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About this book
Felix Steingruber ist Katzenhalter, KammerjĂ€ger und Junggeselle mit unspektakulĂ€rem Leben: Von SchĂ€dlingen geplagte Hausfrauen nötigen ihn zum Kaffeetrinken, seine Mutter gibt die Hoffnung auf Enkelkinder nicht auf, Frau ObermĂŒller bringt hin und wieder nach Katzenart ein Geschenk nach Hause. Nach einem seltsamen Traum aber muss Steingruber ĂŒber den Tod nachdenken. Ein Ratgeber aus der Bibliothek empfiehlt ihm, Tagebuch zu fĂŒhren. Das macht er, ein ganzes Jahr lang. AuĂerdem findet er in der Bibliothek eine Bibliothekarin, die dieses Jahr zu etwas Einzigartigem macht ⊠Ralf Schlatter versteht es unnachahmlich, Tragisches und Komisches ineinander zu verweben, er entdeckt die Poesie im Unscheinbaren, die Schönheit im Morbiden.
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Information
Montag, 11. MĂ€rz
Diese Nacht habe ich Folgendes getrĂ€umt: Ich war beim Psychiater. Er hieĂ Dr. König. Keine Ahnung, warum. Wir saĂen beide in tiefen Sesseln, zwischen uns stand ein Salontischchen. Auf dem Tischchen stand eine Schale mit Ăpfeln. Keine Ahnung, warum. Dr. König schaute mir lange und tief in die Augen, dann sagte er: âEs tut mir leid, Herr Steingruber, aber ich kann nichts mehr fĂŒr Sie tun.â Ich schluckte leer und sagte: âWie lange noch?â Er zuckte ein bisschen mit den Schultern, kratzte sich am rechten Ohr und sagte: âPlus, minus ein Jahr.â Dann bin ich erwacht. Ich habe sogleich Frau Höchstettner, Ameisen, abgesagt und bin in die Bibliothek gefahren. Zum ersten Mal in meinem Leben. Kurz vor der Bibliothek fuhr eine Ambulanz mit Blaulicht und Sirene an mir vorĂŒber. Keine Ahnung, warum. Ich habe ein Ratgeberbuch zum Thema âAngst vor dem Todâ ausgeliehen. Den Blick der Bibliothekarin werde ich so schnell nicht vergessen. Ich bin dann extra noch einmal zurĂŒck an die Theke, habe etwas Belangloses gefragt und ihr dabei auf den Busen gestarrt. Dort hing ihr Namensschild. Sie heiĂt Bernadette Amrain. Habe das Buch daheim gleich ĂŒberflogen. Im letzten Kapitel Einfache, aber wirkungsvolle MaĂnahmen steht, man solle doch ein Tagebuch fĂŒhren. Es könne helfen, seine Gedanken und Beobachtungen niederzuschreiben. Also habe ich eines gekauft. So ein trendiges, schwarzes mit einem Gummiband rundum, Format A5. Mein Handgelenk schmerzt bereits ein wenig. Ich finde, meine Handschrift sieht sehr seltsam aus.
Dienstag, 12. MĂ€rz
Heute vor einer Woche starb Vater. Ob der Traum von Dr. König damit zu tun hat? Keine Ahnung. Mein Vater war mir fremd, sein ganzes Leben lang. Warum soll ich dann von ihm trĂ€umen, wenn er nicht mehr da ist? Oder eben gerade deshalb? Und wer soll im Traum denn mein Vater gewesen sein? Dr. König? Ich? Die Schale? Und wer war ich? Ein Apfel? Alle Ăpfel? Es ist kompliziert. Und wenn es wahr ist und ich habe noch ein Jahr zu leben? Was mache ich bloĂ? Aufhören zu arbeiten kann ich mir nicht leisten. Mit der Geschichte von Dr. König komme ich beim Sozialamt nicht durch. Habe in der Bibliothek ein Buch ĂŒber TrĂ€ume gefunden. Frau Amrain war da! Sie hat mich zuerst wieder so tiefgrĂŒndig angeschaut, dann hat sie mich gefragt, ob ich mich denn fĂŒr TrĂ€ume interessiere. Das sei nĂ€mlich spannend. Sie schreibe jeden Morgen ihre TrĂ€ume auf. Ich glaube, ich bin rot angelaufen, dann habe ich âSosoâ gesagt. Im Buch ĂŒber TrĂ€ume Folgendes gelesen: In einem Amazonas-Volk erzĂ€hlen sie sich jeden Morgen ihre TrĂ€ume und richten die Dorfpolitik danach aus. Der französische Philosoph Descartes soll seine ganze Theorie aus einem Traum abgeleitet haben. Darin kamen eine Kirchenmauer vor, ein Gewitter und eine Melone. Keine Ahnung, warum. Statistisch gesehen trĂ€umen wir erstens von Sex, zweitens vom Fallen und drittens vom Versagen. Vielleicht auch manchmal von allen drei Dingen gleichzeitig. In verschiedenen Reihenfolgen. Morgen wird Vater beerdigt.
