1. Warum die Taufe jetzt eine persönliche Entscheidung geworden ist
Die Freiheit eines Christenmenschen beginnt mit der Zwangstaufe.
Karlheinz Deschner
Die Kindertaufe ist eine Erfindung der Amtskirche. Jesus hat überhaupt nicht getauft und in der Bibel kommt keine Taufe vor außer der von Jesus durch Johannes den Täufer, also eine Erwachsenentaufe. Erst seit dem sechsten Jahrhundert etwa setzte sich die von Augustinus propagierte Kindertaufe durch. Augustinus selbst ist erst als Erwachsener getauft worden, obwohl er von einer christlichen Mutter erzogen wurde. Er war es, der die Voraussetzung für die Kindstaufe schuf: die Erbsünde und ihre Reinwaschung durch die Taufe.
Am Beginn des Mittelalters war die Erwachsenentaufe noch immer die Regel. Die Kindstaufe wurde erst mit dem Konzil von Trient Mitte des 16. Jahrhunderts zur Pflicht.
Zwangstaufen gab es in der Geschichte der Kirche zuhauf. Als Folge der Einführung der Kindertaufe wurde sie zwanghaft, weil sich der Täufling nicht wehren kann, wodurch das Grundrecht des Kindes auf Religionsfreiheit verletzt wird. In Deutschland kommt der Art. 4 Abs. 1 des Grundgesetzes zur Anwendung: „Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.“ Und in Art. 136 Abs. 4 der Weimarer Reichsverfassung, der dem Art. 140 des Grundgesetzes inkorporiert ist, heißt es: „Niemand darf zu einer kirchlichen Handlung oder Feierlichkeit oder zur Teilnahme an religiösen Übungen … gezwungen werden.“
Die christliche Heidenmission wandte schon früh das Instrument der Zwangstaufe an, um einen rascheren Erfolg der Christianisierung zu sichern. Volks- oder Stammesführer wurden besonders intensiv „bearbeitet“; sobald sie für das Christentum gewonnen waren, wurde nicht selten die Taufe von allen Mitgliedern des Volkes oder Stammes erwartet.
Noch bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts wurden in Deutschland und in Österreich Zwangstaufen durchgeführt. Eltern, die wegen ihrer weltanschaulichen Überzeugung ihre Kinder nicht taufen lassen wollten, zum Beispiel Baptisten und Atheisten, wurden unter Androhung empfindlicher Strafen dazu gezwungen, in die Taufe ihrer Kinder einzuwilligen. Verweigerten sie dennoch ihre Zustimmung, ließen die staatskirchlichen Behörden die Kinder amtlich zur Taufe vorführen. Die Eltern hatten nicht nur dieses Verfahren zu bezahlen, sondern wurden darüber hinaus noch mit Gefängnis- und/oder Geldstrafen belegt.
Eine heute 83-jährige Nachbarin erzählte, dass sie beim Schuleintritt noch nicht getauft war, da ihre eigene Mutter unter der Bigotterie der Großmutter gelitten hatte. Solche Kinder wurden auch noch vor rund achtzig Jahren kurzerhand in einer Massentaufe „zwangsgetauft“, damit sie am Religionsunterricht teilnehmen konnten.
Alle diese Beispiele legen nahe, dass die „Gläubigen“ zu fast hundert Prozent nicht aus Freiwilligen rekrutiert wurden, sondern aus Säuglingen, nicht einwilligungsfähigen Kleinkindern oder aus einer Schar von naiven und wehrlosen Missionsopfern. Dazu kommt eine lange Tradition von Zwangstaufen als Ergebnis kriegerischer Handlungen. Das bedeutet, dass die Gemeinschaft der Gläubigen das Ergebnis eines von Zwang und Gewalt geprägten Prozesses ist und dass damit das Bild „1,2 Milliarden Katholiken können nicht irren“ schwer ins Wanken gerät.
2. Das Taufgeschenk der Erbsünde kann man ruhig ablehnen
Doch niemand braucht die Sünde mehr als die, die sie verteufeln.
Joesi Prokopetz
Kann man Sünden erben? Setzt das nicht eine Art Sippenhaftung voraus, die wir überwunden glaubten?
„Nach Gen 2,8–3,24 hat der Sündenfall von Adam und Eva über diese den Verlust des vertrauten Verhältnisses zu Gott sowie Mühsal, Leiden und Tod gebracht … Manchmal sieht es so aus, als sei das alles aus der Unvollkommenheit der menschlichen Entwicklung zu erklären, nicht als Sünde, sondern als Noch-nicht-Ausgewachsensein. Manchmal scheint es so, als seien nur seelische Abartigkeiten die Ursachen menschlichen Versagens. Doch das Christentum lehrt, dass es einen großen Grund der menschlichen Unvollkommenheit gibt: Das große gemeinsame, unentrinnbare, aber doch schuldhafte Unvermögen zur Liebe.“
Was mit diesen schwülstigen Worten auf einer katholischen Seite beschrieben wird, ist der tollpatschige Versuch einer Begründung der Erbsünde. Ein Noch-nicht-Ausgewachsensein? Unentrinnbar – und doch schuldhaft? Schuldhaftes Unvermögen zur Liebe? Wer kann damit etwas anfangen?
Was mit dieser Schwurbel-Sprache hier zu erklären versucht wird, hat handfeste Gründe, die sehr wohl verständlich sind, wenn man das ganze Tableau ansieht und nicht nur den winzigen Katechismus-Ausschnitt.
