Rote bekannter ist. Dieser wurde 982 wegen Totschlags zu dreijähriger Verbannung verurteilt und musste somit seinen isländischen Hof verlassen. Die so geahndete Straftat und die Erinnerung an einen gewissen Gunnbjörn Ulfsson, der als einer der Pioniere Islands während einer Umsegelung der Insel weiter nach Westen abgetrieben sein muss und dort Land gesichtet hatte, veranlassten Erich den Roten, in westwärtiger Fahrt neues siedlungsfähiges Land zu erkunden. So erreicht er noch im selben Jahr mit seiner Gefolgschaft die mit einer Fläche von 2 175 600 qkm absolut größte Insel der Erde an einem Küstensaum im Südwesten, der wegen seiner blühenden Vegetationsdecke zum Zeitpunkt einer ohnehin wärmeren Klimaepoche den Normannen günstigere natürliche Gegebenheiten versprach, als diese zunächst ahnen konnten. Auch nach Ablauf der Verbannungsfrist und Rückkehr nach Island entschied sich Erich der Rote für eine grönländische Landnahme. Die Bezeichnung »Grünland« sollte wohl für eine sich lohnende Siedlertätigkeit werben. Island und Grönland hätten eigentlich ihrer natürlichen Ausstattung nach jeweils den Namen der anderen Insel erhalten müssen, aber Klimaschwankungen spiegelten oberflächlich andere natürliche Verhältnisse wieder (C. D. Schönwiese 1979).
Naturgeographisch war mit Grönland bereits ein zum nordamerikanischen Subkontinent gehöriges Land betreten. Leif Eriksson, ein Sohn Erichs des Roten, rüstete zu einer Entdeckungsfahrt nach Westen in der Annahme, weiteres siedlungsgünstiges Land zu erreichen in der Weise, wie es seinem Vater 18 Jahre vorher geglückt war. Dass man westlich Grönlands auf Neufundland treffen konnte, wusste man von dem Bericht des Bjarne Herjolfsson, der 985 seinen Eltern, die sich den Siedlungsplänen Eriks des Roten anschlossen, nach Grönland folgte. Dabei verschlug es ihn zu weit nach Westen, sodass er die amerikanische Küste im Süden Labradors erstmals sichtete. Dem norwegischen Archäologen Helge Ingstad (1966) zufolge haben sich die Normannen erstmals im Norden Neufundlands bei L’Anse aux Meadows niedergelassen. Da man hier wilde Reben antraf, wurde allgemein vom »Vinland« (= Weinland) gesprochen. Die normannischen Entdecker drangen auf ihren sogenannten Vinlandfahrten bis in den heutigen US-amerikanischen Bundesstaat Minnesota vor, westlich des größten Süßwasserseengebietes der Erde. 1898 wurde bei Kensington in Minnesota ein Stein gefunden, dessen Inschrift die Anwesenheit von acht Schweden und 22 Norwegern bezeugen soll, die 1362 im Auftrag des norwegisch-schwedischen Königs Magnus nach verschollenen Landsleuten suchten. Anhand zahlreicher zur Befestigung von Bootstauen dienenden Vertäuungssteine ließ sich die Schiffsroute jener Expedition rekonstruieren. Von Newport im heutigen Rhode Island umfuhr man zunächst Labrador, stieß in die später so genannte Hudsonbai hinein, fuhr den dort einmündenden Nelson River stromauf weiter durch den Winnipegsee und erreichte schließlich Minnesota. Vermutlich haben sich die Expeditionsteilnehmer mit der einheimischen Bevölkerung vermischt, denn nach Newport kehrten sie nicht mehr zurück. Interessanterweise ist noch nach drei Jahrhunderten der Name Magnus bei den Indianern bekannt. Eine Kolonisation des amerikanischen Festlands war den Normannen nicht gelungen. Dagegen waren an der Südwestküste Grönlands ungefähr 100 Siedlungsplätze mit etwa 5000 Bewohnern entstanden. Nachschubprobleme und das Eindringen der Eskimos unterbrachen dann den Kontakt zum im Osten gelegenen Heimatkontinent Europa (H. Trimborn 1961).
Schritt für Schritt tasteten sich die Normannen von Norwegen über den Nordatlantik nach unbekannten Ländern und letztlich sogar an einen neuen Erdteil heran. In drei Etappen mit den beiden Zwischenstationen Island und Grönland gelangten normannische Seefahrer in einem Zeitraum von 126 Jahren nach Vinland, dem Festland Nordamerikas. Dort hinterließen sie auch im Landesinnern ihre Spuren, ohne jedoch eine fortwährende Kolonisation auszulösen. Zweifelsohne besaßen die Normannen eine überdurchschnittliche Entdeckungsenergie, doch die Eroberung Amerikas sollte anderen europäischen Völkern überlassen bleiben.

WANDEL IM GEOGRAPHISCHEN DENKEN

Das christliche Abendland besaß im ausgehenden Mittelalter und zu Beginn des sich anschließenden Zeitalters der Renaissance noch keinerlei Vorstellung von einem weiteren, bis dahin un...

Table of contents

  1. Cover
  2. Über den Autor
  3. Zum Buch
  4. Titel
  5. Impressum
  6. INHALT
  7. EINFÜHRUNG
  8. KARTENTEIL
  9. MUNDUS NOVUS
  10. DIE VIER SEEFAHRTEN
  11. PERSONEN MIT LEBENSDATEN
  12. Kontakt zum Verlag