Mittwoch, 13. MĂ€rz
Heute wurde Vater beerdigt. Urnenbestattung. Schlichte Feier in der Kirche. Warum sagt man bei uns immer, eine Feier sei schön gewesen, wenn sie schlicht war? Schön schlicht sei es gewesen, sagt man. Und warum muss man in der Kirche immer diese Lieder singen mit diesen seltsamen Texten und den viel zu schwierigen Melodien? Bei der zweiten Strophe stehen dann die Noten nicht mehr dabei und man kanns vergessen. Es kamen Leute, die ich noch nie gesehen habe. Alte Arbeitskollegen meines Vaters. Ich stelle fest: Ich habe keine Ahnung von seinem Leben. Als Erste kam eine alte, gepflegte Dame mit kunstvoll frisierten Haaren, allein. Sie sagte, sie sei jahrelang seine SekretĂ€rin gewesen. Ich könnte schwören, sie war seine Geliebte. Meine Mutter wĂŒrdigte sie keines Blickes. Dabei sind sie beide schon ĂŒber achtzig. Hat sich mein Vater tatsĂ€chlich eine Geliebte geleistet? Ăber den Mittag ins Hotel, falsche GeschĂ€ftsreisen, verstellbare Lehne am BĂŒrosessel? Meine GĂŒte. Ein mir vollkommen fremder Mensch wurde da beerdigt. Ich stamme von einem Fremden ab. Und ich habe weder SekretĂ€rin noch Geliebte. Jetzt habe ich nur noch dich, sagte Mutter. Beim Leidmahl viel zu viel getrunken. Mutter danach noch nach Hause gefahren. Die Stille im Elternhaus hĂ€tte mich beinahe erschlagen.
Donnerstag, 14. MĂ€rz
War heute nochmal auf dem Friedhof. Warum stehen auf den KindergrĂ€bern immer WindrĂ€der, auf den ErwachsenengrĂ€bern aber keine? Habe ein Windrad von einem Kindergrab genommen und aufs Grab meines Vaters gesteckt. Ich habe angefangen, seine Sachen zu rĂ€umen. Ich stelle fest: Man muss alles noch einmal in die Hand nehmen. AuĂer man wĂŒrde das Haus anzĂŒnden. Oder sprengen. Aber Mutter lebt ja noch drin. Habe beim Anfassen seiner Unterhosen an seine SekretĂ€rin gedacht. Zuoberst in der Schachtel fĂŒr den Trödlerladen lag ein gerahmtes Foto von ihm als Offizier. Mutter hat es schon immer gehasst. Der Kofferraum war schon voll, ich stellte die Schachtel auf den RĂŒcksitz und fuhr los. Ein Kind lief mir vor den Wagen, ich bremste abrupt, und das Bild flog Zentimeter an meinem Kopf vorbei nach vorne in die Windschutzscheibe. Ich stelle fest: Beinahe hĂ€tte mich mein fremder Vater quasi posthum erschlagen. â Nachmittags Frau Oberholzer, Kakerlaken. Hat mir ihr ganzes Leben erzĂ€hlt. Ihr Mann hat sich am Tag nach seiner Pensionierung aufgehĂ€ngt, am einzigen Baum im Garten. Ein Quittenbaum. Ihr Mann sei halt eher klein gewachsen gewesen und der Quittenbaum eher groĂ, sonst wĂ€re das ja gar nicht gegangen, sagte sie. Dem Baum habe es jedenfalls nichts gemacht. Und sie mache trotzdem jedes Jahr QuittenkonfitĂŒre. Das lasse sie sich nicht nehmen. Quitten seien reich an Vitamin C, reicher als Ăpfel. Nur das Raffeln sei eine Schinderei. Mit der Arthrose in den HĂ€nden erst recht. Dann schenkte sie mir ein Glas QuittenkonfitĂŒre. Ich glaube nicht, dass ich sie essen werde. Vitamin C hin oder her. Bin plötzlich nicht mehr sicher, ob das im Traum Ăpfel waren in der Schale. Oder Quitten.