Es bedurfte in der Urkirche eines Anreizes zur Taufe, das ist der Schuldenschnitt. Man konnte Raub, Betrug, Morde begangen haben, mit der Taufe war man alle Sünden los. Voraussetzung ist nur der Glaube. Nun ist es schwer, die gleiche Argumentation bei einem Säugling anzuwenden, denn was will man einem Baby schon anhängen? Andererseits wussten die Kirchenväter schon um die Kraft der Kindertaufe.
Warum funktioniert dieser marketingtechnische Trick?
Die Parabel vom Fuchs und den Trauben beschreibt ein Verhalten, das sehr typisch für uns Menschen ist – man nennt es in der Psychologie „kognitive Dissonanz“: einen als unangenehm empfundenen Gefühlszustand, der dadurch entsteht, dass ein Mensch mehrere Kognitionen hat – Wahrnehmungen, Gedanken, Meinungen, Einstellungen, Wünsche oder Absichten –, die nicht miteinander vereinbar sind. Um die Dissonanz aufzulösen, gibt es mehrere Möglichkeiten, eine davon ist das Verhalten des Fuchses: Er findet Trauben „ohnehin“ zu sauer. Die Wirklichkeit wird so hingebogen, wie es zur Auflösung der Dissonanz notwendig ist. Es wird „ex post“ rationalisiert, also im Nachhinein.
Durch die Taufe werden Kinder auf eine Schiene gesetzt, die sie natürlich zunächst nicht hinterfragen. Der Trick besteht darin, dass Menschen aufgrund der kognitiven Dissonanz grundsätzlich lieber an dem festhalten, was sie „schon haben“, also an ihrer Religion, obwohl sie sie nicht selbst ausgewählt haben.
Anstatt die eigene Intelligenz dazu zu benützen, Fehler zu korrigieren und die Realität positiv zu verändern, wird sie im Kopf verändert. Fazit ist eine etwas verschobene Wahrnehmung der Wirklichkeit. So kommt es, dass auch intelligente Personen durch kognitive Dissonanz in die Religionsfalle tappen, aus der sie manchmal ein Leben lang nicht mehr herauskommen. Ihre ganze Intelligenz wird darauf verwendet, in oft voluminösen Satzkonstruktionen und Gedankensaltos die abenteuerlichsten theologischen Theorien zu stützen, die schon ein helles Kind als Flop einstufen würde.
Sigmund Freud hatte möglicherweise auch diesen Sachverhalt im Kopf, als er schrieb: „Denken Sie an den betrübenden Kontrast zwischen der strahlenden Intelligenz eines gesunden Kindes und der Denkschwäche des durchschnittlichen Erwachsenen. Wäre es so ganz unmöglich, dass gerade die religiöse Erziehung ein großes Teil Schuld an dieser relativen Verkümmerung trägt?“
Die Argumentation der Erbsünde ist an den Haaren herbeigezogen. In diesem Fall ist die Kirche eindeutig zu weit gegangen, denn das ist mehr als Unsinn. Es ist die Verurteilung von Natur, es ist die Verteilung von Schuld an völlig Unschuldige, zwecks späterer psychischer Rückbindung (= Religion). Hier wird künstlich ein Problem geschaffen und – was Wunder! – die Schöpfer des Problems haben auch gleich die Problemlösung bereit: Taufe und irreversibler Eintritt in die Kirche. Der Fisch ist in der Reuse.
Sigmund Freud, Die Zukunft einer Illusion. Leipzig 1927, Kapitel IX
3. Wieso sind viele auf Kurs eines Systems, das sie freiwillig nie gewählt hätten?
Man sollte es sich zur heiligsten Pflicht machen, einem Kind nicht zu früh einen Begriff von Gott beibringen zu wollen. Die Forderung muss von innen heraus geschehen, und jede Frage, die man beantwortet, ehe sie aufgeworfen ist, ist verwerflich. Das Kind hat vielleicht seine ganze Lebenszeit daran zu wenden, um seine irrigen Vorstellungen zu verlieren.
Friedrich Schiller
In vielen „aufgeklärten“ demokratischen Industriestaaten, also Staaten, in denen sich der Einzelne halbwegs frei für oder gegen Religion entscheiden kann (vor allem im nördlichen Europa) nimmt die Zahl der Menschen, die sich selbst als gläubig empfinden, ab. Auch die Anzahl der getauften Christen nimmt ab.
Weltweit steigt die Zahl der Gläubigen, genauer gesagt, die Zahl der religiös Abhängigen, denn die Mission in den armen Staaten des Südens und in Asien ist sehr aktiv. Ein äußeres Zeichen ist der nunmehr eingesetzte südamerikanische Papst.
In Deutschland ist rund ein Drittel der Bevölkerung konfessionsfrei, in Österreich ein Viertel. Die beiden Länder zählen damit zu den Top Ten der atheistischen Länder der Welt. Der Trend sinkender Mitgliedszahlen ist seit Jahrzehnten gleich. Noch vor wenigen Jahrzehnten gab es über neunzig Prozent christliche Bevölkerung in den beiden Ländern. Dennoch gibt es in Österreich nach wie vor 50.000 Taufen pro Jahr. Nur fünf Promille haben dabei das vierzehnte Lebensjahr erreicht, 99,5 Prozent sind also Zwangstaufen. Die Kinder versäumen nichts, wenn sie nicht getauft sind. Sie dürfen auch am Religionsunterricht teilnehmen.
Ob die konfessionellen Menschen auch wirklich an das glauben, was die Rel...