Freitag, 15. MĂ€rz
Sicherheitshalber beim Arzt gewesen. Habe ihm selbstverstĂ€ndlich von Dr. König erzĂ€hlt. Ich glaube, er glaubte mir nicht. Er hat mich halbherzig durchgecheckt und mir am Ende einen Psychiater empfohlen. Der heiĂt Dr. Kaiser. Wirklich wahr. Keine Ahnung, warum. Im Bus neben dem gröĂten Trottel gesessen. Warum komme ich im Bus immer neben den gröĂten Trottel zu sitzen? Und denkt der das auch von mir? â Nachmittags Herr KrĂ€mer, Wanzen. Im Wohnzimmer stand ein riesiges Segelschiffmodell, gebaut aus ZĂŒndhölzern. So kann man das natĂŒrlich auch machen.
Samstag, 16. MĂ€rz
Seit gestern spĂŒre ich ein Stechen im rechten Knie. Ăber die Art und Weise meines möglichen Ablebens nach Ablauf des Jahres hat sich Dr. König ja nicht geĂ€uĂert. Kann man sterben an einem stechenden Knie? In der Bibliothek einen Gedichtband von Morgenstern gefunden. An der Theke kurzerhand aufgeschlagen und Frau Amrain das Gedicht vom Knie vorgelesen. Sie hat gelacht!
Sonntag, 17. MĂ€rz
Heute Morgen, beim Spaziergang, im aufkommenden Föhnsturm, wĂ€re ich beinahe von einem einstĂŒrzenden Baugespannmast erschlagen worden. Habe die letzten EintrĂ€ge gelesen. Jetzt bin ich schon zum dritten Mal fast erschlagen worden. Morgen Termin Dr. Kaiser.
Montag, 18. MĂ€rz
Ich töte Tiere. TĂ€glich. Ich habe schon tausende von Tieren getötet. Der Tod ist Teil meines Lebens. Das soll ich so aufschreiben, hat Dr. Kaiser gesagt. Trottel. Was soll ich denn anderes tun, Herr Kaiser? Ich bin KammerjĂ€ger! Die Leute bezahlen mich fĂŒrs Töten von Tieren! In meinem Traum ging es nicht um eine orientalische Schabe und ich habe mit den Schultern gezuckt, mich am Ohr gekratzt und gesagt âplus, minus eine Stundeâ! In dem Traum ging es um mich! â Nachmittags zur Beruhigung in den Zoo. Eine Stunde lang dem Schabrackentapir zugeschaut. Das kostet zehnmal weniger als eine Stunde bei Dr. Kaiser. Auf dem Heimweg stieg Frau Amrain in den Bus! So, haben Sie Feierabend, sagte ich. Sie nickte, und dann fragte sie mich, was ich denn so mache im Leben. Ich sagte, ich sei KammerjĂ€ger. Sie sagte, das treffe sich gut, sie habe Silberfischchen im Keller. Ich sagte, prima. Also nicht das mit den Silberfischchen. Sie lachte. Termin bei ihr am Freitag! Sie wohnt an der KĂ€ferbergstraĂe. Ausgerechnet!, sagte ich. Sie lachte noch einmal. Ich habe ja ganz feuchte HĂ€nde, meine GĂŒte.
Dienstag, 19. MĂ€rz
Weiter das BĂŒro und die Werkstatt meines Vaters gerĂ€umt. Sein altes Fahrrad, schachtelweise BĂŒcher. Lederstrumpf, Gorbatschows Reden, DĂŒrrenmatt, GlĂŒhbirnen, alles wird irgendwie gleichwertig wertlos, es zĂ€hlt nur als Gewicht auf dem Entsorgungshof, man fĂ€hrt vorher und nachher auf eine Waage, man bezahlt, was weg ist, egal ob GlĂŒhbirnen oder Gorbatschow. Wie tröstlich eigentlich. Ein Mann ging am Haus vorbei, mit einem vollbepackten Einkaufswagen. Darin offenbar sein gesamtes Hab und Gut. Er blieb stehen und schaute auf den Abfallberg auf dem Vorplatz. Dann ging er weiter. Nachmittags Frau GĂŒnther, Dörrobstmotten. Frau Oberholzer, Kakerlaken, Nachkontrolle. Sie hat mir noch einmal ihr ganzes Leben erzĂ€hlt. Und sie hat mir wieder ein Glas QuittenkonfitĂŒre geschenkt. WĂ€re ich doch Frau Oberholzer. Ich hĂ€tte den blöden Traum schon lĂ€ngst wieder vergessen. Kann man eigentlich vorsĂ€tzlich etwas vergessen? Jetzt sind es schon zwei Wochen, dass Vater gestorben ist. Das hĂ€tte ich jetzt beinahe vergessen.
Mittwoch, 20. MĂ€rz
Frau BĂŒhlmann, Kakerlaken. Ich vermute: alleinstehend, Alkoholikerin. Hat wohl alle Flaschen weggerĂ€umt, bevor ich kam. Aber man sieht es an der Haut. Und man riecht es, an diesen Mentholpastillen. Wenn Einsamkeit einen Geruch hat, dann ist es diese Mischung aus Restalkohol und Mentholpastillen. Vor dem Wohnhaus sah ich ein MĂ€dchen, das zum ersten Mal in seinem Leben Fahrrad fuhr. Es strahlte ĂŒbers ganze Gesicht. Schon beim zweiten Versuch war das Leuchten schwĂ€cher. Beim dritten Mal war es schon beinahe verschwunden. Ich könnte eine Liste machen mit Dingen, die mir ein solches Strahlen ins Gesicht zaubern. Jetzt gerade, so spontan, fĂ€llt mir nichts ein.
Donnerstag, 21. MĂ€rz
Heute Morgen um drei brachte mir Frau ObermĂŒller ein Rotkehlchen. Trotz Glocke um den Hals. Vom Kehlchen des Rotkehlchens war leider nicht mehr viel ĂŒbrig. Ich stelle fest: Frau ObermĂŒller kann töten, was sie will, aber muss deswegen nicht zu Dr. Kaiser. Plötzlich sehe ich ĂŒberall BĂŒcher mit Listen. Tausend Orte, wo man gewesen sein muss. Hundert Dinge, die ein Mann getan haben muss. Habe das Buch aufgeschlagen. Ich solle mit einem Motorrad quer durch Amerika fahren. Na toll. Es ist vier Uhr nachmittags, ich sitze im Selbstbedienungsrestaurant im Einkaufszentrum. Alte auslĂ€ndische MĂ€nner sitzen an runden Tischen, bei Kaffee und Kuchen. Hinten an der Wand hĂ€ngen zwei Flachbildschirme nebeneinander. Auf beiden lĂ€uft der gleiche Sender. Biathlon. Frauen schieĂen und langlaufen tonlos durch einen verschneiten Wald. Einem alten Mann fĂ€llt ein StĂŒck Himbeertorte zu Boden. Er flucht in einer fremden Sprache. Heute beginnt der FrĂŒhling.
Freitag, 22. MĂ€rz
Frau Amrain wohnt in einem kleinen HÀuschen. Allein! Alles ist extrem aufgerÀumt bei ihr und sau...
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